not-Games: Why NOT games?

206"Dear Esther": Wenn's kein Game ist, was dann?

Mit dem Release und kommerziellen Erfolg des grandiosen Dear Esther (hier mein Review auf fm4) rückt ein Begriff ins Zentrum der Games-Kultur-Diskussionen, der problematisch ist: "not-Games", als Sammelbegriff für jene Titel, die die Konventionen des Mainstreams signifikant unterlaufen.

Auriea Harvey und Michaël Samyn, Gründer des belgischen Experimental-Games-Developers Tale of Tales, bekannt durch The Path und The Graveyard, haben diesen Begriff letztes Jahr für eine von ihnen kuratierte Nebenschau des Cologne Games Labs 2011 geprägt. Inzwischen wurde auch notgames.org gegründet, um derartigen Titeln ein Sammelbecken zu geben. Gemeint sind damit Spiele, die sich per Definition von dem abheben, was man gewöhnlich unter dem Begriff Games versteht: "not-Games" kommen dem Trailer der Ausstellung zufolge ohne Kampfelemente, ohne Ziele, ohne "Winning or Losing" aus - alles Elemente, die angeblich fester Bestandteil dessen sind, was gemeinhin unter Games verstanden wird. 

Pardon my French, aber: Bullshit. "not-Games" ist kein Konzept - es ist eine unangebrachte Resignation. Ein paar Gedanken zu einem fragwürdigen Selbstausschluss.

Es ist ja irgendwie nachvollziehbar: Der Mainstream des Mediums ist infantil, ideenlos, seicht und bescheuert. In Zeiten, in denen Modern Warfare XY alle Verkaufsrekorde bricht und Farmville die Einstiegsdroge ins Millionen bis dato unbekannte und suspekte Medium Games ist, ist es verführerisch, all dem den Rücken zuzuwenden und zu sagen: Games sind was für Idioten. Das tun viele, vor allem jene, die sich wegen dieses Vorurteils von Vornherein nicht damit beschäftigen wollen. Wenn sich allerdings Entwickler selbst von ihrem Feld abwenden und behaupten, außerhalb zu stehen, tun sie damit dem Rest des Mediums keinen Gefallen - nur ihrer Eitelkeit.

Es ist genau der falsche Weg, sich als Spielkultur-Interessierter mit einem rein negativ konnotierten Begriff wie "not-Games" von diesem Jammertal abzuwenden. Wenn man innovative Spielideen wie Dear Esther oder Tale of Tales' eigene Titel durch diesen Kampfbegriff dem restlichen Medium entreißt, zieht man sich unweigerlich in den präpotenten Elfenbeinturm der Beleidigten zurück und verleugnet zugleich das Innovationspotenzial einer lebendigen Kultur.

Wie fragil - und letztlich überflüssig - der Begriff tatsächlich ist, zeigt schon die Auswahl der Spiele für die Kölner Ausstellung. Es ist eine schöne Auswahl, zweifellos, die bemerkenswerte Erlebnisse bündelt, die tatsächlich abseits des Mainstreams sind. Aber ist zB Amnesia tatsächlich kein Spiel im herkömmlichen Sinne? Es gibt Gegner, es gibt eine Story, es fordert Orientierungssinn und Reflexe, es hat sogar Rätsel. Ebenso Trauma: Trotz seiner Ästhetik und zweifellos experimentellen Anmutung ist der Unterschied zu Games-Urgesteinen wie etwa Myst eher akademisch und graduell. Diese Titel mit in die Schau und den Begriff mit aufzunehmen, passt selbstverständlich ästhetisch, atmosphärisch und argumentativ ins Konzept; dass für dieses Konzept allerdings der trotzige und negative Begriff "not-Games" etabliert werden soll, ist zumindest fragwürdig.

Es gibt schon einige Ansätze, den innovativen Rand des wuchernden und lebendigen Mediums Games kritik- und vermarktungsgerecht in Schubladen einzuteilen: "Indie-Games" ist inzwischen zu allgemein und bezieht sich de facto nur auf die Produktionsweise und die Unabhängigkeit von der großen Industrie; "Arthouse Games" oder "Art Games" klingt Tale of Tales wohl zu verzopft und bringt einen Rattenschwanz an Definitionsgefechten mit sich, wie etwa den absolut entbehrlichen Dauerbrenner, ob Spiele überhaupt Kunst sein sollen/können/dürfen.

