Gamesjournalismus: Vier Fragen an Christian Schiffer, Alexander Amon und Herrn Fabu

559

Die Frage, wie es um den (deutschen) Gamesjournalismus bestellt ist, drängt sich immer wieder mal auf. Bei der Recherche für meinen Standard-Artikel zur Krise des Games-Journalismus (voraussichtlich morgen online!) habe ich drei gefragt, die es wissen müssen: Christian Schiffer, deutscher Hörfunkjournalist und WASD-Herausgeber, arbeitet fieberhaft an seiner Vision vom Schreiben über Spiele: Die zweite Ausgabe des famosen WASD mit dem Thema "Games & Politik" soll übrigens in wenigen Wochen erscheinen. Alexander Amon ist Chefredakteur der österreichischen Games-Zeitschrift consol.at und bearbeitet sowohl den klassischen Printbereich als auch eine umfangreiche Online-Community. Dritter im Bunde, dessen Antworten es aus Zeit- und Platzgründen leider nicht mehr in den Artikel geschafft haben, ist Stephan "Fabu" Günther, Mastermind und Autor des deutschen Independent-Gamesblogs superlevel.de, das in Kürze einen umfangreichen Relaunch erfahren wird.

Drei recht unterschiedliche Vertreter des deutschsprachigen Gamesjournalismus, die so freundlich waren, mir hier per Email ihre Ansichten darzulegen. Hier die (leicht gekürzten) Antworten der drei Herren -  viel Text, aber auf jeden Fall zu schade, um in den digitalen Schubladen zu verschwinden.

560

Was sind eurer Ansicht nach die Stärken/Schwächen des deutschsprachigen Games-Printjournalismus - und wie wird es im Großen angesichts des Leserschwunds weitergehen?

Christian Schiffer:  Die Gameskultur ist heute sehr viel vielseitiger als noch vor 20 Jahren.  Das experimentelle Dear Esther etwa passt gar nicht mehr in die in den klassischen Magazinen hochgehaltenen klassischen Testkategorien (und wurde von der GameStar deswegen konsequenterweise auch mit keiner Wertung versehen). Insgesamt hat sich die Gameskultur von ihren technischen Wurzeln emanzipiert, das wird aber vom hiesigen Gamesjounalismus keineswegs abgebildet - oft liest sich deutscher Gamesjournalismus noch so, als würden dort  Staubsaugerroboter getestet.

Die meisten Magazine sind schlicht langweilig geworfen. Sie bringen News, die ich schon aus dem Internet kenne und Tests, die ich schon im Netz gelesen habe. Der Rest sind Previews zu den immer selben Spielen. Wer soll denn auf so etwas noch Lust haben? Ich glaube, dass diese Hefte über kurz oder lang verschwinden werden.  In Zukunft wird der der Testjournalismus komplett ins Internet abwandern. Ergänzend könnten aber neue (digitale) Gamespublikationen entstehen, die dann als trimediale Formate Print, Video- und interaktive Elemente vereinen. 

Alexander Amon: Noch gibt es fast alle deutschsprachigen Magazine, die es schon vor zehn Jahren gegeben hat. Das angekündigte Massensterben hat nicht stattgefunden, und das obwohl es mittlerweile viele große Online-Portale in Deutschland gibt. Die Stärken der Printmagazine wurden leider größtenteils von den Publishern zerstört. Du bekommst kaum noch exklusive Geschichten und Vorab-Muster bei wichtigen Games werden auch immer seltener.

Die Schwächen sehe ich persönlich noch immer in der oft sehr analytischen Art, Spiele vorzustellen. Wir selbst versuchen uns zunehmend als Unterhaltungsmedium, lassen auch persönliche Meinungen einfließen – ein Stil, den die Engländer schon seit Jahren fahren. 

Fabu: Meiner Meinung nach wird zu sehr an alten Mustern festgehalten, aus Angst, die verbleibende Zielgruppe aufgrund von Kurswechseln zu verwirren oder gar zu verlieren. Die Angst ist auch nicht ganz unbegründet, denn wenn man sich manche Abweichungen (hier ein Beispiel) vor Augen führt, wird schnell deutlich, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Leser durchaus einen Bedarf nach klassischen, techniklastigen Spieletests hat.

Als Positiv-Beispiel für modernen Spielejournalismus wird oftmals die GEE genannt, die für Anhänger der alten Schule zugleich als Negativ-Beispiel dient, da das Magazin nur einen Bruchteil der Reichweite einer GameStar vorzuweisen hat. Weniger Reichweite bedeutet weniger Leser bedeutet weniger Einnahmen bedeutet weniger gut - zumindest aus Sicht eines klassisch geführten Unternehmens. So gesehen werden die großen Verlage womöglich erst umdenken, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen.

561

Ist Christian Schmidts Forderung nach "mehr Geist" im Games-Journalismus immer noch aktuell? Gibt es für den von ihm geforderten Journalismus überhaupt ein Publikum?

