Der Museumsdirektor: Andreas Lange

Andreas Lange

Teil 3 der Klassik-Interviewserie "Das verspielte Dutzend" lässt Robert Glashüttner auf Andreas Lange treffen, der seit mittlerweile genau 20 Jahren Museumsdirektor des wegweisenden Computerspielemuseum Berlin ist. Das Gespräch findet am 3. Februar 2012 im Café Ehrenburg (heute: Café Saaldeck) statt, das sich im selben Gebäudekomplex wie das Museum befindet.

Als ich Andreas Lange vor über fünf Jahren zum Gespräch treffe, ist das Computerspielemuseum Berlin am heutigen Ort bei der Weberwiese gerade erst neu eröffnet worden. Die zehn Jahre davor gibt es das Museum zwar nominell, aber nicht als tatsächlichen Ort - während dieser Zeit werden vor allem Projekte und Auftragsarbeiten umgesetzt. Geht man ganz zum Anfang zurück, zu den Pionierjahren in den späten 90er Jahren, dann erkennt man die Gründung des Computerspielemuseum Berlin als Bestreben, einer neuen Kulturform eine institutionelle Struktur zu geben. Eine zentrale Person ist dabei ein motivierter junger Religionswissenschaftsstudent, der gerade erst seine Magisterarbeit über Mythen in digitalen Spielen fertiggestellt hat. Die Wahl des Computerspiels als Forschungs- und Arbeitsgegenstand entspringt dabei ursprünglich weniger einer persönlichen Leidenschaft als einem medialem und kulturellen Interesse. So ist Andreas Lange weder typischer Sammler, noch Spieler. Er ist jemand, der Potenziale erkennt und Öffentlichkeit bieten möchte.

Seit dem Jahr 2015 hat das Computerspielemuseum über 100.000 zahlende BesucherInnen jährlich. Neben der Dauerausstellung mit Raritäten und Besonderheiten wie dem DDR-Spielautomaten "Poly Play", der schmerzhafte Games-Kunst-Klassiker "Painstation" oder dem Riesenjoystick, gibt es immer wieder Sonderausstellungen und - im Rahmen der alljährlichen Gamesweek - das Gamefest mit umfangreichem Programm im und um das Museum. Gerade eben hat das Computerspielmuseum Berlin den Sonderpreis der Jury beim diesjährigen Deutschen Computerspielepreis erhalten, und im September stehen dann die Feierlichkeiten zum 20-jährigen Jubiläum an. Das Museum leistet und bietet also jede Menge und bekommt nun seit einigen Jahren auch die Aufmerksamkeit, die es verdient. Doch wie hat alles angefangen und wie wurde aus Andreas Lange der Museumsdirektor, der er seit vielen Jahren erfolgreich ist?

Andreas Lange

Fotos: Christoph Liebentritt

Du hast vergleichende Religionswissenschaften studiert. Warum eigentlich?

Das war ein kleines Versehen, eher zufällig. Ich bin 1988 mit dem Vorsatz nach West-Berlin gekommen, Theaterregisseur zu werden. Als ich mich auf der Uni einschreiben wollte, erfuhr ich, dass man noch weitere Fächer nehmen muss und dann hab‘ ich mir dieses dicke Vorlesungsverzeichnis gekauft und bin bei Religionswissenschaften hängen geblieben. Einfach, weil das interessante Angebote waren, die ich da gefunden habe. Als Nebenfach von Religionswissenschaften habe ich mir noch Psychologie ausgesucht. Psychologie fand ich nicht gut und hab‘ dann das auch nicht mehr gemacht und hatte dann schon entschieden, Religionswissenschaften als zweites Hauptfach zu machen, weil sich das sehr gut entwickelt hat und es waren interessante Seminare, sehr klein, sehr intim, sehr familiär. Es war immer verstehbar, fassbar. Und dann merkte ich, dass ich doch nicht Theaterregisseur werden will. Mir wurde auch klar, dass ich das nicht über ein Theaterwissenschaftenstudium werden würde. Über den Weg einer Regieassistenz habe ich viel erfahren und da wurde mir im Prinzip klar, dass ich nicht theaterverrückt genug bin. Als mir das klar wurde, hatte ich aber schon einige Scheine in Theaterwissenschaften gemacht und wollte jetzt nicht noch irgendwas völlig Neues anfangen und habe dann entschieden, meine beiden Hauptfächer umzudrehen - Religionswissenschaften machte inhaltlich mehr Spaß. Dann habe ich meine Abschlussarbeit in meinem ersten Fach Religionswissenschaften geschrieben und Theaterwissenschaften als zweites Hauptfach fertig gemacht. Wobei ich mir nie Gedanken gemacht habe mehr, was ich beruflich damit anfangen kann bzw. mir war völlig klar, dass es ein klassisches Orchideenfach war. Es hat ja auch nichts mit Theologie zu tun. Man kann eigentlich wieder nur in die Wissenschaft einsteigen, was eine ganz kleine Disziplin ist. Mir war aber auch klar, dass ich nicht meine Karriere im akademisch-wissenschaftlichen Bereich machen möchte.

