SF und Games: Die Welt hinter dem Bildschirm

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Es sind die letzten Momente von George Lucas' "Krieg der Sterne" (1977): Die Rebellen sind im Anflug auf den entscheidenden kritischen Punkt des Todessterns. In den Cockpits leuchten simple Vektorumrisse der Umgebung, die die Piloten bei seinen Manövern unterstützen sollen - ein abstrahiertes Abbild der unmittelbaren Realität. Die digitale Rekonstruktion als Stellvertreter der Wirklichkeit: So nahe liegen Simulation und Realität zusammen. Die Wirklichkeit, dargestellt als über Maschinen bedienbare Simulation, ist längst von Science Fiction zur Realität geworden - in Form von GPS-Assistenten, Einparkhilfen, Autopiloten und visualisierenden Operationshilfen. Dabei kommt oft der virtuellen Version mehr Bedeutung zu als der ihr zugrundeliegenden Realität.

Virtuelle Welten sind von der Science-Fiction in die Realität migriert. Das heißt nicht, dass SF diese technischen Zukünfte vorhergesagt hat: Sie hat sie vielmehr mitgeformt und Realität werden lassen, wie Cory Doctorow so schön sagte

... every instance where science fiction has successfully ‘‘predicted’’ a turn of events, it’s more true to say that it has inspired that turn of events. Gene Roddenberry’s set-dressers didn’t ‘‘predict’’ that Motorola’s engineers would make flip-phones that bore a more-than-passing resemblance to Star Trek’s communicators. Rather, Motorola’s engineers were trekkers. Flip-phones were ‘‘predicted’’ by Gene Roddenberry in only the most trivial sense – the same sense in which I ‘‘predict’’ that a pizza will arrive shortly after I order it.

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Dass technische Simulationen, wie in Star Wars,  die Realität besser (oder überhaupt erst) handhabbar machen, ist das eine. Wird die Simulation aber schließlich von der Realität selbst völlig abgekoppelt, sind wir im Bereich des Spiels angelangt, per definitionem eine Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck aus der Freude an ihrer Ausübung ausgeführt wird.

So führte der Weg von der fiktiven "Star Wars"-Kulisse via Simulation zurück in die Realität der Spielhallen und Einkaufszentren: Im "Star Wars"-Arcade-Automaten von Atari aus dem Jahr 1983 sitzt man in einem aufwendigen Cockpit vor beinahe denselben simplen (damals State of the Art!) Vektorgrafiken, die aus den Filmen bekannt sind. Die simulierte Welt hinter dem Bildschirm, ästhetisch von der Filmvorlage her bekannt, wird für den Spieler zur realen Welt in Abstraktion.

Im Zentrum des Verhältnisses zwischen Science Fiction und Computerspiel steht somit das Verhältnis von Realität und Simulation, Wirklichkeit und Virtualität.

Reality? What reality?

Spätestens seit Philip K. Dick ist die Frage nach der Realität ein zentrales Thema der Science Fiction. Waren es in der klassischen SF noch die großen Außenräume des unendlichen Weltalls, so werden mit Dick und den späteren Autoren des Cyberpunk die Innenräume bedeutsam, und zwar nicht nur jene der Personen, sondern jene der Welt im Allgemeinen. Bin ich real? Ist die Welt, wie sie sich darbietet, wirklich, oder ist man, den paranoiden Gedanken der Helden Dicks folgend, möglicherweise in einer Kulisse gefangen, oder gar selbst nicht wirklich menschlich? Sind künstlich erschaffene Welten wie William Gibsons "Cyberspace" mit ihren künstlichen Intelligenzen und Maschinengöttern ebenso real wie unsere Welt?

