Spiel des Monats: Gesprächsstoff #5

Alles anders: Diesmal diskutieren wir nicht am Schluss, sondern mittendrin - zwei Texte, von Robert und Christof, folgen morgen und übermorgen. Trotzdem schon jetzt: Zum letzten Mal vor der Sommerpause gibt's Diskussionsbedarf zum Spiel des Monats. Agata, Christof, Robert und ich im Gespräch über ICO, the Universe and Everything.

Rainer: Unser diesmaliges Spiel des Monats ist wirklich ein altes Spiel. Vor 14 Jahren wurde ICO erstmals veröffentlicht - eine Ewigkeit im Medium. Eine ketzerische Frage zu Beginn: Ist ICO heute noch relevant? Wenn ja, warum?

Agata: Weil gutes Zeug alt aber nicht irrelevant wird. Ich guck Robert Redford und Paul Newman ja heute immer noch sehr gerne beim Überfallen zu.

Rainer: Film hat aber eine eher “konstante”, langsam gewachsene Bildsprache, die Regeln des Storytellings sind stabil etc. Mit “relevant” meinte ich nicht unbedingt, ob es noch ein “gutes Spiel” ist, sondern eher, ob sich das Medium nicht vielleicht so gewandelt hat, dass das Revolutionäre an ICO eher als common sense gilt und weniger ins Auge springt.

Agata: Hm, ich gebe Dir insofern recht, als ich beim (Wieder-)Spielen für das SdM viele Dinge nicht mehr so beeindruckend fand, wie damals, als ich das Spiel auf der PS2 vor X Jahren gespielt habe. Das Grundgefühl aber, das was dieses Werk besonders macht, ist geblieben: Die unmenschliche und dennoch faszinierende Architektur, die Beziehung der beiden Hauptfiguren und die dazugehörige Mechanik, das Thema Kindheit. Damit bleibt das Spiel nicht nur aus historischen Gründen relevant.

Robert: Das Revolutionäre an ICO waren in der historischen Betrachtung in erster Linie die Auslassungen. Der Umstand, dass du in dem Spiel ohne Energieanzeigen, Collectable Items und Missions auskommst, wirkt aus heutiger Sicht mit Notgames, Walking Simulators und die stattgefundene Indie-Revolution nicht mehr so besonders.

Damals war es das aber, es war ein Kunst-Game im besten Sinne. Und weil der wirkliche Bruch mit den Triple-A-Konventionen noch nicht stattgefunden hat, musste Team ICO innerhalb des damals noch unausweichlichen Mainstream-Korsetts diese Perle entwickeln. Es ist zwar für jeden klassischen “Gamer” gut spielbar - Rätsel, Hack and Slay - aber doch in jeder Hinsicht unkonventionell. Die gewöhnlichen Elemente wurden auch nur so weit implementiert, wie es notwendig war. Minimalismus bei den Konventionen, großes Ausholen bei allem anderen: Architektur, menschliche Nähe, Einsamkeit, usw.

Christof: Ist ein Computerspieljahr sieben Hundejahre? Aber ja, in der Vorbereitung dieser Woche ist mir auch aufgefallen, wie beschränkt ich die ewige Frage nach dem “Ist das noch relevant? Ist das nicht überaltet?” eigentlich finde. Das ewige technophile Vorwärtsgetuckere des Mediums scheint ja irgendwie alle Spiele, die älter als ein Brötchen von gestern sind, unter latenten Rechtfertigungsdruck zu stellen: “Zeig mal, was du drauf hast, Alter!”

Um auf deine Frage einzugehen: ICO ist heute noch relevant, weil es ein Spiel ist, das wie kaum ein anderes weiß, was es sein will, und was es nicht zu sein braucht, und diese Vision so konsequent wie kaum ein anderes verfolgt… und auch die Mittel hat, um diese Vision umzusetzen. Und wie war das? Ein gutes Werk ist eines, das man wieder spielen kann mit Gewinn? Mir hat das Neu-Durchspielen durchaus neue Aspekte aufgezeigt, etwa wie die so oft gelobte “Vor-” und “Rückschau” auf die zu erwandernde oder schon erwanderte Architektur von Dark Souls hier einen klaren Vorläufer hatte.

