Pile of Fame #1

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Der Berg an neuen Spielen wächst so rasant wie noch nie - und damit auch die Anzahl an bemerkenswerten Spielen, die im Dauerfeuer der Hypemaschinerien untergehen. Grund genug, dem allgegenwärtigen Pile of Shame zumindest ein wenig Ehre zuteil werden zu lassen und Spiele vor den Vorhang zu holen, die auch ein bisschen Fame verdient hätten. Ein kleines kuratorisches Projekt wider den Aktualitätswahn, und ein Lob des kleinen Spiels. Gast in diesem, dem ersten Monat von Pile of Fame ist Dom Schott.

Dom: Please Knock On My Door (2017) (Windows, 12,99 Euro)

Wohl die meisten von uns kennen zumindest einige der Erlebnisse und Erfahrungen, die die Hauptfigur von Please Knock On My Door im Laufe einer ganz normalen Woche so macht: Vorgesetzte sind unfair und ignorant, Deadlines viel zu ehrgeiziger privater Projekte nähern sich bedrohlich schnell, der eigene Schlafrhythmus ist außer Kontrolle und eigentlich müsste man sich auch mal wieder bei den Eltern melden. In diesem Durcheinander klingt unsere Aufgabe im Spiel zunächst sehr einfach: Ordnung in das Leben der Hauptfigur bringen, Probleme lösen, Herausforderungen bewältigen. Doch so einfach läuft das nicht im echten Leben und so einfach läuft es auch nicht in Please Knock On My Door.

Mit viel Fingerspitzengefühl breitet der Entwickler Michael Levall Spielstunde um Spielstunde die Persönlichkeit der Hauptfigur, ihre Ängste und Probleme, allmählich vor uns aus. Was als einfach zu bewältigende Social Simulation beginnt, entwickelt sich schon sehr bald zu einem spielbaren Diorama eines depressiven Menschen – zu großen Teilen basierend auf den Erfahrungen, die Levall selbst gemacht hat. Um vom Leben mit Depressionen zu erzählen, nutzt der schwedische Entwickler dabei interessanterweise nicht nur Zwischensequenzen und Textkästen, sondern auch das Spieldesign selbst: Je nach Gemütszustand weigert sich beispielsweise die Hauptfigur, unseren Anweisungen nachzukommen. An besonders schlechten Tagen erhebt Please Knock On My Door dann selbst die morgendliche Dusche oder den Gang zur Arbeit zum unüberwindbaren Hindernis – und macht damit in diesen schwierigen Momenten das Gefühl der Hilflosigkeit und Traurigkeit so nachvollziehbar, das Betroffene, ihre Freunde und Verwandten im echten Leben so häufig nicht in Worte fassen können.

Joe: Domina (2017) (Windows, 9,99 Euro)

Es fällt schwer, einem Spiel böse zu sein, wenn es seine Thematik so konsequent umsetzt, dass die eigene Spielmechanik darunter leidet. In der Gladiatorensimulation Domina steckt etwa eine eigentlich reizvolle Verbindung von Management und Action: zuerst in der eigenen Gladiatorenschule Kämpfer zu trainieren und anschließend in der Arena selbst die Kontrolle über sie zu übernehmen. Wer das Spiel livestreamt, kann per Twitch-Integration sogar sein Publikum über die nächsten Events abstimmen lassen.

Allerdings vermittelt das Spiel die unglaubliche Brutalität des altrömischen Blutsports über ein ebenso brachiales Tempo. Kämpfe enden oft binnen weniger Sekunden, wodurch Glück und Zufall in der Regel mehr Einfluss auf Sieg oder Niederlage haben als penible Vorbereitung und Geschick am Gamepad. Ein frustrierendes Gefühl, das gleichzeitig perfekt zu den unmenschlichen Bedingungen des gewählten Szenarios passt. Morituri te salutant.

Rainer: CAPSULE (2014) (Windows, Mac 4,99 Euro)

Wenn der Blick auf den Bildschirm nicht jener auf eine fremde Welt, sondern der auf einen anderen Bildschirm ist, ist paradoxerweise oft höchste Immersion die Folge. In CAPSULE starren wir auf einen monochrom flackernden Radarbildschirm, zu sehen ist das äußerst beschränkte Instrumentensichtfeld unseres Tauchfahrzeugs, das uns Sauerstoff, Treibstoff und unbekannte Hindernisse anzeigt, die sich erst nach einem Ping als Hindernisse, Luftblasen oder tödliche Gegner zu erkennen geben. Die Tauchgänge führen von einer verlassenen Relaisstation zur nächsten, an ihnen dürfen wir nicht nur auftanken, sondern rekonstruieren auch aus im System liegengebliebenen Emails einen düsteren Science-Fiction-Thriller.

Wie Duskers oder Deadnaut beschränkt auch CAPSULE unser Sichtfeld auf kümmerliche Abstraktion, bietet aber dafür akustisch beklemmendsten Realismus. Wie unser Taucher bei zunehmendem Sauerstoffmangel röchelt und schließlich krampfartig erstickt, lässt das minimalistisch-abstrakte Spiel nicht nur wegen des schmalen Bildausschnitts zum beklemmenden Survival-Horrorspiel werden. Adam Saltsman, der Schöpfer von Canabalt, hat mit CAPSULE ein minimalistisches, aber gerade deswegen höchst atmosphärisches Spiel erschaffen, das bravourös Spannung und Schrecken erzeugt.

