Best of Indie März

Mit etwas Verspätung jetzt auch hier: die spannendsten Indiespiele der vergangenen Wochen, von Golem, fm4 und dem Standard hierher versammelt.

Night in the Woods (Windows, Mac, Linux, PS4 20 Euro)

Mae Borowski ist 20 und hat die Uni geschmissen, um wieder zurück ins Kinderzimmer bei ihren Eltern zu ziehen. Die US-Kleinstadt, in die sie ohne Plan zurückkehrt, ist ebenso vertraut wie deprimierend; frühere Freunde versacken in schlechten Jobs; Arbeitslosigkeit, dumpfe Depression und Selbstzweifel nagen nicht nur an ihr. Night in the Woods könnte furchtbar deprimierend sein, doch stattdessen ist das Spiel dreier kanadischer Entwickler einfach bezaubernd: Alle Bewohner der Stadt sind sprechende Tiere, Mae ist eine Katze, ihre Freunde sind ein hyperaktiver Fuchs, ein Goth-Alligator-Mädchen und ein Dandy-Bär, allesamt liebevollst handgemalt wie im schönsten Kinderbuch.

Was das Spiel neben dem tollen Artwork, atmosphärischer Musik und einer Vielzahl an verschrobenen Minispielen - von “Guitar Hero”-artigen Bandproben über Ladendiebstahl bis hin zu einem minimalistischen Dungeon-Crawler als Spiel im Spiel - aber besonders auszeichnet, ist der realistische Ton, den es anschlägt. Wie ein beseeltes Hybrid aus “Gilmore Girls”, Oxenfree, Kentucky Route Zero und Life is Strange zeigt Night in the Woods eine komplexe, leicht melancholische Welt voller Menschlichkeit, die weit entfernt ist von den banalen Weltrettungsklischees anderer Spiele. Die Plattform-Elemente und auch der im Spielverlauf leicht ins Übernatürliche driftende Plot sind eigentlich Nebensache, die Hauptrolle spielen die Dialoge, die Figuren und das gelungene Porträt einer ganz realen Gegenwart nicht nur junger Menschen. Wie das letztjährige Firewatch ist auch Night in the Woods das Äquivalent zum Programmkino-Arthouse-Film mit Herz.

Induction (Windows, Mac, Linux 10 Euro)

“A game about time travel and paradoxes” nennt der britische Entwickler Bryan Gale sein kniffliges Puzzlespiel Induction, in dem auch Rätselprofis das ein oder andere Mal ins Schwitzen geraten werden. In stylischem Minimalismus gehalten, stellt das Spiel sich rasant zu wahren Kopfnüssen steigernde Aufgaben, bei denen im Spielverlauf immer weiter voraus oder um die Ecke gedacht werden muss. Als simpler Würfel ist die einzige Aufgabe dabei, in den jeweiligen Levels zum Ausgang zu gelangen und dabei diverse Schalter und Mechanismen zu betätigen.

Zentrales, dabei immer wieder verfeinertes und erweitertes Spielelement ist dabei die Fähigkeit, an jedem beliebigen Punkt die Zeit zurückdrehen zu können - wo man dann allerdings mit seinem in der Vergangenheit agierenden früheren Selbst möglichst geschickt kooperieren muss, um gemeinsam ans Ziel zu gelangen. Anspruchsvolle Rätselkost mit absolut origineller Spielmechanik.

The Mooseman (Windows, Mac, Linux 7 Euro)

Allzu selten nehmen sich Spiele der weniger bekannten Mythologien an, ein kleines russisches Entwicklerstudio taucht mit dem ungewöhnlichen The Mooseman nun tief in die Traditionen der finno-ugrischen Folklore der Komi-Permyak ein: Als Schamane wandert man nicht nur durch die endlosen Wälder, Höhlen und Kultstätten einer mythischen Vergangenheit, sondern wechselt per Knopfdruck in die Geisterwelt der komplexen und düsteren Mythologie, die in zahlreichen Texten und anhand realer historischer Artefakte illustriert wird.

Spielmechanisch holt The Mooseman aus seinem Minimalismus viel heraus: Zwar führt der Weg stets von links nach rechts und die Interaktion mit der Umwelt beschränkt sich auf wenige Knopfdrücke, doch reicht das sowohl für mal mehr, mal weniger simple Rätsel wie auch für originelle Spielereien mit Licht- und Physikelementen. Das Hauptaugenmerk liegt allerdings auf der Atmosphäre: Die trügerisch simple Grafik überrascht immer wieder durch effektvolle Details und die sparsame, aber eindrucksvolle Musik lässt das Abenteuer zum traumwandlerischen Trip werden. Näher kommt man einer Schamanenreise ohne die Einnahme diverser halluzinogener Pilze kaum.

Northgard (Windows, Early Access 20 Euro)

Freunde von Aufbaustrategiespielen, aufgepasst: Mit Northgard bietet das französische Entwicklerstudio Shiro Games einen interessanten Mix aus Aufbauklassikern wie Die Siedler und einem Strategiekonzept, das sich stark vereinfacht auch am 4X-Globalstrategiegenre der Marke Civilization orientiert. Um eine Wikingersiedlung zum Blühen und Gedeihen zu bringen, müssen nicht nur Gebäude errichtet, Vorräte und knuddelige Dorfbewohner verwaltet werden, sondern auch benachbarte Gebiete erforscht, Ressourcen abgebaut, feindliche Tiere und andere Stämme bekämpft werden. Ein Jahreszeitenwechsel, Zufallsereignisse, drei spielbare Clans und freischaltbare “Technologien” machen den Aufbau der kleinen Kolonie abwechslungsreich und herausfordernd.

Für einen Early-Access-Titel bietet das überaus hübsche Northgard schon jetzt erfreulich viel Komplexität und Spieltiefe, bleibt dabei aber in seinen Konzepten und auch in Sachen Bedienung angenehm geradlinig. Weitere Clans, eine vollständige Kampagne und vor allem ein Multiplayerpart sollen bis zum finalen Release noch in diesem Jahr dazukommen; schon jetzt ist Northgard aber nicht nur für Genrefreunde einen Blick wert.

Four Last Things (Windows, 8 Euro)

Dass die Kombination von Kunstgeschichte und schrägem Humor Kultpotenzial hat, wissen die Fans der bizarren Animationen des Monty-Python-Stars Terry Gilliam schon lange; so gesehen ist es eigentlich höchst überraschend, dass es ein Spiel wie Four Last Things erst jetzt gibt. Vor dem Hintergrund klassischer Gemälde alter Meister aus Renaissance und Spätmittelalter entfaltet das in seiner Spielmechanik klassische Point’n’Click-Abenteuer eine humorvolle Geschichte um einen Pechvogel, der alle Todsünden nachholen muss, weil die örtlichen Kirchenfürsten nur jene Sünden vergeben wollen, die in ihrem Einzugsgebiet begangen wurden.

Auf Kickstarter finanziert und von einem einzelnen Londoner Entwickler gestaltet, kommt Four Last Things in seinen Rätseln und in seiner altmodischen Bedienung zwar nicht über solides Mittelmaß hinaus, dafür entschädigt aber die umwerfend faszinierende Collagewelt aus großartigen Kunstwerken von Hieronymus Bosch, Brueghel und anderer Klassiker, die man garantiert noch niemals in diesem Licht gesehen hat. “Als wäre Monkey Island im Flandern des 16. Jahrhunderts von einem Monty-Python-Fan entwickelt worden”, so beschreibt sein Macher Joe Richardson die Prämisse. Kurz, aber lustig - und mit der besten Grafik seit Jahrhunderten.

The Frostrune (iOS, Android, ab 4,99 Euro; Windows, Mac 9,99 Euro)

Freunde der Point&Click-Puzzler “Myst” und “The 7th Guest” konnten sich letztes Jahr über “Obduction” oder auch das spezielle “The Witness” freuen, doch das aktuelle Adventure “The Frostrune” geht sogar noch einen (technischen) Schritt weiter zurück in die Spielevergangenheit. Statt freie Bewegung zu erlauben, führt ein Klick von Bild zu Bild. Dennoch kann die Präsentation begeistern: Die wunderschönen, handgezeichneten Schauplätze sind stimmungsvoll animiert und lassen die Mythenwelt Skandinaviens lebendig werden. Die norwegischen Entwickler greifen tief in den Mythenschatz ihrer Heimat und gehen so weit, die Sprachausgabe und Inschriften in Altnordisch zu belassen und mit Untertiteln zu versehen. Als 13-jähriges Mädchen an der Küste einer fremden Insel gestrandet, finden Spielerinnen und Spieler eine verlassene Wikingersiedlung, die von magischem Frost entvölkert wurde.

Wer das altehrwürdige Genre liebt, sollte allein wegen der außergewöhnlichen Präsentation ein Auge auf “The Frostrune” werfen - als Gesamtpaket von stimmungsvoller grafischer Gestaltung und wirklich außerordentlicher, Sound- und Musikkulisse ist das norwegische Spiel ein absoluter Genuss. Dank des hilfreichen Hint-Systems können sich aber auch Adventure-Einsteiger in dieses kompakte, aber eindrucksvolle Wikingerabenteuer wagen.

Torment: Tides of Numenera (Windows, Mac, Linux, PS4, Xbox One, 49,99 Euro) i

Ein Mega-Indie zum Schluss: “Torment: Tides of Numenera” ist so etwas wie ein inoffizieller Nachfolger des unvergessenen Kultspiels "Planescape: Torment" - man muss letzteres aber keineswegs gespielt haben, um ins Spiel zu starten. Spielmechanisch bleibt “Torment” in sicheren Gewässern: Rundenbasierter Kampf mit bis zu vier Party-Mitgliedern, Ausbau der Charaktere, Missions- und Inventory-Management erfolgen mit wenigen Anpassungen nach Genre-Schablone. In den “Krisen” genannten Kampfsituationen, aber auch in Gesprächen oder bei anderen Aktionen können Punkte aus einem Fertigkeitenpool verteilt werden, die sich erst bei Rast wieder erneuern; abhängig vom gewählten Zugang lassen sich allerdings viele Kämpfe vermeiden oder aber durch geschicktes Verhandeln unnötig machen.

“Torment: Tides of Numenera” ist ein prachtvolles Fest für Rollenspieler, die Wert auf Story, Atmosphäre und knifflige Entscheidungen legen. Seine Welt lässt den Großteil anderer fiktiver Settings hinter sich, verblüfft mit fantasievollen Miniaturen ebenso wie großen Storybögen und einzigartigen Charakteren. In den über 30 Stunden seiner Handlung entführt es Spielerinnen und Spieler in eine liebevoll gestaltete Welt, die Raum für freie Entscheidungen und eigene Zugänge lässt. Und es ist noch ein weiterer Beweis dafür, dass in klassischen Spielkonzepten wie dem isometrischen Rollenspiel noch unendlich viel Leben steckt - und dass es zu Recht noch unzählige, nicht nur nostalgieverklärte Menschen gibt, die daran ihre Freude haben. Wer sich vom Lesen großer Mengen Text nicht abschrecken lässt, wird mit einem außergewöhnlichen Erlebnis belohnt.

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