Rainer: ER HAT DARK SOULS GESAGT! Ich stimme natürlich auch zu, allerdings mach ich noch ein wenig den advocatus diaboli: Haben euch auch einige fehlende “Komfortfeatures” bzw. von moderneren Spielen bekannte Elemente gefehlt? Mich hat die Gummiband-Kamera an den Rand des Wahnsinns getrieben - statt echtem Freelook immer dieses langsame Zurückscrollen - brr.

Agata: Das ist jetzt nicht wirklich Dein Ernst, oder? Hier mit so Trallafitti zu kommen, von wegen Kamera.

Rainer: Weia. Gut gealtert ist es ja nicht, wenn wir schon beim Trollen sind.

Christof: Ja. Nein. Jein? Sagen wir so: Ich hab mehr Ecken gesehen, als mir liebt ist. Aber diesen Mangel an Komfort nehme ich in Kauf dafür, dass ich vor anderen “Komfortfunktionen” verschont bleibe. Ich wollte das Spiel eigentlich in der HD-Version auf der PS3 spielen, aber als dann bei der ersten Bank die “Jailbreak”-Trophy aufgepoppt ist, hab ich doch tatsächlich die alte PS2 aus dem Regal geholt. Aber ey, was meinst du mit “gut gealtert”? Wie gesagt, ich finde diese Aussage… wie war nochmal das Wort? Beschränkt. Rainer, ich finde deine Haltung beschränkt.

Rainer: Dann muss ich wohl das mit dem “advocatus diaboli” nochmal erklären.

Robert: Ich hab das PS3-Remake gespielt. Finde die Kamera auch ein nicht sehr wesentliches Thema. Persönlich gefällt sie mir aber, weil sie eben nicht frei ist, sondern dir an gewissen Orten im Spiel eine ganz besondere Sicht bietet, und da würde ich diese (mehr oder weniger) feste Kamera nie gegen eine frei bewegliche eintauschen wollen. Denn es ist meist eine Art Belohnung, diese tolle Aussicht zu bekommen. Wie bei einer Postkarte. Videospiel-Tourismus. (Kommt uns das bekannt vor?)

Rainer: War nur Spaß! Phew! Trolling success! Im Ernst: Historische Artefakte wieder zu sichten setzt natürlich voraus, dass man sich darauf einlässt. Aber das ist ja allgemein ein Problem des Mediums: Dass die Geschichte bei all dem Bling verloren geht - auch physisch. Realistischerweise werden wir wohl in Zukunft kein ICO mehr spielen können, wenn die letzten PS3s (wo es ja immerhin ein Remake gibt!) auf dem Dachboden landen. Hat jemand, ähem, pssst, Emulator-Erfahrung? Oder seht ihr das Spiel an die physische Plattform gebunden?

Christof: Ich hab das Ding, wie gesagt, auf der PS2 gespielt, weil mir die neuere Version zu gekachelt wirkte. Dabei musste ich aber auch merken, dass das Spiel nicht für HD-TVs gemacht ist und ungewollt schummrig aussieht. Insofern: die physische Plattform spielt eine Rolle. Andererseits hab ich 8- und 16-Bit-Emulatoren-Erfahrung, und kenne sehr viele Leute, die derartig zwielichtige Programme auf ihren Telefonen installiert haben. Natürlich sind es eher solche, die an der Bushaltestelle ihrer Kindheit hinterherrennen als Leute, die später hinzugestoßen sind und die Geschichte des Mediums rückwärts aufarbeiten wollen. Obwohl: auch die gibt es bestimmt. Und die Hürden für die Emulation einer bestimmten Generation sinken ja auch ständig. Sorgen machen ich mir insofern nicht um ICO, das einen einigermaßen unverwüstlichen Kult- und Klassikerstatus hat, als eher um die Peripherie.

Robert: Ich mag prinzipiell die Idee, die relevanten Konsolen (also nicht den Sega Saturn, aber eben etwa die PS2) griffbereit zu haben um mir eben dann und wann einen bestimmten Titel wieder anzusehen. Den Emulator als Gottseibeiuns des Gameskultur-Puristen wahrzunehmen ist mittlerweile ja überholt, vor allem, weil das Interface-Problem kaum noch vorhanden ist (der Playstation-Controller hat sich Generationen übergreifend kaum verändert). Aber der zugegeben gute Werbespruch “How it’s meant to be played” ist dennoch ein nicht zu unterschätzender Faktor bei diesem Thema.