Der Ansatz, die innovativen Experimente - die im ersten Monat seines Bestehens so etwas wie Dauerthema auf Video Game Tourism geworden sind -  sozusagen per Definition vom traurigen Rest des Mainstreams abzuschneiden, ist aber kurzsichtig und haltlos: Wenn diese Spiele "not games" sind, was sind sie dann? Es sind interaktive Räume und Systeme, die zur Unterhaltung angelegt wurden - wenn man diese Mindestbeschreibung als universale Games-Definition gelten lässt (und ich wäre gespannt auf Gegenargumente!), dann löst sich der Kampfbegriff "not-Games" in heiße Luft auf.

207"Dear Esther" - not a not-game.

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notgames.org fasst sein Feld so zusammen:

"This is an exploration of what’s moving and enchanting and fascinating in software applications, videogames and procedural arts, beyond the amusement offered by obeying rules and receiving rewards."

Hierin steckt ein folgenschwerer Denkfehler: Regeln sind essenzieller Grundbestandteil jedes interaktiven Mediums; und die Rewards mögen sich nicht in Power-ups oder Highscore manifestieren, aber sie existieren: als Anreiz, zu forschen; als Freude an der Erfahrung.

Drum bitte: Dear Esther ist kein "not-Game". Amnesia ist kein "not-Game". Nicht einmal Tale of Tales' eigenes Experiment The Graveyard ist ein "not-Game". Gibt es sie überhaupt? Klar: Excel ist ein "not-Game". All die genannten Spiele aber sind Games; zum Glück für die Zukunft des Mediums, denn ohne sie wäre es schlecht um die Spielkultur bestellt.

Was manche gerne mt dem Hilflosigkeitslabel "not-Games" behängen, sind im Gegenteil die Vorboten dessen, was hoffentlich bald selbstverständlicher Bestandteil des Mediums Games sein wird: Spiele, die abseits aller Erwartungen und Konventionen etwas Neues ausprobieren. Ich fände es hilfreicher, wenn aus diesen Gründen dieser eitle, resignative und hilflose Kampfbegriff möglichst schnell aus dem Vokabular verschwinden würde.

Die Spiele aber, die bisher unter seinem Dach versammelt wurden, werden Bestand haben. Sie brauchen dieses Etikett nicht.

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Kommentare

Ich stimme zu, dass hier Abgrenzung praktiziert wird, die vermutlich mehr Schlechtes als Gutes bringt. (Ich frage mich im Übrigen auch gerade, ob die Strategie, sich in einem performativen Akt auszuschliessen vom Medium, in dem man tätig ist, üblich ist für Avantgarde-Bewegungen – oder ob man in anderen Medien/Künsten im Gegenteil weise genug war, den Protest von innen heraus zu üben, die Grenzen Definition der des Mediums in Frage zu stellen, statt sich direkt selbst ausserhalb derselben zu positionieren. Kunsthistoriker? Weiss da jemand mehr?)

Die Gründe dahinter möchte  ich aber nicht eindeutig benennen. Es ist vermutlich eine unheilige Allianz von übersensiblem Distinktionsverhalten – wo dann die Eitelkeit mit hineinspielen könnte – und einigen halbverdauten Überresten aus der Frühzeit der Theoriebildung.

In ihrer Begründung sprechen sie ja nicht nur über Regeln (das ist der Teil, mit dem sie, wenn ich mich richtig erinnere, noch am wenigsten Mühe hätten).  Da steht ja auch was von „amusement“, und dann wird auch klar, dass da der alte Huizinga schwer über den Köpfen hängt mit seiner leicht verkürzbaren Vorstellung, dass Spiele "ihr Ziel ins sich selber haben", "Freude bereiten", und vom "Alltag geschieden" sind, resp. sein müssen: Wenn du dich, wie die Tale of Tales-Leute das ohne Zweifel tun, als ernsthafter Künstler siehst, hast du damit nun mal ein Problem: Du willst ja nicht Freude bereiten (insofern erachte ich auch deine Definition als problematisch: „Unterhaltung“ ist ein Wort, mit dem sich viele Künstler schwer tun), und du willst verdammt noch mal nicht vor den Grenzen des Alltags Halt machen, sondern eben genau bis in diesen hineinwirken.