Nichtsdestotrotz habe ich mit großer Freude fertig studiert und dann auch nach dem Thema für meine Abschlussarbeit gesucht mit einem aktuellen Bezug. Über einige Sucherei bin ich dann erst auf die Idee gekommen, etwas über Computerspiele zu machen. Und der Dreh, wie ich das in Religionswissenschaften unterbringen konnte, war, dass ich mal frisch-frei von der Leber weg behauptet habe, hier handle es sich um moderne Mythen. Das wiederum hat mich befähigt, mit dem ganz traditionellen religionswissenschaftlichen Handwerkszeug der Mythentheorien die Geschichten, die in Computerspielen erzählt werden, als Mythen zu analysieren. Mein Professor damals hat gesagt: "Ja, ich bin auf dem Weg, ihnen das Thema zu akzeptieren, aber bitte erwarten sie keinerlei Hilfe von mir, was Computerspiele angeht, ich kenne mich überhaupt nicht aus." So ist es dann passiert, dass ich diese Arbeit geschrieben habe, abgegeben, und im Frühjahr 1994 mit dem Titel „Die Geschichten in Computerspielen, betrachtet unter mythentheoretischen Gesichtspunkten“ mein Studium abgeschlossen habe. Das war damals tatsächlich eine der ersten wissenschaftlichen Arbeiten jenseits der Erziehungswissenschaften, die als erste wissenschaftliche Disziplin das Thema digitale Spiele eingenommen und Games ernst genommen haben. Mein grundlegender Ansatz war, bevor ich eine Bewertung vornehme, erstmal die Frage zu stellen: Was ist das Computerspiel überhaupt? In diesem Sinne war das eine sehr frühe Arbeit, da gab es wenige zu dieser Zeit, Anfang der 1990er.

Was hat dich dazu gebracht, dich überhaupt für das Thema Computerspiele zu entscheiden?

Es war wahrscheinlich schon auch ein persönlicher Antrieb, da Neues herauszufinden, neue Wege zu begehen. Und ich hatte mir einen Computer damals gekauft, meinen ersten eigenen Computer, 386er PC mit Windows 3.1.

Dafür hattest du keinen C64 oder etwas ähnliches?

Nein, der PC war mein Einstieg in die Computerszene. Es gab Vorläufer im Bereich Konsole und Handheld oder auch Automat. Mit dem PC habe ich ein eigenes Bewusstsein dafür entwickelt, was Computerspiele sind. Es kam die zunehmende Gewissheit, dass sie unterschätzt waren und dass hier wesentlich mehr Potenzial vorhanden ist. Mit den mir damals zur Verfügung stehenden Mitteln, also mit dem religionswissenschaftlichen Ansatz, habe ich die Arbeit tatsächlich fertig bekommen und hatte dann schon auch die Schwierigkeiten gemerkt, was es bedeutet, so einen Weg alleine zu gehen, ohne rechts und links Kollegen, Texte, Artikel, Studien, Aufsätze zu haben, an denen man sich irgendwie reiben kann. An denen man sich orientieren kann, die man benutzen kann, um etwas zu argumentieren. Also, das Rausgehen auf einen weißen Fleck in einer Landkarte ist einerseits etwas, das ich durchaus sehr gerne mache. Nicht nur im beruflichen Bereich, sondern allgemein macht mir das nichts aus, mich in neue, noch nicht bekannte Situationen hineinzubegeben. Aber auf der anderen Seite gibt es diese Schwierigkeit, dass man sich dann auch manchmal etwas verlassen vorkommt. Alles in allem ging das Thema dann aber doch ohne große Krisen irgendwie durch und so habe ich mein kulturelles Interesse am Thema Computerspielen etabliert.

Aber du warst zu dieser Zeit, Anfang bis Mitte der 1990er Jahre, kein Spieler in klassischen Sinn. Du konntest nicht aus Erfahrungen aus deiner Jugend zurückgreifen, oder doch?

Ich hatte periphere Erfahrungen gemacht. Ich bin in einem kleinen Dorf in der osthessischen Provinz aufgewachsen, mit Freunden und Bekannten, die keinen Computer hatten. Das waren bodenständige Familien, da hält so etwas erst mit einer gewissen Verzögerung Einzug. Was bei uns allerdings Einzug gehalten hat, das war eine "PONG“-Konsole, ein Klon, so 1977 war das, von "Universum". Das lag dann irgendwann mal unterm Weihnachtsbaum und das hab‘ ich mit meinem Bruder auch ein paar Tage lang gerne gespielt. Dann war’s langweilig. Und was dann auch kam zu dieser Zeit war eins der ersten Handheld-Games, damals von Mattel - wir haben es heute im Museum. Mit LED-Lämpchen damals noch, ein ganz abstraktes Spielprinzip. Das hat uns schon ein bisschen mehr angefixt, weil da gab’s nämlich eine Highscore-Liste. Und da haben mein Bruder und ich uns dann immer unsere Highscores gegenseitig auf einem Gerät gezeigt, und obwohl er jünger war, stellte sich dann heraus, dass er besser ist.

