Pile of Fame #7
Christian Huberts - Infinifactory
Während Markus „Notch“ Persson mutmaßlich immer noch im Süßigkeiten-Flügel seiner Luxusvilla den Wahrheitsgehalt neu-rechter Verschwörungsideologien abklopft, haut Zach Barth in schöner Regelmäßigkeit ein Spiel nach dem anderen raus. Die große Kontinuität seines Outputs hat zu einem eigenen Genre-Begriff – das „Zachlike“ – geführt. Mit Notch verbindet ihn sein frühes Open-Source-Projekt Infiniminer, das die Inspiration zu Minecraft werden sollte. Dem einen hat es überfordernden Reichtum gebracht, dem anderen ein solides Nischendasein im Schatten des Millionenerfolgs. Ein „Zachlike“ definiert in der Regel das erforderliche Endergebnis eines Produktionsprozesses, das es durch die optimale Konfiguration von Code, Mechanik oder Elektronik zu erreichen gilt. Man könnte von arbeitswissenschaftlichen Optimierungs-Puzzles reden. Klingt furztrocken und ist es im Grunde genommen auch. Dennoch lockt mich diese freiwillige Arbeit immer wieder erfolgreich vom Müßiggang handlungsentlasteter Ambience Action Games weg. Einmal angefangen, lasse ich nicht eher los, bis ich ein perfektes Ballett ineinandergreifender Produktionsschritte erschaffen habe.
Untergegangen zwischen der Initialzündung SpaceChem und dem jüngsten Erfolg Exapunks ist der Ausreißer Infinifactory. Hier kehrt Zach Barth nach Jahren erstmals wieder zum Grundprinzip von Infiniminer zurück. Statt in 2D zu puzzeln, werden zielgerichtet 3D-Klötze gestapelt. Fast so wie in Minecraft, wie manch ahnungsloser Gamer kommentiert. Leider gilt gerade Infinifactory unter den „Zachlike“-Fans als schwächster Vertreter des Genres. Zu umständlich sei die Konstruktion aus der First-Person-Perspektive. Infiniminer wird für Barth einfach nicht mehr zur Goldgrube.
Auch wenn es die schlichte Eleganz eines Opus Magnum vermissen lässt, kommen in Infinifactory doch die Stärken des Genres zur Geltung. Das Erschaffen automatisierter Prozesse ist befriedigend, der mechanische Rhythmus der Schweißgeräte hypnotisch und der Drang zur Optimierung so stark wie eh und je. Hinzu kommt, dass hier erstmals eine Story abseits von Texttafeln geboten wird. Von Aliens entführt und im Hamsterkäfig gehalten, entfaltet jede Aufgabe ihren eigenen Schrecken: Für wen werden wohl die Raketen gedacht sein, die man gerade optimiert vom Band laufen lässt?
Christof Zurschmitten – Little Samson
Neulich habe ich herausgefunden, dass in meinem Keller, in einer Kiste ohne Aufschrift, ein NES-Spiel liegt, das originalverpackt in seiner US-Version mehrere tausend Dollar wert ist. Die letzten Jahre einer Konsolengeneration sind eine sonderbare Zeit: In vielerlei Hinsicht – in technischer zumindest, manchmal auch ästhetischer – sind Spiele nie ausgereifter und besser als ausgerechnet dann, wenn alle schon zur nächstbesten Konsole gehechelt sind; maximale Meisterschaft trifft auf maximales Desinteresse. Little Samson, das Spiel in meiner Kiste (das in der kartonhüllenlosen PAL-Version freilich nicht fünfstellige Dollar-Beträge wert ist, sondern eher 150 Euro), kann davon ein Lied singen: 1993 in Europa erschienen – ein Jahr nach dem SNES – ist es technisch erstaunlich, ästhetisch bezaubernd, und wurde in so geringer Auflage produziert, dass es beinahe gänzlich unbekannt ist. (Aber dafür umso wertvoller, in einer bitteren ironischen Umkehrung des Flops, den das Spiel weiland darstellte.) Nicht, dass Little Samson am Ende des Konsolenzirkels das Rad neu erfunden hätte. Gesuchte Vergleiche mit der Mega Man-Serie sind immerhin