 Und, weil du es so gewollt hast: In ihrer leider sehr fahrigen Art (die vielleicht grösste Schwäche von Tale of Tales ist ja, dass sie gerne Theorie machen würden, aber darin nicht gut genug sind für die umstürzlerischen Ambitionen, die sie hegen) machen sie ja auch klar, dass sie sich schwer tun mit Bestandteilen der Game-Definition, die du in deiner Mindestdefinition aussparst. (Abgesehen vom Punkt der Unterhaltung würden sie die, denke ich, sogar unterschreiben.)

Aber sie erwähnen ja zum Beispiel auch die Sache mit de mwinning or losing, wo auch noch mal eine wirkmächtige Theorie reinspielt – nämlich Salen/Zimmermans Votum, dass Spiele ein "quantifiable outcome" haben müssen, eine Vorstellung, mit der ich bis heute hadere. Weil, entweder fasst man dies weit genug, dass darunter auch das „quantifizierbare Ergebnis“ von Spielen wie The Graveyard fassbar wird – doch dann ist es eine triviale Unterscheidung: Wenn das Erreichen des Endes der Narration als quantifizierbares  Ergebnis genüg, dann gerät man ungeheuer schnell in die Bredouille von wegen Abgrenzung zu anderen Medien. Wenn man es aber enger fasst, öffnet man die Türe Richtung Gameification (und die will, sind wir ehrlich, niemand in der Bude haben).

Lange Rede, kurzer Sinn:

Einverstanden damit, dass „Not-Game“ ein Un-Wort ist und dass die kategorische Abgrenzung zum eigenen Medium im Mindesten ein Bärendienst, im Äussersten ein Akt der Feigheit (oder verfehlter Eitelkeit) ist. Und einverstanden damit, dass die Wahl der ausgestellten Spiele inkonsequent und bizarr war.

Einige Vorbehalte aber gegenüber der Motivation, die du dahinter siehst… es gibt gute Gründe, sich gegen einige der skrotumeinschnürendsten Definitionen von „Spiel“ zu wehren. (Es ist bedauerlich, dass die eine Beschäftigung mit Spielen in den 30er-Jahren, die man so landläufig in der Game-Szene kennt, die von Huizinga und nicht die von Wittgenstein ist. Ich meine, W.s Ansichten sind furchtbar, unbefriedigend und unpraktisch offen – aber auf die Geschlechtsteile hatten sie es nie abgesehen.)

Aber trotz guter Gründe ist es eine schlechte Strategie: Für die Ausweitung der alten Worthülsen! Gegen die Einführung von neuen!  Unter den Pflastern der Strand!

Oder so. Das war jetzt lang. Sorry.

Früher hieß sowas Adventure oder IF...

Für mich steht der Begriff nicht für Abgrenzung, sondern erstmal nur für die Ansage, dass es da noch mehr gibt als Punkte, Rankings und Achievements. Niemand will sich aus Eitelkeit abgrenzen. Aber es braucht auch einen Begriff der Menschen erreicht die eben wegen des vorgeprägten Begriff des "Spielens", schon all die Bilder im Kopf haben, die zeitgleich zur Gamescom vor der eignen Tür, nur Cosplayern und Battlefield-Hobby-Soldaten im Fernsehen zeigt.

Das Medium verfestigt sich, wenn es viele unterschiedliche Interessensgruppen erreicht. Das sind für mich nicht nur die Gamer die es schon immer waren und damit aufgewachsen sind, sondern alle die Freude an interaktiven Medien haben. Ja, auch Farmville-Muttis. Bevor man über Not-Games urteilt, könnte man eher die Frage stellen ob die Cow-Clicker Zocks überhaupt in die Rubrik der Spiele gehören. Ich finde es wichtig, dass sich mehr kunstinteressierte für das Thema begeistern lassen.