"Donkey Kong", "Pac-Man", "Centipede", die kamen da frisch rein. Ich hab‘ das erlebt, wie die hereinkamen, aber persönlich eher zum Flipper und zum Billard gegriffen.

Dann gab’s noch eine dritte Erinnerung, und zwar war das ein Hinterzimmer in einer Kneipe in dem Dorf, die sich dann zu einer Spielhalle entwickelt hat. Das war so ums Jahr 1980, ich war 13 Jahre alt, genau im richtigen Alter. Wir hingen dann dort auch ordentlich rum, und es standen aber auch einige Flipper drin und ein Billardtisch. Da kamen wirklich die Klassiker, wie wir sie heute auch in der Ausstellung haben: "Donkey Kong", "Pac-Man", "Centipede", die kamen da frisch rein. Ich hab‘ das erlebt, wie die hereinkamen und habe auch sicherlich immer wieder interessiert zugeguckt, hab‘ aber persönlich eher zum Flipper und zum Billard gegriffen. Ich war vielleicht nicht bereit, soviel Geld zu investieren in die Videospielautomaten, weil man üblicherweise sehr schnell erst mal seine drei Leben verbraucht hat und doch einiges an Taschengeld investieren musste, bevor man nicht mehr gleich ganz peinlich nach 30 Sekunden schon wieder weg vom Fenster war. Und es gab natürlich sehr schnell diese Cracks dort und da hatte ich dann keinen Ehrgeiz, mitzuhalten, sondern war einigermaßen gut im Flippern und im Billard. Das konnte ich, und man hatte da die Möglichkeit, die Zeit zu kontrollieren. Ich kann mein Getränk erst mal austrinken, bevor ich die Kugel wieder abschieße. Beim Flippern hatten wir immer irgendwo eine Stelle, wo man dagegen klopfen musste, um Freispiele zu bekommen. Die Videospielautomaten ließen sich nicht so gut manipulieren wie Flipper. Aber natürlich habe ich schon immer mal wieder eine Mark auch in die Videospielautomaten reingeschmissen und das erlebt, als Kultur in der Spielhalle. Allerdings immer in diesem kleinen Minimaßstab, im Hinterzimmer, vielleicht auf 40 Quadratmetern in einer Kneipe in der Provinz. Das hatte wenig Glamour, vor allem in Bezug darauf, was man auch als Klischee von Arcades damals im Kopf hatte.

Und dann gab es noch eine vierte Begegnung in der Oberstufe: Da hatte ich tatsächlich Schulkameraden, die privat einen Computer besaßen. Einen Computerraum gab es damals – wir reden jetzt hier von 1983, 1984 – noch nicht in der Schule. Aber es gab einen Schulkameraden, der hatte einen ZX 81. Und da hab‘ ich dann auch mal eine Parabel in BASIC programmiert und an einen kleinen Fernseher angeschlossen. Das sind fünf Zeilen Code, oder vier. Das hat dann auch geklappt, und das hat mich so befriedigt, dass ich dachte: Okay, also das ist so eine tolle Leistung, das reicht jetzt mal! Und das war’s auch gewesen. Mein Schulkamerad , der damals auch zum ersten Mal mit dem ZX 81 in Kontakt gekommen ist und ich, wir waren die ersten, die diese Parabel programmiert haben. Er hat später, nach dem Abitur, eine große Karriere als Programmierer gemacht, hat jetzt eine eigene Firma. Insofern habe ich so eine Ursprungssituation ganz dicht und eng miterlebt.

Man sieht in diversen Dokumentationen und Berichten von der damaligen Zeit oft diese großen, leuchtenden Unterhaltungsmaschinen, und damit einhergehend diese Magie, die einen in die digitalen Spielewelten hineinzieht. Da warst du resistent dagegen?

Da war ich relativ resistent. Ich erinnere mich schon noch: Als ich dann 1992 meinen ersten 386er gekauft hatte und das Ding dann tatsächlich bei mir in der Wohnung stand – das hatte schon auch magische Momente. Zum Beispiel erinnere ich mich noch gut, als ich einen Text geschrieben und dann ausgedruckt habe, auf einem 24-Nadel-Drucker. Das kam mir irgendwie so schnell vor, irrwitzig präzise, dieses Ausdrucken eines Bildes vom Screen auf ein Blatt Papier über diese technische Konstruktion. Das hatte für mich etwas Magisches, etwas Wunderbares. Aber auch ansonsten habe ich mir damals den Computer als quasi bessere Schreibmaschine gekauft. Insofern ist die Anschaffung dieses ersten eigenen Computers eher als Werkzeug passiert und nicht aufgrund dieser Faszination, dieser Magie, die da durchaus auch drin steckt.

Du meintest, du bist gerne jemand, der neue Bereiche betritt und dort dann beginnt, zu forschen und zu gestalten. Das hast du ja mit der Eröffnung des Computerspielemuseums im Jahr 1997 bewiesen. Man kann dich, dein Team und das Museum guten Gewissens als Pioniere bezeichnen. Seither bist du dem Thema treu geblieben. Nun ist es aber so, dass Menschen, die immer wieder mal etwas Neues wollen, sich oft fragen: Was ist das nächste Ding? Bei dir sind es aber nun schon 20 Jahre hindurch Computerspiele!

