Wo fängt was an – und wo ist Schluss?

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Dass das Wort "Frauentorso" in jüngster Zeit deutlich häufiger in spielaffinen Medien vorgekommen ist, ist auf eine haarsträubend fragwürdige PR-Idee von Deep Silver zurückzuführen. Viel wurde schon dazu gesagt - genug, um Deep Silver zum Zurückrudern zu bewegen. Aber sind schlechter Geschmack und pubertärer Humor in Zusammenhang mit einem Zombiespiel im Strandparadies schon Verfehlung genug, um, wie auch John Walker vorgeworfen wurde, die angeblich reflexhafte Stigmatisierung als Mysogynie und Sexismus zu rechtfertigen? Nach einer Diskussion auf Twitter, dem für differenzierte Meinungsdarlegung ungeeignetsten Medium der Welt ever, habe ich Volker Bonacker vorgeschlagen, das Thema in breiterer Form auf VGT weiterzudiskutieren. Ursprünglich als Konversation mit in Details unterschiedlichen Standpunkten gedacht, stellte sich heraus, dass Volkers Text zum Thema für beide Meinungen reicht. Hier ist er.

Drei Sekunden. Mehr nicht. Drei Sekunden habe ich gebraucht, um mit dieser Edition von Dead Island: Riptide abgeschlossen zu haben. Das hat gereicht, um sie zu erfassen, um von Auge an Hirn weiterzuleiten, was da zu sehen ist und daraus das Ergebnis herzuleiten, dass diese Sonderausgabe, die in der vergangenen Woche angekündigt wurde, nicht meine sein wird.

Ich sah: Einen grausam verstümmelten Frauenkörper, dessen einzig intakt gebliebene Stelle die Brüste sind. Was sollte ich mit so etwas anfangen? Ins Regal stellen? Nein. Das war schlicht nicht mein Geschmack und ich würde den Geschmack eines jeden, der diese Statue als „cool“ bezeichnet, ernsthaft anzweifeln. Doch Sexismus? Den habe ich zunächst nicht darin gesehen.

Nach einer teils hitzigen Debatte über das für Debatten weiterhin ungeeignete Medium Twitter blieb ich bei meiner Interpretation: Dieser ehemals lebendige Körper wurde zunächst von Zombies attackiert, anschließend selbst zu einem und dann vom Spieler grausam zugerichtet. Objektifizierung, da Arme und Schädel fehlen? In jedem Fall. Von Männern für Männer erdacht? Garantiert. Ekel-PR? Klar. Aber Sexismus?

Eine Frau in Bikini hat für mich nichts Sexistisches. Eine Frau in Bikini schön oder attraktiv zu finden auch nicht. In der Szene hat die Frau den Bikini vermutlich aus freiem Willen getragen, Riptide spielt schließlich auf einer tropischen Insel. Wahrscheinlich war die Frau eine Urlauberin, die nicht mit einer Attacke durch Zombies gerechnet hat. Wer sie nach ihrer Untot-Werdung verstümmelte, verbleibt im Unklaren. War es ein Mann? Eine Frau? Diese Unklarheit machte es für mich unmöglich, an eine klassische, sexistische „Mann tut Frau Gewalt an“-Szene und die damit verbundenen, geschlechterdiskriminierenden Vorstellungen (Mann = stark, überlegen; Frau = schwach, unterlegen) zu glauben. Tritt eines schönen Tages einmal wirklich die Zombie-Apokalypse ein, werden sich schließlich auch Frauen mit körperlicher Gewalt gegen Untote zur Wehr setzen. Diese Ansicht wird von journalistischer Seite teilweise geteilt – etwa „Annoyed Gamer“-Moderator Marcus Beer -, während innerhalb sozialer Netzwerke und damit im Kreis geschlossener Benutzergruppen auch explizit ausgesprochen wird, was manch eine/r sich öffentlich vermutlich nicht als Meinung abzugeben traut: „Was habt ihr euch denn alle so? Sieht doch nur scheiße aus und damit gut.“

Es ist an der Zeit, dass Spieler und über Spiele berichtende Menschen nicht nur das Spiel als isoliertes Produkt sehen, sondern als gesellschaftliches Produkt

Nun sehe ich das alles aber aus Spielersicht. Ich kenne Dead Island, den Kontext, in dem ich diese Statue zu sehen habe. Was ist mit jemandem, der/die das nicht tut? Der/die weder das Spiel kennt, noch dessen Handlung? In diesem Fall trifft ein entscheidender Punkt aus dem letzten Absatz nicht zu. Denn ohne weitere Kenntnisse der Zusammenhänge können Menschen diese Büste als Ergebnis sexueller Gewalt wahrnehmen. Als sexistisch.

