Best of Indie: Juli 2016
Inside Xbox One, Windows 19,99 Euro, PS4 und weitere Plattformen in Vorbereitung
Ganz zu Beginn ein erstaunlicher Befund: Inside schafft es nicht nur mühelos, die Qualitäten seines Vorgängers, des Kultspiels Limbo beizubehalten, sondern übertrifft sie auf allen Ebenen. Auf den ersten Blick ähneln sich die beiden Spiele: Auch in “Inside” steuern Spielerinnen und Spieler einen kleinen Jungen durch eine düstere Welt, müssen sich vor Gefahren in Acht nehmen und physikbasierte Rätsel lösen. Wie in klassischen Sidescrollern führt der Weg stets zweidimensional meist von links nach rechts, auch wenn durchaus beeindruckend räumliche Tiefe vorgetäuscht wird. Statt im diffusen Schwarzweiß zu bleiben, setzen sparsame Farbtupfer atmosphärische Akzente in einem Grafikstil, dem unbewegte Bilder nicht gerecht werden: “Inside” ist ein atemberaubender Höhepunkt der Animation, in dem kleinste Umgebungsdetails ebenso überzeugend verwirklicht sind wie die schier unglaubliche Vielfalt des Bewegungsrepertoires der Hauptfigur.
“Inside” schafft das seltene Kunststück, seine Spielerinnen und Spieler auf traumwandlerische Weise zugleich zu fordern und sie völlig ohne Leerlauf voranzuführen. In den gut drei Stunden Spieldauer überschüttet es sein Publikum mit einem Überfluss an neuen Ideen, dramatischen Momenten und zum Teil völlig originellem Gameplay. Statt seine Elemente aber über Gebühr zu strecken und so “Content” zu schinden, führt “Inside” immer weiter, von Szene zu Szene, die jede für sich lange im Gedächtnis bleiben. Wer “Limbo” schätzte, wird in dieser düsteren Welt mehr als nur einen gelungenen Nachfolger im Geiste finden. “Inside” ist ein albtraumhaftes Meisterwerk, von dem noch lange gesprochen werden wird.
Dead by Daylight Windows, 19,99 Euro
Wer jemals einen der berühmt-berüchtigten Achtzigerjahre-Slasherkultfilme gesehen hat, hat das Konzept von “Dead by Daylight” im Prinzip schon verstanden: Wie in “Halloween”, “Texas Chainsaw Massacre” oder “Freitag der 13.” ist verzweifelte Flucht vor einem übermächtigen, mit brutaler Härte zuschlagenden Killer auch im Multiplayer-Actionspiel das Zentrum der nervenzerreißenden Spannung. Vier unbewaffnete Spielerinnen und Spieler versuchen, durch das Aktivieren von Stromgeneratoren einen Fluchtweg zu öffnen - und ein kaltblütiger Mörder setzt alles daran, diese Flucht mit allerlei blutigem Werkzeug zu verhindern. Das Prinzip des asymmetrischen Multiplayers der Monsterjagd von “Evolve” kommt auch hier zum Einsatz, nur in gewisser Weise umgekehrt: Statt zu viert ein riesiges Monster zur Strecke zu bringen, macht dieses Jagd auf die wehrlosen Opfer. Der “Versus”-Mode von “Left 4 Dead” ist der bekannte Urvater des Konzepts.
Wie so oft bei Multiplayerspielen steht und fällt der Spaß allerdings mit den Mitspielern: Während eine motivierte Freundesrunde dank der dringend erforderlichen Koordination dem Bösewicht manchmal sogar entscheidend überlegen sein kann, droht “Dead by Daylight” je nach zufälliger Zuteilung unbekannter Mitspieler aus dem Internet auch zum Ärgernis zu werden - ein Befund, der allerdings auf so gut wie alle Multiplayerspiele zutrifft. Mit konstruktiven Mitspielern bietet “Dead by Daylight” allerdings ein originelles, so noch nicht gesehenes Mehrspielererlebnis ganz im Geiste des Slasher-Genres.
Furi Windows, PS4 24,99 Euro; PS4 aktuell gratis für PS-Plus Kunden
“Furi” reiht sich in die Tradition französischer Unikate ein: Als geheimnisvoller Kämpfer müssen Spielerinnen und Spieler aus einem interdimensionalen Gefängnis ausbrechen. Im Weg stehen dabei allerdings die Wächter, eine Reihe von mächtigen, ganz unterschiedlichen Bossgegnern. Der Kampf gegen diese, von “Afro Samurai”-Schöpfer Takashi Okazaki außergewöhnlich gestalteten Widersacher macht dabei den Hauptteil von “Furi” aus. Wie der Indie-Hit “Titan Souls” übernimmt auch das französische Spiel die adrenalintreibenden Bosskämpfe im Stil von “Dark Souls” als zentrales Element, in dem mit Schwert, Pistole und viel Akrobatik ein Duell in mehreren, teils ganz unterschiedlichen Phasen gemeistert werden muss.