Es ist nach wie vor unglaublich dynamisch, es passieren sehr, sehr interessante Sachen. Ein Museum – unabhängig von Computerspielen – zu betreiben, ist an sich schon eine sehr vielfältige Tätigkeit. Man tritt dabei auch mit sehr unterschiedlichen Communities in Kontakt. Wenn man dann auch noch ein Museum zu einem aktuellen Thema macht, verstärkt sich das. Und wenn das Themenfeld ein so neues wie Computerspiele ist, dann hat das eben eine unglaubliche Dynamik und insofern hat man permanent neue Fragestellungen, lernt neue Leute und Gemeinschaften kennen. Es ist eine Herausforderung, keine Frage, es ist kein 9-to-5-Job. Das ist es aber, was mich motiviert: auch die Herausforderungen und Mühen anzunehmen und die Zeit zu investieren. Das wird nicht durch Geld oder durch ein Einkommen motiviert. Es reicht zum Leben und es ist vor allen Dingen die Abwechslung, es sind die immer wieder neuen Fragestellungen, mit denen ich mich befassen muss, die mich begeistern.

Andreas Lange und Robert Glashüttner

Welche wichtigen Stadien hat das Computerspielemuseum seit der Gründung 1997 durchgemacht?

Man kann es im Prinzip in drei Phasen einteilen. Es gab diese erste Aufbauphase mit der ersten ständigen Ausstellung, die wir vier Jahre lang betrieben haben, allerdings in einer kleinen, bescheidenen, sehr handgebastelten Art und Weise. Dann schloss sich daran eine zehnjährige Projektphase an, wo immer wieder zum richtigen Zeitpunkt das Telefon geklingelt hat und Jobs reingekommen sind. Anfang 2011 haben wir dann hier in der Karl-Marx-Alle das jetzige Museum eröffnet.

Das heißt, du hast zehn Jahre lang Auftragsarbeiten erledigt und den Museumsbestand zur Verfügung gestellt?

Ja, die Aufträge waren ganz unterschiedlich. Teilweise haben wir zugeliefert, Exponate verliehen, oft mit Texten und kleinen konzeptionellen Beratungen geholfen. Aber wir haben auch eigenständige Ausstellungen entwickelt und finanziert, zum Beispiel "pong.mythos" über die Kulturstiftung des Bundes. Es hat immer genau gepasst, so, dass das Projekt weiter ging, die Idee weiter aktiv am Start war und belebt wurde. Und es ist natürlich der zweite Teil ganz wichtig zu erwähnen, der Träger der Computerspielemuseums. Ich habe das ja immer im Auftrag gemacht, mir hat nie etwas wirklich gehört am Museum. Der Träger hat sich auch immer zum Museum bekannt, hat immer auch, wenn es notwendig war, Ressourcen zur Verfügung gestellt - zum Beispiel mich zu finanzieren mit meinem Leben -, weil er immer auch an die Potenziale geglaubt hat, auch während dieser Projektzeit. Und er hat mir im Gegenzug auch sehr viele Freiheiten gelassen. Insofern waren diese zehn Jahre eine Zeit, in der ich sehr eigenständig gearbeitet habe.

Die dritte Phase war unsere Neueröffnung hier in der Karl-Marx-Allee und das ist eben ein ganz anderes Level: 70.000 Besucher im Jahr (seit 2015: 100.000, Anmerkung) mit allem, was dazugehört: Marketingpartnerschaften, Sponsoring, Werbung, begrenztes Budget ausgeben, Angebote und Führungen konzipieren. Das sind unglaublich viele Sachen, die dazugekommen sind. Und natürlich ist auch Druck dazugekommen, denn wir müssen den Betrieb finanzieren, wir müssen ihn stabilisieren. Wir sind als privates, nicht, regelmäßig gefördertes Museum darauf angewiesen, dass wir sehr viele zufriedene, zahlende Besucher haben. Und dass die anderen Einkommensquellen – Shop, Sponsoring, Vermietung – sich wirklich gut entwickeln, weil wir eben alles betriebswirtschaftlich sehen müssen, sonst laufen wir Gefahr, wieder schließen zu müssen. Das war wieder eine ganz neue Phase, wir hatten plötzlich Mitarbeiter, Kollegen, man musste auch eine betriebliche Kommunikation etablieren, sodass die Information möglichst effektiv fließen.

Inwiefern ist die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) beim Computerspielemuseum involviert, und hat das etwas mit dem Träger zu tun?

Der Träger und Gründer des Museums ist der Förderverein für Jugend- und Sozialarbeit, kurz fjs. Der fjs wurde kurz nach der Wende in Ostberlin gegründet und hat im Prinzip das gemacht, was der Name auch nahelegt, also außerschulische Jugendarbeit. Es ist dann über diese Schiene zu einem Projekt gekommen, dem ABM-Projekt - Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Da gab’s viel Geld und viele Arbeitslose und dieses ABM-Projekt war eine Computerspieleberatung.

