Haywire Magazine: Joe Köller gibt Auskunft

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Seit fast einem Jahr gibt es das Haywire Magazine, eine reine Online-Publikation, in der klug und quer über Spiele geschrieben wird. VGT-Mitautor Joe Köller ist Gründervater und treibende Kraft hinter dem englischsprachigen Projekt, das Joe und seine Mitautoren zunehmend auch auf der internationalen Gamesjournalismuslandkarte aufblitzen lässt. Soeben ist Nummer 5 mit dem ergiebigen Thema "Violence" erschienen, zu dem Superlevel-Kollege Dominik Johann das tolle Cover und Joe zwei seiner für VGT geschriebenen Texte beigesteuert hat.

Grund genug, meinem Kollegen mal ein paar Fragen zu diesem ambitionierten Onlinejournalismus-Projekt zu stellen, das ihm oft genug die Zeit für VGT raubt. 

Was ist Haywire Magazine? 

Haywire ist ein alle zwei Monate erscheinendes, digitales Magazin zu digitaler Spielekultur und nebenbei auch ein eher verwaister Spieleblog. So könnte man es nüchtern zusammenfassen, aber Nüchternheit ist für mich als Chefredakteur ja rollenwidrig. "Haywire ist Alchemie" steht dazu auf unserer Seite, und meint: Hier kommen Amateurkritiker, Jungautoren und sonstige Wirrköpfe zusammen, um unter Anleitung eines größenwahnsinnigen Anglistikstudenten dem Schnellschuss-Konsumjournalismus der Spielebranche und dem minderwertigem Blog- und Forengekritzel ihrer Fangemeinde ein professionelles, reflektiertes, meinungsstarkes Magazin entgegenzusetzen.

Was war deine Motivation, dieses Projekt zu starten?

Angefangen hab ich es ja eigentlich nicht. Wie alle kreativen Projekte beginnt auch Haywire mit dem Diebstahl einer Idee: Unser Designer Andrew Walt hatte sich mal so ein Magazin in den Kopf gesetzt, nachdem ihm aufgefallen war, dass er nach einigen Jahren Unizeitung ja wohl alle nötigen Fähigkeiten beisammen hätte. Das Resultat war ein im Rückblick eher mageres Blättchen namens Guardian Force, bei dem ich auch schon für einen Gutteil des fragwürdigen Inhalts verantwortlich zeichne (Hier werden Jugendsünden enthüllt!). Aber immerhin, ein Magazin! Die zweite Ausgabe aber fiel über Wochen hinweg langsam glorios auseinander, es stellte sich heraus, dass Andrew weder Nerven noch Talent für die Organisation des Ganzen hatte, schon gar nicht neben Unistress. Nun waren aber Layout und Autorennetzwerk quasi schon da, was lag also näher, als ihm das Heft zu entreißen und unter anderem Namen neu zu starten? So oder so ähnlich bin ich auf dem Chefsessel gelandet: Weil es sonst keiner machen wollte. Dass es uns nach sechs Ausgaben immer noch gibt, sehe ich als Rechtfertigung für mein Regiment.

Daran sieht man auch schon, welch naive Überlegung mich ursprünglich zu dem Projekt geführt hat: Ich wollte über Spiele schreiben. Ich wollte vor allem besser über Spiele schreiben (damals bezog sich der Vergleich aber noch auf eigene, frühere Arbeit) und mich dafür zur regelmäßigen Übung und hohen Standards zwingen. So gesehen war erstmal alles eine interessante Gelegenheit, zu lernen. Aus anderer Leute Fehler etwa, beim Korrigieren und Überarbeiten ihrer Texte. Deadlines waren für die meisten von uns ebenso Neuland, was man immer noch an gelegentlichen Verspätungen merkt. Im Wesentlichen hatte ich einfach keine Ahnung, wie man ein Magazin führt und wollte es mir selbst beibringen. Stilrichtlinien und eine Art Vision oder Zielsetzung entstanden unterwegs, aus genaurer Auseinandersetzung mit meinen Vorstellungen von Qualitätsjournalismus.
 
