The End of Gamers: Ein paar Klarstellungen
Dieser Text sollte zuerst eine Antwort auf einen Kommentar zu meinem Text "#GamerGeddon" werden, ist aber zu lang, um dort zu versickern. Der Ton ist deshalb kolloquialer als sonst. Vorsicht: lang.
Ein Kommentator stellte mir eine Frage anlässlich des von vielen journalistischen Seiten proklamierten "End of Gamers".
Da wird einfach mal der Tod des Gamers proklamiert. Ähm, wie soll das gehen?
Die Gamer sind das Hauptelement einer Industrie, die mittlerweile größer ist als Hollywood. Dort wird richtig Geld verdient. Denkt ihr wirklich, dass diese Industrie sich nicht mehr nach diesen Spielern ausrichten wird? Weil... kotaku und Konsorten berichten, dass es sie nicht mehr gibt?
Oder ist das alles ganz anders gemeint? Ist das eher "kulturell" gemeint?
Auch das ergibt wenig Sinn, denn diese, wie oben beschrieben, geben den Takt vor.
Wenn man die Artikel, die angeblich den "Tod des Gamers" fordern, ohne Hysterie liest (Überblick hier) , sieht man, was wirklich gemeint ist. "Gamer" bezeichnet eben in diesem Zusammenhang nicht jeden, der spielt. Diese Abgrenzung geht NICHT von den Journalisten aus, sondern von einer gar nicht mal so bedeutsam großen Gruppe an Spielern, die sich selber zum Kern des Gamings erhoben haben. Core Gamer. True Gamer. Real gamer. Die, für die Leute, die Candy Crush spielen, keine Gamer sind. Die, die mit Selbstbewusstsein jenen Spielen, die ihnen nicht ins Konzept passen, absprechen, Spiele zu sein. Jene penetrante, laute Gruppe, die den allermeisten Menschen, die spielen, oft mal peinlich ist.
Immer wollte man ihnen etwas wegnehmen. Spiele sind Schund, Spieler sind Nerds, Underdogs, werden verarscht, "Killerspiele" machen sie zu Mördern - die Angriffe sind bekannt. Leider hat sich durch diese Belagerungsmentalität eine Abkapselung ergeben. Man ist stolz, "Gamer" zu sein, als Gemeinschaft, die trotzig den Anfeindungen gemeinsam widersteht. Die "Gamer Culture" ist eine Bruderschaft - auch, weil relativ wenige Frauen als Zielgruppe für die Spiele in Frage kommen, die von der Industrie seit gar nicht so langer Zeit speziell für die männlichen, jungen "Core Gamer" gemacht werden. Natürlich gehören ihr mittlerweile auch Mädchen und Frauen an. Ihren Platz in dieser harten Jungswelt haben sie sich hart erkämpft, weshalb sie oft sogar besonders stolz sind, sich in dieser "Gamerschaft" zu befinden.
"Gamer" sehen sich von Feinden umzingelt. Sarkeesian ist zB eine Angreiferin auf dieses inzwischen freiwillige Ghetto, also der Feind. Sie kritisiert, also will sie uns etwas wegnehmen! Dieser Reflex ist eingelernt, aber verfehlt. In einer Mischung aus Korpsgeist, Dudebro-Auswüchsen und schlichtem Sexismus verteidigen "Gamer" ihre Wagenburg.
Von vielen Kritikern werden diese Blockbuster-Spiele weniger geliebt. Sie bieten immer dasselbe. Es ist langweilig, immer und immer wieder über sie zu schreiben. Als Games-Journalist freut man sich über Neues. Man will Abwechslung. Man liebt sein Medium. Nicht mit der fiebrigen Inbrunst der "Gamer", für die Spiele alles sind, sondern mit der Liebe eines Menschen, der wie ich Spiele seit Jahrzehnten verfolgt, studiert, analysiert, beobachtet. DIe Kritiker berichten über kleine Spiele, die etwas Neues versuchen, wie Depression Quest. Sie loben Gone Home, weil es etwas anderes versucht. Sie mögen Proteus, Dear Esther, Dwarf Fortress, weil die meisten von ihnen die Hochglanzspiele seit Jahren immer wieder ohne große Innovation neu auferstehen sehen.
Sie freuen sich über eine unfassbar lebendige Indie-Entwicklercommunity, mit der sie natürlich anderen Kontakt haben als zu den gesichtslosen Riesenpublishern. Man kennt sich, trinkt ein Bier, dann schreibt man über diese aufblühende Szene. Dass das mit dem Wort Korruption total überbewertet ist, habe ich hier genauer ausgeführt.