Als ich dann 1994 zu diesem Verein gestoßen bin, war ich dann tatsächlich der Wessi und blieb auch lange Zeit der einzige Wessi.

Das fing, glaub‘ ich, 1992 an und war in Zusammenarbeit mit dem Senat ein Ein-Mann-Projekt. Aber mit einem schon sehr progressiven Ansatz, denn zu dieser Zeit wurden Computerspiele überwiegend noch negativ kritisiert und hier wurde von einem in Ostdeutschland gegründeten Verein – auch das ist nicht uninteressant – gesagt: Naja, mag ja sein, aber es hat doch auch ganz viele Potenziale. Es ist doch auch etwas Tolles, und lasst uns doch der negativen Kritik auch etwas Positives entgegensetzen. Sie haben offene Ohren hier beim Familiensenat gefunden und hatten auch eine Finanzierung für eine Broschüre für Eltern: "Tipps für Computerspiele". Als ich dann 1994 zu diesem Verein gestoßen bin, war ich dann tatsächlich der Wessi und blieb auch lange Zeit der einzige Wessi. Aus diesem Projekt Computerspieleberatung wurde die Unterhaltungssoftare Selbtskontrolle (USK) und der Projektleiter der Computerspieleberatung, Thomas Dlugaiczyk, wurde dann 1994 zum Leiter der USK. Es gab dann den frisch gegründeten Verband der deutschen Computerspieleindustrie VUD, der drei Schwerpunkte auf seiner Agenda hatte: Softwarepiraterie bekämpfen, Lobbying sowie Repräsentation und Jugendschutz in den Griff bekommen, weil er fürchtete, dass er wegen der Videos auf den damals neuen CD-ROMs zur FSK verpflichtet werden könnte. Das sind ja die Mitbewerber, die Konkurrenten von der Filmindustrie gewesen und deswegen wollte der Verein, bevor der Gesetzgeber kommt, einen eigenen freiwilligen Kontrollmechanismus. Da gab’s eben dieses Zusammenkommen zwischen dem fjs, der Computerspieleberatung, und dem frisch gegründeten VUD-Verband.

Man beschloss dann 1994, die USK zu gründen und zu starten. Im Prinzip hat der VUD seine Mitglieder dann verpflichtet, qua Mitgliedschaft im VUD, alle Spiele, die sie in Deutschland veröffentlichen wollen, beim Freien Träger der Jugendarbeit fjs vorbeizuschicken, der dann wiederum den Ablauf gemanagt und unabhängige Gutachter eingeladen hat, die dann in einem Dreiergremium bewertet haben: ab 12, ab 16 Jahren, und so weiter. Und jetzt komm‘ ich ins Spiel: Ich hatte nämlich den Mitarbeiter beim Familiensenat, der damals die Computerspieleberatung mitgefördert hat, im Rahmen einer Recherche für die Magisterarbeit kennengerlernt. Der hat mir Statistiken gegeben und meinte: Kannst du gerne haben, aber wenn die Arbeit fertig ist, gibst du mir eine Kopie. Hab‘ ich auch gemacht. Und er sagte: Pass mal auf, da passiert gerade etwas, irgendwas mit Jugendschutz, und die brauchen eventuell schnell Gutachter, Experten. Dann wurde ich da hinbestellt. In Mitte war das, Jannowitzbrücke, und dann kam so die erste Expertenrunde zusammen, und es wurde gesagt, was die USK ist, und dass man hier in so einen Testbetrieb einsteigen will. Da reichte es eben aus, dass man studiert und über Computerspiele geschrieben hat. So wurde ich einer der ersten Gutachter und habe das bis 1996 gemacht.

Wie ging es danach weiter und wie hat das zur Museumseröffnung 1997 geführt?

1996 passierte dann folgendes: Die USK hatte sich etabliert, aber die Computerspieleberatung lag brach, weil Thomas Dlugaiczyk sich nur noch um die USK kümmerte. Die USK fragt aber nicht: Was ist ein gutes und was ist ein schlechtes Spiel, sondern sie fragt nur: Was schadet und was schadet nicht? Das wurde im Verein als eine Reduzierung der Fragestellung empfunden – im Vergleich zur Computerspieleberatung. Und der Geschäftsführer der fjs, Dr. Klaus Spieler, hatte dann eben die Idee, diese Computerspieleberatung wiederzubeleben und dann auch in ein Museum zu überführen. Ich war derjenige, der dafür gefragt wurde.

