Digitaler Racheakt im geschützten Raum
Ein bisschen gegen das System sein, den Kapitalismus eh auch blöd finden und das "gute" Produkt statt dem "schlechten" zu kaufen ist längst nichts mehr, was dissidenten Intellektuellen, verwirrten Anarchisten oder zornigen Punks vorbehalten ist. Vielmehr ist es mehrheitstauglich geworden, eine einfache Weise, sich mit etwas Gesellschaftskritik zu schmücken und einem Hauch von Distinktion zu parfümieren ohne wirklich etwas ändern zu wollen. Die deutsche Autorin Meredith Haaf hat es in einem Meinungstext für die Zeitschrift NEON neulich gut beschrieben: Zur Zeit des Kalten Krieges galt im Westen ein abweichlerisches Verhalten gegen das "eigene" System, also den Kapitalismus, als demokratiegefährdend und war bloß für jene Menschen nicht tabu, die sich entschlossen haben, am Rande der Gesellschaft zu stehen und diese zu unterwandern.
Gegenwärtig wird Kritik am System aber mit offenen Armen aufgenommen um sie anschließend als neues Produkt zu präsentieren. Ehemalige "Scheiß drauf"-Mode wird von internationalen Textilketten in tausenden Laden längst als hippe Oberfläche präsentiert, Mainstream-Popmusik, die in ihren Texten schwammige Aufrufe zum "Anderssein" propagiert, wird in Hochglanzclips inszeniert und den App-Stores dieser Welt feilgeboten. Und Games? Die sind natürlich dazu da, damit wir einfach Spaß haben, mal ein bisschen die Sau rauslassen können. Dazu gehört das Abbilden realer Umgebungen gepaart mit dem Auskosten des rechtsfreien virtuellen Raums.
Kritik am System wird als neues Produkt vermarktet.
Das Computerspiel als Vehikel, um Allmachtsfantasien zu befriedigen und große Taten zu vollbringen - abseits des engen Gesellschaftskorsetts (das aber eben notwendig ist, damit wir alle möglichst respektvoll und friedlich nebeneinander leben können) -, ist ein gängiger Zugang in der Produktion von Blockbuster-Titeln. Watch_Dogs, das aktuelle Poster-Game vom internationalen Spieleentwicklungs- und Vertriebskonzern Ubisoft, fügt sich perfekt in dieses Schema: Ein randalierender Irrer läuft durch eine Stadt, stiehlt Autos, schießt Menschen um und erledigt währenddessen seltsame Missionen. Kommt uns bekannt vor, kennen wir schon, macht aber nichts. Denn Watch_Dogs hat ein Ass im Ärmel: Es ist vor allen Dingen ein Spiel über Hacking und wird entsprechend vermarktet. Überwachung, Surveillance, verlorene Privatsphäre. Das sind Dinge und Schlagwörter, die ein Jahr nach Edwards Snowdens NSA-Aufdeckungen auch in die ungebildetsten Gesellschaftsschichten vorgedrungen sind. Warum das also nicht nutzen und in die alte Grand Theft Auto-Schablone einfügen?
Der Protagonist von Watch_Dogs, Aiden Pearce, ist nicht nur erbarmungslos und gefürchtet, er kennt sich auch mit Computern aus. Das macht die Sache noch aufregender, als sie für die geschulten Sandbox-Riot-Kids an den Konsolen bereits ohne dieses Fachwissen schon sein würde und ist weit entfernt von den schlauen, aber naiven 80er Jahre Hacker-Nerds aus WarGames und Konsorten. Weil ein Mainstream-Computerspiel zugänglich gestaltet sein muss, beschränkt sich das "Hacken" in Watch_Dogs auf ein Suchen und Finden von Gegenständen, die wir manipulieren können und auf ein längeres Drücken einer Taste am Gamepad. So lassen sich Türen öffnen, Überwachungskameras anzapfen und alle Personen in der Stadt ausspionieren.
Es ist eine folgenlose, aber immerhin unterhaltsame Kompensierung der erlebten Ohnmacht, die wir durch die Datenüberwachung von Privatkonzernen und Regierungen empfinden. Viele von uns haben diesbezüglich längst das Handtuch geworfen. Sollen die doch meine Daten haben! Aber wenn wir schon dabei sind, wär's schon toll, wenn wir selbst mal mit ein paar Klicks ein bisschen die Welt vermessen könnten und nachsehen, was all ihre Bewohner/innen gerade so tun - und sei es nur im Spiel. Es ist egal, welcher Intention man durch die Figur Aiden Pearce von der Erzählung vorgegeben und spielerisch nachgeht: Im Zentrum steht die diebische Freude am Hacken von Geldautomaten, dem Durchleuchten der virtuellen Menschen und dem Erzeugen von Chaos. Es ist doch alles so einfach, Aiden muss bloß ein bisschen an seinem Smartphone herumtappen.
Die Chuzpe liegt darin, dass ein multinationaler Konzern seine Kunden mit moderner Robin Hood-Romantik lockt.
Es ist eine Sache, mit welcher Selbstverständlichkeit die Themen digitale Bürgerrechte, das Erhalten von Privatsphäre und die gesellschaftliche Gefahr von schwach gesicherten IT-Systemen als durchgestylte, oberflächliche Crime-Story ohne große Botschaft vermarktet werden. Die Chuzpe liegt darin, dass ein multinationaler Konzern seine Kunden mit moderner Robin Hood-Romantik lockt. Die Sehnsucht der Bürger/innen nach der Zurückeroberung von Privatsphäre und ihre gleichzeitige Lust an Rache werden mit viel Nicken und Begeisterung aufgenommen, die Zähne gezogen und dann in einen gut abgezäunten Streichelzoo gestellt um Eintritt zu verlangen.
Ubisoft, eine Firma, die im "wirklichen" Leben ihrerseits gerne Watchdog bei unseren Spielegewohnheiten ist (always online, anyone?), ist sich ihrer Sache sehr sicher: In Wien - und nicht nur dort - wurde ein aufwändiges Presseevent für das Spiel aufgezogen. Der Austragungsort war die Arena, ein historisch linker, dissidenter Veranstaltungsraum (die Wahl ist wohl kein Zufall), wo Watch_Dogs mit einer großen Party mit Freibier, Würstel und Bandauftritt inszeniert wurde. Auch hier, wie im Spiel: Überwachung als digitaler Racheakt im geschützten Raum, gewürzt mit anarchischen Parolen ohne jeglichen Kontext. "Cop Killer" ist in Neonstreifen an die Wand geklebt, eine geschauspielerte Fickszene am Klo läuft viele lange Sekunden auf den Bildschirmen der Veranstaltung.