Was sagt mir das? Vielleicht dies: Es ist an der Zeit, dass Spieler (hier verwende ich bewusst nur die männliche Form) und über Spiele berichtende Menschen nicht nur das Spiel als isoliertes Produkt sehen, sondern als gesellschaftliches Produkt, das Rückschlüsse (oder zumindest begründete Vermutungen) auf die Gesellschaft, aus der heraus es entstanden ist, zulässt. Weil eine Büste im Kontext des Spiels nicht mit hundertprozentiger Sicherheit als sexistisch gelten kann, bedeutet das nicht, dass sie über das Spiel hinaus als unproblematisch wahrgenommen wird. Wenn ich im Zuge der Diskussion in „South Park“'scher „Ich habe heute etwas gelernt“-Manier etwas eingesehen habe, dann, dass auch ich nicht davor gefeit bin, die Welt nur durch die Gamer-Brille zu betrachten und damit Gegenstände wie diese Büste abzutun als „Was habt ihr euch denn alle so? Sieht doch nur scheiße aus und damit gut.“

Zum Schluss ein Rückblick. In zweierlei Hinsicht hätte man die Debatte verkürzen können: Dead Island: Riptide wird in Deutschland nicht erscheinen – der Vorgänger ist indiziert und, wie vielfach übliche Praxis, ereilt dieses Schicksal auch den Nachfolger. So sehr die Macher diesen Umstand kritisieren (schließlich habe die BPjM ja auch Gears of War 3 freigegeben): Ich kann damit leben. Gut sogar. Die Spielelandschaft verliert wenig bis gar nichts. Im Gegenteil: Das Argument des Jugendschutzes zieht umso mehr, als das zu bedenken ist, dass nichtspielende Jugendliche diese Edition nach Sichtung für einen verstörenden Beleg der sexuellen Gewalt gegen Frauen halten könnten. Diese Form von Game, von Games-PR braucht es nicht. Dass staatliche Stellen hier einen Riegel vorschieben, ist keine Zensur, sondern schlicht ein positives Zeichen – machen die Jugendschützer letztlich mit ihrer Entscheidung deutlich, dass derartige Elemente in unserer Gesellschaft nicht (oder nicht mehr) willkommen sind.

Denn – und hierin liegt der zweite Punkt – spätestens wer den Namen der Sonderedition einzuordnen versteht, braucht eigentlich nicht mehr zu fragen, wohin die Reise geht. Der Begriff „Zombie Bait“ ist durchsexualisierter als eine Hauswand voller H&M-Plakate – handelt es sich bei „Bait“ doch um eine Anspielung auf den Begriff „Jailbait“, der eine minderjährige Frau beschreibt, die benutzt wird, um einen erwachsenen Mann zu strafbaren, sexuellen Handlungen und damit letztlich hinter Gitter zu bringen. Die Frau als „Knastköder“, als Mittel zum Zweck, einen ungeliebten Gegner von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Die untote Frau im Bikini Zombie-Version davon. Das sagt genug über Macher, Intention - und wie diese Sonderedition einzuordnen ist.

Wir müssen reden. Über einen Markt, der solche Angebote schafft im Glauben (besser: der langjährigen Erfahrung), dass eine Nachfrage besteht. Über Bedeutungszusammenhänge, die aufgrund unterschiedlicher Wissensstände nicht jeder/jedem auf den ersten Blick ersichtlich sind. Reden vor allem aber nicht über Themen, sondern mit Menschen. Mit Gamern. Bewusstsein schaffen ist kein Job, der über Nacht erledigt ist. So dieser Text und mit ihm die Geschichte einer Erweiterung des Horizonts einen kleinen Teil dazu beitragen möge, waren die Debatten weder verkehrt noch umsonst.

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