Christian Schiffer: Klar ist seine Forderung immer noch aktuell. Allerdings muss man auch sagen, dass sich seit seinem Aufruf durchaus etwas verändert hat und dazu zählt nicht nur die Gründung der WASD, sondern auch dass die feuilletonistische Games-Blogosphäre weiter größer ist.

Und natürlich gibt es für von ihn geforderten Journalismus ein Publikum: Es gibt ja auch ein Publikum für Fußballjournalismus mit mehr Geist (11 Freunde), oder für Wirtschaftsjournalismus mit mehr Geist (Brand 1), oder für Wurst(!)journalismus mit mehr Geist (Beef). Aber natürlich ist das noch eher eine Angelegenheit für die Nische. Eine Nische allerdings, die wächst.

Alexander Amon: Games-Journalisten werden oft auf Spiele-Tester reduziert. Das ist leider ein Irrglaube. Vielen Lesern ist mittlerweile egal, wie du ein Spiel bewertest, sie wollen deine Meinung hören, die Vor- und Nachteile herauslesen können und im Idealfall einen witzigen Artikel lesen. Du musst Reportagen liefern, gute Retro-Geschichten und – wenn alles klappt – ein Zielpublikum zwischen acht und 40 Jahren befriedigen. Das erfordert schon „mehr Geist", als man als Außenstehender vielleicht denkt. Und die von Schmidt geforderte Zielgruppe wird immer wieder von diversen Online-Magazinen bedient, die aber zumeist schnell wieder verschwinden.

Warum? Weil die wenigsten Spiele einen besonders wertvollen Anspruch haben. Das Meiste ist „Belletristik" – „Michael Bay zum Selberspielen". Da kannst du weder als Redakteur noch als Spieler viel hineininterpretieren. Die paar Ausnahmen im Jahr (zB Journey) schaffen es dann auch, die Aufmerksamkeit von (aufgeklärten) Massenmedien zu bekommen.

Fabu: Solange der deutsche Spielejournalismus keinen Sprung nach vorne gemacht hat, bleibt Schmidts Artikel auch aktuell. Ein Publikum ist sicherlich vorhanden, aber je geistreicher Journalismus betrieben wird, desto größer die Gefahr, Menschen damit vor den Kopf zu stoßen.

562

Wie seht ihr die kürzlich aufgekommene Diskussion um ungesunde Kumpanei zwischen Gamespresse und der PR der Spielebranche, Stichwort: Dorito-Gate? Gibt es dieses Naheverhältnis und ist es ein Problem?

CS: Das Nahverhältnis gibt es sicher, vor allem in Form einer extremen gegenseitigen Abhängigkeit. Ich weiß aber nicht, ob die Einflussname von Seiten der PR hier größer ist als in anderen Bereichen. Eine Besonderheit der Gameskultur ist vielleicht das Fantum, das hier vor allem um bestimmte Unternehmen kreist und weniger um konkrete Personen (von Ausnahmen wie Richard Garriott, Peter Molineux, Sid Meyer usw. mal abgesehen). Das kann ja durchaus ehrliches Fantum sein und dennoch ist es nicht ganz unproblematisch, vor allem, wenn man als Journalist in dem Bereich arbeitet. Wer sein Fantum nach außen trägt ist hier oftmals schon mit einem Bein drin in der PR, ob gewollt oder ungewollt.

Generell gehe ich von einem gewissen Grad an Korruption im Spielejournalismus aus. Die läuft nicht so ab, dass Konzerne Säcke voll Geld über Verlagshäusern abwerfen, sondern subtiler. Partys auf Messen, Bemusterungen, Anzeigen so etwas halt. Dazu gehören zum Beispiel auch Verträge, die eine bestimmte Anzahl an Previewartikel festlegen. Es geht also nicht darum, zwei drei Prozente in irgendwelchen Tests zu kaufen, sondern um das Schaffen von Aufmerksamkeit für das eigene Produkt vor dem Release. Und bei dieser Praxis spielen die Gameszeitschriften viel zu oft mit. Meine Meinung.

Unspektakuläre Anekdote: Die PR-Agenturen unterstützen übrigens auch am liebsten den gängigen Games-Journalismus. Für die Ausgabe 2 der WASD habe ich nach der Erlaubnis gefragt, ein Bild des Spiels Hitman zu verwenden. Square Enix hat dann gefragt, für was ich das Bild brauchen würde (Test oder Preview). Ich habe dann gemeint, es sei für einen Artikel über Sex und Gewalt in Computerspielen. Das Bild habe ich nicht bekommen (und eine Antwort auch nicht) . Von mir aus ist die Entscheidung nachvollziehbar, aber ich empfinde es doch als etwas unsouverän. 

Alexander Amon: Diese Diskussion gibt es alle paar Jahre mal und sie wird bei keinem Mal spannender. Redakteure arbeiten mit PR-Leuten zusammen. Das ist in jeder Branche so. Ab und zu geht man auf einem Event auf ein Bier und fragt auch mal nach, wie es der Frau/Freundin geht. Wertet man deshalb ein Spiel anders? Nein. Weil das eine nichts mit dem anderen zu tun hat.