Die USK zog 1996 in neue Räume um, die damit zur Verfügung standen. So hab‘ ich den alten USK-Computer als Arbeitsrechner bekommen, das alte USK-Telefon blieb auch da und dann war eben die Idee da, in den alten USK-Räumlichkeiten das Museum aufzubauen. Die Entscheidung dafür ist 1996 gefallen und dann hab‘ ich vom Verein ein Budget zur Verfügung gestellt bekommen um quasi den Grundstock zusammenzukaufen für die Eröffnungsausstellung. Das ging über Flohmärkte und Kleinanzeigen – Ebay gab’s noch nicht damals. Und dann war es Anfang 1997 soweit, dass ich sagte: So, jetzt sind die beiden Räume hier voll. Ich denke, wir haben ein paar interessante Exponate. Dann haben wir aufgemacht, noch so ein bisschen vorsichtig, aber doch mit dem Anspruch: Europas erstes Computerspielemuseum zu sein! Europa deshalb, weil wir nicht so genau wussten, wie das vor allen Dingen in Japan aussieht. Aber schon ein dreiviertel Jahr später stand jener Japaner, der in Japan die selbe Idee versucht hat zu realisieren, bei uns auf der Matte - zum Glück auch einer, der sehr gut Englisch konnte, und der wollte sich das einfach mal angucken. Und wir haben dann schon Ende 1998 eine gemeinsame Ausstellung miteinander gemacht, sprich: Das Museum hatte eigentlich – vor allen Dingen in Anbetracht der bescheidenen Rahmenbedingungen, die wir da hatten – ein sehr breites, positives, internationales Feedback, und schon damals wussten wir eigentlich, nach dieser ersten Eröffnung, dass wir da eine Ader getroffen haben und dann ging’s eben so weiter, wie ich erzählt habe.

Es hat immer der Träger vorangetrieben, und dabei sehr stark der Geschäftsführer Herr Spieler, dessen Idee das ursprünglich auch gewesen ist, und der auch bis heute unser Geschäftsführer ist. Die USK ist dann 2007 zur Industrie gewandert - bis dahin hatte sie der fjs gemanagt, jetzt managt sie die Industrie selber. Und der Verein hat dann, um die Gelder hier zu beantragen und auch den Betrieb hier zu managen, eine Betreibergesellschaft gegründet, die Gameshouse gemeinnützige GmbH, mit dem Verein als 100%igen Gesellschafter. Insofern sind wir nach wie vor in einen Verein eingebunden. Aber wir haben formal so eine Zwischenstufe dazwischengeschoben.

Hattest du zu Beginn des Museums 1996 und 1997, als es darum ging, das alles mal auf die Beine zu stellen, auch die Aufgabe, durch die Welt zu reisen und sicher zu stellen: Wir sind da wirklich ganz weit vorne? Und auch, um sich Inspirationen zu holen? Gab es Bildungsreisen?

Nur dann, wenn ich eingeladen wurde. Es gab dafür nicht wirklich ein Budget. Nur wenn ich gesagt habe: Es ist ganz wichtig - Konferenz und so, dann ja. Aber diese Ressourcen hatten wir damals nicht. Allerdings fing das schon sehr schnell an, dass ich eingeladen wurde. Ich war bereits 2002 in den USA und dann ging auch das Thema digitale Bewahrung los - da war ich in den Stanford Libraries eingeladen. Das waren Erfahrungen, die sich recht schnell ergeben haben, wo ich dann dachte: Wow, das ist natürlich schon auch toll, diese Möglichkeiten auf dieser Position zu haben. Aber dadurch, dass wir so früh dran waren mit dem Thema, sind natürlich alle anderen eher zu uns gekommen. Ich musste mich nicht wirklich wegbewegen sondern ich saß ein bisschen wie die Spinne im Netz - auch, was Aufträge und Jobs anging. Es gab ja quasi keine Konkurrenz.

Hast du dir damals manchmal gedacht: Eigentlich bin ich gar kein Spieler, ich muss da ganz viel aufarbeiten? Denn ein Kompetenzproblem hinsichtlich Games-Kultur gibt es bei dir ja nicht – im Gegenteil. Wie hast du das hinbekommen?

Ich versuche in gewisser Weise einen Spagat, den ich aber gerne auch transparent mache. Erst mal ist es schon so, dass ich mir vieles retrospektiv angeeignet habe, über Gespräche. Dadurch, dass ich mich mit so vielen Menschen darüber unterhalten habe, die mir ihre Geschichten erzählt haben, meine ich, das ganz gut einschätzen zu können. Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn man das auch wirklich selber erlebt hat. Hier empfinde ich durchaus immer wieder einen Mangel an eigener Erfahrung. Auf der anderen Seite befähigt mich das natürlich auch, Menschen etwas über Computerspiele zu erzählen, die mit Computerspielen nichts zu tun haben. Weil ich mich eben sehr gut auch in ihre Sprache, in ihre Gedankenwelt hineinversetzen kann, weil zum Teil war das bei mir auch so, dass ich mir Computerspiele mir mit einer gewissen theoretischen Distanz angeeignet habe. Insofern kenne ich beide Welten, und diese Vermittlung ist auch Aufgabe des Museums. Gegenüber Journalisten zum Beispiel - die kamen von Anfang an sehr häufig -, fiel es mir nie schwer, Computerspiele relativ kurz und bündig auf den jeweils medial gebrauchten Punkt zu bringen. Das steckt auch in unseren Ausstellungen drin. Wenn man sich zum Vergleich eine Ausstellung ansieht, die ein Sammler gemacht hat, ein leidenschaftlicher Sammler, der seine Sammelleidenschaft aufgrund seiner Spieleleidenschaft hat, dann sind das oft sehr, sehr viele Exponate, die dann aufgereiht sind und die einem anderen Sammler durchaus Respekt abnötigen. Die sagen dann: „Wo hast du das herbekommen?“, oder: „Super, das Ding hab‘ ich ja noch nie gesehen!“, und: „Wie viel hat das gekostet?“ Oder: „Weißt du noch, damals?“ Aber das war eben nie mein Ansatz, sondern mein Ansatz war immer der Versuch, etwas zu vermitteln, was von allgemeinem Interesse ist, und ich denke, da sind Computerspiele unglaublich reichhaltig, unglaublich ergiebig. Sie sitzen an so einer zentral wichtigen Stelle in unserer Gesellschaft, in den Prozessen, in denen wir uns befinden, in der digitalen Revolution, in der wir uns befinden.

