Unload your weapons! - Wege aus der Shooter-Krise

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Klick, päng, tot: Es ist die beliebteste und massentauglichste Spielmechanik der Gegenwart, doch irgendwie riecht der Shooter schon ein bisschen nach alten Socken. Jan Bojaryn hat für die letzte WASD einen wunderbaren Text zum Thema verfasst, doch mir geht es diesmal weniger um Grundlegendes als vielmehr schlicht pragmatisch Spielmechanisches. In Zeiten, in denen jedes Archäologenabenteuer hundertfache Schusswechsel bieten muss und in den narrativ spannendsten Luftschlössern schnöde Headshots der Story im Wege stehen, könnte man auch ganz abseits von Fragen ethischer oder moralischer Natur auch schlicht mit Recht von einer Übersättigung sprechen. Muss das sein - oder kauern sich die Gamesdesigner nur aus purer Angst im vermeintlich kommerziell sicheren Hafen der Shooter-Massenbegeisterung zusammen?

Ein wenig Mut wäre angebracht, vor allem, weil im Gefolge der Diskussionen um Infinite, Tomb Raider und Dead Space auch immer mehr Spielern auffällt, dass das obligatorische Gegnertotklicken ein wenig schal geworden ist. Ein paar Gedanken darüber, wie sich First- und Third-Person-Shooter von ihren namensgebenden Wurzeln entfernen und dabei neu erfinden könnten.

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These 1: Weniger ist mehr. 

Hunderte Gegner per Mausklick ins digitale Nirwana zu befördern, mag verlässlich die ohnedies immer weiter schrumpfende Spieldauer anfüllen, doch irgendwie geht angesichts immer anspruchsvoller oder realistischer werdender Stories der Spagat zwischen Massenmord und Handlung immer weiter auseinander. Wie wäre es, wenn statt hunderter Morde gesichtsloser Henchmen der verbissene Kampf mit einigen wenigen, aber dafür umso härteren Gegnern stehen würde?

Volker Bonackers Tomb Raider würde von einer derartigen Reduktion ebenso profitieren wie meine eigene Vision eines vom Shooterfließband abkehrenden Dead Space 3 - dann klappt's auch mit der ludonarrativen Dissonanz.

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These 2: Alternativen anbieten.

Es gibt, mit Karl May gesprochen, eine Erotik des Anschleichens, und eigentlich ist nicht einzusehen, dass prinzipiell immer die Waffen sprechen müssen - mit Realismus hat das übrigens ja auch nix zu tun. Sich verstecken, weglaufen, die Feinde austricksen, KO schlagen, weglocken, in Fallen scheuchen, sie gegeneinander aufhetzen, von hinten überfallen, ihnen Angst machen, sie in die Flucht schlagen, sie umgehen, die Umgebung gegen sie einsetzen - Himmel, der Fan jedes noch so tumben Actionfilms könnte den meisten Gamedesignern in Sachen kreative Gegnerbeseitigung mehr Tipps geben als selbst in ansonsten innovativen Spielen zum Einsatz kommen.

Klar: Abknallen ist einfacher zu programmieren - und weil sich die Branche in den letzten Jahren mit der Besessenheit religiöser Fanatiker an den Fetisch Fotorealismus geklammert hat, mussten Kleinigkeiten wie AI leider ein paar Runden aussetzen. Jetzt wär's an der Zeit, halbwegs intelligente Gegner zu programmieren und dafür, sagen wir, dem Spieler pro Feind zur Abwechslung mal nur mehr 0,3 Patronen Munition zu geben. Deal with it.

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These 3: Neue Werkzeuge ausprobieren.

