Unfun: Kane & Lynch 2: Dog Days

164Living the good life in Dog Days

Es ist so eine Sache mit Diskussionen im Internet: Es gibt garantiert jemanden, der Recht hat. Und vor allem: Du liegst falsch. Einige Zeit nach dem Erscheinen von IO Interactives Kane & Lynch 2: Dog Days im Jahr 2010 beging ich den bedauerlichen Fehler, Dog Days in einer Gaming-Community gegen seine Kritiker zu verteidigen. Ich wagte es, die außergewöhnliche Ästhetik und die ungeschliffene Spielmechanik als gewollt darzustellen, ich unterstellte dem dänischen Entwickler, absichtlich eine unangenehme Spielerfahrung geschaffen zu haben; kurz, ich behauptete, dass Dog Days' angebliche Fehler eigentlich seine Tugenden wären. Ein Spiel, in dem der Spieler in der Haut eines psychotischen, einsamen Gewalttäters steckt, der ohne es zu verstehen immer tiefer in eine Spirale der Gewalt gezogen wird, während er von dem Mann, den er für seinen einzigen Freund hält, eigentlich verachtet und nicht zu Unrecht gehasst wird - so ein Spiel kann, wenn es die Immersion ernst nimmt, eigentlich gar keinen Spaß machen wollen.

Die Reaktionen auf diese "Provokation" war eigentlich zu erwarten: Sie fielen ebenso hitzig wie zum Teil untergriffig aus. "I've NEVER played a video game because I wanted to be frustrated or angry. Ever. For any reason." Und weiter: "The purpose of a game is to be fun." Hm. Zu schade. Was anderen Medien erlaubt ist, bleibt in Games offenbar die Ausnahme: Ein Spiel MUSS Spaß machen, Punkt. Es kann gut sein, dass dies eine der Hürden ist, die das Medium auf dem Weg ins Erwachsenenleben noch überwinden muss. 

166Backrooms, side-streets and basements reign supreme

Kane & Lynch 2: Dog Days hat unsympathische Verbrecher als Helden, ist chaotisch, laut und anstrengend. Die Story erfüllt keine Rachefantasien, belohnt den Spieler nicht und lässt uns mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit und Leere zurück. Dog Days macht keinen Spaß. Und das ist durchaus Absicht.

Der Shooter will nihilistisch-dreckig sein, hard-boiled mit einer Art grindig-grimmigem medialen Realismus, der Spaß eigentlich nicht zulässt. Es ist eine Geschichte über verzweifelte White-Trash-Kriminelle in der verdreckten Unterwelt Shanghais, die blutige Geschäfte machen und dabei hilflos und zufällig in einen unaufhaltsamen Strudel der Gewalt gezogen werden. Es ist bedrückend, verstörend, macht irgendwie traurig und zornig. Spaß? Fehlanzeige. In anderen Medien wäre das keine besondere Aufregung wert. Ein Film, Buch oder Bild muss keinen Spaß machen. Nur langweilig sollte es nicht sein.

In einem Medium, in dem der Spieler gewohnt ist, zu agieren, der Held zu sein, degradiert Dog Days seine Spieler offen zu Opfern, die an einer Stelle des Spiels sogar splitternackt und blutüberströmt das Weite suchen. Das Kampfsystem erlaubt zwar Deckung, doch diese zersplittert unter Beschuss. Die Waffen, oft die Hauptdarsteller, werden leergeschossen und weggeworfen, dann wird mit den Knarren der erledigten Gegner weitergeballert, unpräzise, repetitiv. Die Wackelkamera macht Kampfsituationen undurchsichtig und hektisch, bei Angriffen von allen Seiten wird auch der Spieler desorientiert und panisch. Kein Wunder, dass Kane und Lynch fast ohne Unterlass und mit gutem Grund ständig verzweifelt Fuck brüllen. In Dog Days gibt es keine Rache, keine Gerechtigkeit und kein strahlendes Finale. Das Beste, was wir herausholen können, ist eine entwürdigende Flucht. Ziemlich viel Nihilismus, für ein Medium, das angeblich Spaß machen muss.