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Die wichtigste Frage, die in den zahlreichen Werken Dicks oft pessimistisch beantwortet wird, ist die nach der Authentizität der Erfahrung; doch wie lässt sich diese feststellen, wenn die Simulation lückenlos perfekt ist? Es ist kein Zufall, dass sich gerade im jungen Medium Computerspiel diese Fragen in unterschiedlicher Form wieder und wieder stellen, ist doch die vollständige Immersion des Spielers, das "Eintauchen" in die vom Computerspiel erschaffene Welt hinter dem Bildschirm, einerseits erklärtes Ziel und Verkaufsargument, andererseits aber immer wieder Anlass zur Sorge, die Spieler könnten Realität und Fiktion nicht mehr unterscheiden und würden "asozial" in den künstlichen Welten für die reale Welt verlorengehen. Das von vielen Spielen angestrebte Ziel der Immersion - den Spieler möglichst überzeugend in eine eigene Welt zu entführen - wird als Gefahr und besonderes Verführungspotenzial des Mediums verurteilt.

Diese Ununterscheidbarkeit von Realität und (maschineller) Fiktion ist auch ein wiederkehrendes Thema der Science Fiction, etwa in einigen Werken Stanislaw Lems, in "Simulacron 3" von Daniel Galouye (1964), 1973 verfilmt von Rainer Werner Fassbinder als "Welt am Draht" und 1999 von Roland Emmerich unter dem Titel "The Thirteenth Floor", ebenso wie in David Cronenbergs "eXistenZ" (1999), in dessen Welt sich die Protagonisten in einem Computerspiel finden, das als Ganzes in einem Computerspiel stattfindet - die Interfaces und Grenzen zwischen Realität und Virtuellem befinden sich hier, ganz Cronenberg, in unseren Körpern, die von der Technologie aber mehr und mehr durchdrungen werden.

Für Cronenberg ist das Spiel selbst eine Metapher für die verschwindende Realität: Wie unter Zwang müssen sich die Spieler gewissen Mechanismen unterwerfen, um die Spielhandlung in Gang zu halten. Dass sich am Schluss die Hauptdarsteller als radikale "Anti-Gamer" herausstellen, die mit Gewalt gegen die Vermischung der Realitätsebenen kämpfen, ist ein wiederkehrendes Motiv der Spielmetaphorik in der Science Fiction. Trotz aller Ununterscheidbarkeiten wird der "wahren" Welt meist der Vorzug gegeben: In der Philip.K.Dick-Verfilmung "Total Recall" (1990) und in "Vanilla Sky" (2001), einem Remake des spanischen Films "Abre los ojos" (1997), wird die scheinbare Realität verdächtig und als Illusion entlarvt (oder aber - in "Total Recall" - vielleicht auch als "Überrealität" erkannt), genau wie im erfolgreichsten SF-Film des letzten Jahrzehnts, "Matrix" (1999), wo sich in einer bunten, popcorn-tauglichen Melange aus Metaphysik, Buddhismus und Kapitalismuskritik fast die gesamte Menschheit in einer künstlich erschaffenen Welt befindet.

Matrix' bewusste ästhetische Analogien zum Computerspiel - zitiert wurden unter anderem sowohl Beat 'em ups wie auch Egoshooter - thematisierten die mögliche Virtualität jeder real erscheinenden Erfahrung: Neo, der Hacker, sucht die reale Welt im Inneren seiner Computer und entdeckt, dass er selbst bereits im Inneren einer maschinellen Realität ist. Die Wandlung Neos zum "Auserwählten" entspricht, der Spielmetapher, aber auch den messianischen Tendenzen der Filmhandlung folgend, dem Aktivieren des "God-Mode" im Computerspiel: Die Erkenntnis der Virtualität der Matrix führt zur absoluten Beherrschung und - vielleicht - zum Gewinnen des "Spiels" - der Spieler kann in die "echte" Realität zurückkehren.

Drinnen, draußen

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Dass sich gerade Welten im Computer - also etwa Computerspiele - als ergiebige SF-Themenlieferanten und im Gegenzug als SF-Bühnen eignen, hat sowohl mit dem hohen Grad der Technisierung des Mediums als auch mit der faszinierenden möglichen Andersartigkeit der erschaffenen Realitäten zu tun. Im Computer selbst verbergen sich möglicherweise andere Welten (wie in "Tron", 1982), er kann aber auch als "Portal" zu anderen Systeme oder Orten die virtuelle Spielwelt zum Ernst - und somit die Fiktion zur Realität - werden lassen.

