Wem gehören Games?

Nach dem gestrigen Gespräch über Gamertum, hier ein paar Gedanken.

Seit nun drei Monaten wütet GamerGate, eine zum Terrorismus umfunktionierte Form des absurden Theaters, durch die Spieleszene und das Fortbestehen der Kampagne wirft Fragen auf. Keine Fragen zur Ethik, ein Gebiet für das die Teilnehmenden, trotz gegenteiliger Versicherung, weder Interesse noch Verständnis aufbringen, aber umso mehr Fragen zu Subkulturen, Besitzansprüchen und toxischen Mentalitäten, die sich hier am extremen Fallbeispiel untersuchen lassen.

Werfen wir mal Offensichtliches in den Raum: GamerGate ist eine Hasskampagne, deren Forderungen und Anschuldigungen von Spielekritiker_innen, Spieleseiten und mittlerweile auch Breitenmedien und Satiresendungen deshalb nicht ernst genommen und nicht thematisiert werden, weil sie bei näherer Betrachtung stets im Zirkelschluss auf Forenweisheiten, Verschwörungstheorien und sexistische Schmutzkampagnen zurückgehen. Mitglieder demonstrieren im besten Fall völliges Unverständnis für die tatsächlichen Zustände in der Berichterstattung über Spiele, im schlechtesten Fall völligen Realitätsverlust, auf einer Stufe irgendwo zwischen Männerrechtler und Holocaustleugner. Beide Varianten werden üblicherweise in einem Sturzbach an Beleidigungen vorgetragen.

Die zweite offensichtliche Feststellung: Es geht hier nicht um journalistische Ethik. Zwar skandieren die geifernden Massen diese Parole, aber selbst wenn sich die entsprechenden Anschuldigungen nicht als (leider unverwüstliches) Lügengebäude entpuppt hätten, erklärt das noch immer nicht, warum sich die Thematik mysteriöserweise am Fall von Zoe Quinn und ihres von Spielerscharen ungeliebten Werkes Depression Quest entzündet, während Untersuchungen zu echter Korruption selbigen nur ein müdes Gähnen entlocken.

Was das Wesen der Gruppe weit besser beschreibt, sind die Versuche, feministische Kritik durch Beleidigung, Belästigung, Gewaltandrohung, erfundene Anschuldigungen, Eingriffe in die Privatsphäre und unverhohlenen Terrorismus auszuschalten. Am hochstilisierten Konflikt zwischen Gamer und Social Justice Warrior zeigt sich das eigentliche Kernthema der Kampagne: Es geht um die Kontrolle des Mediums Spiel, genauer, um das Gefühl von Kontrollverlust bei einer Gruppe an Menschen, die schon Benachteiligung wittern, wenn sie nicht auf Schritt und Tritt von Entwickler_innen und Kritiker_innen hofiert werden.

Andere Identitäten werden geduldet, solange sie fügsam die Lehren der rückwärtsgewandten Revolution predigen und ihre Andersartigkeit bloß nicht thematisieren.

 

Hierbei handelt es sich vor allem um einen Tobsuchtsanfall junger, weiße Männer. Zwar ist die Spielerschaft auch in ihren extremistischen Ausprägungen längst zu vielfältig, um auf dieses Stereotyp reduziert zu werden, aber andererseits arbeitet ihre eigene Utopie mit dieser Norm. Andere Identitäten werden geduldet, solange sie fügsam die Lehren der rückwärtsgewandten Revolution predigen und ihre Andersartigkeit bloß nicht thematisieren. Eine derartige Instrumentalisierung hat nichts mit Diversität zu tun. Sie versucht derzeitige Verhältnisse als ausreichend gerecht darzustellen, während die behauptete Toleranz an eigennützige Bedingungen geknüpft wird.

Zum Umgang mit dieser selbsterklärten Kernzielgruppe und ihren Versuchen, das Medium mit Gewalt zurückzuerobern, gab und gibt es verschiedenste Ansätze. Sollten wir den misogynen Vollpfosten das Label Gamer irgendwie wieder entreißen, oder es ihnen lieber überlassen? Ignorieren oder ansprechen? Spaltung oder Kulturkrieg? Also reden wir doch heute mal über Gruppenbildung und Besitzansprüche: Wem gehören Games?

