Best of Indie: Oktober 2016
Thumper(Windows, PS4, PSVR, 19,99 Euro)
Als chromglitzernder Skarabäus auf Schienen in atemberaubenden Tempo zu düster-wuchtigem Industrial-Sound durch eine abstrakte Albtraumwelt rasen – wer angesichts dieser Beschreibung den Verdacht hat, "Thumper" könnte ein klitzekleines Bisschen anstrengend sein, hat recht. Dennoch – oder vielmehr: gerade deshalb – ist das lang erwartete und soeben veröffentlichte Indie-Spiel eine außergewöhnliche Erfahrung, die schlicht nicht ihresgleichen hat.
Die beiden Entwickler von "Thumper" wissen, was sie tun: Als frühere Angestellte bei Harmonix haben sie an großen Genreklassikern wie "Frequency", "Guitar Hero", "Rock Band" oder "Dance Central" mitgearbeitet. "Thumper" ist jedoch bei aller Verwandtschaft etwas völlig anderes; die neuerfundene Beschreibung als "Rhythm Violence Game" trifft das Spielgefühl ziemlich gut. Geschwindigkeitsrausch, halluzinogene Grafik, ein beeindruckendes Gefühl von Körperlichkeit und vor allem der rohe elektronische Noise-Industrialsound lassen eine wahrnehmbare Bedrohung und Anspannung entstehen, die einem gewalttätigen Angriff auf die Sinnesorgane durchaus nahe kommen. Mit angehaltenem Atem, schmerzhaft verkrampften Fingern und von Konzentration geröteten Augen lässt sich "Thumper" für die meisten Spielerinnen und Spieler wohl auch eher häppchenweise erleben – bei längeren Spielsessions droht bei diesem Stahlgewitter aus gnadenloser Herausforderung und unerbittlich herankrachendem Sound sowohl geistige als auch körperliche Überforderung.
Shadow Warrior 2 (Windows 36,99 Euro, Konsolen tba)
Schon die absolut gelungene Neuauflage des Urvaters "DOOM" hat heuer bewiesen, dass im vermeintlich überalteten Simpelgameplay der FPS-Frühzeit noch viel Energie steckt, und auch "Shadow Warrior 2" lehnt sich an dieses Erfolgsrezept an: Hohe Beweglichkeit und Geschwindigkeit sind Trumpf, und der Kampf gegen die knallbunten Gegnermassen findet in großen, abwechslungreich gestalteten offenen Arenen statt. Dass dieser simple Kern aus frenetischer Action in ein von FPS-Rollenspielen wie "Borderlands" inspiriertes Skill-, Loot- und Levelsystem gezwängt wird, fällt angesichts dessen Einfachheit zur Abwechslung kaum negativ ins Gewicht. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad trägt der RPG-Aspekt entschieden zur Abwechslung bei, indem die über 70 (!) verschiedenen, sich zum Teil stark unterscheidenden Nah- und Fernkampfwaffen durch Upgrades teils radikal personalisiert werden können. Wer mag, kann so etwa sein Schwert mit Eismagie aufrüsten, explosive Pfeile verschießen oder sogar seine schweren Waffen zu abstellbaren Geschütztürmen ausbauen; erst bei höherer Schwierigkeit wird dieses Tüfteln am Arsenal mehr als unterhaltsame Option.
Rasant, anarchisch, vollgepackt, hübsch und vor allem im Koop mit bis zu vier Mitspielern ist "Shadow Warrior 2" ein rundum gelungener Spaß mit riesigem Unterhaltungswert, zu dem man auch nach Abschluss der Story gern zurückkehrt. Neben "DOOM" darf man es getrost zu den gelungensten First-Person-Shootern des Jahres zählen.
Gonner (Windows, Mac, Linux 9,99 Euro)
Erklärt wird in diesem charmanten, aber fordernden Sidescroller absolut nichts, und das macht schon einen Teil des Reizes von "GoNNER" aus: Als kopfloser Torso müssen sich Spielerinnen und Spieler zunächst bei Gevatter Tod mit Schädel, Waffe und Rucksack ausstatten, bevor es in die stets neu erstellten Level zum Kampf gegen die Monster der Totenwelt losgeht. Berührt der kleine Knochenmann einen Gegner, kullert die Ausrüstung samt Kopf übrigens davon und muss wieder eingesammelt werden – passiert dies zu oft oder lässt man sich als hilfloser Torso erwischen, geht’s zurück an den Start. Welche Eigenschaften das sich durch Aufsammeln neuer Gegenstände erweiternde Arsenal denn nun hat, muss durch Versuch und Irrtum herausgefunden werden, ebenso wie das Funktionieren des Combo- und Continue-Systems.
