Natur: UnReal World

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Das ist ein Beitrag zu Zockwork Oranges "52 Games"-Projekt, in dem pro Woche ein Text zu einem bestimmten Thema zu einem frei wählbaren Spiel gefragt ist. Thema Woche 3: Natur

Es gibt da wohl ein kleines Missverständnis, was Natur angeht. Viele Menschen - mit Vorliebe jene, die in ihren beheizten Wohnungen vor einem Flatscreen sitzen und Mikrowellengerichte verspeisen - haben ja die fixe Wahnidee, Natur sei etwas Schönes, etwas Friedliches. Sie radeln am Wochenende enthusiastisch mit ihren Mountainbikes durch bewaldete Naherholungsgebiete, überschlagen sich vor Freude, wenn sie einen Apfel vom Baum pflücken oder ein Reh aus der Ferne beobachten können und bekommen feuchte Augen, wenn sie Naturdokus mit Robbenbabys und Eisbärenjungen auf dem Discovery Channel sehen. In Wirklichkeit ist das alles ganz anders. Auch und besonders das mit den niedlichen Eisbären.

Es muss mal gesagt werden: Natur-Enthusiasten, ihr habt ja keine Ahnung. Die Natur ist ein furchterregender, lebensgefährlicher, gemeiner Ort, der dich umbringt, wenn du nicht aufpasst.

UnReal World zeigt uns das wahre Gesicht der Natur, das wir urbanen Digitalhedonisten in unserer unbegründeten Naturromantik gern verdrängen. Es ist ein Unikat: Grafisch und spielerisch ein Rogue-like, ist es im Kern eine Survival-Simulation, die in der finnischen Eisenzeit spielt. Und das Überleben in der finnischen Eisenzeit ist hart. Vor allem wegen der majestätischen, aber unbarmherzigen  skandinavischen Natur, in deren Tundren, Wäldern und Hochmooren man ums nackte Überleben kämpfen muss.  

Während man in weichgespülten Warmduscherspielen wie Skyrim ebenso unbekümmert wie unbekleidet durch hochalpines Gelände kaspern kann, ist man in UnReal World damit beschäftigt, sich aus Birkenrinde und Karibuhaut Kleidung gegen die Kälte zu nähen und Feuerholz zu sammeln. Während man in mädchenhaften Feelgood-Titeln wie Far Cry 2 mit "Aaahs" und "Ooohs" die Tierwelt der Savanne bewundert, ist man in UnReal World auf der verzweifelten Flucht vor mörderischen Bären oder baut mühevoll tödliche Speerfallen aus Holzstöckchen und Optimismus. Und von den Pilzen, die man als Mario traditionell auf gutgelaunten grünen Wiesen vor lachenden Wolken in sich reinstopft, will ich gar nicht erst anfangen: Nur so viel: Die einzigen Superkräfte, die man durch das Verspeisen unbekannter Pilze in UnReal World bekommt, haben mit blitzartiger Übelkeit, Halluzinationen oder bewundernswert schnellem Ableben zu tun.

In UnReal World steht man als einsamer Mensch vor dem riesigen, tödlichen und erbarmungslosen Schrecken der Natur. Und eins ist klar: Sie ist ein übermächtiger, grausamer Gegner, gegen den man auf lange Sicht nur verlieren kann. Irgendwo in diesem tödlichen Mechanismus aus Fressen und Gefressenwerden, aus Tod und Geburt, aus Sommer und Winter, ist sie dann wohl doch, die furchterregende, überwältigende Schönheit der Natur.

Man kann sie wohl erst wahrnehmen, wenn man ihr nicht mehr direkt ausgeliefert ist. 

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