Mythen, Monster, Mashups: Darksiders II

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Ein Mythos, so erinnert uns Wikipedia, ist eine Erzählung, mit der Menschen und Kulturen ihr Welt- und Selbstverständnis zum Ausdruck bringen. Im traditionellen religiösen Mythos wird durch ihn das Dasein der Menschen mit der Welt der Götter verknüpft. Das ganz Große, Welterklärende, Existenzielle also ist hier Thema und schon in der Wahl seines Settings zeigt Vigil Games' Action-Adventure Darksiders 2, dass man sich hier mit Kleinkram nicht abgeben mag. Big is beautiful, mehr ist mehr und Tiefstapeln ist was für Schwächlinge: Während man in anderen Fantasy-Spielen als mickriger Mensch gegen lächerliche Könige oder Orks zu Felde kleckert, klotzt hier ein leibhaftiger Reiter der Apokalypse, der personifizierte Tod, als Hauptfigur im Kampf gegen das universell Böse, gern in der Gestalt von hochhausgroßen Giganten. In dieser wild aus christlicher, apokrypher und Popmythologie zusammengeklauten epischen Saga um das Schicksal der Menschheit gilt: Size matters.

Das ist das Schöne an Spielwelten: Dem Bombast sind nach oben kaum Grenzen gesetzt. Doch nur selten spürt man die Lust am Wow-Effekt, an der Überwältigung des Spielers durch schiere Größe und selbstbewusstes Übertrumpfen der Erwartungshaltungen wie hier: Alles ist riesenhaft in dieser mit Liebe zum Detail entwickelten Dark-Fantasy-Welt - ein Bloggerkollege nennt das Ganze treffend "Heavy Metal Zelda" - und schon die Spielerfigur selbst ist ein prototypischer düsterer Hüne, der Waffen schwingt, die wieder einmal größer sind als er selbst. Wie Vigil Games im Verlauf des beachtlich umfangreichen Abenteuers diesen Riesen zur kleinsten Ameise im Reich der zyklopischen Ruinen und gigantischen Monster werden lässt, ist schon für sich selbst eine Attraktion.

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Das Pathos der letztlich belanglosen Story passt zum epischen Grundton des Ganzen, doch auch der ist wie im Vorgänger sowieso dem Gameplay untergeordnet: Als grimmiger Tod reiten und laufen wir sensenschwingend durch Gegnerhorden, erforschen beeindruckende Dungeons samt überdurchschnittlich gut designten, logisch herausfordernden Puzzles, erklettern akrobatisch düstere Ruinen, verwalten RPG-typisch Inventar und Charakterskills und stehen staunend vor hausgroßen Monstern, die wir in den zahllosen Bosskämpfen zum Teil erst erklettern müssen, um sie zu Fall zu bringen.
 
Das ist das Schöne an Spielwelten: Dem Bombast sind nach oben kaum Grenzen gesetzt
Klingt irgendwie vertraut? Mit gutem Grund: Es mag zwar nicht originell sein, verwandte Spiele zur Beschreibung herzunehmen, doch im Fall von Darksiders 2 ist es unvermeidlich. Von Zelda über Metroid Prime, Ratchet & Clank und God of War, von Legacy of Kain über Rune bis hin zu Prince of Persia, Shadow of the Colossus, Diablo 3 und, jawohl, sogar Portal spannt sich der Referenzbogen. So gut wie hier wird allerdings selten geklaut, und auch wenn Darksiders 2 als Mashup all dieser zu Recht geliebten Games-Legenden nicht deren Ausnahmestatus erreichen kann, verbaut es diese Elemente doch mit so viel Stil, Intelligenz und Selbstbewusstsein, dass es fast als Best of der Action-Adventure-Geschichte durchgehen kann.
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Mehr noch: In einer Zeit, in der große Titel wie RAGE an Featuritis bis zur Sinnlosigkeit laborieren, schafft es Darksiders 2 trotz aller Zitate wie ein handfestes, eigenständiges Stück "klassisches" Spiel zu funktionieren; die Kämpfe sind zu gleichen Teilen fordernd wie entspannende Machtdemonstrationen, die Sprungeinlagen verlangen zwar unsere Aufmerksamkeit, frustrieren aber nie durch außergewöhnliche Präzisionsansprüche und die Puzzles fordern unsere Kombinationsgabe gerade so weit, dass wir uns tatsächlich mit logischem Denken statt sturem Ausprobieren oder Nachschlagen in Walkthroughs daran erfreuen können. Darksiders 2 schafft es, konstant Spaß zu machen und zugleich angenehm herausfordernd zu sein - es ist ein Action-Adventure, das alle Tugenden seines Genres auf Hochglanz und mit vollendeter Handwerkskunst ausstellt und viele Ärgernisse vermeidet.  Das mag manche Genreveteranen, die ihre Spielehelden in- und auswendig kennen und auf Neues hoffen, langweilen, doch alle anderen werden dieses Manko angesichts der Qualität, aber auch der schieren Fülle des Gebotenen leicht verschmerzen können: Mindestens 20 Stunden hochklassiger Spielspaß mit nur sehr wenig Leerlauf bekommt man heutzutage nicht allzu oft geboten.

Als derartig perfektioniertes Spielerlebnis steht Darksiders 2, so könnte man es bildlich umschreiben, aber auch irgendwie am Ende eines Weges: Hier ist das Genre des Action-Adventures auf einem beeindruckenden Gipfel angelangt, von dem es zufrieden, aber auch erschöpft auf den zurückgelegten Weg herabblicken kann. Bahnbrechend Neues gibt es in diesem perfekten und überraschend umfangreichen Remix aus Erforschen, Kampf und Rätseln nicht, auch wenn das dem Spielspaß keinen Abbruch tut. Darksiders 2 ist ein Spiel aus der Spätphase einer Konsolengeneration wie auch eines Genres, in dem mit viel Liebe und auch technischer Präzision, aber wenig Innovationsgeist an bewährten Erfolgsrezepten bis hin zur Perfektion gefeilt wird. Auf diesem speziellen Weg geht es wohl nicht noch höher hinauf; andere Berge gäbe es aber noch zur Genüge.

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Denn wie gesagt: Big is beautiful, und dem Reiz der charmanten Perfektion in XXX-Large erliegt man als Spieler auch gern. Denn Darksiders 2 erinnert uns irgendwie nicht nur an das Beste der Games-Geschichte, sondern, in seinem Spiel mit Größe und Kleinheit, auch an die goldenen Zeiten der Kindheit, als wir auf Händen und Knien mit unserer Lieblings-Actionfigur ganze Nachmittage lang riesige Sofaburgen erkletterten.

Und das ist durchaus als Kompliment zu verstehen: Erwachsener als der 25. sauertöpfisch-grimmige Military-Shooter ist das bunt-bombastische Fantasyspektakel als perfekter, unschuldiger, aber dafür bis zur Perfektion verfeinerter Eskapismus allemal.

Dieses Review erschien in einer leicht gekürzten Version zuerst für fm4.

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