insofern zutreffend, als man es, wie man anno 1992 gesagt hätte, unverkennbar mit einem Jump 'n' Run zu tun hat: Plattformen, Abgründe, Stacheln, Eis und Lava – das gesamte Inventar der Best Practice-Wüstenei. Little Samson war, das muss eingeräumt sein, konventionell; sogar seinen USP (wie wir in 1992 definitiv nicht gesagt hätten) teilte es mit einem anderen späten, ungemein guten und technisch versierten NES-Kollegen (nämlich Bucky O'Hare): Ein Kabinett von mehreren Protagonisten, zwischen denen jederzeit frei und vollkommen nahtlos gewechselt werden kann. Zwei dieser Protagonisten verhehlen noch, was Little Samson vor allen Mitbewerbern auszeichnet, aber sie deuten bereits die radikal unterschiedlichen Zugangswege zu den durchaus gewöhnlichen Levels an: ein fäusteschwingender Golem (behäbig, aber robust und unbeeindruckt von Stachelfallen), und ein haarscharf an der Grenze zum Easy-Modus vorbeisegelnder Drachen (der für eine trügerisch sicher wirkende Dauer fliegen und Feuer speien kann).
Neben den zwei weiteren Charakteren von Little Samson wirkt die Konkurrenz – Capcoms hüftsteifes Robotermaskottchen sowieso, aber auch Bucky der Hase und selbst Nintendos Haussanitärinstallateur – allerdings wie von Gicht befallene Faultiere: Der titelgebende Kleine Samson ist ein glockenwerfender Nun-ja-Ninja, der in Windeseile durch Level turnen kann und zwischen Böden, Wänden und Decken kaum einen Unterschied macht; ihm zur Seite steht eine Maus, die nichts weniger ist als die kondensierte Reinform des Jump 'n' Run-Prinzips: Noch schneller als Samson, noch agiler, noch verwundbarer, und von den Designern in einem makabren Geniestreich mit der mit Abstand mächtigsten Waffe des gesamten Spiels ausgestattet – Kontaktminen, die selbst Endgegner (wie man in 1992 durchaus noch sagte) in Sekundenschnelle um die sorgsam gehütete Lebensleiste bringen können, wenn die Bosse den notgedrungen auf Tuchfühlung gehenden Maus-Messenger nicht bereits vorher zerstampft haben. Und "Stampfen" ist in diesem Fall in seiner vollen verbalen Wucht gemeint – bildschirmfüllende Ungestalten reizten das NES technisch aus bis zum letzten Sprite, zur letzten Farbschattierung und zum letzten Pixel. Kein Ruckeln, kein Flackern, kein Scheiss – Little Samson war das vielleicht Geschmeidigste und Geschwindeste, was das NES je zu bieten hatte, ein letztes Mal die Band back together, ein finales Crescendo auf der Klaviatur einer Technologie, die kurz darauf zum alten Eisen gehören sollte. Dass die Welt dabei nicht zuhören wollte, ist ein brutaler, finaler Scherz – auf Kosten der Welt und nicht des Spiels, notabene.
Robert Glashüttner- Captain Toad: Treasure Tracker
Was sind Figuren aus dem Mushroom Kingdom, wenn sie nicht springen können? Sie sind arm dran, könnte man meinen, haben sich doch - von Donkey Kong (1981) aufwärts - Mario und seine Entourage durch ihre Sprungfähigkeiten definiert und damit bereits vor Jahrzehnten den Standard in Sachen Jump'n'Run begründet. Doch Abwechslung tut gut, selbst wenn man mitten im Genre steckt. Und so hat in Super Mario 3D World (2013) für die Wii U das mutige Schwammerl Captain Toad seine allerersten Abenteuer bestritten. Es waren einzelne Levels, die wesentlich komprimierter und kompakter waren als es ein Level für eine springende Spielfigur jemals sein könnte. Sie waren gestaltet wie Dioramen, und wie in der physischen Welt waren wir auch hier im Game aufgerufen, die Schaukästen von allen Seiten und von vielen Blickwinkeln zu betrachten um ihnen alle Geheimnisse zu entlocken.
