Best of Indie: November 2016

Im November gab’s im GameStandard wegen AAA-Schwemme nur wenig Platz für Indies, hier bei VGT allerdings bleibt’s bei monatlicher Rundschau: die besten Indie-Games der letzten Wochen im Überblick. Ein Hinweis ganz zum Anfang: Für maximal 20 Dollar gibt’s beim grandiosen Good Bundle 150 Spiele (!) im Megapaket für den guten Zweck. Der Erlös geht an US-amerikanische Charities, die durch Trump in ihrer Existenz bedroht sind - die Spiele stellen nicht nur quasi ein Best-of der #altgames-Szene auf itch.io dar, sondern beinhalten auch große Klassiker wie “Gone Home”, “Proteus” und “the Novelist”. Kaufbefehl!

Killing Floor 2 PS4, Windows, Linux, 26,99 Euro)

Indie in ganz groß und blutig: In unterschiedlichen, abgeschlossenen Arenen kämpfen bis zu sechs menschliche Spieler gegen in Wellen anrennende und immer stärker werdende Zombie-, Monster- und Mutantenhorden an, in den kurzen Pausen dazwischen darf eingekauft werden: Das altehrwürdige Multiplayergefecht im First-Person-Shooter wurde kaum je so puristisch auf Kooperation angelegt wie hier. In der Rolle unterschiedlicher Spezialisten – Nahkämpfer, Ärzte, Schrfschützen und so weiter – stehen Spielerinnen und Spieler zahlenmäßig grotesk überlegenen Gegnerwellen gegenüber, die sich nur gemeinsam überleben lassen.

Ein simples Konzept, das seinen Reiz vor allem durch die atemlose Zusammenarbeit mit den Mitstreitern erhält und auf alles Überflüssige verzichtet. Es gibt keine speziellen Missionsziele, keinen Weg, der in diesen Architekturen zurückzulegen wäre, und auch keine Geschichte, die vom Kern des Geschehens ablenkt. Wir gegen alle – das ist und bleibt ebenso unverwüstlich wie anziehend.

Owlboy Windows 22,99 Euro

Wer meinte, Retrospiele seien nur etwas für alte Säcke auf der Suche nach verflossener Jugendfreizeit, sollte sich “Owlboy” ansehen und sich eines Besseren belehren lassen: Das nostalgisch an die SNES-Ära erinnernde, seit fast zehn Jahren entwickelte Action-Adventure ist nämlich so rundum gelungen, dass sich nicht nur die allermeisten neuen, sondern durchaus auch - Sakrileg!!!1 - die klassischen Originale verstecken müssen. Als Eulenjunge Otus erforschen wir hier eine Welt, die in ihrer verspielten Exotik an das große Studio Ghibli erinnert und sich auch spielmechanisch absolut keine Fehler leistet.

Das Schöne daran: Im Unterschied zu Spielen wie “Ori” richtet sich “Owlboy” nicht nur an jene, die in Sachen Gameplay irrtümlicherweise “klassisch” mit “sadistisch” verwechseln. Sprich: Auch ohne die Reflexe testosteronstrotzender Zwölfjähriger auf Speed hat man seinen Spaß an diesem Abenteuer. Wenn die - zugegeben gelungene - Handlung uns nicht alle paar Minuten die Kontrolle über das Spiel entreißen würde, gäb’s hier wirklich gar nix zu mäkeln. Tipp: ein schönes Weihnachtsgeschenk an jene, die früher mal und jetzt keine Zeit etc etc..

Orwell Windows, 9,99 Euro

Massenüberwachung, der “war on terror” und gläserne Menschen: “Orwell” ist nicht nur ein gekonnt inszenierter Politthriller in der Tradition von “Person of Interest”, sondern schlicht großartiges politisches Edutainment. Als Gehilfe eines geheimen staatlichen Überwachungsprogramms sichten wir Emails, Chatnachrichten und Webseiten unserer Zielpersonen, um den Datenkraken mit hoffentlich hilfreichen Hinweisen zur Aufklärung eines Terroraktes in einem fiktiven Staat zu füttern.

Aufgeteilt in fünf Akte demonstriert das Spiel deutscher Entwickler auf beinahe unheimliche Art und Weise, wie sich scheinbar zusammenhanglose Info-Fitzelchen im Netz zu Persönlichkeitsprofilen zusammenfügen, mit denen der Überwachungsstaat machen kann, was er will. Clevere Mechanismen und eine ordentliche Story mit so mancher Wendung lassen “Orwell” zum spannenden Lehrstück über die Mechanismen von Überwachung, Politik und Information werden - es sollte neben “Papers, Please” eigentlich in jeder Schulklasse im Einsatz sein. Es gibt eine Demo!