Die Realitäten sind im Fluss: In "War Games" (1983) spielt ein jugendlicher Hacker unabsichtlich ein potenziell tödliches atomares Spiel mit dem realen Verteidigungscomputer der USA (späte Pointe: Introversions Defcon übersetzt die "Realität" dieses Szenarios wiederum zurück ins Spiel), in "The Last Starfighter" (1984) wird ein jugendlicher Computerspieler durch seine außerordentlichen Skills am Spielautomaten zum Retter der Galaxis berufen, im japanischen J-Horrorstreifen "Otogiriso" ("St. John's Wort", 2001) suchen die Protagonisten nach Inspiration für ein neues Spiel, in dem sie allerdings längst selbst festsitzen etc. etc.

Umgekehrt vermischen sich auch im Computerspiel immer wieder selbst die Realitätsebenen: Der Held der "Ultima"-Serie bricht aus der altbekannten "echten" Realität, in der alle Teile der Reihe beginnen, ins Fantasyland Britannia auf, der reale Platz des Spielers vor dem Monitor selbst wird zum Interface, von dem aus in "Uplink" oder "Hacker" virtuell im weltweiten Datennetz geräubert wird, und ARGs wie "Majestic" oder "In Memoriam" verlangen vom Spieler Recherchen im realen Internet oder geben Hinweise per Email oder SMS.

Computerspiele sind Interfaces für irreale Maschinen mit variablem Realitätspotenzial.

Auch auf dem Gebiet der Simulation beginnen die Grenzen zwischen Realität und Virtualität traditionellerweise zu verschwinden: Dieselben Geräte oder Programme, die für Pilotentrainings verwendet werden, finden auch bei Hobbypiloten am Heim-PC begeisterte Anhänger, und die Konsequenz, mit der manche Simulatorprofis ihre Spielstätten zu möglichst wirklichkeitsnahen Cockpits umgestalten, ist beachtlich. Die Simulation ist das Fenster zu einer anderen Welt, die Simulatorsoftware liefert die virtuelle Umgebung. Der Mediensprung ist hier klein: Es wird die Bedienung einer Maschine simuliert, indem man an einer anderen Maschine mit möglicherweise eng an die Realität angelehnten Bedienungselementen wie etwa Lenkrädern hantiert. Computerspiele, so könnte man feststellen, sind demnach Interfaces für irreale Maschinen mit variablem Realitätspotenzial.

Auch die andere Richtung - vom Spiel zurück in die Realität - wird durchlässig: So werden schon mal Fernsehnachrichten mit Bildern aus Computerspielen unterlegt und deren Realitätsgehalt behauptet.

Cyberspace, Metaverse, OASIS

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Die Idee der Welt hinter dem Bildschirm, die sich mehr und mehr als realer Arbeits-, Freizeit- und Lebensraum konstituiert, hat große Vorbilder in der Science Fiction der letzten Jahrzehnte. William Gibsons "Cyberspace" aus dem genrebestimmenden Roman Neuromancer (1984) hat als Begriff längst in den Sprachgebrauch der Massen gefunden und bezeichnet in vielfacher Auslegung diesen virtuellen Raum hinter den Bildschirmen. Gibson zitiert sogar explizit Spiele als Vorbilder und Vorgänger für seine virtuelle Welt aus unzähligen Computernetzwerken: "The matrix has its roots in primitive arcade games."

Neal Stephensons "Metaverse", sein von Gibson adaptiertes virtuelles Universum in der postmodern-ironischen Cyberpunk-Variante "Snow Crash" (1992), geht einen Schritt weiter: In dieser virtuellen Realität kann jeder User sich durch einen "Avatar" selbst präsentieren, kann virtuelle Güter erwerben und mit anderen Nutzern interagieren - auf spielerischer, beruflicher oder rein sozialer Ebene. Gibsons "Matrix" war ein technischer Ort, an dem sich Maschinenintelligenzen als Voodoo-Götter mit eigenem Bewusstsein manifestierten, Stephensons "Metaverse" ist hingegen ein sozialer Ort, an dem der Nutzer seine Fantasien ausleben kann - ein Gedanke, der seit einigen Jahren in beinahe "spielfreien" Online-Communities wie Second Life eine Entsprechung gefunden hat: die virtuelle Welt als zusätzlicher, fast ebenso realer Raum, an dem "reale" Bands auftreten und wo inzwischen längst auch reales Geld verdient und ausgegeben werden kann.