Die offensichtliche Feststellung an dieser Stelle wäre, dass ein Medium allen, und so gesehen keinem gehört. Aber wenn das auch theoretisch stimmen mag, sieht es in der Praxis wohl anders aus, da dennoch Ansprüche auf den Titel als wahre Spielerschaft geäußert werden. Die ständige Wiederholung der These macht sie noch nicht wahr, aber die Lautstärke der Gruppe verleiht ihr trotzdem eine gewisse Definitionsmacht. Sie beeinflusst, welche Spiele gemacht werden - durch ihre Marketinghörigkeit im positiven und durch ihr Terrorpotenzial im negativen Fall - und wie das Medium von außen wahrgenommen wird.

Daraus lässt sich die Notwendigkeit einer Konfrontation lesen, aber hier setzt ebenso das Hauptargument für den Tod des Gamers an: Dass uns die Darstellung des Mediums nach außen Sorgen machen sollte, setzt voraus, dass es hier ein Außen und ein Innen gibt. Die zunehmende Verbreitung von Spielen in der Gesellschaft, gerade in jüngeren Generationen, stellt eine solche Unterscheidung aber in Frage. Wenn alle Menschen spielen, lösen sich die Kategorien Gamer und Nichtgamer in Sinnlosigkeit auf. Ein generelles Interesse wird vorausgesetzt und muss, ähnlich anderen Medien, hinsichtlich von Geschmack präzisiert werden. Krimis oder Reiseberichte, Electro oder Jazz, Roguelikes oder Shooter?

Einer solchen Talfahrt in die Bedeutungslosigkeit setzen Gamer oft entgegen, dass es auch in anderen Medien Begriffe zur Abgrenzung von besonders treu ergebenen Konsument_innen gibt. Gamer stünde also zu Spiel wie Cineast zu Film oder Literat zu Buch. Eine entsprechende Bedeutungsverschiebung wäre wohl denkbar, fraglich ist, ob sie für die Betreffenden überhaupt wünschenswert wäre, denn meiner Erfahrung nach zeichnen sich Menschen mit einer solchen Eigendefinition eher durch Snobismus als Expertise aus.

Zudem ist interessant, dass die Logik der Grenzziehung zwischen ernsthaftem und banalem Konsum im Fall von Spielen scheinbar genau invers zu der in anderen Medien steht. Während sich die entsprechenden Gruppen bei Film oder Literatur eher über die Kenntnis von Obskurem definieren, steht bei Spielen unkritischer Massengeschmack im Vordergrund: Call of Duty, Destiny, Watch_Dogs. Wobei, zu populär darf ein Spiel auch nicht sein, denn wenn es erst über die Grenzen des eigenen Forenbiotops hinaus bekannt wird - Farmville, Angry Birds, Minecraft -, gilt es wieder als Spiel für spielfremde Menschen. Ein Selbstbild wie ein Kartenhaus.

Während sich die entsprechenden Gruppen bei Film oder Literatur eher über die Kenntnis von Obskurem definieren, steht bei "Gamern" unkritischer Massengeschmack im Vordergrund

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Sicher gibt es auch bei Spielen Tendenzen zum Hipstertum, wie sie etwa auf dieser Seite ausgelebt werden, aber in Sachen Aufgeblasenheit kann dieses bisschen Indie-Coolness dem Ego der wahren Gamer nicht das Wasser reichen. Die entsprechenden Werke gelten nicht als identitätsstiftend, ihnen wird sogar oft genug der Status als Spiel abgesprochen. Gamer bestimmen den erlaubten Geschmack, und weil umgekehrt auch der eigene Geschmack bestimmt, ob eine Mitgliedschaft in der Gruppe möglich ist, wacht hier ein Kreis aus Zirkelschlüssen mit Argusaugen über das Medium. Dass sich die Feindespropaganda abseits von Mainstream-Indies wie Gone Home beliebig filigran ausdifferenziert, ist unbekannt und uninteressant.

Wegen dieser Unwissenheit lebt es sich in den Winkeln von itch.io eigentlich ganz angenehm, denn was die entrüsteten Scharen nicht kennen, können sie auch nicht kaputtschlagen. Da zudem bei Menschen die oft nichteinmal wissen, über welchen Feind sie gerade reden, jede Gesprächsgrundlage fehlt, scheint es vernünftiger, die gekränkten Gamer mit ihrem Spielzeug allein zu lassen, bis die Welt an den ewigen Kindsköpfen vorbeizieht - wäre da nicht das ganze Leid, das sie ohne entsprechende Aufsicht anrichten und das Menschen, die ebenfalls um das Medium oder eine wie auch immer geartete Szene bemüht sind, tunlichst lindern und zukünftig vermeiden sollten. Nicht nur weil eine solche Kampagne augenscheinlich untragbar ist, sondern weil sie aus Zuständen entsteht, an denen die breitere Gemeinde nicht unbeteiligt ist.

