Best of Indie Juni 2015

Auf der E3 gab’s einen Ausblick auf die Indie-Hoffnungen der näheren (und weiter entfernten) Zukunft - einige davon habe ich im GameStandard bereits vorgestellt. Wer auf der Suche nach außergewöhnlichen Spielideen ist, findet aber ohnedies jederzeit bereits veröffentlichte Indie-Games, die so gut wie jeden Geschmack abdecken.

Auch im Juni haben uns die Titel unabhängiger Entwickler begeistert - hier ein Überblick über jene Titel, die besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Her Story  (Windows, Mac, iOS, ca. 5,99 Euro)

Völlig neue Spielideen sind selten - hier ist eine: In “Her Story” sind Spielerinnen und Spieler einem 20 Jahre alten kriminellen Geheimnis auf der Spur. Fast 300 Videofragmente mehrerer Vernehmungen einer Frau sind der Heuhaufen, in dem irgendwo die Wahrheit über einen Mord zu finden ist. Die gezielte, sich nach neuen Aha-Erlebnissen ständig erweiternde Stichwortsuche spuckt nach und nach kurze Videosequenzen aus, die zusammen die Hinweise zur Aufklärung des mysteriösen Falles ergeben. Dank toller schauspielerischer Leistung und genialer Verschachtelung ergibt sich so trotz völliger Freiheit bei der Reihenfolge der Spurensuche ein faszinierendes Psychogramm, dessen Entwirrung tatsächlich detektivisches Denken erfordert.

Eine wunderbare Idee, tolle Präsentation, berührende Momente: Wer auf der Suche nach Originalität im Medium ist, muss “Her Story” gesehen haben - solides Englisch ist allerdings dabei Grundvoraussetzung.

Massive Chalice  (Windows, Mac, Linux, Xbox One, ca. 19,99 Euro)

Ein Königreich vor dem Bösen zu beschützen, ist in “Massive Chalice” keine Aufgabe für ein paar Tage: Über 300 Jahre lenken Spielerinnen und Spieler im originellen Rundenstrategiespektakel von Double Fine die Geschicke eines Fantasy-Imperiums. Der Clou: Die Heldinnen und Helden, die dabei nach “XCOM”-Manier rundenweise in einzelnen Schlachten ins Feld geführt werden, müssen dank begrenzter Lebenszeit auch zur Gründung von Dynastien genutzt werden, die im langen Krieg für Soldatennachwuchs sorgen - dank vererbbarer Eigenschaften und besonderer Familienerbstücke ist das geschickte Verheiraten und Ausbilden des hoffentlich zahlreichen Nachwuchses mindestens so wichtig für den Erfolg wie der militärische Sieg in den alle paar Jahre stattfindenden Scharmützeln.

Schwarzer Humor und cartoon-hafte Präsentation sorgen für Leichtigkeit, das originelle Dynastienkonzept für Abwechslung - die Wartezeit auf “XCOM 2” lässt sich mit “Massive Chalice” wunderbar verkürzen. Meine Review für FM4 gab's hier

Ronin  (Windows, 12,99 Euro)

Auch wenn sich “Ronin” optisch sehr an das wunderbare, bereits zwei Jahre alte “Gunpoint” anlehnt, ist es spielerisch etwas völlig Eigenständiges: Der “turn based action platformer” lässt Spielerinnen und Spieler in Gestalt einer namenlosen Killerin mit Katana und Motorradhelm einen furiosen Rachefeldzug zu Ende führen, in dem Taktik und ein wenig Glück statt Reflexen zum Ziel führen. Kommt es zum Kampf, werden Sprünge, Attacken und Spezialangriffe rundenbasiert durchgeführt, und es braucht mehr als stumpfes Draufloshacken, um gegen Wachleute, Techno-Samurais und Milizionäre nicht den Kürzeren zu ziehen.

“Ronin” ist kein Spaziergang, doch wie beim in dieser Hinsicht geistesverwandten “Hotline Miami” lösen sich knackige Herausforderung an der Grenze zum Frust und euphorischer Flow angesichts perfekt ausgeführter Attentate wiederholt ab. Schade nur, dass es keine Möglichkeit gibt, sich die blutigen Missionen im Anschluss per Rewind in Echtzeit anzusehen; Quentin Tarantino hätte seine Freude daran.