Wenn man über Games redet, dann redet man im Prinzip über uns alle. Und über große Teile auch über unsere bisherige Kultur, die in Games eben ihren Fortsatz hinein in das digitale Zeitalter findet.

Das war damals schon klar, dass die Digitalisierung unseres Lebens eine Revolution ist. Da kann man natürlich ganz unterschiedlich herangehen, man kann ganz unterschiedliche Standpunkte und Fragestellungen einnehmen. Aber wenn man einen Spielestandpunkt wählt, dann wählt man ein Feld, ein Medium, ein Kulturgut, dass sehr alt ist. Immer an den Stellen, wo Digitaltechnik alltäglich wird, wo es normal wird, wo es massenhaft wird, wo Geschichten ins Spiel kommen, die jeder versteht, Geschichten, die es immer schon gab - da wird es zugänglich. Computerspiele sind so eine Schnittstelle. Und, klar: Wenn wir über die digitale Revolution reden, dann können wir auch über militärische Labors reden, oder über Business-Kram, und so weiter und so fort. Das hat alles seine Berechtigung. Aber wenn man über Games redet, dann redet man im Prinzip über uns alle. Und man redet eigentlich über große Teile auch über unsere bisherige Kultur, die in Games eben ihren Fortsatz hinein in das digitale Zeitalter findet. Und es gibt etwa die Ausstrahlung hin zur Wirtschaft oder zum Militär. Games haben diese Ausstrahlung in all diese Richtungen, und das macht es eben für mich so faszinierend. Und diese Faszination, die versuche ich auch in den Ausstellungen und Vorträgen zu vermitteln. Um wieder auf die Ursprungsfrage zurückzukommen: Ich denke, es ist gar nicht so schlecht, dass ich so bin, wie ich bin – mit diesen Löchern in meiner Erfahrung, was Computerspielgeschichte angeht. Abgesehen davon habe ja ich aber auch z.B. mit , "Indiana Jones 4", "Doom", "Command & Conquer", "Tetris" und "Micro Machines" Spiele gespielt, mit denen ich die üblichen Klischees auch selbst erlebt habe: Dass du morgens um 4 Uhr auf die Uhr kuckst und dir denkst, es sei doch erst Mitternacht. Und dann trotzdem noch einen Level dranhängst.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren, wo du am Projekt Computerspielemuseum gearbeitet hast, in der öffentlichen Wahrnehmung von Computerspielen geändert? Viele Klischees über Games lösen sich ja nur langsam auf.

Wir sind seit unserer Eröffnung Anfang 1997 auf offene, neugierige Ohren gestoßen. Selbst die Leute, die vorher eine kritische Einstellung zu Computerspielen hatten und sich im Gespräch mit mir auch dazu bekannt haben, meinten später: "Ach, das hätte ich jetzt aber nicht gedacht. Das ist ja auch interessant." Der Ausstellungskontext als Setting hilft auch. Zuerst sagen viele Leute: "Was hat das mit Geschichte und Kultur zu tun?" – Aber wenn da "Museum" drüber steht, wenn man in eine Ausstellung reingeht, nähert man sich dem Thema mit einer anderen Haltung.