AK-47, Desert Eagle, Uzi, H&K MP5 - dass ich als Pazifist ein gutes Dutzend moderne und historische Schusswaffen beim Namen nennen und sie sogar optisch identifizieren kann, sollte uns vielleicht zu denken geben. Fakt ist, dass die Bleispritzen aller Marken auch abgesehen von ihrer realen Verwerflichkeit inzwischen kaum Originalitätspreise gewinnen. Wie wärs mit ganz anderen Werkzeugen? Das muss nicht mal so pazifistisch sein: Dass die schlichte Einführung von Pfeil und Bogen in verschiedenen Titeln für solche Begeisterungsstürme gesorgt hat, zeigt, wie fade reguläre Schusswaffen geworden sind.

Wie wärs mit realistischen Schleudern? Wie wärs mit einem Spiel, das uns zum Lasso-Meister macht? Wie wärs mit gutem Nahkampf - oder muss da Zeno Clash 2 wieder alles selber machen? Habt ihr gewusst, dass das Yoyo ursprünglich eine Waffe war? 

Dabei rede ich noch gar nicht von dem, was sonst so möglich wäre. Gravity-Gun, Portalkanonen, Magie, eine Waffe, die die Zeit manipuliert - und Crysis 3 bietet uns als "Innovation" ein Maschinengewehr, das "500 Schuss pro Sekunde" abfeuert. Seufz.

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These 4: Andere Architekturen nutzen.

Die flachen Schlauchlevels in erdigem Braun, die gefühlt in jedem einzelnen Call of Honor: Medal of Black Ops seit den späten Neunzigern vorkommen, sind nicht nur optisch und spielerisch alle gleich - Stichwort: Whac-a-Mole in Bagdad -, sie werden auch von den gleichen Großraumbürobewohnern gestaltet, die niemals Stiegen steigen und ihre malerischen Dritte-Welt-Locations von Spiel zu Spiel auf Karopapier durchpausen.

Warum? Weil mit dem Siegeszug der Konsolen-FPS leider der Blick nach oben oder unten aus der Mode gekommen ist. So läuft man in den meisten "modernen" Shootern mit der Genickstarre jener Hundehalskegel herum, die verhindern sollen, dass sich Lumpi die Ohren wundkratzt. Zum Glück könnte mit neuer Hardware wie dem Oculus Rift jener "natürliche" Blickwinkel ins Spiel zurückkehren, den - pssst! - Keyboard-und-Maus-Spieler seit jeher als die natürlichste Sache der Welt ansehen. Wie wärs mit einem Spiel, in dem man konstant nach oben klettert - oder aber in eine endlose Unterwelt absteigt? Wie wärs mit einem Bioshock Infinite, das tatsächlich etwas aus seinem Setting macht? 

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These 5: Nicht alles wollen.

Ein Spiel, auch ein großes, muss nicht alles können, auch wenn die angstschwitzenden Heinis aus der PR-Abteilung behaupten, dass zwecks Zielgruppenmaximierung vielleicht doch noch ein Open-World-Pflichtteil samt Rollenspiel-Wurmfortsatz, Inventory-Management und Multiplayerkomponente mit rein muss.

Statt also einen grundsoliden id-Software-Shooter wie RAGE mit jedem Unsinn zuzukleistern, statt Tomb Raider ein Item- und RPG-System zu verpassen, das so nötig ist wie ein zusätzliches Nasenloch, statt Dead Space ein nicht funktionierendes Coversystem und Bioshock Infinite einen halbherzigen Stealth-Appendix und ein kaputtes Diebstahlssystem zu verpassen, könnte man das alles sein lassen und darauf vertrauen, dass die Spieler all diese netten Sachen nicht als Selbstzweck lieben, sondern weil sie in anderen Spielen relevant und essentiell waren.

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Ich bin gerne zuversichtlich: Spiele sind ein innovatives Medium. Wahrscheinlich ist es gut, dass sich die Diskussion um die Sinnhaftigkeit des Shooter-Erbes ausgerechnet an grundsätzlich gelungenen Spielen wie Tomb Raider, Infinite oder Dead Space entzündet - und auch hier nicht als Shitstorm, sondern als Hinterfragen von zu Konventionen erstarrten vermeintlichen Selbstverständlichkeiten. Das heißt natürlich nicht, dass der First- oder Third-Person-Shooter, wie wir ihn kennen, verschwinden wird - doch den Ehrenplatz als Industrieparadigma sollte er langsam, aber sicher räumen.