Präsentation und Ästhetik des Spiels sind experimentell - schon das allein ist ein beachtliches Risiko für einen millionenschweren potenziellen Triple-A-Titel eines bekannten Entwicklers mit einem Auge auf kommerziellen Erfolg. Das Intro zeigt die Richtung: fragmentierte Schnitte, wackelige Kamera, Unmittelbarkeit, Gewalt, Schock. Auch im eigentlichen Spiel bleibt die Über-die-Schulter-Kamera fahrig, das Bild wird von Videoartefakten wie aus billigen Digitalkameras gestört; Effekte wie Verpixelungen und Unschärfe erwecken den Eindruck, ein Amateurvideo auf YouTube zu sehen. In Verbindung mit dem trashigen Hard-Crime-Exploitation-Setting ergibt das den Effekt, Augenzeuge einer realistischen Amateurdoku zu sein, wie sie seit Jahren auch in den Nachrichten immer öfter als besonders "wahrhaftige" Bilddokumente zu sehen sind.

167Film als Inspiration: Heat, Kane & Lynch: Dead Men

Wie so oft ist es auch bei Kane & Lynch das Medium Film, das Pate stand. In Kane & Lynch: Dead Men, dem kritisch nur mäßig erfolgreichen Teil 1 (wir erinnern uns: Gerstmann-Gate), waren es die großen Heist-Action-Movies im Stil von Michael Manns Heat, die als direkte Vorbilder dienten (siehe Bild oben). Dog Days verzichtet, passend zum Wechsel vom pragmatischen Protagonisten Kane zum "psychopathischen" Lynch - Halbglatze, übergewichtig, gewalttätig -, auf die distanzierte Coolness des Verbrechens, wie sie in Heat und Dead Men ästhetisch zelebriert wurde, und holt sich die Inspiration aus den eher düsteren Ecken des billigen Kult-Kinos. Der Sprung ist so groß oder klein wie jener von Pulp Fiction zu Killing Zoe (beide 1994),  jenem Low-Budget-Heist-Movie, das direkt im Anschluss an Tarantinos Durchbruch von diesem mitproduziert wurde.

Trotz ihrer zeitlichen, inhaltlichen und persönlichen Verflochtenheit sind die Unterschiede zwischen beiden Filmen offensichtlich, wie Jonathan McAlmont in seiner Liste "Barely Bearable: Top 10 Disturbing Movies" festhält - dieselben Kriterien lassen sich mühelos auf Dog Days übertragen:

"Where [Killing Zoe] impresses is in its almost wilfully iconoclastic portrayal of criminality. Whereas Tarantino romanticised criminals by making them honourable and witty, Avary managed to produce a film that was unrelentingly bleak by making the criminals and the lives they lead seem empty and horrible. Zed is dragged through a criminal underworld of drugs, filth and wretchedness as his fellow criminals aspire to nothing more from life than a permanent buzz." [link]

Mit Larry Clarkes Ken Park und Lars von Triers Idioten befinden sich interessanterweise gleich zwei Filme von Regisseuren auf dieser Liste, die sich ebenfalls dem Grenzgebiet zwischen Dokumentation und Realität verschrieben haben, und während sich Dog Days inhaltlich wie Killing Zoe auf trashigen Hard-Crime- und Exploitation-Gebiet zu Hause fühlt, verdankt es seine direkte Unmittelbarkeit derselben "realistischen", pseudodokumentarischen Ästhetik, wie sie Larry Clarkes Kids und viele der Filme Lars von Triers kennzeichnet; vielleicht ist es ja doch kein Zufall, dass sowohl Dogma 95 als auch IO Interactive aus Dänemark kommen.

"Spaß" steht auch im Arthouse-Kino selten an vorderster Stelle, dafür aber "Wahrhaftigkeit", Realismus und Ambivalenz. Alles Themen, die im jungen Medium Games nicht gerade oft zu finden sind. Der Aufstieg des Stilmittels Shaky-Cam und die Faszination am damit vermittelten "Realismus" führte von Dogma 95 über YouTube zum Horrorfilm, von The Blair Witch Project über Cloverfield bis hin zu [REC] und Paranormal Activity, und schließlich zum Action-Genre, wo etwa zB die Bourne-Serie ihren Realismusanspruch durch diese Technik unterstrich. 