Andererseits sind innerhalb der letzten 20 Jahre eben immer wieder auch Dinge wie das Erfurt-Shooting passiert. Nehmen wir das mal als Beispiel, denn das passierte zwei Tage vor einer Eröffnung bei einer Ausstellung, wo wir mitgemacht haben: in einem Museum in Kassel, dem Museum für Sepulkralkultur, für Beerdigungskultur - das kennen nicht so viele, es ist aber erstaunlich prächtig. Da gab’s eine Sonderausstellung zum Thema Tod und Spiel. Wir waren eingeladen, die Abteilung für die digitalen Spiele zu konzipieren. Tod und Spiel in digitalen Spiele – da konnte ich natürlich aus den Vollen schöpfen. Doch zwei Tage vorher passierte dieses Erfurt-Shooting und damit gab es natürlich eine Menge Interesse, es waren viele Medien am Start, und ich war dann als Unterkurator für diese Unterabteilung der Hauptinterviewpartner. Der eigentliche Kurator, der Direktor des Museums, war sehr froh, mich zu haben. Was habe ich gemacht? Ich habe gesagt: "Schauen Sie sich bitte um. Es ist eine riesige Ausstellung hier. Wie sie sehen: Tod und Spiele, das hatte immer schon miteinander zu tun. Das ist kein Ding, das Computerspiele erfunden haben. Spielen hat immer schon was mit unserem Leben zu tun gehabt, und jetzt erzählen Sie mir mal, dass Tod nichts mit unserem Leben zu tun hat! Also muss Tod in Spielen vorkommen, es kann gar nicht anders sein! Und natürlich sind Computerspiele Spiele, wir müssen den Tod thematisieren. Das ist ja gerade die Stärke von Spielen, dass man eben wirklich die Fragen, die uns angehen, auf einer Ebene behandeln kann, ohne aber direkte Konsequenzen zu fürchten. Das ist ja das, was uns auszeichnet vor allen anderen Lebewesen." - Und in dem Augenblick nimmst du quasi aus allen Zweifeln die Luft raus. Da gibt es kein kritisches "Ja, aber" mehr – das ist dann einfach offensichtlich. Das ist eine schöne Figur, die beschreibt, wie ich es aus meiner Perspektive immer leicht hatte mit diesen Diskussionen - wenn mal wieder die Spiele schuld waren. Darauf zu antworten, ist mir im Kontext des Computerspielemuseums nie schwer gefallen.

Welche Besonderheit hebst du hervor, wenn du einer Person Computerspiele erklärst, die sie nicht oder kaum kennt?

Es werden in Spielen nicht-lineare Geschichten erzählt, da kommt aber natürlich das Gameplay hinzu, das heißt, die Geschichte hat auch nicht mehr diese Wertigkeit, diese zentrale Stellung, wie sie sie im linearen Erzählmedium üblicherweise einnimmt – wenn man jetzt mal von experimenteller Avantgarde absieht. Allgemein ist die Diskussion über Computerspiele sachlicher worden. Das war ja auch immer schon zu simpel, dass man da so eine monokausale Beziehung herstellt, was etwa die Gewaltfrage betrifft. Und dass es weiterhin diskussionswürdig ist, ist doch super! Wir haben ja auch nicht aufgehört, bestimmte Filme, die bestimmte Grenzen testen, zu diskutieren, und auch dann immer wieder auch zu sagen: Also hier ist mal ein Schlussstrich, das ist zu viel. Es ist notwendig für eine Gesellschaft, dass man solche Grenzen definiert, aber man zieht das natürlich auf einer Ebene ein, ohne damit zu sagen: Filme sind etwas Komisches. Sondern du sagst: Dieser Film, der hat eine Grenze überschritten. Und genau so ist es eben auch bei Computerspielen. Es gibt natürlich einige andere Themen, die sich entwickeln, etwa Sucht. Das ist meiner Meinung nach eine Debatte, die ich in gewisser Weise spannender finde als die Gewaltdebatte.

Wie siehst du die Suchtfrage?

Die Suchtdebatte ist eine, die tatsächlich anders gelagert ist, weil wir haben eine Situation, wo man nicht so einfach einen Rückschluss ziehen kann, wie: Das hatten wir aber bei Comics schon mal, und bei Kino war das auch ganz schlimm, und die Leute sollten es nicht gucken, weil sie sonst gewalttätig werden oder so. Sondern wir haben quasi eine Realität selber erschaffen – eine medial geprägte, durch die digitalen Medien interaktive, global gemachte Realität. In der wir zunehmend mehr agieren, leben, in der wichtige Sachen passieren. Gleichzeitig haben wir natürlich nach wie vor unseren Körper und werden ihn auch immer behalten mit all seinen Bedürfnissen - und diese Bedürfnisse sind eben hier, in der real-physischen Realität. Also müssen wir auch hier bleiben, wir können uns nicht komplett entfernen, das heißt, wir brauchen Balance. Aber wie diese Balance nun aussieht – das ist eine große Herausforderung, individuell, aber auch gesellschaftlich. Individuell muss man entscheiden: Wie pflege ich meine Freundschaften? Treffe ich mich noch öfter mit Leuten oder mache ich das lieber über "World of Warcraft" oder Facebook? Es gibt kaum mehr Lebensbereiche außer Essen und Trinken, die ich nicht auch irgendwo virtuell handhaben kann.

Schau auf Games und du verstehst, was mit uns als Gesellschaft gerade passiert.

Hier ist es übrigens wieder so, dass, wenn man auf Computerspiele guckt, einem solche Sachen früher klar werden als wenn man in anderen Bereichen aktiv ist. Schau auf Games und du verstehst als erstes und am deutlichsten, was mit uns als Gesellschaft gerade passiert. Und das macht Games so wertvoll, dass sie uns diese Erkenntnisse geben können, – wenn man sie ernst nimmt. Dieses Bewusstsein dafür zu schaffen, das ist ein ganz wesentliches Ziel, das wir mit unserer Arbeit im Computerspielemuseum erreichen wollen.

Von 28. und 30. April feiert das Computerspielemuseum Berlin im Rahmen der Gamesweek das Gamefest. Dabei gibt es ein dreitägiges Programm, unter anderem die interaktive Ausstellung "Homebrew: Classic Homemade Games".