Hier setzte auch eigentlich Leigh Alexanders Zankapfel von einem Artikel an, falls irgendwer mehr als die Worte Gamers Are Over in der Überschrift gelesen hätte. Diese Verschwörungstheorien gedeihen in dem Humus weitgehend unmoderierter Foren und der Kommentarbereiche großer Seiten, die es etwa bis heute nicht schaffen, das Bild der Frau als Ausnahme oder Maulwurf im Fantum durch eine ausgeglichene Anstellungspolitik zu entkräften. Ähnliches gilt auf der Seite von Spielinhalt und Marketing für Studios und Publisher. Wer den eigenen Garten dem Wildwuchs überlässt, braucht sich nicht zu wundern, wenn irgendwann die seltsamsten Kreaturen darin hausen.

Nun bin es offensichtlich nicht ich, der die entsprechenden Entscheidungen trifft und an den entsprechenden Hebeln zieht, aber es läge auch in meiner Verantwortung, die entsprechenden Seiten in die Verantwortung zu nehmen. Derart extreme Auswüchse von Sexismus (und anderer -ismen) sind leicht zu verurteilen, aber es sollte darüber nicht vergessen werden, dass sich das Problem in subtileren Formen durch das gesamte Medium und die gesamte Gesellschaft zieht, und viele, die sich jetzt nach einer höhnischen Replik auf Twitter total progressiv fühlen, andernorts zum Problem beitragen.

Soviel zur Prophylaxe, aber nun ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen, oder eben in die Arme verschiedenster verbitterter Demagogen, und deren Einfluss auszugleichen fällt ungleich schwerer, zumal es in der Natur ihrer hasserfüllten Ideologie liegt, einfache Erklärungen für den eigenen Schmerz zu liefern, während die aufgeklärte Gegenseite Empathie, Eigenverantwortung und die Fähigkeit persönliche Probleme in Relation zu größeren Missständen wahrzunehmen voraussetzt. In vielen Fällen braucht so eine Entwicklung zum Problembewusstsein einfach Zeit, aber es wäre falsch anzunehmen, dass sie sich automatisch ergibt, oder dass diese Ansichten ausschließlich von fehlgeleiteten Jugendlichen vertreten werden. Noch kann “Abwarten und Tee trinken” als passende Reaktion gelten, wenn Kritiker_innen, und damit Kolleg_innen, Morddrohungen für das Ausüben ihres Berufes bekommen.

Also wie umgehen mit Antifeminismus? Wenn ich das nur wüsste. Das dringende Bedürfnis, auf diese Menschen irgendwie positiv einwirken zu können, hat mich ja, so viel zum Guten, überhaupt erst zum Feminismus geführt. Aber auch das intensive Studium von Aktivismus und Diskussionsansätzen liefert leider keine verbindlichen Antworten - offensichtlich, denn das Problem ist ja auch sonst noch nirgends gelöst worden. Einfache Lösungen waren ohnehin nicht zu erwarten.

Dass die derzeitige Entwicklung von Spielen bei Männerrechtlern und Konsorten Panik auslöst, spricht dafür, dass das Medium sich auf einem guten Pfad befindet. Dass die Randalierer mit ihren Beschwerden teils Gehör finden, spricht für noch mehr Aufklärungsbedarf. Reden wir also weiter über Selbstbilder, Besitzansprüche und auch toxische Männlichkeit, gerade um den Mitläufern solcher Kampagnen eine Alternative zu einer Kultur zu bieten, die ihnen das Gefühl gibt, keine Ausdrucksmöglichkeiten abseits der Gewalt zu haben.

Reden wir vor allem auch dann darüber, wenn das Problem sich nicht gerade in akutem Terrorismus äußert, schon allein um die unwahrscheinlich ausdauernden Frauen im Zentrum des aktuellen Hasssturms nicht auf ihre Rolle als Opfer von Gewalt zu beschränken, denn ihre Arbeit und ihre Rolle in diesem Medium gehören auch abseits dieses Unfugs gewürdigt. Die offensichtlichste aller Feststellungen in diesem Text ist nämlich, dass wir alle genau gleich viel Anspruch auf dieses Medium haben wie alle anderen.

Spiele gehören uns allen zusammen. Also reden wir auch so über sie.

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