Agata: Ich würde da die Frage stellen, ob ein Emulator die relevanten Aspekte mittragen kann. Das wären für mich die Weite oder Begrenzung der Architektur und die Mechanik des An-der-Hand-Haltens.

Rainer: Ein ganz anderes Problemfeld, das sich 2001 nicht so gestellt hat: Ist die Frauenrolle in ICO aus heutiger Sicht problematisch? Ein weißes, passives Mädchen, das wir wie ein Kälbchen herumführen müssen, weil es sonst hilflos untergeht, wär heut wohl Zielscheibe aus mehreren Richtungen.

Robert: Yorda ist doch genauso ratlos wie Ico, da gibt es keine Machtunterschiede. Er zieht sie zwar überall hin mit, aber weiß nicht, warum. Vielleicht weiß Yorda sogar mehr über diese Welt, kann es aber nicht mitteilen. Aber natürlich wäre es nett, wenn man die Figuren umdrehen könnte, aber das hätte dann wieder eine gewisse narrative Beliebigkeit zur Folge.

Agata: Das ist tatsächlich etwas, was mir beim diesmaligen Durchspielen aufgefallen ist. Als Mädchen hätte ich immer gedacht: Warum kann ich nicht den Jungen retten? Für die Identifikation ist das sehr schwach, weil man als Spielerin halt den “rettenden” Jungen steuert. Yorda ist da sehr passiv. Eine schwieriger Aspekt des Rollenmodells für (heranwachsende) Mädchen.

Rainer: Ich weiß jetzt nicht, ob Anita Sarkeesian ICO auch anführt, aber es ist meiner Meinung nach ein interessanter Punkt: ICO ist ein historisches Artefakt aus einer Zeit, da das nicht gefragt, gedacht oder diskutiert wurde. Das schmälert nicht unbedingt das Spiel, aber es ist trotzdem ein Zeitzeugnis. Es ginge ja anders, wenn heutige Diskussionen im Design mitbedacht würden.

Robert: Da gibt’s aber wirklich problematischere Mädchen- und Frauenrollen in Games als in ICO.

Agata: Hm, es ist für mich einfacher über Bikini-Babes in Duke Nukem hinwegzusehen und sie gar nicht erst als Rollenmodelle zu betrachten. Bei einem so “bedachten” und emotionalen Spiel wie ICO fand ich das schwieriger. Aber prinzipiell gebe ich Dir recht, das geht schlimmer.

Christof: Fun fact: in der Novelization ist das einer der Dreh- und Angelpunkte. Die Autorin versucht offensichtlich viele Fragen, die das Spiel für sie aufgeworfen hat, mit ihrem Roman zu beantworten. Eine davon ist, weshalb Yorda so passiv ist. Tatsächlich ist der zweite -- und weit interessantere -- Teil des Romans aus ihrer Perspektive geschrieben und gibt Gründe dafür, warum sie so wenig kommunikativ ist. Das ist vermutlich nur die deutlichste Formulierung eines Bedürfnisses von Spieler und Spielerinnen, diese Passivität im wahrsten Sinne “umzuschreiben”.

Ich selbst fand dies tatsächlich auch auffällig, aber nur bedingt störend. Vielleicht bin ich da zu wenig kritisch. Ich konnte es aber zumindest rationalisieren, indem ich es an ältere Erzählformen zurückband. ICO hat ja klar etwas Märchenhaftes, etwas Mythisches geradezu, bei dem alle Protagonisten klare Stereotypen einnehmen. Natürlich kann (und soll) man mit diesen auch brechen, gerade wenn es die Damsel in Distress ist. Dennoch frage ich mich -- vielleicht auch, um mir diesen Aspekt schönzureden --, ob Yorda bei aller Passivität wirklich vollständig darauf reduziert werden kann. Sie ist letztlich mehr als das, ein Spiegelbild des Schlosses und der Antagonistin, die beide an sie gebunden sind.

Robert: Ich denke auch, dass Yorda eine Art Metapher ist und weit über die sichtbare, passive Rolle der Mädchenfigur hinausgeht bzw. hinausgehen soll. Außerdem ist die Frage, inwieweit in distress sie überhaupt ist. Ich erinnere nur an Shadow of the Colossus und warum man die Kolosse tötet.

