Was man spielen soll: The Signal from Tölva
Nur kurz zu den Basics, andernorts konventioneller beschrieben: Auf dem Alienplaneten Tölva geraten wir in Gestalt verschiedener Roboter auf der Suche nach dem titelgebenden Signal mit anderen Roboterfraktionen aneinander. Die Story, in Häppchen als Textblöcke findbar, ist nebensächlich, aber atmosphärisch; letztlich ist sie aber egal, denn die wahren Geschichten schreibt das Spiel emergent durch die Interaktion mit seiner lebenden Roboterschar. Jim Rossignol, früherer RPS-Journalist, Autor und Neo-Gamedesigner, hat es nicht nur im hiesigen Interview erwähnt: Die Blaupause für die aktive und autonome Roboterschar ist das A-Life benannte AI-System, das STALKER - Shadow of Chernobyl viel mehr zum zeitlosen Klassiker werden ließ als seine zugegeben auch beeindruckende Atmosphäre.
Eigentlich ein Trauerspiel, dass dieses kritisch und kommerziell erfolgreiche AI-System nicht mehr Nachfolger gefunden hat - ein Befund, der sich in Sachen AI wiederholt zeigt. Fortschritte in der AI, wie es sie etwa vor einigen Jahren auch bemerkenswert im Nemesis-System von Shadow of Mordor zu bewundern gab, scheinen oft fast folgenlos zu verpuffen. Dass etwa die Kampf-AI der NPCs aus dem zwölf Jahre alten FEAR heute noch immer der Benchmark ist, wie RPS vor kurzem ernüchtert analysierte, ist für ein Medium, das sich die stete technologische Fortentwicklung auf die Banner geschrieben hat, eigentlich absurd.
Warum das so ist, warum auf Fortschritte, auch kleine, in Sachen AI ewige Stagnation und Ignoranz folgen, ist schwierig zu erklären. Ja, AI ist teuer, ja, sie ist kein flashy Gimmick, den man in 90-Sekunden-Trailern vermarkten kann, und ja, die menschliche Intelligenz echter Mitspieler ist dank Multiplayer-Normalität immer noch ungeschlagen. Und trotzdem: Künstliche Intelligenz in Spielen wie STALKER, Signal from Tölva oder aber, in geringerem Ausmaß, auch im vor kurzem erschienenen Rain World, die sich selbst der Spielwelt bemächtigt, taktisch agiert und sich ausbreitet, ist ein Asset, das fasziniert. Das Spiel als Terrarium, in dem wir uns bewegen, und in dem ziemlich oft das Unerwartete geschieht - war das nicht auch irgendwann mal Bestandteil des Versprechens der Open-World-Urväter bis inklusive Far Cry 2?
Während Ubisoft - und all jene, die sich an dessen Patentrezept orientieren - diese Möglichkeit der offenen Spielewelt als Wildnis, als tatsächliches Reservat, in dem Unerwartetes geschehen wird, gegen ein immer formelhafteres Korsett aus Main Quest, Side Quest, Collectables, Grinding, Crafting und Mini-Challenges eingetauscht haben, um nur ja auch dem denkbar aufmerksamkeitsdefizitärsten Spieler keine Minute der Beschäftigungslosigkeit zu bescheren, geht Tölva den anderen Weg: Seine hinreißend gestaltete Welt ist zwar nicht ästhetisch leer, doch spielerisch fast befreiend geräumig. Die von Ian McQue gestaltete Ruinenwelt ist ein musealer Spielplatz, oder besser: ein Naturpark. Der Arbeitstitel "Alien Highlands" verrät nicht nur etwas über die Topografie, sondern auch über das Spielgefühl: Es gibt weite Ausblicke, majestätische Momente, aber auch eintönige, fast meditative monotone Wanderungen, die die Bewegung durch echtes Hochland eben mit sich bringt.
Und ästhetisch ist Tölva absolut gelungen: Sein Pastellplanet macht in jeder Minute, in jedem Moment seiner atmosphärischen Lichtstimmung gute Figur. Die großen Setpieces - gelandete Alien-Fregatten, riesige Wracks, turmhohe Ruinen, weite Täler - sind aber auch deshalb so eindrücklich, weil sie nicht den Gesetzen anderer, linearer Missionsdesigns folgen: Statt sie in "narrative" Missionen zu stecken und so dramaturgisch möglichst effizient zu präsentieren, sind auch sie Lebensraum - und somit direkt mit der einmaligen Erfahrung des jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgenden Besuchs verknüpft. Das Landeschiff der Zealots, der roten Roboterkonkurrenz, habe ich etwa ganz für mich als verlassenen Ort ohne jede verteidigung erlebt - weil ich die nach seiner Landung um diesen Ort patrouillierenden Einheiten eher zufällig in ein erbittertes Gefecht gegen die blaue Fraktion gelockt habe. Während sich also Lasersalven in den Vormittagshimmel hinter mir bohrten und sich Rot und Blau kurz, aber heftig gegenseitig aufrieben, war ich als lachender Dritter plötzlich allein an diesem sonst wohl bestverteidigten Ort - ein Erlebnis, das sich mir besser eingeprägt hat als so mancher "cineastische" Moment in dramaturgisch ambitionierteren Spielen.
Tölva verlangt wegen seiner lebendigen Umwelt auch andere Bewegung. Während das Signposting anderer Spiele und eingeübte Schablonen aus etlichen Jahrzehnten des Erzählens und Spielens meist genug Vorwarnung geben, verlangt Tölva Aufmerksamkeit. Der Feldstecher, den wir immer bei uns tragen, ist fast das wichtigste Werkzeug: Durch die Markierung weit entfernter Gegner lassen sich Hinterhalte planen, Ausweichrouten suchen oder auch nur Konflikte aussitzen. Und das ist zunehmend eine gute Strategie: Während wir am Anfang leichtes Spiel gegen die Gegner haben, zeiht der Schwierigkeitsgrad etwa ab der Hälfte rapide an. Was Tölva vom möglichen Vorwurf freispricht, ein skandalös ereignisarmer Walking Simulator zu sein, sind die Kämpfe mit einer langsam freischaltbaren Vielzahl an Laserwaffen: Ohne taktische Platzierung, gezielte Offensive und strategischen Rückzug zur rechten Zeit werden auch Duelle mit nur wenigen Gegnern haarig.
The Signal from Tölva ist auch deshalb bemerkenswert, weil es zeigt, dass ein vierköpfiges Team zu Großem fähig ist. Natürlich kann - und will - sich dieses Spiel nicht mit den Millionen-Blockbustern messen müssen, an die es in Sachen Style dank absolut gelungenem Design durchaus heranreicht. Vor allem aber bietet es etwas, das unverständlicherweise von den Großen aus verschiedenen Gründen vernachlässigt wurde: das Gefühl, eine Welt zu durchqueren, die wenig Rücksicht auf uns nimmt. Tölva ist keine Bühne, auf der sich alles um uns dreht. Genau das macht den Besuch dieser Welt so spannend.