Emily is Away - Es geht immer ums Vollenden

Dies ist ein Gastbeitrag von Thomas Ortsik.

Man lernt eine coole, geeky Frau kennen, die Funken fliegen. Kurz darauf ist sie schwanger und weil das super spannend klingt, heiratet man. Blöd nur, dass sich beim Einzug in die nun gemeinsame Wohnung herausstellt, dass sie einen bis dahin unbekannten verrückten Sohn im Gepäck hat und mit Zwillingen schwanger war. Verantwortung schön und gut, aber mein recht kleines Großstadtappartement platzt sowieso schon aus allen Nähten, und fünf Charaktere zu steuern ist mir dann zu viel Micromanagement. Es war eine schöne Zeit mit dir, Sims 4, aber nun ist der Augenblick gekommen, an dem ich meinen Avatar zum Zigarettenkauf schicke.

Eines der klassischen Verhaltensmuster nach einer Trennung ist das Aufsuchen alter Liebschaften. Sei es die eine Ex-Freundin, die einem immer wieder durch den Kopf geht, oder der Schwarm dem man, warum auch immer, nie seine Gefühle gestand. Nostalgie für eine Zeit, in der alles anders war, oder hätte sein können. Eine Reise in ein Paralleluniversum, wo der nahende 30er nicht die »Was mach ich eigentlich mit meinem Leben?«-Frage aufwirft, sondern »Was kann ich eigentlich noch erreichen?« Hey, wenn schon Beziehungs- und Quarter-Life-Krise, dann wenigstens mit einem positiven Spin. Überhaupt sind wir in einer Epoche der Nostalgie gefangen, selbst in Zeiten, die augenscheinlich keine großen persönlichen Umwälzungen mit sich bringen. Liegt vielleicht an den rascher fortschreitenden technologischen und dadurch bedingten sozialen Entwicklungen. Unser Lebensraum verlagert sich immer weiter online, doch durch die inhärente Volatilität des Internets geht dabei das Konzept einer ständigen Heimat die Geborgenheit schenkt flöten. #Neuland 2.0, das digitale Vagabundentum. Oder es war schon immer so und was ich hier gerade betreibe, ist nostalgische Verklärung.

Kein einziger Ziegelstein, kein einziges Gänseblümchen wird den Platz markieren, an dem Julien einen Freund verlor.

Egal. Nur Stunden, nachdem ich den vorherigen Absatz schreibe, veröffentlicht Patrick Klepek die berührende Geschichte eines 74-jährigen Mannes. Sein Name ist Julien. Seine Heimat seit 17 Jahren das MMO Asheron’s Call, welches jedoch eine baldige Verabredung mit der virtuellen Abrissbirne erlebt. Für Julien ein schwerer Schlag. Jeder, der sich einmal in seinem Leben ernsthaft mit einem MMO auseinandersetzte, kann wohl von Freundschaften berichten, die in dieser Welt erblühten, doch für Julien war es auch der Ort, an dem eine ihr Ende fand. Er hielt sich gerade mit seiner Quest-Gruppe in Eastham auf, eine der Städte im Spiel, als plötzlich ein Hund durch das Mikrofon seines Anführers und Freundes bellt. Schlaganfall. Zusammen mit anderen Spielern organisierte Julien eine Gedenkfeier am letzten Ort, den sein Freund erlebte. Sollte der Entwickler Turbine nicht doch noch umdenken, wird jener Ort womöglich nicht mehr existieren beim Lesen dieser Zeilen. Kein einziger Ziegelstein, kein einziges Gänseblümchen wird den Platz markieren, an dem Julien einen Freund verlor. In einem Video fragt seine Enkelin, was er wohl am meisten vermissen wird. »Selbst zu sagen, wann es vorbei ist.«

Ich persönlich komme nicht daran vorbei, ziemlich nostalgisch zu werden, wenn ich über alte Instant-Messenger wie ICQ, MSN Messenger oder AIM stolpere. Geht sicherlich einigen meiner Generation so. Ständiger Kontakt mit Freunden war für mich ein Luxus zu jener Zeit. Und für soziale Außenseiter, wie ich es damals schon war, öffnete sich überhaupt eine gänzlich neue Welt. Der Instant-Messenger diente als Dreh- und Angelpunkt für die fast volle Bandbreite platonischer zwischenmenschlicher Beziehungen. Unzählige Nächte wurden damit verbracht, Freundschaften zu pflegen, die intimer waren, als es die geografische Distanz hätte vermuten lassen. Doch auch diese Beziehungen nehmen irgendwann ihr Ende. Man entwickelt sich in unterschiedliche Richtungen. Die Gemeinsamkeiten werden weniger und mit ihnen der Kontakt zueinander, bis »Emily is Away« alles ist, was man über den anderen wirklich weiß. Ob man will oder nicht.

Der österreichische Liedermacher »Der Nino aus Wien« singt in der gleichnamigen Ballade »Es geht immer ums Vollenden.« Doch was ist ein volles Ende? Und wie lernen wir dort loszulassen, wo es erreicht ist?

Emily is Away ist kostenlos auf Steam verfügbar. Es ist eine Reise zurück in die frühen 2000er. Ein Multiple-Choice Text-Adventure über Nostalgie und Machtlosigkeit im Anblick der Zeit. Eine Geschichte über Freundschaft, oder Liebe, oder was auch immer man daraus macht. Eine nostalgische Erfahrung für jene, die so wie ich einst ihre Abende mit geliebten Menschen im Instant-Messenger verbrachten. Es ist eine halbstündige Frage, die du dir nur selbst beantworten kannst.

Thomas Ortsik fragt sich zuletzt des Öfteren wie lange er eigentlich noch dieses fürchterliche Videospiel-Journalismus-Ding machen will. Seine spontanen Wutausbrüche dazu gibt’s unter @ThomasOrtsik

Autor: 
Gast

Kommentare

Vielen Dank für den faszinierenden Artikel! Ich habe jetzt auf jeden Fall Lust auf Emily is Away bekommen. Daher meine Frage, gibt deines Wissens es eine Möglichkeit, das Spiel auch ohne Steam zu spielen? Steam ist mit meinem Betriebssystem (OSX 10.6) leider nicht kompatibel, wie ich gerade feststellen musste. Das Spiel selbst wäre es allerdings. :(

hier noch der itch.io link: https://kyleseeley23.itch.io/emilyisaway

Dank Thomas' Hilfe war es mir nun auch vergönnt, Emily is Away spielen zu dürfen. Ein faszinierendes, vielschichtiges und in vielerlei Hinsicht interessantes Werk, an das ich mich noch lang erinnerin werde. Mehr mag ich an dieser Stelle aber gar nicht dazu sagen, da mir danach ist, in absehbarer Zeit selbst einen kurzen Text über das Spiel zu verfassen. In der Zwischenzeit kann ich jedem nur raten, Emily is Away selbst auszuprobieren. Vielen Dank an Kyle Seeley, für das tolle Spiel, und an Thomas, für den Artikel und das Drauf-aufmerksam-machen.

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