Doom: Classic-Rock mit Kettensäge

Volker Dohr war schon ein paar Mal auf VGT zu Gast. Diese Mal meldet er sich zum Thema "Doom" zu Wort.

Etwa alle zehn Jahre kommt eine neue Classic-Rock-Band um die Ecke, die absolut nichts Neues liefert oder zumindest nichts, das in dieser Form nicht schon einmal da gewesen wäre - aber komischerweise genau dafür gefeiert wird. Weshalb? Sie erinnert die Höhrerschaft an eine hoffnungslos romantisierte “Gute alte Zeit” (vermutlich meist in der Jugend oder den post-Studium-prä-verheirateten 20er Jahren gelegen), klingt genauso altbacken und ruft in Erinnerung, dass es heute eine gefühlte Seltenheit wurde, dass es “handgemachte, ehrliche” Musik gibt, wo doch alle die Genres mischen, ständig irgendwelche neuen Stile auftauchen und Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Solo-Refrain-Ende niemand mehr macht. Man hört diesen musikalischen Anachronismus und mag für fünf Minuten dran glauben, dass Rockmusik nie sterben wird. “Doom” ist genau das in Spieleform geworden.

Was die Reihe für die Entwicklung des Mediums geleistet hat, muss hier nicht zum hundertsten Mal mantraartig wiederholt werden. Das ist alles bekannt, berühmt, berüchtigt und sogar in Buchform festgehalten. “Doom” in seinem 2016er-Gewand könnte es sich auf diesen Lorbeeren bequem machen und auf jede Form der Entwicklung verzichten. Wer braucht Entwicklung, wenn er eine Kettensäge hat? Eben.

Auf den ersten Blick bleibt es tatsächlich bei dem, was es immer war: Äußerst schnelles, flüssiges Gameplay nach dem Prinzip “Laufe von A nach B, töte bei B alle Gegner, laufe weiter nach C” (Strophe, Refain, Strophe!) und das über rund zehn Spielstunden hin wiederholend. Dazu ein Dutzend Waffen, deren Vorhandensein für die Serie dermaßen verpflichtend ist, dass die einzig mögliche Revolution, die “Doom” hätte wagen können, ein Verzicht gewesen wäre. Hat man nicht gemacht.

Die Sammelpuppen, die der Doom-Marine in jedem Level finden kann? Vermutlich frisst er sie heimlich.

Ergo: Doppelläufige Schrotflinte, BFG, Raketenwerfer und die erwähnte Kettensäge sind exakt da, wo sie zu erwarten waren: In der Hand eines overpowerten, übersexualisierten Space-Marines, der vermutlich nicht mal in Betracht zieht, dass sich Konflikte auch gewaltfrei lösen lassen; dessen intellektueller Beitrag zur Frage “Wie löse ich Computerprobleme?” im Spiel so aussieht, dass er den Rechner schlicht zertrümmert. Steroide statt Gedanken. Gebrochen wird mit diesem 80er-Jahre-Klischee nur dann, wenn Muskelmannheld eine Puppe aufhebt, die ihn in Kleinformat darstellt. Ein Secret, das es in jedem Level mehrfach zu finden gibt. Das sieht fast knuffig aus und passt so absolut gar nicht zu ihm. Vermutlich frisst er sie danach heimlich.

Das klingt alles so falsch, so überholt. Und macht dennoch so viel Spaß. Denn es hat in dieser altbackenen, man möchte fast sagen “klassischen” Form einfach gefehlt. Wo andere Shooter peinlich bemüht versuchen, eine Geschichte zu erzählen oder ein historisches Szenario wie den Ersten Weltkrieg auf eine plumpen Bleiorgie herunterbrechen, gibt sich “Doom” diese Mühe gar nicht erst. Story? Wozu Story? Da, es greift dich an, leg es um, frag nicht weiter. Irgendwas mit Hölle, irgendwas mit durchgeknallten Wissenschaftlern, völlig egal, alles umlegen. Dem Gameplay - und nur um das geht es hier - soll nichts in die Quere kommen und das setzt “Doom” überzeugend um. Die Rechnung der Macher von id Sotftware (auch wenn die Urväter des Spiels lange nicht mehr dabei sind) geht auf: Man verliert sich zwischen Dauerfeuer, Waffe wechseln, der bangen Hoffnung, dass die Säge noch Benzin im Tank haben möge und einem Soundtrack irgendwo zwischen Prodigy und Slayer. Spielfluss pur, blutige Edition.

Ein kleines Eingeständnis an die Entwicklungsgeschichte des Shooters hat id dann doch noch machen müssen: Zwischen zerfetztem Gegner und zersägtem Boss gibt es diverse Optionen, seine Ausrüstung zu verbessern. Waffen haben zwei Extra-Feuermodi, die man aufrüsten kann. Die Rüstung selbst kann ausgebaut werden und das in mehrfacher Hinsicht. Und es gibt die “Runen-Herausforderungen”, die in den Levels versteckt sind und die - nachdem man sie besteht, was teils arg zu bezweifeln ist - weitere Extra-Fähigkeiten freischalten.

All das braucht der Mensch hinter dem Gamepad dringend, denn: Der Schwierigkeitsgrad ist nicht weniger brutal als die Finishing-Moves, die man an jedem Gegner ausführen kann (und für die, in deutlich blutarmerer Version, die ersten Teile der “Gears of War”-Reihe noch indiziert wurden). Sportliche fünf Mal blieb keine andere Wahl, als den Schwierigkeitsgrad von “Normal” auf “Leicht” zu stellen. Und ja, das tat weh. Fast so sehr, wie es motitiverte.

Etwa dazu, bereits erledigte Level nochmal durch zu spielen, um eben doch noch das eine oder andere Secret aufzusammeln, doch noch diese oder jene Herausforderung zu packen und vor allem am eigenen Skill zu arbeiten. Denn letztlich geht es in diesem Spiel nur um das: Skill. Schneller ziehen oder draufgehen. Meistens Letzteres. Also noch mal versuchen, besser werden, wieder kommen, gewinnen. Genau die Art Ego-Shooter, die existierte, als das Genre noch in den Kinderschuhen steckte und die Budgets nicht millionenschwer waren. Mehr noch: Als Games eine umfangreichere Beschäftigung als “Drücke X, um zu kondolieren” einforderten. “Doom” drückt dem Spieler diese Auseinandersetzung auf, ob er will oder nicht. Mehr ist dieser herrlich reduzierte Shooter nicht. Aber eben auch nicht weniger.

Die aktuell coolste Classic-Rock-Band, die mir einfällt, heißt übrigens “The New Roses”. Unnötig zu erwähnen, an welche Combo die nicht nur vom Namen her erinnern.

Autor: 
Gast