Agata: Das eine ist der Storyaspekt, das andere einfach das Empowerment durch die Steuerung im Spiel. Du nimmst den Controller in die Hand und hältst als Junge die Hand eines Mädchens fest. Du, der Junge, machst alles. Das Mädchen ist immer passiv. Bis zum GehtNichtMehr. Weil das alles auf der mechanischen Ebene passiert, geht es für mich im Erlebnis sehr viel weiter, als das, was auf der Story-Ebene passiert.

Robert: Ich erlebe das mit dieser Beschützermechanik als unglaublich bemerkenswert. Spielerisch, weil Yorda ihr Eigenleben hat und immer in der Nähe bleiben muss und das das Vorankommen erschwert. Und emotional, weil man sich zu zwei in dieser Einsamkeit inmitten dieser einschüchternden Architektur aneinanderklammert und sich gewissermaßen auch wechselseitig beschützt und sich vergewissert, dass die/der andere immer da ist. Vielleicht sage ich das, weil ich ein Mann bin und im Spiel das Mädchen beschütze, aber ich vermute, dass es beim Geschlechtertausch nicht viel anders wäre.

Agata: Inwieweit habt ihr euch denn mit Yorda identifiziert?

Rainer: Interessante Frage. Sie ist - mechanisch betrachtet - sicher die weltweit gelungenste Eskortmission, weil man sich emotional an sie bindet, wie Robert sagt. Die bloße Geste des Handhaltens macht es so intim, dass man sich schnell als Einheit sieht. Das ist eine große Leistung des Spiels: mit kleinen Gesten große, stille Emotionen auszulösen. Laute Emotionen sind ja viel einfacher. Ich habe mich dann tatsächlich als Paar gesehen, sie war kein “Sidekick”, kein Munitionslieferant wie Elizabeth in “Bioshock Infinite”. Oh Gott, “Infinite”. Wieso hat sich Ken Levine da nicht an ICO inspiriert. Shame..

Robert: Habe mir noch gar nicht überlegt, inwiefern ich mich mit Yorda identifiziere. Ich glaube, die beiden Figuren tatsächlich mehr als Einheit wahrzunehmen. Sich mit Ico mehr im klassischen Sinn zu identifizieren, ist, glaube ich, nicht zu verhindern, weil man ihn steuert. Aber Yorda ist auch nicht ganz passiv, sie gibt manchmal Hinweise, spricht und macht eben nicht immer genau das, was man von ihr will. Wie Rainer schon meinte: Sie ist alles andere als der typische Sidekick.

Christof: Ich weiß nicht, ob “identifizieren” das richtige Wort ist, aber ich finde Yorda definitiv die interessantere Figur. Nicht nur, weil sie -- vielleicht allerdings nur als Chiffre -- eigentlich eine wichtigere Bedeutung für die Handlung hat als Ico, sondern auch, weil dieses “Eigenleben”, von dem Robert gesprochen hat, so eindrücklich umgesetzt ist. Das ist quasi die Gegenthese zum “schlecht” altern: ich konnte kaum fassen, wie fantastisch die Animationen in diesem Spiel sind, und wie kleine Dinge, die vermutlich in vielen Spielen als Fehler weggeglättet würden, hier helfen, die Figuren zu zeichnen. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es ein Wegfindungsproblem ist, dass Yorda manchmal zögert, Ico zu folgen oder sich neben ihn auf die Bank zu setzen. Aber es macht -- nicht weniger als ihr sicher gewolltes Kopfschütteln beim verlangten Sprung über zu weite Distanzen -- die Figur lebensechter als die meisten, die vorher oder nachher kamen.

Eigentlich frage ich mich hier lieber, wie es kommt, dass diese spezifische Art der Animation der kleinen Gesten kaum weiterverfolgt wurde in den vierzehn Jahren seither. (Wie übrigens auch der Hund im Fallout 4-Trailer absolut wie ein totes Automaton wirkt, was nur noch augenfälliger wird, wenn man daneben das Pferd in Shadow of The Colossus oder das… Vieh in The Last Guardian sieht. Man hat das Gefühl, dass Team Ico Menschen und Tieren zusieht, bevor sie animieren. Echten Menschen und echten Tieren.)