Auf der anderen Seite habe ich dann auch gleich wieder Gelegenheit, das Gelernte weiterzugeben, immerhin ist das auch die einzige Entlohnung, die ich Autoren anbieten kann: Sie profitieren von meinem Minimum schriftstellerischen Talents und dem bisschen Reichweite, das wir mittlerweile erreicht haben. Die eigentliche Motivation schwankt ständig zwischen der Förderung anderer, der Selbstverbesserung und Selbstvermarktung, und der simplen Freude, etwas zu erschaffen. Aber das sind so ungefähr die drei Säulen meines Wahnsinns.
 

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Hat das Feedback bislang deine Erwartungen erfüllt?

Kaum. Ich werde etwa viel seltener angeschrien als erwartet (Allerdings wäre ich auch erst zufrieden wenn wir einen hauseigenen Troll angelockt haben). Das mag aber auch daran liegen, dass es generell eher ruhig bleibt, wir sind eben noch ein kleines Nischending, da muss man die Hater auch mal in Eigeninitiative stellen. Vernünftige Kommentare fallen in der Regel zwischen erfreut und begeistert. Das ist doch schon fast so gut wie Bezahlung.

Was sind die weiteren Pläne für das Format bzw. die Webseite? Eventuell Druck?
 
Ich rüttel mal am Wortspielbaum: Druck ist mir zuviel Druck. Eigentlich haben wir ja sogar Printversionen, jeweils genau eine pro Ausgabe, die stehen als schöne Erinnerung in meinem Regal. Sowas kann man aber nicht umsonst anbieten und Geld zu verlangen ist mir momentan zu viel Stress. Preisschilder bringen sofort eine andere Erwartungshaltung, was Inhalte und Qualität angeht, da würden mir die paar durchgeschlüpften Tippfehler noch viel mehr schlaflose Nächte bereiten. Außerdem ist nicht gerade klar, wo Profit in unseren anarchischen Hierarchiestrukturen hinfließen sollte.
 
Professionalität wird sich bei uns fürs Erste auf den Inhalt beschränken, was in naher Zukunft vor allem den Ausbau der Seite und die Entschlackung des eigentlichen Magazins bedeutet. Unser Designer geht im Herbst für ein Masterstudium und eine Assistentenstelle zurück an die Uni, also schwankt das pdf-Format gerade, aber wir hoffen noch, dass sich das durch Reduktion und bessere Fristeinhaltung meinerseits ausgleichen lässt. Zum Ausgleich möchte ich ja am liebsten noch viel mehr Inhalte auf der Seite bringen und da sich die werte Autorenschaft nicht beliebig schinden lässt, ist mir auch deren Aufstockung mit frischem Blut ein Anliegen (hint, hint). Und die Diversifizierung natürlich, so ein reiner Männerverein ist ja wirklich nicht mehr zeitgemäß.
 

Als "foreign correspondent" für Critical Distance hast du einen Überblick über den Stand des deutschen Gamesjournalismus im Web. Was fehlt deiner Meinung nach? Was sind die Stärken? Braucht es einen eigenen deutschen Gamesjournalismus oder wird der englische notgedrungen immer dominant bleiben?

Ich würde nicht behaupten da einen echten Überblick zu haben. Was ich habe, ist eine ellenlange Bookmarkliste, bei deren Aufruf stöhnt Firefox erstmal ein paar Sekunden bevor reihenweise Tabs auf meinen Bildschirm explodieren. Ich gehe dennoch davon aus, dass meine Blogzählung noch unvollständig ist, oder sagen wir: Ich würde gerne glauben, dass ich das Beste einfach noch nicht gefunden habe. Wenn es das denn schon gewesen sein soll, fällt mein Fazit nämlich eher kritisch aus: Viel Mist, wenig Brauchbares.