Das mehrfach als Kampfbegriff zu bezeichnen, lässt die Frage offen, warum es dich so angreift? Der Selbstausschluss ist keiner - man muss es nur verstehen. Zum Glück muss der Wurm immer noch dem Fisch und nicht dem Angler schmecken, daher finde ich den Artikel, trotz der negativen Interpretation, sehr spannend.


 

Die Frage, warum mich persönlich der Begriff so irritiert, lässt sich leicht beantworten: Ich finde die unter dem Label "not-Games" versammelten Experimente so spannend und richtungweisend, dass ich sie mir nicht per Definition aus dem Rest des Mediums rausschießen lassen will. Für mich zeugt es auch von einem mangelnden Vertrauen in Games allgemein, wenn behauptet wird, dass sich die innovativsten Ideen allein wegen ihrer Innovationen bereits außerhalb des Mediums befinden. Ich gebe zu bedenken: Auch William S. Burroughs' experimentelles "Naked Lunch" nannte sich selbstbewusst im Untertitel "A novel", und Andy Warhols 8-Stunden-Experiment "Empire" wurde ganz  selbstverständlich als "Film" bezeichnet.

Innovation muss innerhalb des Mediums stattfinden. Wenn per Definition alles, was dem Mainstream zuwiderläuft, sich nicht mehr zum Medium rechnen lassen will, schadet das beiden Seiten. Schon klar, dass die Bezeichnung nur ein Marketinginstrument ist; ein anderer Name hätte hier allerdings mehr Zutrauen bedeutet, und ich müsste mich nicht aufregen. ;-)

Im besten Fall treibt die Avantgarde auch den Mainstream voran. Zu sagen, der Mainstream ist so übel, dass ich schon vom Namen her nichts damit zu tun haben will, ist meiner Meinung nach halt eine fragwürdige Strategie. Vor allem auch, weil dieser Mainstream halt auch durchaus fantastische, erwachsene und auch innovative Titel hervorbringt - und nicht nur Schrott. Danke für Deinen Kommentar!

Ich schließe mich Rainers Meinung gänzlich an, dass hier gerade Freigeister wie ToT mehr zum Medium stehen müssten. Bin mir aber ebenfalls sicher, dass es ein Eingemeindungskonzept ist, weil z.B. interaktive Kunst und jede Form der digitalen Kunst bzw. deren Proponenten sich, plump gesagt, zu gut dafür sind, sich für Games-Kultur und ihr Potenzial zu interessieren. Dann gibt es aber bestimmt auch viele potentiell interessierte Menschen, die einfach nicht ahnen, was via Games möglich ist. Wenn die durch das Label Not-Games herangeführt werden, hat diese "Bewegung" ihre Rechtfertigung. Ich fürchte aber, dass die Sache so neutral nicht sein wird, Abgrenzung und Naserümpfen sind wohl leider mit im Paket.

Danke für diesen Beitrag und die Diskussion hier.

Ich finde die Spiele, die unter dem Not-Games Label laufen, ebenfalls sehr ansprechend/spannend/wichtig und tue mich ebenfalls schwer mit dieser Abgrenzung. Allen voran Amnesia hat mich sehr stutzig gemacht beim Notgames-Festival.

Ich glaube, ich würde da Robert zustimmen, mit der Idee, dass Not-Games vor allem als Begriff existiert, um Menschen, für die Spiele bzw. aktuelle Spiele, immer noch ein sehr diffuses, schwer verständliches Konzept sind, an neue Spielarten (höhö) des Mediums heranzuführen.

Andersrrum gesagt: Ich empfinde den Begriff manchmal sogar ganz hilfreich. Wenn ich etwa für die ZEIT über Dear Esther schreibe, muss ich immer dazu sagen: "Da ist kein Kampf, da sind keine Rätsel, da ist keine Herausforderung, das ist trotzdem ein Spiel" und Not-Games ist ein Begriff, den man dann benutzen kann um zu zeigen: Dear Esther ist damit nicht allein. Es gibt auch andere Spiele, deren Zugehörigkeit zum Medium nicht bestritten wird, und die, zugegeben, schwammige Idee davon, was überhaupt Spiele/Videospiele sind, ausweiten (können).