Rainer: Oh! Aber sie wurde weiterverfolgt, zumindest im Spezialfall! Diese Liebe zum Detail hat sicher auch Miyazaki geprägt. Ich verweise auf die Puppe im Hunter’s Dream in Bloodborne, die sogar auf Gesten des Spielers reagiert. Mit der interagiert man hunderte, tausende Male, und bemerkt es unter Umständen nicht. Ein schönes Beispiel für Liebe zum Detail.

Rainer: Und wenn wir schon dabei sind: In Miyazakis Spielen sieht man in vielerlei Hinsicht sehr deutliche Reminiszenzen an ICO. Sprechen wir etwas über das Erbe in anderen, späteren Spielen - im Wired-Artikel ist ja die Rede von ganz anderen Erben: Halo, Uncharted, FEZ ... Worin seht ihr das Erbe von ICO?

Agata: Robert hat es oben schon so schön gesagt: Die Auslassung. Da ist so Vieles weggefallen, was teilweise heute noch als unabdingbar in einem Spiel gilt. Dazu würde ich noch die Reduktion erwähnen. Nur die Mechanik, Steuerung, Storyelemente, die benötigt werden. Das hat was von einem großen Befreiungsschlag.

Christof: Und ein Stück weit frage ich mich, ob nicht ICO auch eines der ersten Spiele war, das die Leute auf die Idee gebracht hat, dass das Computerspiel auf so vielen unterschiedlichen Ebenen Bedeutung generieren kann. Bild, ja, Ton, ja, Text nicht einmal (ich mag übrigens sehr, wie das Spiel mit Text und Sprache umgeht), aber eben, zum Beispiel, auch diese Einbindung des Controllers. Ich war nie in einem Spiel so froh um eine analoge Steuerung, weil ich dieses Reißen am Arm von Yorda unbedingt vermeiden wollte und deshalb mit ihr an der Hand nur im Notfall rumgerannt bin. Das ist es vermutlich neben der Reduktion etwas vom Wichtigsten: wie diese Dinge harmonisch zusammengehen können und sich nicht gegenseitig im Weg stehen müssen. Ludonarrative dissonance, my ass.

Agata Der Gedanke mit dem Controller gefällt mir sehr gut.

Rainer: Mir gefällt dran, dass der Spieler einerseits gezwungen wird, am Anfang mit einem schnöden Stock unterwegs zu sein, man aber dann merkt: Um den Kampf, um das Besiegen gehts gar nicht. Das war wohl für viele Spieler auch ein Grund, damit nichts anzufangen. Ein Spiel, das keine Machtfantasie ist: auch heute noch die Ausnahme.

Robert: Ja, der Kampf hat nur diesen einen Zweck, dass ich Angst um Yorda habe. Ganz schlimm ist es, wenn einer der fliegenden Dämonen sie zu einem Loch trägt, das für mich schwer zu erreichen ist. Obwohl die Kämpfe nicht besonders schwer sind, muss ich mich immer bemühen, nicht die Ruhe zu verlieren.

Christof: Ich stimme dir da völlig zu. Diese Kreaturen sind immer noch beunruhigend. Weil sie eine derart unkontrollierbare Bedrohung sein können, aber auch aufgrund ihres visuellen Designs glaube ich. Ich frage mich auch, wieviel davon unbewusst abläuft. Mir ist zum Beispiel erst dieses Mal aufgefallen, dass sie (was in der Schlussszene ja bestätigt wird) eine nicht zufällige Ähnlichkeit mit Ico haben -- wie auch diese mumifiziert wirkenden Figuren in den Idol-Türen. Wo wir dabei sind: es gibt ja zwei endlose Kämpfe in diesem Spiel, die eigentlich nervig sein müssten, aber genau so eingesetzt werden, dass sie stattdessen genau das sind, was sie von der Handlung her sein sollen: erschöpfend, und sinnlos.

Rainer: Besser lässt sich das “beating the game”, dieser Ehrgeiz des Spielers, nicht frustrieren. Dazu passt: In meinem Text beklage ich ja ein wenig verkürzend, dass das große Publikum Innovation wenig schätzt. Das ist wohl überall ähnlich und natürlich auch eine Übertreibung, andererseits wurmt mich die konservative Einstellung vieler Spieler in allen möglichen Belangen aber schon. Wieso tut sich ausgerechnet das Publikum eines Mediums, das von technischer Innovation getrieben wird, mit inhaltlicher oder auch gesellschaftlicher Avantgarde so schwer?