Was "GoNNER" überdies von anderen Spielen unterscheidet, ist sein einzigartiger charmanter Grafikstil, dem unbewegte Screenshots nicht gerecht werden. Der täuschend naiv-kindliche Wachsmalkreiden-Look verleiht dem Spiel vor allem gepaart mit dem tollen minimalistischen Soundtrack eine einzigartige Atmosphäre, die wie gemacht ist für die dunklen Herbstabende rund um Halloween. Wer Freude an den Herausforderungen von Rogue-lites hat, kommt diesen Herbst an "GoNNER" nicht vorbei.
Karma: Incarnation 1** (Windows, Mac, Linux 8,99 Euro)
Wer Freude an außergewöhnlicher Grafik hat, sollte sich "Karma" genau ansehen: Das sieht aus wie ein zum Leben erwachter U-Comix-Strip aus den späten 80ern und verpackt in seine wortlos erzählte Geschichte nicht nur hübsche Rätsel, sondern auch die eine oder andere Entscheidung. Dabei geht es durchaus psychedelisch zur Sache, und im weiteren Spielverlauf lässt auch Salvador Dali grüßen.
Was optisch absolut gelungen ist, macht allerdings der Spielmechanik hin und wieder einen Strich durch die Rechnung: Wie sich Surrealismus und Point-and-Click-Rätsel vertragen, ist eine Frage, die auch "Karma Incarnation 1" stellenweise nicht beantworten kann. Sprich: Hin und wieder nützt rationales Denken wenig. Als charmanter Trip ist das stylische Adventure allerdings durchaus sehenswert - die Latte an Auszeichnungen, die das Unikat bereits eingefahren hat, und der wirklich (!!!!) gelungene Soundtrack der "Neo-Aboriginal Band" ZMEIRADUGA machen es zum milden Halluzinogen mit Dauergrinsegarantie.
ENYO (iOS, Android)
Als glühender Fan des großartigen "Hoplite" lässt mich natürlich auch Tiny Touchtales' "ENYO" nicht kalt. Die Macher des schönen "Card Crawl" kommen zwar IMHO nicht ganz an die Eleganz und simple Genialität von "Hoplite" heran, doch die rundenweise Nahkampfstrategie ist trotzdem für so manche verbummelte Straßenbahnfahrt perfekt. Als griechischer Krieger kämpfen wir mit Schild, Haken und Grips gegen eine Horde unterschiedlich begabter Monster und jagen nach dem Highscore. Der tolle Grafikstil stammt übrigens unverkennbar von der talentierten WInnie Song.
Event0 (Windows, Mac, Linux 19,99 Euro)
Ein ganz spezielles Spiel am Schluss: "Event0" ist eine spannende Kreuzung aus Adventure, environmental Horror, Science-Fiction-Puzzler und Chatbot. An Bord einer verlassenen Raumstation im 80er-Jahre-Futurismus-Look sind wir in der First-Person-Perspektive auf der Suche nach Antworten. Oder besser gesagt: nach den richtigen Fragen, denn die künstliche AI des Schiffs ist putzmunter und plaudert mit uns, was das Zeug hält. Das schwankt zwischen beeindruckender Konversationsfähigkeit und schizophrenem Chatbot, doch auch die Momente, in denen man der AI grollt - wer sie zB irgendwann aus Frust unflätig beleidigt, muss im ungünstugsten Moment auf Knien um Verzeihung bitten -, doch vermutlich kommt das dem angestrebten Ziel, einen nicht menschlichen Gesprächspartner zu schaffen, verdammt nahe.
Die Story ist spannend, wenn auch etwas wirr, die Rätsel sind mal toll, mal passabel, und nach ein paar Stunden ist SChluss - und man beginnt von vorn, um zu sehen, was passiert, wenn man die AI zB ausgesucht frreundlich behandelt. Ein spannendes Experiment.
Und sonst ...?
Zu kurz gekommen und deshalb hier mindestens mit einer lobenden Erwähnung vertreten sei "From Darkness" des österreichischen Künstlerkollektivs Gold Extra, das in die Haut afrikanischer Flüchtlinge versetzt. Ein weiteres österreichisches Projekt hingegen macht uns zu Waldgöttern: Im hübschen "Niva" ist man im Wald unterwegs und löst diverse Konflikte auf pazifistische Art und Weise - beide Spiele sind übrigens kostenlos.