Mario-Vater Shigeru Miyamoto selbst war es, der sich dafür einsetzte, dass Captain Toad gut ein Jahr später vom Sidekick zum Helden seines eigenen Spieles wurde. Das Diorama-Konzept hatte Potenzial und Attraktivität: Die gesamte Spielewelt mit einem Analogstick oder einem Bildschirm-Swipe zu drehen, machte Spaß und brachte eine ordentliche Portion Puzzlen ins Geschicklichkeits-Genre. Obwohl Captain Toad wegen seines schweren Rucksacks nicht springen, sondern nur gehen und klettern kann, ist es aufgrund der ständigen Kamera- bzw. Perspektivenwechsel weiterhin notwendig, die Übersicht zu behalten und die Figur geschickt zu lenken. Gegner werden durch Rüben, die aus dem Boden gezogen werden, beworfen - doch auch hier kann man mal nicht treffen und stattdessen vom Gegner gestellt werden. Der Kern des Spieles bleibt aber natürlich das Drehen, Wenden und Entdecken. Steht Captain Toad etwa erst noch vor einer mäßig beeindruckenden Hausfassade, eröffnet uns ein Blick dahinter verschlungene Wege, halbversteckte Münzen und vielleicht sogar einen Hinweis auf einen der drei begehrten Diamanten, die in jedem Level versteckt sind.
Nachdem die Wii U-Version ein unerwarteter Erfolg wurde - mit knapp 1,5 Millionen verkauften Einheiten ist sie weltweit das 15. erfolgreichste Spiel einer ansonsten kommerziell eher gescheiterten Konsole -, wurde das Game des anthropomorphen Abenteuer-Schwammerls über drei Jahre später neu veröffentlicht, diesmal für die Switch und den mittlerweile schon etwas angegrauten Nintendo 3DS. Die Levels sind im Wesentlichen gleich geblieben und wurden nur durch ein paar neue Spezial-Welten aus Super Mario Odyssey (2017) sowie einem Zwei-SpielerInnen-Modus aufgepeppt. Leider hat Captain Toad: Treasure Tracker trotz der gelungenen Portierung wenige neue AnhängerInnen gefunden, obwohl sich das Konzept weiterhin perfekt für singuläre als auch gesellige Knobeleien zwischendurch eignet. Es kann problemlos auch Wenig-SpielerInnen begeistern und sie mitunter davon abhalten, zum x-ten Mal Monument Valley durchzuspielen. Zwar bieten die Dioramen von Captain Toad keine unmöglich-surreale Architektur, doch die Rückkehr zu einem kleinteiligen, kompakten Leveldesign wirkt behaglich und ist in Zeiten von immer noch größeren Open-World-Riesenspielen fast schon subversiv.
Joe Köller - Subterfuge
All jenen, die dieser Tage noch nicht genug Gründe dafür haben, gebannt auf ihre Smartphones zu starren, während im Minutentakt neue Schreckensnachrichten hereinflattern, sei hiermit Subterfuge ans Herz gelegt, ein Strategiespiel mit Fokus auf soziale Interaktion, dem seit zwei Wochen meine ersten Gedanken nach dem Aufwachen und meine letzten Gedanken vor dem Einschlafen gelten. Die Idee eines langsamen Strategiespiels, in dem es Stunden oder sogar Tage dauern kann, bis Einheiten ihr Ziel erreichen, hat Subterfuge von dem Browserspiel-Klassiker Neptune’s Pride übernommen, durch die Umsetzung für mobile Geräte kommt das Konzept hier allerdings erstmals voll zur Geltung, da mich Konflikt und Intrigen tatsächlich 24 Stunden lang durch meinen Tag begleiten.