Robert: Ich hatte nie den Eindruck, dass ICO ein Problem damit hatte, zu gefallen. Wie schon weiter oben angesprochen, sind die ganzen konventionellen Elemente ja vorhanden. Und die besondere Stimmung, die das Spiel ausstrahlt, die Mechanik mit dem Herumführen von Yorda und die architektonische Erhabenheit dieses merkwürdigen Schlosses überträgt sich auch auf Leute, die sonst eher mehr vom Einheitsbrei haben wollen. Aber vielleicht täuscht das auch.

Rainer: Es war ein kommerzieller Totalschaden.

Robert: Ja, aber das kann auch ein Problem an fehlender Aufmerksamkeit gewesen sein und nicht zwangsweise ein “Ur blöd, gefällt mir nicht.”

Christof: Andererseits: Sony hat Ueda trotzdem Colossus machen lassen und anscheinend The Last Guardian endlos weitergetragen. Insofern scheint der von dir vermisste Geist ja doch noch ein wenig zu existieren…

Rainer: Ich sprach auch nicht vom Publisher, sondern vom Publikum. Topspiele 2001: Halo, GTA III.

Christof: Muss jetzt jemand noch die verhunzte Verpackung rausholen? (Und hätte sich das Spiel mit der japanischen im Westen besser verkauft?) ...aber ich weiß nicht, für mich war Ico immer eher das… sagen wir, um im Jahr zu bleiben, Mullholland Drive zu GTA IIIs The Lord of The Rings. Beide haben ihre Qualitäten, auf ihre Weise, aber mit völlig anderen Publikumshorizonten. Und das ist ok.

Rainer: Schlussfrage: Wenn ihr ein weiteres Spiel aus der Vergangenheit für die Ewigkeit per Remake oder Reissue gerettet oder ins Rampenlicht gestellt sehen wolltet -- welches wäre das? Mit neuer Grafik, oder auch unverändert?

Robert: Vib Ribbon - übrigens in der aktuellen Edge gefeatured. J-Pop-Vektorhasen für alle (Systeme)!

Rainer: Ich würde mit Begeisterung Rune wiedersehen wollen. Gern in besserer Grafik, aber unbedingt mit diesem lakonischen Aspekt von Reise und wortloser Saga. Ein schönes Spiel. Es gab eine Zeit, da hab ich das jährlich mal durchgespielt. Großartiger Klassiker - in Deutschland verboten damals.

Agata: Wenn jemand die Sehnsucht, die ich damals nach diesen ganzen Spielen und der Weltflucht hatte - alleine schon vom Lesen der PowerPlay-Schnipsel - in ein Remake packen könnte, dann würde ich wahrscheinlich irgendein obskures RPG nehmen wie “Martian Dreams” oder “Savage Empire”.

Christof: Ich muss bei dieser Frage, wie so oft, ganz schnell oben oben unten unten links rechts links rechts B A eintippen und mich ein wenig winden: Ich bin nicht sicher, was ich vom Trend halte, alte Spiele neu aufzulegen mit retouchierter Grafik. Und die Epoche, für die ich den größten Nostalgiedruck (den spürt man gleich hinter der Blase) spüre, ist mit Emulatoren bereits gut abgedeckt und weit anschaulicher als die frühen Versuche mit 3D und Polygon.

Falls ich mir stattdessen aber “Ein Spiel inspiriert von” wünschen darf, dann muss ich die zigste Lanze brechen für die Nordland-Trilogie des Schwarzen Auges. Quasi die Immersive Sim unter den Rollenspielen, mit zig Talenten, die eher Atmosphäre als Nützlichkeit liefern, und einer Welt, in der man auch verrecken kann, weil man die falschen Schuhe für die Bergwanderung einpackt. Ich weiß nicht, ob ich so etwas noch spielen könnte, aber ich glaube, ich würde besser schlafen im Gedanken daran, dass es so etwas noch gibt.

Rainer: Bergwanderungsausrüstung als Spielerselektion. Sowas gefällt dem Eidgenossen.

Das Spiel des Monats geht in Sommerpause, im Herbst - September oder Oktober - gehts weiter.

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