Das heißt bei meinen Standards natürlich vor allem: Viel Oberflächliches, wenig Reflektierteres, Tieferes. Viel Amateurservicejournalismus und -kritiken gibt es bei uns, auch viel Nostalgie und "Humor", meist mies, inhaltsleeres Wutbürgertum und Aufregerei. Wenig geht über die Frage, was man denn gerade spielen muss, hinaus. Soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Themen, mit denen Spiele als Kreativindustrie mit reger Fangemeinde untrennbar verknüpft sind, werden selten behandelt. Wenn überhaupt, dann oft in Antwort auf englische Quellen, jüngstes Beispiel: Anita Sarkeesian. Ihre Kampagne und Videos haben Sexismus und Geschlechterklischees auch bei uns wieder stärker ins Gespräch gebracht. Feminismus bleibt da aber meist das Höchste der Gefühle, einen Diskurs zu Heteronormativität, Transgender oder sonstigen LGBT Themen gibt es bei uns eigentlich nicht, Rassismus, Kapitalismuskritik und die Politisierung von Spielen sind ebenso verwaiste Bereiche. Wenigstens meiner Perspektive nach, ich lasse mich aber mit dem größten Vergnügen korrigieren, falls noch jemand Linkvorschläge hat. Bitte Leute, schickt mir eure Texte!
 
Natürlich ist auch hierzulande nicht alles schlecht. Superlevel finde ich etwa durchgehend großartig, da werden heikle Themen in Eigeninitiative mutig und klug abgehandelt, und mir geht das Herz auf. 99 Leben mag ich auch. Aber sonst? Polyneux bietet hauptsächlich Kritik, mit der ich noch dazu selten übereinstimme. Pixelpunsch wirkt ja interessant, aber bei diesen kurzen Texten habe ich leider immer den Eindruck, es ist vorbei, bevor es richtig angefangen hat. Über Polygamia und Shodan News hab ich schon gar nichts Nettes mehr zu sagen.
 
Deutschen Spielejournalismus gibt es aus demselben Grund, aus dem es bei uns lokalisierte Spiele gibt. Natürlich ist der englische Markt im Vergleich wesentlich größer und wird auch immer größer bleiben, es gibt auch genug Leute hier die, wie ich, lieber Originalversionen spielen. Aber man darf auch nicht vergessen, dass noch immer nicht jeder des Englischen uneingeschränkt mächtig ist. Und den Sinn eines Punkt-für-Punkt-Tests auf IGN zu erfassen, ist da auch noch eine andere Kategorie, als Kill Screen mit Vergnügen lesen zu können. Als Linguist will ich ungern so einen reduzierten Kommentar zu Sprachpolitik abgegen, aber ich halte deutschen Spielejournalismus schon für notwendig. Wenn er sich jetzt noch etwas von dem Testcharakter entfernen könnte ...
 
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Du bzw. die Haywire-Autoren wechseln zwischen sehr analytischen und sehr intimen Zugängen à la Jenn Frank - eine immer noch recht gewagte Mischung im technisch dominierten Feld. Wer ist das Publikum? Schreiben wir mit diesen Experimenten, wie ich des Öfteren befürchte, möglicherweise nur für uns selbst?
 
Nachdem sich Haywire zurzeit nicht finanzieren muss, kann ich zum Markt für anspruchsvolle Gamesliteratur eigentlich wenig sagen, außer, dass ich offenbar reger Konsument derselben bin. Bei uns ist der schwankende Stil auch eher der breiten Autorenschaft und meinen lockeren Vorgaben geschuldet. Natürlich basiert auch das auf Überlegung: Mir gefällt die Fusion von Privatem und Analytischem, weil Vertrauliches immer auch die Ansichten der betreffenden Person verrät, ebenso wie Analytisches immer im Subjektiven, Persönlichem wurzelt. Privates ist politisch, und Politisches auch privat.
 