Beholder WIndows, Mac, Linux 9,99 Euro)

Noch einmal Überwachung, diesmal allerdings old-school: In “Beholder” spielen wir einen vom Staat bezahlten Spitzel, dessen Aufgabe es ist, die Bewohner eines Mietshauses auf Schritt und Tritt zu überwachen und an den Staat Bericht zu erstatten - “Das Leben der Anderen” als Spiel. Erschwerend kommt dazu, dass auch unser eigenes Leben gemanagt werden will: Geldsorgen, ein rebellischer Sohn und der Spagat zwischen Pflichterfüllung und Sympathie für die Hausbewohner lassen so manche Entscheidung schwer fallen.

“Beholder” stammt von sibirischen Entwicklern und überrascht mit eigenständigem Stil und einigen originellen Ideen; ein etwas leichterer Spielmodus mildert unsere Geldsorgen und lässt so die fiesesten Entscheidungen zum Glück von rein durch Not erzwungenen zu ethischen werden. Wer “Papers, Please” und “This War of Mine” mochte, sollte einen Blick auf dieses düstere Puppenhaus werfen.

Kim Windows, Mac 19,99 Euro

Etwas weniger düster geht es im Unikat “Kim” zur Sache: Wer das gleichnamige Jugendbuch des “Dschungelbuch”-Autors Rudyard Kipling gelesen hat, wird sich in der kolonialen Welt eines Nordindiens zu Beginn des späten 19. Jahrhunderts sofort richtig orientieren können, allerdings ist dieses hierzulande eher exotische Vorwissen nicht nötig, um in diesem faszinierenden Open-World-Abenteuer mit RPG-Elementen zu versinken. Als Waisenjunge Kim sind wir in diesem Abenteuer auf der Suche nach unserem Erbe und begegnen einem Indien, das längst untergegangen ist.

Zahlreiche Wort für Wort aus dem Buchklassiker entlehnte Beschreibungen von Städten, Personen und Ereignissen geben diesem Abenteuer eine literarische Note, die das Überleben im rauen Gossenleben fast poetisch erscheinen lässt; wer “80 Days” und eher adventure-artige Rollenspiele wie “The Age of Decadence” schätzt, findet mit “Kim” eine bemerkenswerte Perle in einer ganz, ganz kleinen Nische.

Chalo Chalo WIndows, Mac 9,99 Euro

Wer irgendwann in den letzten Jahren jemals auf einem dieser hippen Local-Multiplayer-Events war, wird “Chalo Chalo” bereits gespielt haben - eigentlich fast unglaublich, dass dieses schöne Spiel erst jetzt regulär erschienen ist. Das “really slow racing game” spielt top-down auf einer Ebene mit unterschiedlichen Oberflächen, die beschleunigen oder verlangsamen, gemeine Waffen-Powerups machen den bis zu acht (!) Spielern das Leben schwer.

Ein sicherer Tipp für den Spieleabend auf der Couch und bereits jetzt ein moderner Klassiker - dieses Spiel werden wir noch jahrelang auf den Fernsehern sehen.

Genital Jousting Windows 4,99 Euro

Ebenfalls perfekt für die im besten Fall schon leicht berauschte WG-Couch-Game-Party ist “Genital Jousting”, das seit kurzem im Early Access zu haben ist. Als körperloser Penis ist man in diesem Kuriosum schlangengleich unterwegs, um die Mitspieler hinterrücks zu penetrieren. Klingt anrüchig, sieht anrüchig aus, bietet aber überraschenderweise spielerisch so manche spannende Spielminute. Den plötzlich reinstürmenden Eltern sollte man’s vielleicht nicht erklären müssen, was man da gerade so treibt.

Und sonst …?

Eine (sehr) späte Entdeckung fürs Smartphone ist “Twofold Inc” (iOS, Android 3,99 Euro), das es tatsächlich schafft, ein absolut originelles Puzzle-Konzept in absolut hübscher Verpackung abzuliefern - kein Wunder, dessen Macher Grapefrukt haben ja auch das hübsche “Rymdkapsel” geschaffen.

Etwas Besonderes ist “Islands: Non-places” (Windows, Mac, iOS 3,99 Euro) - surrealer wrd’s im November nicht mehr.

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