Es gibt also weniger "richtige" Spiele, dafür immer mehr Casual und Mobile-Spiele. Die aber sind für "Gamer" keine Spiele, auch wenn vor 20 Jahren oft genau diese kleinen Titel selbst AAA waren. Das Medium wird größer, aber "echte Gamer" fühlen sich mehr und mehr belagert. Muttis spielen, Schwestern, die Eltern, Opas. Viele am Handy, am Tablet, am PC; weniger an den Konsolen, die für "echte Gamer" - und auf jeden Fall für eine millionenschwere Industrie - oft noch der Kern des wahren Spielens sind. Hier ist doch das viele Geld! Natürlich sind diese großen, lauten, teuren Spiele die einzig wahren - nur haben das all die "fake gamer" nicht verstanden.
Die Journalisten sind also auch zum Feind geworden. Statt den ganzen "fake gamern" zu sagen, was Sache ist, werden Indies gehypt, wird auf das neue, angeblich größere weibliche, heterogenere Publikum geschaut. Man schreibt über Games in Breitenmedien wie Spiegel, Zeit, Standard. Aber nicht so, wie der "echte Gamer" das haben will. In meinem Text zum "Arschlochgamer" geht es genau um diese Reaktion auf die wahrgenommene Bedrohung des "eigenen" Mediums.
Die "echten Gamer" wenden sich vom Journalismus ab. Auf YouTube werden sie stattdessen von ihren kultisch verehrten Helden viel persönlicher angesprochen. Dadurch hat allerdings auch der - global - in der Krise steckende klassische Journalismus noch weniger Motivation, für diese "echten Gamer" Content zu produzieren. Und außerdem: Die paar Blockbuster, die für viele "Gamer" alles sind, füllen trotz Hype auf Monate hinaus auch nicht mehr all die Seiten.
Unter dem Tag #GamerGate versammeln sich nun eben auch jene "Gamer", die Leigh Alexander und die anderen Artikelschreiber (auch ich) an einem Ende sehen: Sie können und wollen nicht akzeptieren, dass sie ihre eigene Bedeutung inzwischen radikal überschätzen. Ein radikaler, sich auf 4chan und reddit organisierender Mob legt es ausgerechnet in einem "Fall" wie dem um Zoe Quinn auf einen Showdown mit der Presse an: Ihr, ihr reibt uns doch dauernd unter die Nase, dass unsere Spiele öde und stagnierend sind. Ihr lobt Mist wie Depression Quest. Ihr wollt uns dauernd einreden, wir wären alle dauernd sexistisch und wollt uns - Sarkeesian - nur wieder etwas wegreißen. In dieser Verbindung liegt die Sprengkraft der Farce um Zoe Quinn. Eine Frau, die ein hochgelobtes, von "Gamern" nicht einmal als anständiges Spiel identifiziertes blödes Textadventure durch Sex in den Pressehype hievt.
Klar, dass da die Sicherungen durchknallen. Die Zeit der Abrechnung scheint gekommen. Dafür lassen sich auch Spieler motivieren, die sich sonst nicht unbedingt mit den elitären Jungsclubs identifizieren. "Wir Gamer", also alle, die sich als Teil dieser speziellen "Gamer Culture" sehen, gegen "die da oben". Diese "Gamer culture", deren Ende in den Artikeln - auch von mir - prophezeit wird, umfasst natürlich nicht alle diese Menschen, die hier glauben, ein Unrecht bekämpfen zu müssen - sondern nur einen Teil davon. Nennen wir sie doch so wie in einem anderen Spiel: Ultras.
Für viele dieser "neuen" Spieler, aber auch für weniger fanatisierte Spielbegeisterte, sind diese "Gamer" immer noch Nerds: eine verschworene, kauzige Gruppe von hauptsächlich jungen Männern, die sich bewusst abgrenzen. Für "Gamer" ist das Außenseitertum trotzig und stolz kultiviertes Ehrenzeichen.
Diese "Gamer" geben aber nicht "den Takt vor". Nicht mehr. Zumindest nicht jene, die sich im Sinne von #GamerGate als "true gamer" verstehen. Sie werden sich bald kleinlaut wieder einreihen in ihren ewigen AAA-Release-Zirkus, sich andere Seiten für "really real actually true gamers" suchen. Müssen.
Dan Goldings Text "The End of Gamers" hat mir persönlich am besten gefallen. Ich klaue ihm deshalb das Schlusswort:
On some level, the grim individuals who are self-centred and myopic enough to be upset at the prospect of having their medium taken away from them are absolutely right. They have astutely, and correctly identified what is going on here. Their toys are being taken away, and their treehouses are being boarded up. Videogames now live in the world and there is no going back.
I am convinced that this marks the end. We are finished here. From now on, there are no more gamers—only players.
Es werden alle, alle spielen. Das ist das Jahrhundert des Videospiels. Die alten, tollwütigen Gatekeeper sollten nicht dagegen kämpfen, sondern sich freuen: Sie hatten ja ursprünglich recht damit, dass Spiele toll sind. Wenn ihnen ihr Baumhaus plötzlich nicht mehr exklusiv genug ist, können sie ja auch gern jederzeit runterkommen. Dort wird jetzt nämlich auch gespielt.