Wer Spiele mit "Ist ja nur ein Spiel" verteidigt, tut ihnen keinen Gefallen
Klischees ahoi: Spiele sind “erwachsen” geworden, “in der Mitte der Gesellschaft” angekommen, mehr als “nur Spiele”. Man muss sich meistens weniger genieren, sich als SpielerIn zu outen, hat sich ein gewisses mediales Selbstbewusstsein angewohnt. Spiele, das hat sich herumgesprochen, sind vielleicht gar nicht so doof und schon gar nicht so gefährlich, wie das lange Jahre in reißerischen “Reportagen” (“Killerspieler trainierte in WOW Schulmassaker!”) behauptet wurde. Natürlich gibt es die maximal skeptischen Ahnungslosen noch, natürlich wird auch der niemals nachgewiesene Konnex zu Gewalt immer noch hervorgekramt, aber im Großen und Ganzen kann man sagen: Videospiele haben es geschafft. Sie sind mehr als “nur Spiele”, sie sind ein bedeutsames (Pop-)Medium, dem man Relevanz schlecht absprechen kann. “Ist ja nur ein Spiel”, dieses abfällige Urteil hört man heute selten.
Außer wenn man sie so behandelt wie andere Medien auch. Wenn man Spiele, vor allem große, populäre Spiele, über ihre reine Spielhaftigkeit hin untersucht. Wenn man einen Blick auf die Zusammenhänge zwischen ihrer Fiktion und der Realität wirft. Wenn man überlegt, ob und wie ihre oft auch nur unbewusst eingesetzten Themen, Mechanismen, Vorgänge entstehen und wie sie fortwirken. Wenn man sich fragt, wie politisch sie sind. Wenn man dargestellte Motive in einen gesellschaftlichen Kontext setzt. “Ist ja nur ein Spiel” - so hört man dann oft als Antwort. Allerdings nicht vonseiten jener, die mit Spielen nichts zu tun haben, sondern von jenen, die meinen, “ihr” Medium damit in Schutz zu nehmen.
Wenn Spiele auf jenes gedankliche Spielfeld gebracht werden, das in anderen Medien schlicht als “Kritik”, vielleicht als “Diskurs”, möglicherweise auch als “Feuilleton” seit Jahrhunderten selbstverständlicher Verhandlungsort von Literatur, Musik, Philosophie, Theater, Film ist, haben viele Freunde und Freundinnen des Spiels, die jahrelang für dessen Anerkennung gekämpft haben, plötzlich keine Lust mehr. Das von der Gegenseite jahrelang verächtlich vorgebrachte “Ist ja nur ein Spiel” wird defensiv: Man muss aber wirklich nicht so viel in das alles hineininterpretieren, man soll nicht alles so ernst nehmen, man braucht nicht unbedingt so konsequent, nein: verbissen an etwas herangehen, was schließlich “nur” Spaß machen soll.
“Ist ja nur ein Spiel” hat die Seiten gewechselt und ist das Abwehrargument all jener SpielerInnen geworden, denen zwar das “Erwachsenwerden” des Mediums irgendwie recht ist, weil es sie und ihre Medienwahl bestätigt, die aber dann schon die Augen verdrehen, wenn ihr Spaß näher untersucht oder gar kritisiert wird. Diese Abwehr ist erklärbar: In all den Jahren zuvor war jede “Kritik” am Medium immer von feindlicher Seite gekommen - von besorgten Müttern, ahnungslosen Politikern, schlampigen Journalisten, konservativen Medienskeptikern. Zugleich gab es kaum so etwas wie eine Kritik innerhalb des Mediums: Der aus der “enthusiast press” hervorgegangene Gamesjournalismus beschränkte sich bekanntlich auf das “Testen” von Produkten, nicht auf deren Diskussion, Interpretation oder Einordnung in gesellschaftliche oder politische Zusammenhänge - ein gravierender Unterschied zu anderen Medien.
Das führt dazu, dass diese Zusammenhänge auch heute noch, wo diese Art der Kritik, wenn man so will: des Feuilletons, entsteht, schlicht geleugnet werden. Wenn Gareth Damien Martin The Division etwa eine “perverse Ideologie” attestiert, ruft dies sofort den Verteidigungsreflex hervor: Derartige Kritik, so unzählige Einsprüche, schieße übers Ziel hinaus, darum sei es dem Entwickler nicht gegangen, wichtig sei doch vielmehr der Spielspaß, es sei absurd, hier überhaupt so etwas wie eine Ideologie zu unterstellen. “Go back to reading books” lautet einer der Kommentare zu diesem Text. Ein anderer: “This review was nothing more than a way to state your political and moral views. Has nothing to do with the game. It's just a game and nothing more. Made for entertainment. This article is ridiculous.”
Dass Popkultur (und in diese Schublade passt The Division zweifellos) so gut wie immer politisch ist, ist den Konsumenten so gut wie jeden anderen Popmediums so sonnenklar, dass eine solche Abwehr schlicht lächerlich wäre. Natürlich spielen Politik, Gesellschaft, Regeln, Konventionen, Zeitgeist, Diskurse in Entertainmentprodukten eine Rolle; umso mehr, wenn sie sich thematisch und inhaltlich so sehr an der Realität orientieren, dass sie einen Near-future-Zivilisationskollaps in einem minutiös nachgebauten New York beschreiben. Da nutzt auch die Beteuerung der Macher nichts, man sei nicht politisch - im Gegenteil: Diese naive Einschätzung beweist noch mehr, mit welcher Wirkmächtigkeit die verwendeten Motive, Themen und Ideologien unbewusst zum Ausdruck kommen.
