Marketingblase Games: Der Hype schadet allen

Dieser Artikel erschien zuerst für den Standard

Es ist der größte PR-Zirkus der Branche: Wenn einmal im Jahr tausende Pressevertreter und Branchenmenschen nach LA zur größten digitalen Entertainmentmesse E3 strömen, schlägt die Stunde der Jahrmarktschreier. In bombastischen Shows werden kommende Spiele und Hardware präsentiert und Spielerinnen und Spieler global in Aufregung versetzt. Die E3 ist die große Bühne der Hochglanzabteilung eines Mediums, das längst zum weitaus größeren Teil abseits davon stattfindet. Nicht, dass sich die hier angekündigten AAA-Schlachtschiffe nicht verkaufen würden, doch in der täglich wachsenden Flut an Spielen auf allen möglichen Endgeräten sind die millionenschweren AAA-Konsolen- und PC-Titel längst zum Wasserkopf geraten. Wer die E3 als die Hauptbühne des Mediums Videospiele sieht, glaubt auch, dass "Transformers 3" stellvertretend fürs Medium Film stehen kann. Dass auch Independent-Produktionen hier auf die Bühne geholt werden, geht im medialen Dauerbombardement mit Riesentiteln da immer noch etwas unter.

Schon immer ist der Hype wesentlichster Bestandteil des Hochglanzmarketings der Branche. Kein großes AAA-Spiel kommt ohne sorgfältig choreografierte PR- und Marketingstrategie auf den Tisch, und so ist – polemisch formuliert – die E3 auch eigentlich keine Veranstaltung, bei der es um Spiele geht, sondern ums Marketing. Logisch: Die Spiele, die hier präsentiert werden, sind zum Teil noch Monate oder sogar Jahre von ihrer Fertigstellung entfernt. Jegliche Kritik an diesen Produkten ist somit von vornherein sinnlos und auch nicht vorgesehen. Es geht um Emotionen, genauer gesagt: um das Anstacheln von Vorfreude, Begeisterung und Hoffnung.

Wer die E3 als die Hauptbühne des Mediums Videospiele sieht, glaubt auch, dass "Transformers 3" stellvertretend fürs Medium Film stehen kann.

Die E3 ist somit der große Kickoff zum wohlbekannten Hype-Kreislauf : "Wow, dieser Trailer sieht fantastisch aus! Wird vorbestellt! Oh, das fertige Spiel hält nicht, was versprochen wurde? Nie wieder falle ich darauf herei … Moment mal, gerade wird der Nachfolger vorgestellt … Wow, dieser Trailer sieht fantastisch aus!" Wer jetzt abgeklärt meint, dass dieser Zyklus sich nicht endlos wiederholen ließe, sei auf die ganz großen Franchises der Branche, von "Assassin’s Creed" über "Call of Duty" bis hin zu bombastisch angekündigten, dann aber sang- und klanglos untergegangenen Möchtegernblockbustern wie "Evolve" oder "The Order: 1886" verwiesen.

Ein Problem dabei ist, dass Spielerinnen und Spieler, geblendet vom Trailer-Bling, sich zum Pre-Order-Kauf von Produkten hinreißen lassen, die nicht halten, was versprochen wurde; ein anderes, dass die mediale Großoffensive der millionenschweren AAA-Industrie einerseits über Gebühr Widerhall und Berichterstattung findet und andererseits, auch deshalb, das Bild des Mediums in der breiteren Öffentlichkeit geprägt wird. Die E3 ist eine Marketingshow für ein spezielles, nach wie vor sehr lukratives Mainstreamsegment der Spielerschaft, das eher durch Fortsetzungen funktionierender Erfolgsrezepte zu begeistern ist und sich dadurch auch als Mittelpunkt der Spielewelt bestätigt sieht.

Natürlich muss man sich als Journalist hier selbst an der Nase nehmen: Was an Artikeln über E3-Pressekonferenzen verfasst wird, hat sich, das liegt in der Natur der Veranstaltung sowie der aktuellen Branche, je nach Ausformung und Blattlinie mal mehr, mal weniger den Disclaimer "unbezahlte Werbeeinschaltung" verdient. Besonders Fachmedien geraten in Messezeiten zum fast kommentarlosen Sprachrohr der Games-PR. Dass dennoch kein Medium, das sich ernsthaft oder sogar nur oberflächlich mit Videospielen beschäftigt, auf Berichterstattung dazu verzichten kann, ist der cleveren Inszenierung und dem Showcharakter des choreografierten Hypes geschuldet. Für an Spielen interessierte Leserinnen und Leser steht vor allem in Berichten zum Hypezirkus E3 längst nicht ein im besten Fall objektiver Informationsgewinn im Zentrum, sondern das Erlebnis der Begeisterung. Enthusiasmus ist ein fantastisches Gefühl, und die bekanntlich schönste Freude ist die Vorfreude.

Für viele Spielerinnen und Spieler beginnt die Freude am Spiel bereits lange, lange vor Release: im Genießen des Trailers, im Sammeln all der "exklusiven" Informationshäppchen bis hin zu Previews, die wohldosiert in der Zeit zwischen Ankündigung und Release die Leserschaft erreichen. So gesehen ist es kein Wunder, dass Nachrichten von Verspätungen, wie jüngst beim heiß ersehnten "No Man’s Sky", bei einigen besonders Enthusiasmierten zu geradezu bizarren Überreaktionen führen. Diese enge, überaus emotionale Bindung an ein Produkt, das weltweit erst eine Handvoll Menschen tatsächlich gesehen haben, ist das Ergebnis dieser Symbiose aus ausgeklügelter PR und einem Journalismus, der sich, mal historisch, mal ökonomisch bedingt, allzu oft zum Gehilfen dieser Verkaufsstrategien macht - und einer Kundschaft, die Produkte und Hersteller nicht selten in Glaubenskriege verstrickt.