168Kane & Lynch 2: Dog Days (2010)

Dieser nihilistische  Ansatz und die "dokumentarische" Ästhetik lassen Dog Days'' Brutalität an die Nieren gehen, ohne zu Gun-Porn zu verkommen. Die Gewalt, die Dog Days als Actionspiel darstellt, ist sinnlos, erratisch, zufällig: Nur aus Versehen wird die Tochter eines chinesischen Gangsterbosses zu Beginn von Kane getötet; was bleibt, ist die chaotische Flucht und der Kampf ums nackte Überleben. Zwischen den Levels hört man Lynchs Anrufe bei Xiu, seiner chinesischen Freundin; sein unbeholfener, aber liebevoller Umgang mit ihr kontrastiert die chaotische, repetitive und, ja, frustrierende Action des Spiels. Auch Xiu wird getötet, und Lynch, Protagonist und Spielerfigur, weint wie ein kleines Kind. Die Rache, die wiederum eher zufällig stattfindet, ist kein Happy End, sondern eine weitere Tür, die einem vor der Nase zugeschlagen wird.

Der Schluss ist antiklimaktisch; es gibt keinen Endgegner, keine Erlösung, keine Rache. Im hektischen Lauf zum rettenden Flugzeug weg aus China erschießen Kane und Lynch zwei Wachhunde, die letzten Gegner des Spiels - Dog Days indeed. Gewaltverherrlichung sieht anders aus. Dass Yahtzee in seiner vernichtenden Video-Review genau dieses eigentlich vielsagende Ende nur mit Spott und Hohn bedachte, zeigt ziemlich deutlich, dass sich Videogames einer anderen Kritik stellen müssen als andere Medien: Eine anständige Eskapismus-Gewaltfantasie hat nicht nur Spaß zu machen, sie braucht auch ein anständiges Ende samt Oberboss und abschließendem Finale furioso. "Beating the game", das Spiel besiegen - Dog Days verweigert auch hier die Konvention.

 Die Frage ist nun: Ist das alles tatsächlich Absicht - oder ist Dog Days einfach nur ein schlechtes Spiel? IO Interactive, Macher von Hitman, sind eigentlich ein Studio, das weiß, was es tut. Die vermurkste PR zu Kane & Lynch: Dead Men mag Mitschuld daran gehabt haben, dass die Wahrnehmung von Dog Days anders ausfiel, als es beabsichtigt war, doch die heftige emotionale Ablehnung des Spiels zeigt, dass es zumindest wenige kaltgelassen hat. Ein Teil dieser Irritation zumindest war garantiert im Sinne der Entwickler.

169I wear my sunglasses at night

Dog Days geriet zum kritischen Flop: Die Kritiker bemängelten Mechanik, "unsympathische" Hauptpersonen, die chaotische, aber repetitive Action und - Ironie? - die mit sechs Stunden zu kurze Spiellänge. Auch viele Spieler reagierten mit offenem Hass auf das Spiel, das sich gegen so viele Gameskonventionen gewandt hatte, und auch zwei Jahre nach Veröffentlichung sind die YouTube-Kommentare von heftigen Diskussionen voll. Zero Punctuation und Destructoid wählten das Spiel zum "Worst Game of 2010".

Die eigentliche Überraschung war dann aber trotz allem der kommerzielle Erfolg von Dog Days: Über eine Million Mal verkaufte sich das Spiel trotz der medialen Kritik. Teil drei und ein Film sind gerade in Produktion. Ganz unten in den Kommentare finden sich denn auch immer wieder schüchterne Unbelehrbare, die an Dog Days ein gutes Haar lassen wollen - mit erwartbaren Resultaten.

 Dog Days ist im Kern nihilistisch und tragisch, will verstören, schockieren und ja, so könnte man argumentieren, auch absichtlich frustrieren; nicht nur thematisch, sondern auch in Präsentation und Spielmechanik. Bis zur letzten Konsequenz kann es diese Härte gegenüber seinen Spielern nicht ganz rechtfertigen. Dog Days macht keinen Spaß, aber langweilig ist es ganz sicher nicht. Und es beweist witzigerweise auch, dass "Spaß" nicht einmal unbedingt nötig ist, um als Spiel auch kommerziell zu reüssieren. Gerade deshalb ist es ein außergewöhnlicher Titel: Dog Days ist ein mutiges Spiel, das anzusehen sich auch zwei Jahre später noch lohnt. 

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