The Games That Never Were: Life

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Stagnation, Aufgewärmtes, Sequels: Wer sagt, dass es bei Games nicht noch Platz für revolutionär Neues, für Unerwartetes, Abwegiges oder schlicht: das Unmögliche geben darf? The Games That Never Were ist ein Gedankenexperiment: Spiele, wie es sie nie gegeben hat und so auch wohl nicht geben wird. Benedikt Plass-Fleßenkämper gibt uns diesmal die Ehre und erträumt sich nichts weniger als das ganze Leben.

Das Spiel, das ich mir vorstelle – ob ich es mir wirklich wünsche, da bin ich offen gestanden immer noch nicht sicher –, funktioniert vor allem über Emotionen und Eskapismus. Es heißt schlicht und einfach Life. Es ist ein Endlos-Game, eine Utopie, die in einer Paralleldimension der Wirklichkeit spielt. Quasi ein gigantisches Sandbox-Rollenspiel, das als Setting die Welt nutzt, wie wir sie kennen, wie sie eben aussieht. München ist immer noch München, es gibt Biergärten, den Englischen Garten, das Oktoberfest. Meine Wahlheimat Alzey ist immer noch eine idyllische Kleinstadt im Herzen Rheinhessens. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, die Kinder spielen draußen.

I feel good.

Für dieses Spiel braucht man keine Cyber-Brille, keinen Virtual-Reality-Handschuh. Auch keine rote Pille. Wie das Ganze technisch umgesetzt werden soll, darüber sollen sich aber bitteschön die Entwickler den Kopf zerbrechen. Womöglich bekommt man einen Chip unter die Haut eingepflanzt, drückt den Knopf einer Fernbedienung, schließt die Augen, loggt sich ein und wechselt in eine andere Wirklichkeit. Man steuert seine Spielfigur – sein virtuelles Über-Ich sozusagen – per Gefühlskontrolle. Indem ich etwas fühle, ändern sich die Projektionen vor meinem geistigen Auge, führe ich Handlungen aus, lebe ich. Der Mensch als Emotion Engine.

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Life ist Urlaub für die Seele und kreativer Katalysator gleichzeitig, es ist das Spiel der unbegrenzten Möglichkeiten. Das, was Open-World-Games wie GTA oder Skyrim im Ansatz tun, nämlich eine alternative Wirklichkeit zu erschaffen, in der man vollkommen frei ist, wird hier auf die Spitze getrieben. Life fühlt sich echt an, wirkt echt, ist echt.

Was würdest du tun, wenn du alles machen kannst,

was du willst?

Hier darf ich all das machen, was im "Real Life" nicht oder nur mit ungesundem Aufwand möglich ist. Und das ist gleichzeitig der interessanteste Aspekt an dem Spiel: Was würdest du tun, wenn du alles machen kannst, was du willst? Wenn nur die Fantasie deinem Tun Grenzen setzt? Und mit "alles" meine ich auch "alles". Allerdings nicht im Superhelden-Sinn; man könnte also weder wie Neo durch die Matrix fliegen noch würde man in einem schicken Fledermauskostüm rumturnen. Aber man könnte die Möglichkeiten, die das Leben bietet, voll auskosten. Ohne Kompromisse, ohne Konsequenzen.

Das ist erst mal so abstrakt, dass es schwer fällt, es sich vorzustellen. Dieser Gedanke überfordert einen schlichtweg, raubt einem den Atem. Aber probieren wir es einfach mal.

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Klar, man würde dafür sorgen, dass man einen (noch) coole(re)n Job und jede Menge Geld hat, dass Frau, Kinder und Katzen versorgt sind. Dann würde man alle Jobs ausprobieren, die man im echten Leben nicht erreicht hat, aus welchen Gründen auch immer. Oder die man niemals ausüben wollte, weil sie nicht den eigenen Moralvorstellungen entsprechen, zu wenig Geld einbringen oder gar krimineller Natur sind.