Nichts ist schneller vergessen als der Blockbuster, der gestern erschienen ist

So ist es kein Zufall, dass der absolute Großteil an Berichterstattung über Videospiele erfolgt, solange das Produkt noch nicht existiert. Schon immer waren PR-Artikel wie Trailer, "geleakte" oder "exklusive" Videos oder Informationen über die – mal ehrlich - ins Lächerliche wachsende Zahl von Special-Editions Thema des Special-Interest-Games-Journalismus; wenn dann der fühlbare Ewigkeiten herbeigesehnte Release endlich da ist, ist mit Veröffentlichung eines “Tests”, möglichst direkt am Tag des Erscheinens, abrupt Schluss mit dem Schreiben über das jeweilige Spiel. Nichts ist schneller vergessen als der Blockbuster, der gestern erschienen ist – da gibt es nur wenige Ausnahmen, darunter jene, die ihre Strategien auf Community-Bindung oder laufende Weiterentwicklung legen. Auch medial omnipräsente Spiele wie “The Division” verschwinden rapide von der Bildfläche und den Monitoren, sobald sie veröffentlicht wurden. Dann kommt aber meist ohnedies schon der nächste Hype.

Bis auf die Rezension ganz am Ende dieses Verwertungszyklus ist zumindest in der Special-Interest-Presse so gut wie jede Zeile zu kommenden großen AAA-Spielen Teil des PR-orchestrierten Hype-Kreislaufs. Und exakt die Rezension, diese letzte, wenn nicht "objektive", so zumindest nicht von Verkaufsdenken getragene Form des Schreibens über diese Spiele, ist besonders involvierter Spielerseite ein Dorn im Auge, wenn sie nicht gefällt: Wenn’s mal keine Morddrohungen sind, machen sich besonders gehypte Fans eben daran, Petitionen gegen schlechte Kritiken zu starten. Dass sich Publisher schützend vor Journalisten stellen, die wegen ihrer Kritiken bedroht werden, ist ein irritierendes Spezifikum des Mediums und direktes Resultat dieser Hype-Ökonomie.

Die unter anderen Voraussetzungen geführten Diskussionen um "ethics in game journalism” haben aus bekannten Gründen kaum an diesem Problem gekratzt. Dabei wäre es ganz zentral: Dass der von der Branche minutiös geplante Hype und die Freude an der eigenen Begeisterung ganz zentral als Teil des emotionalen Videospiel-Erlebnisses konsumiert und von der berichtenden Presse gefordert werden, führt das andererseits verlangte "objektive” Berichten über Spiele ad absurdum. Als journalistisches Medium dabei "nicht mitzumachen”, sprich: sich ausschließlich auf die Beurteilung des fertigen Produkts zu beschränken, würde aber die jeweiligen Medien wegen Leserschwunds all jener, die sich durch den Hype unterhalten lassen wollen, rasch in die Bedeutungslosigkeit führen - ein wirkliches Dilemma.

Die Opfer dieser verzwickten Abhängigkeitsverhältnisse sind daneben nicht nur die Spielerinnen und Spieler, die sich beides - medial vermittelte Freude an der Vorfreude und Objektivität - erwarten, sondern auch der ständig wachsende Pool an kleinen und mittelgroßen Spielen, die in den hochgehenden Wogen der multimedialen PR-Schlacht untergehen. Dabei begeistern auch Spiele ganz ohne PR-Budget und hochgekochten Hype-Zirkus vermehrt die Spielerinnen und Spieler. Das beweisen heute megaerfolgreiche Reihen wie “Dark Souls”, die ihre Wurzeln völlig außerhalb des Hypes als Geheimtipp begonnen haben, aktuelle Titel wie "Stardew Valley” oder auch der ohne großes Marketing höchst erfolgreiche Multiplayer-Hit "Rocket League”, der vor kurzem die 100-Millionen-Dollar-Grenze durchbrochen hat. "

Auch Spiele ganz ohne PR-Budget und hochgekochten Hype-Zirkus begeistern Spielerinnen und Spieler

Dass Electronic Arts auf der Hype-Bühne E3 übrigens publikumswirksam verkündet hat, "das nächste Rocket League” finden zu wollen, http://www.ign.com/articles/2016/06/15/e3-2016-how-ea-plans-to-discover-the-next-rocket-league entbehrt nicht einer gewissen Ironie: 2011, als die Macher des Indie-Spiels bei EA vorstellig wurden, war dem Publisher das rasante Raketenfußball nur ein Achselzucken wert gewesen.

Man sieht: Im Hype der eigenen Megafranchises verschwinden auch lukrative kleinere Titel sang- und klanglos. Vielleicht sollte man - im Interesse von Spielerinnen und Spielern, aber auch der Branche selbst - die Lautstärke wieder einmal etwas reduzieren und sich statt auf die immer hysterischer werdende Produktion kreischender Vorfreude aufs Wesentliche konzentrieren: gute Spielideen umzusetzen und das emotionale Verhältnis, das Spielerinnen und Spieler ihrem Medium in außerordentlichen Ausmaß entgegenbringen, nicht nur von einem Hype zum nächsten zu begleiten.

Denn letztlich hat die ewig erneuerte Vorfreude auf das revolutionäre Erlebnis, das einem für die Zukunft versprochen wird, auch einen Nachteil: Irgendwie erscheint einem das mit irgendwann ebenso großer Vorfreude erwartete Spiel, das man soeben in die Hand bekommen hat, nur als unzureichender Ersatz für all die uneingelösten Versprechen der Zukunft.

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