Die neuen Antworten, sie werden kommen - und es würde mich wundern, wenn nicht genau jetzt so mancher innovative Gamesentwickler zu ähnlichen Schlüssen kommt wie ich. Oder, was ich fest annehme, zu noch besseren. Tschüs, Shooter! Du hattest einen guten Lauf.

Zeit für etwas Neues.

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Kommentare

Das Ende des Ballerspieles wird regelmäßig ausgerufen und immer wenn es mal etwas schwächelt, kommt irgendeine kleine Idee die dem ganzen wieder Feuer macht. Narration, Multiplayer-Matchmaking, RPG-Elemente, Deckungssysteme, Fahrzeuge, Open-World, Physik-Spielerei. Insofern bin ich ganz hoffnungsvoll, dass neue Ideen ihren Weg finden werden. Der finanzielle Druck nimmt ebenfalls zu, siehe Tomb Raider - nicht umsonst sind die jüngsten Batman-Spiele oder DayZ so erfolgreich. 

Ich frage mich aber, ob das tatsächlich nur ein Shooter-Problem ist. Irgendwie habe ich generell den Eindruck, dass sämtliche AAA-Spiele, von Starcraft über Call of Duty, Uncharted und Skyrim bis hin zu den Racern, unter dem Druck von unter Achievements, Talentbäumen, XP-Systemen, Multiplayer-Komponenten und Community-Building zu einer uniformen Masse verschmelzen.

An allererster Stelle ein bisschen Lob: Super Artikel!

Ich würde einfach mal spontan den meisten deiner Thesen zustimmen, besonders eine generelle Entschlackung und Reduzierung der Spielmechaniken und die Konzentration auf die wesentliche Shooter-Spielelemente wäre wirklich wünschenswert.

 

Dass Shooter in ihrer Spielmechanik feststecken, ist klar. Auch ich vermisse neue, frische Ideen, die beispielsweise Tomb Raider gebraucht hätte. Mich unterhält es in der jetzigen Version prima, doch wäre es noch besser, noch mutiger gewesen, eben nicht 400 Gegner auf die ach so unerfahrene Lara zu hetzen. Man hätte dem Third-Person-Genre tatsächlich Impulse verleihen können, wenn man den Shooter-Aspekt reduziert und mit dem Überlebenskampf kombiniert hätte. Nun jedoch überlebt Lara nicht, sie metzelt einfach nieder, so wie man es aus Gears of War und Konsorten kennt.

Ich habe dank The Darkness 2, Spec Ops oder Binary Domain in der letzten Zeit wirklich gute Shooter gespielt. Ja sogar Genre-Primus Call of Duty wagt etwas Neues in Black Ops 2 mit den Strategie-Missionen. Eine wirkliche Innovation in der eigentlichen Shooter-Mechanik bleibt dennoch aus. 

Ich bin ja schon froh, wenn mir Shooter lediglich neue Szenarien bieten. Ich frohlocke über das absurd rasante Gameplay aus Vanquish und schätze die Kreativ-Komponente in Bulletstorm. Ein dazugehöriges Umdenken in der Spielmechanik in Kombination der bereits vorhandenen Ideen, also komplexe Handlung (Bioshock, Spec Ops, Binary Domain), phantasievolles Design (Vanquish) oder Genre-Verbindungen (Black Ops 2), könnte den Shooter vollkommen auf den Kopf stellen. Nötig wäre es allemal.

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[...] selbst habe vor einiger Zeit schon ein paar Gedanken zur Innovation im Shooter-Genre geäußert, Volker Bonacker hat in "seinem" Tomb Raider Kreatives zu Protokoll [...]

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