Arschlochgamer

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Der folgende Text brütet seit einiger Zeit unveröffentlicht in meinen Schubladen. Ich bin nicht unbedingt einer, der mit Freude provoziert oder nur zum Spaß aus der Deckung mit Dreck um sich wirft. Zwei Artikel bringen mich dazu, ihn nun doch aus der Dunkelheit ans Licht zu zerren. Zum einen dieser Text, der allgemein vom Kommunikationsverhalten im Netz spricht, zum anderen die wieder einmal reflexhaften Kommentare auf diesen Artikel zu Sexismus in Forza Horizon. Der Text ist keine beleidigte Reaktion auf einen Angriff auf mich, sondern Bestandsaufnahme einer Frustration, die Anatomie eines Problems.

Update: Micha auf Kollisionsabfrage findet elegantere Worte für dasselbe Problem.

Beleidigungen, vor allem solche mit Rundumschlag-Anspruch, sind selten eine Lösung.

Manchmal muss man aber Klartext reden.

Der Arschlochgamer ist vieles, aber eines nicht: schüchtern. In einem Medium, das exklusiv seiner Wunschbefriedigung zu dienen hat, hat er eine klare Meinung, und die äußert er, in Foren, Kommentaren und auf Youtube, in lautem, aggressiven Ton, der sich an der anonymen lulz-Kultur des konstanten Mobbing-Lifestyles à la 4chan orientiert.

Der Arschlochgamer ist ein Experte, mehr noch: ein richtiger Experte, der sein Selbstbewusstsein durch die absolute Fülle seines Wissens nährt. Wer selbst - oder besonders - in Details weniger weiß, verdient Spott und Verachtung und hat mit seiner egal wie kleinen Unwissenheit bewiesen, dass er besser die Fresse halten solle, weil Fachwissen alles ist.

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Der Arschlochgamer verachtet deshalb auch die Games-Presse, die seiner Meinung nach weniger Fachwissen als er besitzt und außerdem garantiert von der Branche gekauft ist. Umso höher schätzt er die Fachdiskussionen in jenen Foren, in denen er selbst Poweruser ist, wo man sich also besser nicht mit ihm anlegt.

Besonders allergisch reagiert der Arschlochgamer auf "Ahnungslosigkeit" und "Vorurteile", wenn sein Medium kritisiert wird. Das real vielleicht oft erfahrene Stigma, Gamer zu sein, trägt er mit aggressivem Trotz: Wenn Noobs, das heißt alle, die weniger Experte sind als er selber, ihre Meinung zu Gamesthemen äußern, ist diese Meinung nicht nur von Vornherein verkehrt, sondern eine Zumutung: Das Ghetto, in das sich der Arschlochgamer trotzig romantisch verstoßen sieht, ist seine Home Base, und sie verteidigt er gegen jede Öffnung - immerhin, so stellt er sich vor, hat hier er selbst das Kommando, gemeinsam mit jenen Tausenden, die diese Echokammer mit Leben erfüllen.

565Dass dieses Ghetto keines mehr sein will, weil längst andere Spieler als er eine Mehrheit stellen, ist dem Arschlochgamer ein Dorn im Auge, weswegen er sich selbst und "richtige" Spiele ständig von allem abgrenzt, was seiner Ansicht nach gar nicht wirklich zum Medium dazugehört. Casual Games und Mobile Gaming sind keine "richtigen" Spiele, ebensowenig wie "Mädchenkram" oder "Kinderspiele". Frauen haben ohnedies wenig verloren in seiner Welt des "echten Hardcore"; mit der Arroganz des Verschmähten hält er Sexismus für Teil seiner Kultur und jede Kritik daran für einen unzumutbaren Übergriff auf seine persönliche Freiheit, die von Feminazis und Weicheiern bedroht wird.

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Der Arschlochgamer hat eigenen Aussagen zufolge dafür kein Problem mit Gewalt und will sie deshalb in seinen Lieblingsspielen möglichst effektvoll inszeniert sehen. Zu hinterfragen gibt es daran für ihn nichts, und jede Thematisierung dieser Gewalt wird sofort als üblicher Angriff notorischer Gameshasser interpretiert.

Der Arschlochgamer verfolgt mit Argusaugen die Games-Berichte in Breitenmedien; hier hat er Gelegenheit, sein Expertentum richtig zu demonstrieren und zugleich einen offeneren Zugang zu "seinem" Fachgebiet mit Hohn und Spott zu bedenken.

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Der Arschlochgamer sieht sich selbst und seine Definition als den unwandelbaren Kern des Gamings; er spielt nicht nur, sondern er ist stolz, sich als "Gamer" zu bezeichnen, er erhebt sein Unterhaltungskonsumgut der Wahl zum Lifestyle, mehr noch; zur Philosophie. Mit der Überzeugung des wahren Ultras pflegt er einen Elitenkult, der sich in Achievements und globalen Rankings mit seinem Verständnis vom Spiel als Wettkampf und Krücke seines Egos verbindet. Nur der Arschlochgamer selbst und seine Arschlochgamerfreunde sind wahre Gamer; wie im Fußball die Ultras sich als die einzig wahren Fans bezeichnen, darf sich nur der "wahre Gamer" als Experte überhaupt ein Urteil erlauben.

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Der Arschlochgamer hat ein langes Gedächtnis, und niemals vergisst er Beleidigungen seines Egos, etwa die himmelschreiend spackige Entscheidung einer Zeitschrift, ein nach Abflauen der Release-Hysterie, die er sonst gerne mitpflegt, sich als mittelmäßig herausstellendes Spiel falsch bewertet zu haben. Damals, 1999.

Ein Medium mit solchen Fans braucht keine Feinde

Der Arschlochgamer bewacht die Grenzen des Spiels; an ihm muss jeder vorbei, der zum Thema Games etwas zu sagen hat, seinem Expertenwissen, seiner aggressiven Weltsicht und seinem lauten Getrolle muss sich jeder stellen, der sich für sein Medium interessiert. Zugleich ist der Arschlochgamer für viele, die dem Medium fernstehen, der ultimative Beweis für deren Vorurteil: Der Arschlochgamer IST für viele Nichtspieler der Gamer schlechthin - laut, technikfixiert, pubertär. Ein Medium mit solchen Fans braucht keine Feinde.

576Der Arschlochgamer ist somit ein Problem. Er ist ein störrisches Hindernis auf dem Weg zu einer Anerkennung seines Mediums, die er aber ohnedies nicht anstrebt. Da der Arschlochgamer aber leider von Teilen der Gamesindustrie als bedeutender Teil der Zielgruppe missverstanden und überinterpretiert wird, von Werbung, PR und Analysten als bedeutsames Publikum akzeptiert und wegen seines aggressiven Mobilisierungspotenzials auch gefürchtet wird, bleiben große Teile des Mainstreams sicher im fest bewachten Ghetto, in dem sich der Arschlochgamer wohl fühlt.

Außerhalb ist die Luft besser.

Vielleicht sollte man den Arschlochgamer bedauern; wahrscheinlicher sollte man aber sich selbst bedauern, mit ihm als Rezipient eines Massenmediums automatisch gleichgesetzt zu werden.

Ganz sicher sollte man ihm aber die angemaßte Deutungshoheit streitig machen und so lange andere Diskurse betreiben, bis, irgendwann einmal, sein Kläffen erlahmt.

Das Medium hätte es verdient. Und die Millionen anderer Spieler und Spielerinnen noch mehr.

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