Vor allem aber ist Subterfuge ein elegant minimalistisches Spiel, das es versteht, durch seine reduzierte Mechanik Misstrauen und Argwohn unter seinen Spieler_innen zu streuen. Je nach Partie streiten rund ein Dutzend Spieler_innen um Außenposten, die zufällig über eine Unterseekarte verstreut sind. Fabriken produzieren automatisch Einheiten, Generatoren bestimmen, wie viele Einheiten ich maximal haben kann. Um zu gewinnen muss ich allerdings früher oder später manche dieser Außenposten in Minen umbauen, wobei nicht nur eine Menge Einheiten verbraucht werden, sondern auch der ursprüngliche Nutzen der Basis verloren geht. Je näher ich also dem Sieg komme, desto angreifbarer werde ich gleichzeitig. Nehmen wir hinzu, dass ein Großteil der Karte und der Aktionen meiner Konkurrent_innen vor mir verborgen bleibt und das Spiel noch dazu weiterläuft, egal, ob ich gerade schlafe, esse, arbeite etc, ist das Rezept für Paranoia perfekt.
Um mich völlig den von mir imaginierten Schreckensszenarien hingeben zu können, bietet Subterfuge die Möglichkeit, die Zeit mit eingebautem Scrollrad nicht nur zurückzuspulen (um etwa herauszufinden was genau sich über Nacht zugetragen hat), sondern auch vorzuspulen, wodurch sich einerseits taktische Manöver im Voraus festlegen lassen und andererseits unterschiedliche Szenarien basierend auf den mir zur Verfügung stehenden Informationen durchspielen lassen. Gerade der Einsatz von Spezialfiguren lässt sich so präzise planen. Was, wenn ich den Admiral dorthin schicke? Was, wenn der Schmuggler erst hier noch Truppen einsammelt und dann nach dort drüben bringt? Schafft es der Doppelagent noch rechtzeitig zu dem Außenposten, bevor der Feind ankommt? Mit diesem genialen Werkzeug schafft es dieses eigentlich simple Strategiespiel, dass ich Stunden damit verbringe, mögliche Schachzüge zu planen, während ich überlege, was meine Mitspieler_innen möglicherweise vorhaben könnten.
Rainer Sigl - Get Even
Es war eine Mischung aus Pech und eigener Schuld: Für den uninteressanten Titel, generische Screenshots und eine auf den ersten Blick eher wirre Story irgendwo zwischen Hightech-Thriller, Science-Fiction und Horror hatten Publisher bzw der polnische Entwickler von Get Even die Verantwortung, dass unmittelbar vor dem Tag des geplanten Releases, dem 26.5. 2017, der Anschlag auf das Konzert in Manchester stattfand und die Veröffentlichung gleich mal um einen Monat nach hinten verschoben wurde, war dann aber nur Pech. So oder so, trotz eher positiver Reviews ging das Spiel sang- und klanglos unter.
Das ist vor allem deshalb schade, weil Get Even schlicht das beste Sounddesign in einem Horrorspiel seit dem ersten FEAR hat, und wer die gespitzten Ohren hat, so etwas zu bemerken, wird das als fast spektakuläres Lob verstehen. Wie hier mit Ambient-Soundtrack und Umgebungsatmosphären gearbeitet wird, ist eine wahre Freude - da ist dann auch das eher durchschnittliche Stealth-Gameplay ziemlich egal. Wer sich trotz klischeehaft scheinender Story - Irrenhaus, Auftragsmörder, Konzerne - an diesen seltsamen Geheimtipp setzt, wird von WTF-Momenten, so manchem doppelten Boden und großartig verunsicherter Realität belohnt. Einen “Geheimtipp für Freunde experimenteller Thriller” habe ich das Spiel damals in meiner FM4-Rezension genannt, und heute, unter dem Eindruck des auf seine Art und Weise ähnlich ge-/misslungenen Call of Cthulhu, bin ich mir noch sicherer: Auch Get Even ist als Äquivalent zum B-Movie ein absolut lohnendes Spiel abseits des oft seelenlosen Hochglanzkonsums, warts and all.