Was man spielen soll: Brigador
Auch der zweite Blick auf dieses Spiel täuscht: Brigador sieht, in dieser Puppenhaftigkeit, in seinem Feuerwerk bunter Schüsse, Explosionen und niedlich winziger Kriegsgerätschaften, haargenau aus wie ein Twin-Stick-Shooter - wer es allerdings genau so spielen will, wird sich in Sekundenschnelle die Zähne auch an den einfachsten Herausforderungen ausbeißen.
Missverständnis Nummer drei liegt im Wechselspiel zwischen Kampagne und Freelance-Modus: Statt parallel und getrennt nebeneinander zu existieren, greifen das Absolvieren der durch eine dürre Story verknüpften Abfolge von Kampagnenmissionen und das freiere Spielfeld der Freelance-Aufträge ineinander. In der Kampagne haben wir in jeder Mission die schmale Auswahl aus vier, fünf Mechs oder Panzern, mit völlig unterschiedlicher Bewaffnung und somit Strategie, die Freelance-Missionen dürfen wir mit selbst zusammenstellbarem Gefährt bewältigen. Das Geld aus der Kampagne brauchen wir für den Ausbau unseres Arsenals, und zugleich zeigt sie uns eine Vielzahl von Spielmöglichkeiten mit den unterschiedlichsten Vorkonfigurationen - vom langsamen Vernichtungsschlachtschiff bis hin zum wendigen Tarnkappengleiter.
Dass Brigador sich selbst nicht besser erklärt, ist vielleicht jener letzte fatale Fehler, der es ungerechterweise zur Obskurität verdammt. Ich habe selten ein Spiel gesehen, das sich in der ersten Stunde, im Tutorial, so unattraktiv unter Wert verkauft. Statt die beeindruckend detaillierten Szenarios der späteren Levels zu zeigen, beleidigt es unser Auge mit krass simplifizierten Übungslevels, die über SVGA-Niveau kaum hinauskommen; die emotionale Klage des Entwicklers, dass sich nach Release kaum Reviews ergeben hätten, ist meiner bescheidenen Ansicht nach exakt diesem schwachen Start ins Spiel zu verdanken.
Der Grund, warum ich Brigador, dieses kleine, von den genannten schweren Missverständnissen zu Boden gedrückte Spiel, dennoch hier (noch dazu nach langer Zeit ohne Spieleempfehlungen auf VGT) ins Rampenlicht rücke? Weil es sich nach kurzer Zeit unter dieser Last erhebt, sich lässig abschüttelt und mühelos zu einem absolut einzigartigen, souveränen Spielerlebnis wird, das seinesgleichen sucht.
Es dauert ein bisschen, bis man diese Größe erkennt, doch dann ist sie da: Die Kleinheit der Welt offenbart sich nicht als niedliches Puppenhaus, sondern zeigt sich im Detail als düstere, von zynischer Lakonik geprägte Cyberpunk-Architektur im Erbe von Syndicate. Diese Änderung des Blicks auf das Spiel ist durch die Spielweise bedingt, die Brigador, entgegen seiner Anmutung als Twin-Stick-Shooter, zwingend verlangt: ein langsames, vorsichtiges Vorantasten, ein taktisches Aufklären, mit sorgsamer Wahl des Kampfortes und der Route. Dann, erst dann, öffnet sich der Kern des Spiels, der, wie ich meine, ziemlich einzigartig ist: zu gleichen Teilen Action wie (simple, aber dennoch fordernde) Simulation und Taktik, wie sie sonst nur in Echtzeitstrategiespielen mit fixen Einheiten, wie etwa eben Syndicate, gefordert ist.
In Brigador mit einem Mech mit starker Feuerkraft ins Feld zu ziehen, erfordert eine ganz spezielle Mischung aus Reaktionsvermögen, taktischem Geschick und Vorsicht. Bietet mir das Terrain genug Deckung, dass ich aus der Ferne angreifen kann? Kann ich Hindernisse für mich nutzen oder ebne ich sie ein? Habe ich genug Platz für den Rückzug, wenn es brenzlig wird? Wie setze ich Nebelgranaten oder Camouflage ein, um einen taktischen Vorteil zu erlangen? Es ist eine großartige Leistung dieses kleinen, schweren Spiels, dass sich tiefe, ernsthafte taktische Fragen unter seiner minimalistischen Oberfläche verbergen, die dennoch allen Platz darin finden. Die Massivität von Mechs oder Panzern überträgt sich schon durch ihre Steuerung und bedingt allein dadurch ein anderes Spielen: Während mit der Maus der Geschützturm steuerbar ist, erfolgt die Bewegung des Kolosses selbst wie bei einem realen Panzer, der zuerst in die jeweilige Richtung gedreht werden muss, bevor es vorwärts geht. Auch der schwerste Kampfkoloss ist nur Altmetall, wenn ich unklug agiere; die reflexhafte Baller-Action von äußerlich ähnlichen Spielen könnte nicht grundlegend unterschiedlicher sein.
Die kleineren Gefährte - wendige Mechas, bewaffnete Jeeps und Hovercrafts - bieten dafür, bei gewohnter Steuerung mit der Möglichkeit der Seitwärtsbewegung, also Strafing, völlig andere Herausforderungen. Wie kann ich meine überlegene Beweglichkeit im Kampf gegen turmhohe rollende Festungen ausspielen? Wie nutze ich die Stealth-Mechanik richtig, ohne enttarnt zu werden? Je nach Spielstil ergeben sich neue taktische Möglichkeiten, die auch wiederholtes Absolvieren derselben Kampagnenmission mit unterschiedlichen Gefährten zu fast puzzle-ähnlichen Herausforderungen machen.
Es ist diese Kernfaszination der herausfordernden, taktischen Tiefe im Miniaturformat, die Brigador für mich absolut empfehlenswert macht. Wie Syndicate schafft es auch Brigador, die Kleinheit der Welt und Distanziertheit seiner Perspektive zum Baustein eines cyberpunk-klassischen dystopischen Settings werden zu lassen, in dem all die Zerstörung sich nach Missionsende in Dollarbeträgen widerspiegelt. Da ist es nur konsequent, dass sich das Nebenbei - die Menüs, Missionstexte und, eigentlich, auch das Tutorial - so sehr als nüchterne Bürokratiebühnen präsentieren, dass neben jedem neuen Missionsscreen ganz selbstverständlich die Erinnerung an die korrekten Steuerformulare für Einkünfte aus unseren explosiven Einsätzen steht.
Grafisch auf seine Art durchaus spektakulär, mit coolem, John Carpenter Respekt zollendem 80s-Synth-Soundtrack passend zur Cyberpunk-Ästhetik unterlegt, und mit selten in dieser Tiefe gesehenem taktischem Action-Gameplaykern hat es sich Brigador verdient, jenseits der anfangs genannten Missverständnisse sein Publikum zu finden. Brigador ist ein gut verstecktes Instant-Kultspiel auf den zweiten Blick.