The Masterplan (Windows, Mac, ab 14,99 Euro)

Und auch an diesem Spiel hätte der “Reservoir Dogs”-Regisseur seinen Spaß: Eine Bank auszurauben ist bekanntlich frei nach Bertolt Brecht weit weniger lukrativ, als eine zu gründen - trotzdem ist Ersteres Thema in diesem taktischen Topdown-Strategie-Juwel der finnischen Entwickler Shark Punch. Als Krimineller in den wilden 70er-Jahren sind Spielerinnen und Spieler für die minutiöse Koordination und Ausführung verschiedenster Überfälle zuständig, vom simplen Gemischtwarenladen über Banken bis hin zu den Villen des Drogenadels. Wie der jeweilige Coup abläuft, ist dabei der Fantasie und Kreativität der Spielerinnen und Spieler überlassen: Vom unbemerkten Einschleichdiebstahl bis zum wilden Feuergefecht mit der Polizei ist alles möglich, und verschiedene Missionen machen es durchaus notwendig, die eigene Strategie und auch sein Team aus Spezialisten laufend an die jeweiligen Aufgaben anzupassen.

Cartoon-Optik und schwarzer Humor machen “The Masterplan” zur augenzwinkernden Hommage an die großen “Heists” der Filmgeschichte, überraschende Spieltiefe und originelle Spielmechaniken sorgen für Motivation.

Kholat (WIndows, 17,99 Euro)

Was genau im Jahr 1959 auf dem Djatlow-Pass im Ural passiert ist, wird wohl nie mit Gewissheit zu sagen sein - das Horror-First-Person-Abenteuer “Kholat” nimmt sich auf jeden Fall des modernen Mysteriums um neun unter mysteriösen Umständen im Ural verunglückte Skifahrer an und versetzt seine Spielerinnen und Spieler in eine unheimliche Eiswildnis. Wer auf der Suche nach dem nächsten Jump-Scare-Schocker ist, wird hier nicht fündig: “Kholat” verzichtet zum Großteil auf die aus “Slender”, “Outlast” und Konsorten bis zur Ermüdung bekannten Schreckmomente und setzt dafür alles daran, eine Atmosphäre des Unheimlichen zu erzeugen. Das gelingt hervorragend - von der spektakulären Grafik der Unreal Engine 4 über die hochprofessionelle Besetzung der Erzählerrolle mit dem aus “Herr der Ringe” und “Game of Thrones” bekannten Sean Bean bis hin zum äußerst atmosphärischen Sounddesign.

Bei der einsamen Wanderung durch die Schneehölle sind allerdings Orientierungssinn und Geduld gefragt: In der offenen Welt helfen nur Kompass und Landkarte dabei, den Weg zu den Hinweisen zu finden -- eine moderne Automap, auf der die eigene Position eingetragen ist, gibt es nicht. Wer sich nicht gerade Schockeffekte am laufenden Band erwartet, findet in “Kholat” ein grimmig-atmosphärisches Horrorerlebnis in wunderschöner Optik.

Und sonst …?

Apropos Horror: Auch ohne Hochglanzgrafik lässt sich’s gruseln, besonders wenn im Gegenzug mit originellen Ideen nicht gegeizt wird. In Sylvio (PC, Mac, 12,99 Euro)  sind Spielerinnen und Spieler als Geisterjäger mit Audio-Equipment in einem stillgelegten Vergnügungspark unterwegs. Wer jetzt gelangweilt die Augen verdreht, sollte sich von diesem Geheimtipp überraschen lassen: Trotz kleinerer Schönheitsfehler in Sachen Grafik und Waffenmechanik wartet hier nämlich ein verstecktes Juwel in Sachen Atmosphäre auf Freunde des Horrorspiels.

Wer dem Early Access nicht abgeneigt ist, sei außerdem nochmals auf einen wahren Publikumsliebling verwiesen: ARK - Survival Evolved (Windows, 27,99 Euro; PS4, XBox One in Vorbereitung) verleitet seit einigen Wochen tausende Früheinsteiger in die Dinosaurier-Sandbox zur Euphorie.

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