Christof: Nikujin, und die Spiele von Ikiki (2006-?) (Windows, kostenlos)

Die Games-Kultur altert in Hundejahren. 5 Jahre im Windkanal der öffentlichen Meinung sind allemal genug, um Entwickler in Life-Crises zu stürzen. Nach 10 Jahren kann man sich bereits ein Seniorenbett in den Annalen der Geschichte mieten. Aber auch dort lassen sich noch Haufen Ruhm entdecken. Zum Beispiel diesen hier: Das Lebenswerk eines ominösen Entwicklers, der manchmal Ikiki hieß, gelegentlich auch Uhta, und, an besonders pompösen Tagen, gar Ikiki Himoji. Auch so was war einmal Indie: Eine obskure Datei, bei der Windows hierzulande nichts als Fragezeichen vor den Augen steht, ein Startbildschirm in Hiragana, aber dann plötzlich doch: Die Universal-Sprache des Spiels, die da lautet -- Knopf drücken, Entzücken.

Ikiki-Spiele sind offensichtlich das Werk eines astreinen Auteurs, dessen Prioritäten über viele, viele Spiele hinweg bewundernswert konstant geblieben sind: Knubbel-Nudisten, Gewalt, Gewalt zwischen Nudisten, Essen, MIDI-jazzen und irgendetwas zwischen Fingerfarben und MS Paint. Vor allem aber: eine Steuerung, die in den ersten Runden hakelig wirkt wie Kraftsport in Bayern, aber sich nach und nach entpuppt als eine jener kinetisch puren Freuden, die nur dieses Medium zu bieten hat. Teppoman 2 ist ein gutes, Nikujin -- das ninja-ste Spiel unter allen Ninja-Spielen -- aber das beste Beispiel dieser hohen Kunst: Vermeintlich umständlich am Anfang, unbarmherzig bis zum Schluss. Aber bei jeder Wiederholung neue Techniken preisgebend, dank derer man irgendwann schnetzelnd und hüpfend wie ein Ballistol-geschmierter Blitz des Verderbens durch Landschaften wirbelt, in denen eben noch nur der Tod zu lauern schien -- selbst Tim Rogers würde sich da verwundert die Augen reiben. Eine obskure Feel Good-Steuerung als Ort vom Spiel verschwiegener Geheimnisse, in einem Platformer mit Insta-Restart und absolutem Präzisionsgebot: Das war, im Nachhinein betrachtet, wegweisend im Heimlichen -- ein wenig Vlambeer-Feedback-Feingefühl, ein Stückchen Proto-Meat Boy-Sadocore, und ein bisschen wiki-kulturbefeurendes Vorab-Ge-Soulse. Letztlich vor allem aber: so geballt gut im Kleinen, dass man auch 10 Jahre später noch den ikikischen Ruhmeshaufen erklimmen sollte.

Robert: Uurnog + Uurnog Uurnlimited (2017) (Windows, Mac; 5,99 Euro + Windows, Mac, Switch; 14,99 Euro)

“Uurnog” und die erweiterte Version „Uurnog Uurnlimited“ sind die neuesten Streiche des schwedischen Indieentwicklers Nicklas „Nifflas“ Nygren (“Knytt”, “Affordable Space Adventures”) und seinem kleinen Team. Deren Titel sehen aus wie Frühwerke von id Software aus Anfang der 90er Jahre. Commander Keen lässt grüßen: einfache Farbpaletten, simple Spritegrafik, krude Sprungphysik. Hinter dieser Oberfläche wartet Nifflas aber stets mit überraschender Tiefe auf. „Uurnog“ geht nun visuell ein bisschen weiter: Die Grafik ist hier nicht ganz so kleinteilig ausgefallen, die Farbverläufe sind aufwendiger und die Figuren in einem auffälligen Comicstil gehalten. Ein bisschen sieht das Game aus wie der ebenfalls knallbunte Todeskampf-Klamauk von „Nidhogg 2“. Obwohl die Lebensgefahr in „Uurnog“ nicht so zwingend wirkt wie in „Nidhogg“, sollte man sich vom Ersteindruck nicht täuschen lassen. Das Bildschirmableben ist oft nur einen Teleport weit entfernt und ausschließlich unserer eigenen Unachtsamkeit geschuldet. Das Tollpatschige wird in „Uurnog“ liebevoll hochgehalten.

Sämtliche Gegenstände und Wesen im Spiel können von uns hochgenommen, benutzt, geworfen und wieder abgelegt werden. Heben wir eine Waffe auf, wird auf Knopfdruck ein Projektil abgefeuert; stemmen wir einen Vogel, lässt er uns ein bisschen fliegen. Nehmen wir eine Bombe, können wir einen Countdown starten, wohingegen ein Sprengsatz sofort gezündet wird. Allgemein explodiert in „Uurnog“ sehr viel. Unsere Aufmerksamkeit beim Spielen teilt sich nicht nur zwischen Laufen, Springen und Puzzles lösen auf, sondern ebenso im klugen – und nach Möglichkeit sicheren - Verwalten und Verwenden der unterschiedlichen Wesen und Gegenstände. Da wartet die Unachtsamkeit an jeder Ecke: Einmal springt uns ein elektrisierendes Würfelwesen an, dann purzelt uns eine gerade noch sicher gehaltene Waffe vor die Füße und löst irrtümlicherweise in unsere Richtung aus. Ein anderes Mal zieht uns eine Kettenreaktion ausgelöster Bomben den Boden unter den Füßen weg, in einer weiteren Situation schubsen uns Lemming-artige quadratische Kreaturen einen Abgrund hinunter. “Uurnog” und “Uurnog Uurnlimited” sind bei weitem nicht perfekt - vor allem wegen der Tatsache, dass das Fortschreiten im Spiel manchmal an einem bestimmten Rätsel hängt, das man erstmal finden muss, bevor man es lösen kann. Doch alleine der Aufenthalt und das Experimentieren in Nifflas kurioser Boxenwelt ist ein ebenso sonderbares wie unterhaltsames Erlebnis.

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