Auch Tad Williams' Otherland-Zyklus (1996-2001) dreht sich zur Gänze um virtuelle Welten, deren Realitätsgehalt - vor allem für die in ihnen lebenden Personen - oft nicht genau feststellbar zu sein scheint. Die künstlichen Welten im Inneren der Computernetzwerke dienen vielen verschiedenen, oft sinistren Zwecken, und Williams' Beschreibung des - wie man heute sagen würde - MMORPGs Middle Country kann als Inspiration und Sehnsuchtsobjekt Tausender Spieler heutiger Online-Rollenspiele wie World of Warcraft und Konsorten bezeichnet werden: Mit abenteuerlich-romantischen Alter-Egos bevölkern reale Menschen die Fantasywelten in den Netzwerken, und, als wäre das nicht genug, lockt eine verheißungsvolle, fast hyperreal anmutende weitere Realitätsebene im dunklen Hintergrund der Netzwerke die Protagonisten in immer weitere Verstrickungen zwischen "harter" Realität und real erscheinender Software.

Aus den vielen jüngeren Beispielen für die Verwendung dieses Motivs - ich verweise hier einmal der Einfachheit halber auf tvtropes.org - stechen einige besonders hervor: In Ready Player One (2011) von Ernest Cline ist die virtuelle Realität OASIS weltumfassend zum wichtigsten menschlichen Sozialraum geworden - und durch die Sozialisation ihres Erschaffers in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts spielt die Ästhetik früher Arcade-Spiele im Roman eine Hauptrolle. Die OASIS unterscheidet sich wenig von bereits existenten MMOs, nur die Interfaces sind umfassender geworden.

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Charles Stross' Accelerando (2005) hingegen, das den Leser in exponentieller Geschwindigkeitssteigerung durch die technologische Singularität begleitet, beschreibt die völlige Virtualisierung des menschlichen Lebens - und erklärt nebenbei auch das Fermi-Paradoxon damit, dass sich zunehmend fortgeschrittene Zivilisationen eben eher den potenziell unendlich großen virtuellen Welten zuwenden würden als den gefährlichen Weiten des realen Weltraums. Wenige andere Autoren haben eine derart umfassende Virtualisierung des gesamten Lebens, das dadurch auch unendlich wird, bisher als Projekt zu Ende gedacht. 

Die von den meisten Autoren beschriebenen Interfaces, um die virtuellen Welten zu betreten, sind heute nach wie vor Science Fiction. Über neuronale Interfaces erscheinen die virtuellen Welten der erwähnten Romanbeispiele als fast vollkommen reale Illusionen, eine technische Verheißung, die nach den bisher ernüchternden kommerziellen Versuchen mit VR-Datenhelmen wohl noch in weiterer Ferne liegen wird.

Ein kurzer Seitenblick zur Stephen-King-Variante des in den Neunzigerjahren grassierenden VR-Hypes: The Lawnmower Man (1992) zeigt mit warnend erhobenem Zeigefinger in einer "Frankenstein"-Variante, wohin das Herumpfuschen der Wissenschaft mit den Realitätsebenen führen kann: Der stupide Rasenmähermann wird durch VR-Lernkurse und Drogen zum superintelligenten, aber bösen Übermenschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, der sich schließlich als körperloses Gespenst in die Datennetze zurückzieht - ein Film, der vor allem wegen seiner für damalige Verhältnisse spektakulären CGI-Bilder und an NASA-Trainingsgeräte angelehnten Hardware in der Computerspielerszene für Begeisterung sorgte.

Die realitätsnahe Hardware des Lawnmower Man und die dem körperbetonten Cyberpunk geläufige Variante der neuronalen Interfaces wurde freilich an Eleganz von der Lösung des Star Trek-Universums übertroffen: Das "Holodeck", eine Erfindung der "Next Generation", erlaubt die Darstellung realistischer Szenarien mit Ausbildungs- oder Unterhaltungshintergrund, komplett mit für das Star Trek-Universum typischem,wissenschafts-affinen Erklärungsansätzen. Bemerkenswert ist, dass das Holodeck im Unterschied zu den virtuellen Welten bei Gibson, Stephenson und Williams kein großes, soziales Netzwerk aus verschiedenen Rechnern und Usern ist, sondern ein Gibsons "Simstims" nachempfundenes, abgeschlossenes Unterhaltungsmedium, das vorgegebene Szenarien simuliert: ein Spielzeug, prädestiniert für Spiel und Entspannung, in dem die Grenzen zwischen Realität und "holografischer" Virtualität irrelevant sind.