 

Abgrenzung und Naserümpfen mal beiseite, einen negativen Effekt könnte der Begriff tatsächlich haben, wenn er als Genrebezeichnung laufen würde. Dann nämlich hätten wir eine ganze Reihe Spiele, die zu aller Erst abschrecken mit ihrer Abgrenzung. "Das sind gar keine richtigen Spiele, das sind Not-Games, die man erst mit einem Game Studies Hintergrund verstehen kann". Und das würde ich sehr schade finden. Ähnliches passiert im Moment ja auch mit dem Indiegames-Begriff, der bei aller Inklusivität, Erwartungshaltungen weckt und künstlich eine Szene konstruiert, die viele Spieleentwickler abschrecken könnte. Im Moment sehe ich das Label allerdings nur als loses Sammelbecken für Gamedesigner, die zum Teil Ansichten und Ideen mit ToT teilen.

Erstmal danke für die rege Diskussionsbeteiligung. WIe schon oben angemerkt, ist meine ablehnende Reaktion auf das Label eine aus dem Bauch heraus, und dafür ist wohl zuallererst die reine Namenswahl verantwortlich. Christof hat (ganz oben) mal die Frage in den Raum gestellt, ob diese Abwendung vom Medium nicht in der Kunstgeschichte Vorgänger hat, und ein Freund hat mir kürzlich ein Beispiel geliefert: Punk hätte sich in seinen formativen Jahren dezidiert als "Nichtmusik" verstanden (citation needed!), und ich hab das seit 1998 existente Festival "This is not Art" anzubieten. Im Fall von Punk sehe ich das konträr zu not-Games, allein von der Attitüde her: Punk sieht sich als anarchische, kreativ zerstörerische und nihilistische Bewegung; da gehört das aggressive Niederreißen sozusagen fix zum Programm.

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Im Gegensatz dazu zeigt sich im Rest der Kunstgeschichte wiederum eher das Problematische am "not-Games"-Begriff: Alle großen Radikalen der Kunstgeschichte, exemplarisch Marcel Duchamp, haben ihr Medium im Gegenteil dadurch erweitert, dass sie trotzig auf die Berechtigung ihrer Arbeit im Kunstkontext bestanden haben. Das berühmteste Beispiel ist wohl Duchamps "Plastik" Fontaine, ein umgedrehtes Urinal, das er als Provokation mit der puren Behauptung des Kunstanspruchs fix in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts verankert hat.

Mir wird beim Nachdenken über meine Ablehnung des Begriffs "not-Games" jetzt auch klar, woher mein Unbehagen kommt: "Das ist doch keine Kunst", "Das ist doch keine Musik", "Das kann mein Kind auch" - das sind dieselben öden, konservativen und bremsenden Ansagen, mit denen sich jedes Medium gegen innovative Erweiterungen zu wehren versucht. Der Unterschied zu "not-Games": Im Rest der Kunst hatten die Innovatoren die Eier, stehenzubleiben und zu sagen: "Doch, genau DAS ist auch Kunst."

Dieselben Abwehrreflexe kommen jetzt in Bezug auf "Dear Esther" ohnehin aus diversen Ecken, in denen der Games-Mainstream zuhause ist - weniger in den Texten, aber eher in den Kommentaren (die Anwesenden mal ausgenommen, logo): "Das ist doch gar kein Spiel mehr", "Da schau ich mir gleich das YouTube-Video an" etc.

Die seltsame Pointe ist nun, dass der Begriff "not-Games" von ToT offensichtlich auch als a-priori-Abwehr auf diese Diskussion geprägt wurde - mir kommt es halt nur als wenig durchdacht vor, hier selbst diese Abgrenzung zu antizipieren und willkommen zu heißen. Ich glaube, Robert hat Recht, wenn er meint, dass damit die Kunstbande angesprochen werden soll, sich zu Games herabzulassen und sie so - quasi über den Weg der Selbstverleugnung - mit ins Medium zu holen. A la: "Ich mach doch keine Games, sondern not-Games!" 