Man wäre Rockstar, Bundesligaprofi, Polarforscher, Spielentwickler, Drogendealer, Privatdetektiv, Literaturnobelpreisträger, Bundeskanzler, Mafia-Boss, Filmproduzent, Lehrer, Pornodarsteller, Deutscher-Bank-Vorsitzender, Astronaut, FBI-Agent, Greenpeace-Aktivist, Microsoft-Boss, Model, Entwicklungshelfer, Archäologe, Pilot, Gärtner oder Präsident der Vereinigten Staaten. Was könnte man noch alles sein?

Ein mindestens so faszinierender wie beängstigender Gedanke.

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Die Interaktion dieses Spiels wäre natürlich einmalig, der Grad an Abwechslung unglaublich hoch. Man würde auf den Mount Everest steigen, mit dem Fallschirm aus 10.000 Metern Höhe aus einem Flugzeug springen, in der Tiefsee tauchen, Formel-1-Rennen fahren, Ski springen, im Krieg kämpfen, um die Welt segeln, im Wimbledon-Finale spielen, am Golf von Mexico golfen, die ganze Welt bereisen, Bananen anbauen, zum Islam konvertieren, in Peking demonstrieren, den Weltraum erforschen, ein U-Boot steuern, Crystal Meth kochen. Man wäre omnipotent, ohne Gott zu sein.

Je intensiver man fühlt, desto mehr Spielspaß, und je mehr Fantasie man hat, desto mehr könnte man in dem Spiel erreichen.

Steuerung und Spielerlebnis würden von der eigenen Gefühlswelt direkt beeinflusst werden – je intensiver man fühlt, desto mehr Spielspaß verspricht Life. Und je mehr Fantasie man hat, desto mehr könnte man in dem Spiel erreichen. Ein Spielende in dem Sinne gäbe es nicht, denn in Life würde man nicht altern. Es gäbe dort natürlich auch Mitspieler, sonst wäre es ja langweilig. Das hier ist aber kein Online-Spiel; die Life-Menschen wären KI-gesteuerte Lebewesen. Allerdings würde ihr Verhalten und ihrer Erscheinung so authentisch anmuten, dass man den digitalen Menschen nicht vom echten unterscheiden könnte.

Spätestens hier aber dürfte Life nicht realisierbar sein – woher sollen die Entwickler wissen, wie meine Frau aussieht, was sie mag und was nicht? Oder wer meine Freunde sind, wo sie leben, was sie tun? Wie mein echtes Leben ist?

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Legen wir diese technischen Zweifel doch einfach lächelnd beiseite, fantasieren noch ein wenig, weil es gerade so viel Spaß macht. Dinge tun, die man in seinem normalen Leben nicht machen kann, will oder darf, in andere Rollen schlüpfen, grenzenlos sein, unglaubliche Geschichten erleben – diese Sehnsüchte sind es doch, die uns Computerspiele konsumieren lassen. Deswegen lieben wir "Der Herr der Ringe" und "Star Wars". Life würde unsere verborgensten Wünsche wahr werden lassen, uns vollendeten Eskapismus bescheren.

Doch dieses Spiel wird es so nie geben. Dabei ist die Idee gar nicht mal so abwegig: die Spielwelt als idealisierte Version unseres Planeten und unserer gesamten Existenz; eine Heile-Welt-Variante unseres Lebens für den Feierabend. Aber es ist vermutlich auch bessser so, denn das echte Leben ist schon aufregend genug. Und: Könnte ich all das tun, was mir im meinem Alltag als Ehemann, Vater und Journalist verwehrt bleibt, würde ich in Reichtum versinken, besäße ich alles, könnte ich alles, dann würden mir irgendwann die Träume ausgehen.

Also belasse ich es bei diesem Gedankenspiel und beende es mit einem Zitat, das mir passend erscheint: "Der Mensch bekommt vom Leben immer weniger, als er verlangt." (Jack London)

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