Eine etwas abwegigere interessante Variante virtueller Realität findet sich in Jeff Noons Vurt (1993): Wie eine verbotene Droge wird der Zugang zu den tieferliegenden virtuellen Welten des "Vurt" gehandelt; durch die originelle Methode des Saugens an farbkodierten Federn eröffnen sich real erscheinende, programmierte Parallelrealitäten mit mythischem oder surrealem Inhalt. Auch in Noons Werk droht die mögliche Vermischung der Realitäten, wie sie sich auch in den grotesk mutierten, endzeitigen Bewohnern der "realen" Welt zeigt. Die an Trainspotting oder auch Clockwork Orange erinnernden Realszenen zeigen eine desolate Welt der Abhängigkeit von der Droge der virtuellen Welt, in der man, auch das ein öfter wiederkehrendes Motiv, auch verschwinden oder sterben kann - ein surreal-exotischer Beitrag zur bereits jetzt geführten Diskussion um die Gefahren des Realitätsverlusts angesichts virtueller Welten.

Reale Virtualität

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Die virtuellen Welten der Science Fiction und die Welten des Spiels sind Welten in der Welt, eigene Realitäten, die über das eingangs erwähnte Stadium der bloßen Simulation längst hinausgehen. Durch die ständig wachsenden virtuellen Communities  verschwinden schon heute, wie in der Science Fiction seit Jahrzehnten thematisiert, die Grenzen zwischen Realität und Simulation. Die Rückverlinkung zur Realität wiederum ist vielfältig und wächst immer weiter: Reale Bands oder Promis treten in Second Life vor (teils) bezahlendem Publikum auf. "Gold-Miner" in WoW verdienen ihren (meist bescheidenen) Lebensunterhalt mit stupidem Abgrasen erfolgversprechender Spielinstanzen. Virtuelle Diebstähle werden im realen Leben geahndet, wie im Fall eines koreanischen Spielers, der den Dieb eines virtuellen Spielgegenstands ganz real ermordete.

Doch der Austausch findet auch umgekehrt, vom Spiel in die reale Welt statt: Cosplay und Esports, America's Army, Gamification, MMOs, deren BIP höher als das mancher Staaten liegt: Nie waren die Grenzen zwischen Realität und Virtualität dünner.

Wenn  die heute vom Spiel bereitgestellte Realität zum sozialen Lebensraum, zum alternativen Freizeitraum und zur Arbeitsumgebung wird, könnte man in vielen Fällen von keinem "Spielen" mehr im Sinne der Definition sprechen, das ja, wie eingangs erwähnt, eine Tätigkeit ist, die ohne bewussten Zweck aus der Freude an ihrer Ausübung ausgeführt wird. Zugleich gibt es eine kulturelle Invasion des Virtuellen in die reale Welt, vor allem durch die Massenpopularität von Spielen, die täglich mit den Angeboten der Spielebranche an immer größer werdende Zielgruppen einhergeht. Die Welt hinter dem Bildschirm wird vermehrt zu "unserer" Welt werden, während sich die Faszination für diese virtuellen Welten zunehmend in unserer Kultur und unserem Alltag manifestiert. Der Austausch zwischen beiden Welten erfolgt in beide Richtungen.

Man könnte also sagen: Die Grenze zwischen Realität und Virtualität wird laufend neu verhandelt. Und sie verläuft genau hier: in einem Medium, das sich, im Vergleich zu einem anderen technischen Medium, dem Film, momentan noch auf der Stufe des frühesten Stummfilms befindet. 

Dies ist die erweiterte und aktualisierte Version meines Textes aus dem Jahr 2006 zum Thema "What If? - Visionen der Informationsgesellschaft".

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