Die Spaziergänger 2: Islands: Non-places

Ist ein Videospiel ein Gegenstand oder ein Ort? Man könnte sagen: beides. Videospiele sind der Ort hinter dem Bildschirm, oder eher: viele Orte. Schöne, faszinierende, banale, unheimliche, außergewöhnliche. In manchen darf man einfach lustwandeln, ohne kämpfen, springen, rätseln, kurz: etwas leisten zu müssen. Man darf in ihnen spazierengehen.

Sebastian Standke und Rainer Sigl machen sich einmal monatlich in der Serie Die Spaziergänger abwechselnd auf den Weg; und VGT wäre nicht das hipsterigste Intellektuellengamingblog, würden nicht schon im zweiten Teil die grundlegendsten Regeln gebrochen.

Ist ein Walking Simulator noch ein solcher, wenn in ihm gar nicht gegangen, sondern eher verweilt wird? Ist es ein Spaziergang, wenn der Weg zwischen den Orten, oder, in diesem Fall: Nicht-Orten einfach weggelassen wird? Der Kern von Spielen, in denen das Tun weniger wichtig als das bewusste Anwesendsein ist, wäre so betrachtet nicht die Bewegung, sondern das Innehalten; und genau so betrachtet fügt sich auch Islands: Non-places zu jenen Spielen, die man als virtueller Spaziergänger durchaus näher ins Auge fassen sollte - auch wenn man in ihm eigentlich überhaupt nicht spazierengeht.

Statt also einen Weg zu gehen, noch dazu hin zu Sehenswürdigkeiten, die speziell und besuchenswert sind, verweilen wir an auf den ersten Blick belanglosen Orten, die banaler kaum sein könnten: an Bushaltestellen, in gesichtslosen Lobbys, vor Rolltreppen, Parkplätzen, Bankomaten.

Mehr noch: Statt uns zu diesen Orten hin- und uns in ihnen zu bewegen, bewegen wir sie selbst, drehen sie, auf mobilen Spielgeräten direkt und haptisch auf den Touchscreens. Der Ort wird zum Gegenstand, den wir manipulieren; und durch diese Beschäftigung werden die banalen Nicht-Orte zu Orten voller absurder Offenbarungen.

Die Nicht-Orte werden zu Orten, an denen die Träume der Dinge selbst zum Leben erwachen.

Es würde Islands: Non-places viel von seiner Faszination nehmen, wenn an dieser Stelle allzu genau auf die Metamorphosen seiner nur auf den ersten Blick banalen Orte eingegangen würde - die kleinen Szenen, die sich hier abspielen, leben von ihren verblüffenden Wendungen, davon, dass Unbelebtes sich plötzlich belebt, dass Erwartungen unterlaufen werden und Nicht-Orte zu sogar sehr besonderen Orten werden, an denen, wie ein von mir nicht mehr auffindbarer Rezensent mutmaßt, die Träume der banalen Orte und Dinge selbst zum Leben erwachen.

Islands: Non-places entwirft in seinen kurzen Vignetten eine Welt, in der alles anders ist, als es auf den ersten Blick scheint. Dass sich das wahre Wesen der Dinge aber überhaupt offenbart, ist uns, den Spielerinnen und Spielern, zu verdanken: Als einzige Interaktionsmöglichkeit abseits des Drehens, oder, passender zum Spaziergangsmotiv: des Herumgehens um diese Nicht-Orte, ist das Antippen leuchtender Interaktionspunkte, und das war es dann schon mit Gameplay. Diese minimalistische Interaktion setzt diese Welt in Bewegung; ansonsten nimmt sie keine Notiz von uns.

Die Metamorphosen von Islands: Non-places sind somit keine Rätsel, die von den Spielerinnen und Spielern gelöst werden müssen, sondern vielmehr Mechanismen, die nur darauf warten, in Gang gesetzt zu werden. Sie zeigen eine Welt ohne Menschen, jedoch nicht ohne Leben; beseelt werden sie hauptsächlich durch den Sound, der das Spiel auf faszinierende Weise erst real macht; vielleicht sollte man angesichts des wohlbekannten amorphen Rauschens, das uns auch in der Realität an solchen Nichtorten umgibt, analog zum Fotorealismus von Audiorealismus sprechen. Schließ deine Augen - das ist die Welt, die du da hörst, voll mit Informationen und Chaos.

Islands: Non-places ist surreal, linear und recht kurz; kein Wunder, dass ihm damit in den Augen verständnisloser Traditionalisten die Spielhaftigkeit fast ebenso fehlt wie anderen Walking Sims. Die Verwandtschaft zu einem anderen schwebenden Stück Topografie ist vielleicht kein Zufall: Wie David OReilly, dessen Mountain als entfernter, geschwätziger Verwandter gelten kann, ist Carl Burton, der Schöpfer von Islands, nicht primar Spielentwickler, sondern erfolgreicher Grafikdesigner, Illustrator und Filmer, der das interaktive Medium mit seinem ganz speziellen Zugang bereichert.

Islands: Non-places ist eine Reise zu Orten irgendwo knapp neben der Realität

Und dieser besteht auch im Erzeugen von Atmosphären, die mit Stimmungen und, eben, Audiorealismus an unserem Bild von der Realität rütteln und unseren Blick auch im wirklichen Leben für die vielleicht dicht unter den Oberflächen der Banalität wartenden Geheimnisse schärfen.

Islands: Non-places mag kein "klassischer" Spaziergang sein, und doch hat man an seinem Ende das Gefühl, an anderen Orten gewesen zu sein; Orten, die sich irgendwo knapp neben der Realität befinden.

Der Spaziergang: Islands: Non-places Islands: Non-Places ist 2016 für Windows, Mac und iOS erschienen. Sein Schöpfer ist der Künstler, Filmer und Animateur Carl Burton .

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