Grafisch spektakulär, mit tollem Sound, originellen Ideen und fairem, aber wirklich schwerem Gameplay ausgestattet, ist “Furi” trotz stellenweiser Selbstverliebtheit etwas ganz Besonderes. Freunde harter Spiele findet in “Furi” eine motivierende, ästhetisch außergewöhnliche Herausforderung.
Battle Brothers Windows, 19,99 Euro
Schon der Indie-Klassiker “Mount & Blade” hat das Konzept von Sid Meiers "Pirates!" ins Mittelalter versetzt, das im Early Access verfügbare “Battle Brothers” der Hamburger Entwickler Overhyped variiert die Formel ein weiteres Mal. Statt in actionreiche Reiterschlachten führen Spielerinnen und Spieler ihre Gruppe bärbeißiger Söldner nun in taktisch anspruchsvolle Rundenkämpfe, die sich sowohl an “XCOM” wie auch “Heroes of Might & Magic” bedienen. Spätestens in den Schlachten wird klar, dass die stimmungsvolle Knuddeloptik täuscht: Der Kern von “Battle Brothers” ist knallharte Rundenstrategie mit durchaus originellen Elementen. Verschiedene Waffentypen ermöglichen teils radikal andere Taktiken, Positionierung und Ausrüstung sind ebenso wichtig wie kluges Management von Ermüdung und Waffenhaltbarkeit - und zweite Chancen gibt es nicht: Stirbt einer der liebevoll hochgepäppelten Söldner im Kampf gegen die abwechslungsreiche Schar an Gegnern, war’s das für ihn.
Wer jemals dem Reiz von “Pirates!” und seiner Nachfolger oder aber dem Sog von taktischen Spielen der Art von “XCOM” verfallen ist, weiß, dass die Mischung dieser Elemente gefährlich ist. Und so ist es auch: Dank liebevoller Gestaltung, von Grafik, Sound bis hin zum Text, und schier unerschöpflicher Variation durch die zufällige Generierung immer neuer Aufgaben motiviert “Battle Brothers” für Stunden über Stunden. Vorsicht: Eine durchspielte Nacht ist schneller vorbei, als man denkt.
Necropolis Windows, 29,99 Euro, PS4 und XBox One in Kürze
Die Entwickler des Kickstarter-Erfolgs “Shadowrun Returns” haben das Genre des dialoglastigen Rollenspiels verlassen und konzentrieren sich in “Necropolis” auf eine andere Art von RPG: Der “Diabolical Dungeon Crawler” bedient sich bei Rogue-lites der Marke “Spelunky” ebenso wie beim Action-RPG-Klassiker “Diablo” sowie - heutzutage immer öfter gesehen - am Ausnahmespiel “Dark Souls”. Als zu Beginn schwächliche Abenteurer kämpfen sich Spielerinnen und Spieler alleine oder mit bis zu drei anderen Mitstreitern bis zur tiefsten, zehnten Ebene in der titelgebenden Totenstadt vor, sammeln dabei allerhand Waffen und Gegenstände und müssen sich gegen unzählige Gegner zur Wehr setzen.
“Necropolis” weiß die ersten Stunden durchaus zu begeistern: Neue Waffen, neue Gegner und ein sympathisch schräger Humor machen die Monsterjagd allein, aber vor allem im Team zur kurzweiligen Angelegenheit. Mit fortschreitender Spieldauer macht sich allerdings leichte Ernüchterung breit: “Necropolis” lebt vom Konzept von Tod und Neustart, da ist es umso bedauerlicher, dass sich außer dem Layout der Kerker kaum etwas ändert. Die Entwickler haben auf diesbezügliche Kritik bereits reagiert und eine schrittweise Nachbesserung “in den kommenden Wochen” angekündigt. Als leichter Sommersnack zwischendurch kommt das stylische Kerkerabenteuer aber auch schon jetzt gerade recht.
Und sonst ...?
Ein weiterer Kultklassiker ist endlich in die nächste Runde gegangen: Das großartige und kaum zu überschätzende "Kentucky Route Zero" hat endlich - nach zwei Jahren Wartezeit - einen vierten Akt bekommen. Wie die Entwickler Cardboard Computer in ihrem Spiel immer wieder völlig neu, originell und schlicht unerwartet mit Perspektivenwechseln und spielmechanischen Konventionen spielen, ist schon allein für sich betrachtet großartig. “Kentucky Route Zero” ist eigentlich etwas völlig Neues - eine wilde und interaktive Mischung aus Roman, Theaterstück und Computerspiel. Auf FM4 habe ich das Kunstwerk ausgiebiger gewürdigt.
Dreimal Indie aus Österreich zum Abschluss: Für den Standard habe ich mir das wunderschöne "The Lion's Song" sowie das trashig-sympathische "Fatrher's Island" angesehen. Und ein Traum zweier Österreicher vom eigenen Indie-Spiel ist mit dem Early Access von "The Great Whale Road" auch etwas näher gerückt - ich habe die Macher vor einiger Zeit für den Standard porträtiert.