Das belegt aber eigentlich auch nur meine Ansage, dass dieser Zugang das Innovationspotenzial einer der lebendigsten Kunstformen unserer Zeit verleugnet und sich kurzsichtig in den Elfenbeinturm setzt.

Übrigens: Ich hätte eigentlich darauf gewartet, dass jemand meine Ansage, Excel sei ein not-Game in der Luft zerreißt. ;-)

 

Der Beitrag fasst treffsicher die zarte Beklemmung zusammen, die ich bei der ToT-Diskussion am Indiegame-Summit der Kölner GDC erlebt habe. Interessant finde ich die Duchamp-Referenz; auch ich hatte angesichts der von den "not-game" Proponenten vorgebrachten Argumenten damals so eine Art déjà vu und dachte: das gibt's ja nicht, da wird das Kulturkampf-Rad neu erfunden! Die Notwendigkeit für Labels, wie oben schon auf den Punkt gebracht, ist ja in ihrem Bestreben nach einer exklusiven Definition immer auch etwas Totalisierendes und damit Elitäres. Ich hatte in der Diskussion den Eindruck, ToT sehnt sich fast nach so einem exklusiven Standing, so nach dem Motto: lieber präpotent im Elfenbeinturm (far far away) als mit der dummen Masse untergehen. So eine Position ist ja nicht neu, sowas gab es bereits im England der 1860er, als zB. Matthew Arnold "culture" von den populärkulturellen Forderungen einer verrohten und ästhetisch unzurechnungsfähigen Masse ("anarchy") abgrenzen wollte. Das wirklich Anstrengende an dieser "not-game"-Bewegung ist, dass - trotz der Berufung auf die Nötigkeit von Arnoldischer "culture" offenbar kein kulturelles Geschichtsbewusstsein für diese Position herrscht.  Ein Blick in die Vergangenheit elitärer Medienphilosophie würde genügen um zu erkennen, dass sich die Bemühung, den kulturellen Wert von Artefakten, Praktiken & Phänomenen festzuschreiben gleich ad absurdum führt: man kritisiert den Mainstream indem man seine Strukturen (festschreiben, definieren, ausschließen) nachahmt? Autsch.

OK, Robert schreibt es, es mag ebendieses Autsch sein, das bei anderen inspirierende Wirkung haben könnte: auch ich krieg eine Wut und möcht den ganzen Tag Spiele machen, die diesem schwindlichen "not-games"-Standard entsprechen, aber - HAHA - ich bezeichne sie als echte Spiele und schmettere ToT-e Vereinnahmungsversuche furios ab! Aus jahrelanger Uni-Erfahrung speist sich der Verdacht, dass die Wut anderen Inspirationsquellen wie Freude und Gelassenheit sowieso vorzuziehen ist. Wenn der Elitarismus von den "eigenen" Reihen unserer geliebten Indiegames Besitz ergreift (damit meine ich jetzt nicht die ökonomische "indie"-Definition, sondern die Boyereske Hippie-Ästhetik-Definition), dann gibt es fast keine andere Wahl als das Lichtschwert zu zücken, und dort mit ein bissl was Ambivalenten einezukrochn. Bis dahin sind vertreibt frau sich die Zeit mit solchen Videos...

 

[...] Ironie des Schicksals, dass Ausnahmetitel wie Dear Esther sich die Frage gefallen lassen müssen, ob sie denn eigentlich überhaupt Spiele sind, während andere Titel nicht nur selbstverständlich als solche rezipiert werden, sondern darüber [...]

[...] Das Gros der Independent-Szene lässt sich damit auch nicht begreifen, aber es zeigt eine der vielen Seiten und Arbeistweisen, in der sich der Entwickler von der großen Industrie unterscheidet. Die großen Agenturen beschäftigen Hunderte von Angestellten, die Büros der unabhängigen Spielemacher sind ihre Wohnzimmer – Co-Working-Spaces oder kleine Klitschen, in die zwei Schreibtische gezwängt wurden. [...]

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