Hinter der Hölle
Anfang der 1990er war Revolution. Die ersten First Person Shooter haben uns nicht nur technisch und spielerisch überwältigt, sondern auch eine erste Kostprobe davon geliefert, was es heißt, hinter ein Spiel zu blicken und es selbst zu gestalten. Davor gab es nur die unaufregende Wahl zwischem dem Abtippen von Programmcodes dröger Games aus Computermagazinen oder stark eingeschränkten Leveldeditoren im Stile von Pinball Construction Kit. Doch mit Wolfenstein 3D war 1992 eine völlig neue Perspektive geboren. Die Egoansicht alleine war ja schon ziemlich aufregend, und dann hat sich alles auch noch unglaublich schnell bewegt! Dass das riesige Nazi-Verlies aus rein rechtwinkeligen Kanten und die Feinde aus pixeligen Bitmap-Animationen bestanden hatten, war erst mal nebensächlich. Die Dynamik sorgte für die Spannung. Daran hat sich bis heute wenig geändert, sowohl bei den Urvertretern des Genres als auch bei seinen neuesten Ausformungen.
Weil aber nun Perspektive und Geschwindigkeit die Magie der ersten Egoshooter-Welle ausgemacht haben, und nicht so sehr die Technik an sich, war es gar nicht so schwierig, als Spieler/in hinter die Kulissen zu blicken. Räume bauen und sie mit Monstern zu spicken war einfach. Ob sich das jeweilige Level dann auch aufregend spielte oder, wie in den meisten Fällen, doch eher langweilig oder überirdisch schwer ausgefallen war, stand zunächst gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Was zählte, war, dass sich Leveldesigner und Gamer auf gleicher Entwicklerebene begegnen konnten - freilich nicht gleich nach Veröffentlichung der kommerziellen Games, wohl aber wenige Jahre später, als sowohl inoffizielle als auch offizielle Leveleditoren erhältlich waren und schnell eine erste Flut an User Generated Content vorhanden war - noch lange bevor es den Begriff dazu gab.
Spielen, hacken, bauen
Bevor wir unsere eigenen Levels gestalten konnten, durften wir sie bereits hacken. Cheat-Codes, die üblicherweise nur via komplizierter Tastenkombinationen aktiviert werden konnten oder tief im Spiel vergraben waren und erst mühsam erspielt werden mussten, lagen bei Doom und Doom II verhältnismäßig leicht zugänglich am digitalen Tisch. Einer der besonders klingenden Codes für Doom II war "idclip", ein Befehl, nach dessen Eingabe man durch Wände gehen konnte. "No clipping mode" hieß das und machte uns eindringlich klar, wie so eine archaische 3D-Computerwelt gestrickt war. Nur dieser ein Befehl genügte, und wird durften das eigentliche Spiel und seinen Suspense mal sein lassen und stattdessen hinter die Kulissen blicken und sehen, wie diese Welten gebaut sind. "Idclip" war weit mehr als ein Code für Unsterblichkeit oder ein Waffen-Upgrade, wie man es aus anderen Games gewohnt war. Es war eine Einladung von den Entwicklern, mit ihren Augen zu sehen, und in weiterer Folge: mit ihren Werkzeugen diese Umgebung nicht nur zu erleben sondern auch zu designen.
Doch diese neue Freiheit hatte einen Haken. So, wie man einmal Gesehenes oder Gehörtes nicht mehr ungeschehen machen kann, war auch das Wissen über das Wesen der Welt von Doom ab sofort ewig in unser Gehirn eingebrannt. "Idclip" hatte uns gelehrt, dass all die grauenhaften Dämonen, die bizarr-albtraumhaften Gestalten und der ganze Höllen-Horror, den uns das Spiel bisher so viszeral und glaubhaft verkauft hatte, nun nichtig geworden waren. Die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit war ausgesetzt.
Die einsame Unendlichkeit des Loops
Wie konnte dieser Verlust des Spielerlebnisses nun kompensiert werden? Das Erstellen eigener Levels war eine gute Möglichkeit, doch das forderte ebensoviel Zeit wie Geschick ein und war somit ein Minderheitenprogramm. Die einfachste Lösung lag darin, die freigelegte Bühne in einer neuen, bis vor kurzem noch unmöglich gewesenen Weise zu erforschen. Mit voller Bewaffnung und Munition unsterblich durch die Wände rasen, Grenzen sprengen, Geheimnisse freilegen. Nichts und niemand war mehr eine Gefahr, alles in wenigen Sekunden erreichbar, kein Ende in Sicht. Das war die Lösung - schade nur, dass eine eine derartige Omnipotenz selten über eine lange Halbwertszeit verfügt. Die Ernüchterung über die klaren Grenzen der Welt von Doom, die mitunter einfallslos erstellten Levels und die oft bloß irgendwohin gepflanzten Gegner war einfach zu hoch.
Es blieb nur mehr die Flucht hinein ins Nichts, in die leere und unglaublich einsame Unendlichkeit des Loops hinter der Hölle. Immerhin hört es dort nie auf und die Hoffnung, dass uns in dieser Zwischenwelt doch noch etwas überrascht, kann nie komplett vom Tisch gewischt werden. Im digitalen Nirvana, hinter den Wänden von Doom, ist immer mehr und doch nichts. Hier wartet niemand auf uns, und ein Zurückgehen zu den flachen Bitmap-Monstern in der von Hand gebauten, endlichen Computerspielewelt würde nun auch keine Erleichterung mehr bringen.
Dieser Text ist ein Beitrag zu Zockwork Oranges "52 Games"-Projekt, in dem pro Woche ein Text zu einem bestimmten Thema zu einem frei wählbaren Spiel gefragt ist. Thema Woche 13: Einsamkeit..