Ich gehe nicht davon aus mit so einem Ansatz irgendeinen Massenmarkt zu bedienen, aber auch für so verkopften Unfug gibt es Abnehmer, das beweisen Unwinnable auf der persönlichen und Kill Screen auf der analytischen Seite. Oder Five out of Ten. Und bei uns gibt es ja auch alle heilige Zeiten die WASD.
 
Abschließend: Was sind die Ziele für Haywire? Anders gefragt: Wo soll das alles nur hinführen?!?
 
Das vordergründigste Ziel ist natürlich, möglichst viel guten Inhalt zu produzieren. Sollte uns das tatsächlich mit entsprechender Frequenz gelingen, untergräbt man mit Gratistexten natürlich auch irgendwie die Existenz des eigenen Markts. Irgendwie muss sich der analytische Tümpel, in dem wir mitmischen, eben auch erhalten.
 
Zur Finanzierung von Qualitätsjournalismus hab ich dann aber eben auch noch ein paar elitäre Ansichten: Erstens, Werbung ist scheiße. Die nervt Leser und stellt Magazine indirekt auf die Lohnliste der Industrie, die sie eigentlich kritisch überwachen sollten. Das ist kein unausgleichbarer Interessenkonflikt, aber nach meinem Verständnis sollte man sich lieber ausschließlich der eigenen Leserschaft verpflichten (Ich mache mich ja an anderer Stelle gern mal über das geflügelte Wort Servicejournalismus lustig, aber auch diese Art langer Interpretation ist Service für Leser, die ihre eigene Ansicht um wohlgeformte Meinungen ergänzt wissen wollen). Was dann aber auch heißt, dass man sie irgendwie davon überzeugen muss, das Ganze zu bezahlen.

Dabei mag ich aber zweitens auch Paywalls nicht. Bei Kill Screen und Five out of Ten lasse ich mir es noch gefallen, weil das gebotene Produkt sein Geld stets wert ist, in der Regel bevorzuge ich aber, ganz verträumter Idealist, freiwillige Modelle. Etwa den Endless Telethon von Unwinnable, oder auch die Subscriptions bei Rock, Paper, Shotgun, wenn sie denn noch auf die Werbung verzichten könnten (aber dafür machen das wohl nicht genug). Auch den Crowdfundingversuch von Reactionzine finde ich ungemein spannend. Hoch gesteckte Ziele, hoffentlich wird das was. Oder Artikel online frei zu veröffentlichen und daneben optional Sammlungen der besten Werke als pdf oder Print Versionen anzubieten. Das wäre ein Modell, das ich mir persönlich vorstellen könnte.

Irgendwann in weiter Zukunft, wenn ich dann mit meinen beiden Studien fertig bin, möchte ich ja auch gern fürs Schreiben bezahlt werden. Das bedeutet wahrscheinlich erstmal irgendeine Art Brotberuf, aber je mehr Geld dann beim Spielejournalismus rausschaut, desto mehr Zeit kann ich ihm widmen. Ich sehe da zwei Möglichkeiten: Entweder ich überlege mir irgendein Finanzierungsystem und Haywire selbst wird zur hochoffiziellen, professionellen Wortschmiede, oder eben der Internetruhm katapultiert mich zu einer der anderen Publikationen, die es da so gibt. Option zwei klingt fast verlockender, mal abgesehen davon, dass ich mir dann nicht selbst den ganzen Stress der Verwaltung antun muss, gefällt mir auch die Idee, Haywire als freie Amateurplatform zu hinterlassen. Eine Art Ausbildungstätte für aufstrebende Kritiker, mit ständig wechselnder, junger Besetzung. Vorausgesetzt, ich finde jemanden der im Fall der Fälle meinen Posten übernehmen will, und ich werde dann CEO von Superlevel Inc., mittlerweile eine Zweigstelle von EA. Oder so.

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