Überall gibt es schwarze Schafe (von den bekanntesten liest man dann in der Zeitung), aber ich würde sagen 99% aller Kollegen (PR und Presse) nehmen ihren Job sehr ernst und können als Insider nur gequält über diese immer wieder hochkochenden Vorwürfe lächeln. Die wenigsten Menschen arbeiten in der Gaming-Branche, weil man hier so gut verdient, sondern weil sie den Job gerne machen. Würde das wegfallen, weil man nicht mehr schreiben kann, was man will, dann würden wirklich viele Menschen aufhören hier zu arbeiten.

FabuDorito-Gate habe ich nur am Rande mitbekommen. Gamespresse und PR sind voneinander abhängig und prinziell ist das auch gut so, sofern dadurch nicht die Integrität leidet.

Ich habe da einen gewissen Kodex. Wenn mir zum Beispiel eine Soft- oder Hardware zur Verfügung gestellt wird, der ich nichts abgewinnen kann, verzichtete ich in der Regel auf einen Artikel. Verwerflich? Nein, verwerflich wäre es, wenn ich aufgrund der "Dauerleihgabe" Nettigkeiten verbreite, die nicht der Wahrheit entsprechen.

563

Was ist eure persönliche Vision von der Zukunft des Schreibens über Spiele im deutschsprachigen Raum - Plattformen, Breitenwirksamkeit, Spezialisierung etc? 

Christian Schiffer: Der Spielejournalismus der Zukunft testet nicht, sondern erzählt Geschichten über die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und popkulturellen Zusammenhänge der Gameskultur. Der Gamesjournalimus der Zukunft ist zudem kritisch, kontrovers und verliert auch die Ränder und die Subkultur der Szene nicht aus dem Blick. Und er ist relevant: Das, was z.B. im Musikjournalismus diskutiert wird, etwa zu der Frage, wie man Musik rezensieren soll, spielt über den Musikkosmos hinaus eine Rolle in den Feuilletons (man denke nur an die Diskussion, als die SPEX die klassischen Rezensionen abschaffen und durch verschriftlichte Diskurse ersetzen wollte).

Ich glaube auch, dass der Gamesjournalismus der Zukunft eine Mischung finden muss zwischen Hermetik und Offenheit. Die WASD wurde in den Rezensionen in gamesfremden Medien oft als Magazin beschrieben, das auch „Nicht-Gamer“ lesen könnten. Das ist vielleicht nicht ganz  falsch, aber darum ging es eigentlich nie. In der Überbetonung dieser Aussage steckt meiner Meinung nach immer noch die „Angst“ vor der Gameskultur. Ein Heft ist halt dann cool, wenn es möglichst wenige von diesen komischen Computerzotteln anspricht und möglichst viele von den „normalen“ Menschen da draußen. Völliger Bullshit. Richtig ist allerdings, dass der Gamesjouralismus eine gewisse Mischung aus Hermetik und Offenheit braucht und ich glaube auch, dass man so etwas realisieren kann. Die WASD mit der Mischung aus theoretischen und „leichteren“ ist zumindest ein Versuch in diese Richtung. 

Alexander Amon: Ich würde nie auf Print verzichten wollen bzw. auf ein periodisch erscheinendes Produkt. Es gibt einfach nichts Schöneres, als etwas abzuschließen und dann in Händen halten zu können. Onlineprodukte sind wie Fließbandarbeit. Du machst was und im nächsten Moment ist es alt und uninteressant. Sicher, du kannst es auf FB und Twitter verlinken, aber auch da wird sich in den nächsten Jahren viel verändern.

Was die Breitenwirksamkeit betrifft, werden Special-Interest-Magazine immer Special-Interest-Magazine bleiben. Das ist auch gut so. Ich will für Leute schreiben, die eine Xbox von einer PlayStation unterscheiden können. Den Bildungsauftrag übernehmen aktuell, wenn auch noch viel zu wenig, die Massenmedien (in Österreich etwa der Standard, Ö3 hat immerhin schon einen kurzen Gamecheck). Wenn hier die Jungen weiterkämpfen und den alten Chefredakteuren erklären, dass das Medium Videospiel eine Daseinsberechtigung hat, dann sehen wir alle rosigen Zeiten entgegen.

Fabu: Im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche talentierte Schreiber, die über den Tellerrand blicken können. Mein (langfristiges) Ziel ist es, mit Superlevel eine Plattform zu etablieren, auf der sich kreative Spielejournalisten ungehemmt austoben können. Ohne eine gewisse Kommerzialisierung des Projektes wird das leider nicht möglich sein. Das Redesign steht in den Startlöchern und wird sehr wahrscheinlich im Laufe des Monats ins Netz geschubst.

Vielen Dank an die drei Befragten, die so freundlich waren, mir so ausführlich zu antworten.

Autor: