Best of Indie Januar/Februar
Astroneer (Xbox One, Windows, Early Access 19,99 Euro)
Schon eine halbe Million Spielerinnen und Spieler haben sich seit Mitte Dezember trotz - Entwickler-O-Ton - “Pre-Alpha”-Status nicht davon abhalten lassen, die knallbunten Planeten dieser Early-Access-Sandbox zu betreten - und finden dort etwas, was sie sich möglicherweise und vergeblich von “No Man’ Sky” erhofft hatten: eine Art “Minecraft light” im Science-Fiction-Setting. Die Basics sind auf den ersten Blick ähnlich: Als einsamer Astronaut erforscht man einen unbekannten, zufallsgenerierten Planeten, sammelt Rohstoffe und baut seine Raumkapsel nach und nach zur Basis aus. Später konstruierbare Fahrzeuge erweitern den Aktionsradius, noch später ermöglichen Raumschiffe sogar den Flug zu anderen Planeten im selben Sonnensystem.
Vieles fehlt noch, manches wackelt und auch mancher Bug ist noch zu beklagen, aber das Grundrezept macht schon jetzt Spaß - vor allem auch, weil man sich im Unterschied zu “No Man’s Sky” schon jetzt sogar zu viert ins Abenteuer Weltraum stürzen darf. Wer kein fertiges Spiel erwartet und die derzeit noch fehlende Langzeitmotivation verschmerzen kann, findet in “Astroneer” eine farbenprächtig-knuddelige Science-Fiction-Sandbox mit Charme und gewaltigem Potenzial.
Diluvion (Windows, Mac, 19,99 Euro)
Eine Steampunk-Unterwasser-Postapokalypse sieht man nicht jeden Tag, eine so hübsche schon gar nicht: Der soeben erschienene, lose von Jules Verne inspirierte Genre-Mix “Diluvion” macht seine Spielerinnen und Spieler zu U-Boot-Kapitänen in einer charmanten Tiefsee, deren Oberfläche seit Unzeiten von Eis verschlossen wird. Die Tauchfahrt im klapprigen U-Boot macht den Hauptteil des Spiels aus, und hierin liegt seine große Stärke und Schwäche zugleich: Die atmosphärisch stimmige Unterwasserwelt, in der von Siedlung zu Siedlung geschippert, Handlung getrieben, so mancher Pirat sturmreif geschossen und auch einiges Meeresgetier besiegt wird, ist zwar hübsch und riesengroß, aber gerade zu Beginn auch recht verwirrend verwinkelt und schwer zu navigieren. Bis ein stärkeres Schiff und vor allem weitere Aufträge und der Ausbau einer eigenen Basis erarbeitet sind, ist etwas Geduld vonnöten.
Wer dranbleibt und sich vom gemächlichen Tempo und mancher frustrierenden Desorientierung der ersten Spielstunden nicht entmutigen lässt, wird durch eine originelle Mischung aus atmosphärischer Tiefseefahrt, so noch kaum gesehener Steampunk-Welt und viel zum Entdecken belohnt.
Rise and Shine (Windows, Xbox One, 14,99 Euro)
Eine Science-Fiction-Welt im Cartoon-Look, die “Gamearth” heißt und auf der Meta-Spielehumor ganz groß geschrieben wird, ist der Schauplatz eines 2D-Run’n’Gun-Krachers, den die spanischen Entwickler lieber als “Think’n’Gun” betiteln. Die Gratwanderung zwischen schnellem, durchaus forderndem klassisch sidescrollendem Shooter à la “Metal Slug” und immer mal wieder eingestreuten Puzzle-Sequenzen, die hauptsächlich durch Experimentieren mit der wandlungsfähigen Superpistole bewältigt werden, ist vor allem optisch und akustisch ausnehmend gut gelungen: Sowohl die Welt als auch Charaktere sind ebenso charmant wie der Soundtrack. Wiederholung gibt’s im Spielverlauf kaum zu beklagen, dafür ist das sympathische Spiel, dessen abgedrehte Story in um einen Tick zu langatmigen Comic-Zwischensequenzen erzählt wird, aber auch zu kurz.
Nach knapp dreieinhalb Stunden ist schon Schluss, allerdings hat man bis dahin auch schon recht originelle Oberbosse besiegt, so manche Bullet-Hell überlebt und sich auch an die anfangs gewöhnungsbedürftige Steuerung durch - wahlweise - Joypad oder Keyboard und Maus gewöhnt - PC-Spielern ist letztere sogar anzuraten. Kurz, bunt, knackig und vor allem in den späteren Levels eine würdige Herausforderung.
Linelight (PS4, Windows, Mac 9,99 Euro)
Minimalismus ist etwas Schönes, vor allem, wenn er mit so großem Stilbewusstsein verbunden ist wie in “Linelight”. Im originellen Action-Puzzler steuern Spielerinnen und Spieler einen gleißenden Lichtpunkt eine sich gabelnde Line entlang und haben bereits nach kurzem einiges zum Grübeln. Obwohl es ausschließlich nach vorn oder eben zurück geht, bereiten Gegner, Schalter, Abkürzungen und gut zu timende Fluchtmanöver durchaus Kopfzerbrechen - “Linelight” ist so gesehen ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine eigentlich simple Idee sich durch cleveres Hinzufügen von logischen Elementen erweitern lässt.
Besonders bemerkenswert ist dabei allerdings das “Wie”, denn neben dem eingängigen Style erfreut vor allem die zum Einsatz kommende Musik, die durch ihr Pulsieren dem Ganzen einen ganz eigenen Schwung und Rhythmus verleiht. Ein vermeintlich simples Spiel, dessen Minimalismus perfekt eingesetzt zum einzigartigen Puzzler erblüht, der vor allem zu Beginn auch bedenkenlos an nicht besonders spielaffine Zeitgenossen weitergereicht werden kann.
Memoranda (Windows, Mac, Linux 14,99 Euro)
Es ist immer noch äußerst selten, dass sich Spielemacher ins weite Feld der Literatur wagen - das Point-&-Click-Adventure “Memoranda” tut’s: Elemente aus über 30 Kurzgeschichten des berühmten japanischen Autors Haruki Murakami sind Vorlage für die traumhaft-surreale Geschichte um ein Mädchen, das seinen Namen verloren hat und das Spielerinnen und Spieler bei seiner traumwandlerischen Suche begleiten. Wer die Werke des langjährigen japanischen Nobelpreis-Kandidaten kennt, sieht sich hier sofort an die Stimmung seiner Bücher erinnert: Es ist eine ganz spezielle Mischung aus Lakonik, Absurdität und sachte in die Normalität einbrechender Phantastik, die auch “Memoranda” prägt.
Als Spiel bewegt sich der Erstling eines iranischen Entwicklerteams auf recht soliden Pfaden: Vor etwa 40 wunderschön gestalteten handgemalten Hintergründen sind Gespräche zu führen, Hotspots anzuklicken, Gegenstände aus dem Inventar zu kombinieren und Rätsel zu lösen. Und die haben es zum Teil in sich: Schon früh im Spiel ist oft einiges an Um-die-Ecke-Denken gefragt - die Traumlogik Murakamis setzt sich leider oft ein bisschen zu prominent ins Rätseldesign um und verursacht leider auch Frust durch Puzzles, die sich rationalem Grübeln nur widerwillig erschließen. Im Gegensatz zum ebenfalls einer Form des magischen Realismus zugewandten großartigen “Kentucky Route Zero” ist “Memoranda”abgesehen davon ein wirklich klassisches Adventure, das nicht nur Murakami-Fans unterhält - die Bereitschaft, sich auf eine ganz spezielle Form von Unlogik einzulassen, vorausgesetzt.
Und sonst?
Zweimal feiner Indie-Horror für Konsolen: Mit “Nevermind” (Windows, Mac, Linux; Vive, Oculus, OSVR; Xbox One 19,99 Euro) hat eines der spannendsten und ungewöhnlichsten Horror-Experimente der letzten Jahre den Weg zur Xbox One gefunden; leider ohne die Option auf Biofeedback, wie sie die PC-version bot. Noch gruseliger ist “Sylvio” (Windows, Mac; PS4, Xbox One, 12,99 Euro), das ebenfalls auf Konsolen gewandert ist - mit seinem starken Fokus auf wirklich unheimlichem Audiodesign ein absoluter Geheimtipp für Freunde atmosphärischen Horrors.
Wer den glorreichen Zeiten von “Master of Orion 2” nachtrauert, sollte einen Blick auf “Stars in Shadow” (Windows 22,99 Euro) werfen, das das unverwüstliche Spielprinzip mit ein paar neuen Kniffen wieder in altem Glanz erstrahlen lässt. Nostalgie anderer Art bedient “M.E.R.C.” (Windows, Early Access 19,99 Euro), das sich daran versucht, das globale Management der “XCOM”-Tradition mit Echtzeittaktik im Stil und Setting von “Syndicate” zu verbinden - mit der Option auf Coop-Multiplayer-Einsätze. Puzzlefreunden wiederum sei das sehr schräge “She remembered caterpillars” http://caterpillar.solutions/ (Windows, Mac, 11,99 Euro) empfohlen, in dem kleine Raupen große Logikpuzzles lösen.
Ein kleines Juwel zum Schluss: In “A Normal Lost Phone” (iOS, Android, Windows, Mac, Linux 2,99 Euro) steht das Wühlen in einem fremden soeben gefundenen Smartphone als Spielmechanik im Mittelpunkt - ein narrativer Trick, der ein absolut originelles Erzählen erlaubt.