Das Absurde an der Klage über diese vielen SpielerInnen zu weit gehende Kritik an “ihrem” Medium ist ja eigentlich, dass sie von Kritikern kommt, die das Medium offenbar ernster nehmen als seine Apologeten. Nur wer Spiele als komplexen Mechanismus aus Handwerk, künstlerischem Wollen und darunterliegender Ideologie - sprich: als stinknormales Kulturprodukt - versteht, kann beginnen, darüber auf einem Niveau zu sprechen, das über “macht Spaß: ja/nein” hinausgeht. Nur wer Spielen selbstverständlich zuspricht, als Ausdrücke spezifischer kultureller und gesellschaftlicher Umstände - sprich: als stinknormale Kulturprodukte - gelten zu dürfen, kann diese Umstände analysieren und sie in den Reigen anderer Medien und somit in jenes Gespräch der Welt mit sich selbst, das letztlich Kultur ist, einordnen. Nur wer das Medium so respektiert, dass er es als mehr als reinen Zeitvertreib, sondern überhaupt als Kulturprodukt begreift, noch dazu als stinknormales, und es dann auch so behandelt, sprich: ohne die gönnerhaften Stützräder des dauernden Verweises auf seine Belanglosigkeit, kann letztlich auch seine Qualitäten schätzen. Wer Spiele ernst nimmt, muss sie kritisieren, nicht nur feiern und verteidigen.
Wer meint, Spiele mit “ist ja nur ein Spiel” gegen Kritik zu verteidigen, erweist ihnen einen schlechten Dienst. Man mag die jeweiligen Kritiken als falsch, dumm oder haltlos ansehen; dann soll man ihnen mit Argumenten begegnen oder sie schlicht ignorieren. Ihnen als “Gegenargument” damit beikommen zu wollen, dass diese Art von Kritik zu hoch gegriffen sei, weil das kritisierte Kulturprodukt “nur ein Spiel” ist, ist ein deprimierender Befund darüber, wie man seine eigene Zeit verbringt. Spiele sind ein stinknormales Kulturgut geworden; wenn sie differenzierte Kritik aushalten, sollte ihr Publikum das auch schaffen.
Kommentare
Exzellente Argumentation.
Exzellente Argumentation. Vielen Dank dafür!
Schwierig
Stimme dieser Argumentation zu 100% zu. Man möge sich allerdings nur angucken wie Tester und deren Fans mit Spielekritik umgehen und wie viele beispielsweise das Wertungsspektrum ausnutzen. Es gibt nur noch wenige "Profis", die Kritik wichtig finden. Du findest dauernd Tester, die betonen, dass sie objektiv sein wollen....
Die "Objektivität" ist ja
Die "Objektivität" ist ja ohnedies bei einem Kulturprodukt nur scheinbar - die ist ein Relikt aus einer Zeit, in der eben das technische "Funktionieren" beurteilt werden konnte. Was ich ja zB im Text gar nicht anspreche, ist die bei KillScreen über dem kritischen Artikel stehende Zahlenwertung. DAS ist dann wirklich absurd, einer differenziert und abseits vom "Funktionieren" argumentierenden Kritik eine Zahl zwischen 1 und 100 gegenüberzustellen.
"Die "Objektivität" ist ja
"Die "Objektivität" ist ja ohnedies bei einem Kulturprodukt nur scheinbar" - Absolut, umso trauriger, dass vermeintliche Journalisten "objektiv testen" anstrebenswert finden.....
Man kann gar nicht...
...oft genug danke sagen. Dankedankedanke. Dass Computerspiele nur dann ernst zu nehmen sind, wenn es einem gerade in den Kram passt, macht mich manchmal wahnsinnig. Die gedankliche Faulheit, die dahinter steckt! Argh!
fancy
oha, das kommt jetzt so visitenkartenmäßig rüber mit der URL. war jetzt nicht so gewollt. was ist denn das für ein plug-in?
Interessanter Punkt, aber manchmal ist ein Spiel nur ein Spiel
Durchaus interessanter Punkt, dass viele Spieler sich nicht genauer mit den Inhalten und Hintergründen auseinandersetzen wollen oder vielleicht auch nicht können. Aber ich bin auch der Ansicht, dass die beschriebenen gesellschaftlichen Kritiker vielleicht hier und da über das Ziel hinaus schießen, weil ein Spiel manchmal wirklich nur ein Spiel ist vom Design her. Gerade in dem noch relativ jungen Medium Spiele stehen heutzutage in den meisten Fällen definitiv Gameplay und Grafik vor einer tiefgründigen Story, insbesondere bei solch großen Produktionen wie The Division, mit denen viel Geld verdient werden soll. Es gibt auch andere Beispiele, bei denen es andersrum ist.
Ich gehe schwer davon aus, dass man bei der Entwicklung von the Division zunächst ein Gameplay-Konzept erstellt hat, über das dann eine Story geschustert wurde, die ist dann wie in den meisten Spielen nur Mittel zum Zweck. Es mussten also einige verschiedene Feindbilder her und da hat man eben was halbwegs passendes gesucht. Auf dieser Basis dann etwas gesellschaftstkritisch zu diskutieren, bedeutet für mich nur, dass man das grundlegende Gamedesign und die Vernachlässigung einer tiefgründigen Hintergrundgeschichte kritisiert.
Die Entwickler haben ja offenbar gesagt, dass sie im Grunde nichts politisches im Sinn hatten...
Letztendlich führt die Diskussion dann wohl dazu, dass bei kommenden Produktionen (vielleicht) besser auf diesen Punkt geachtet wird, damit diese dann auch wirklich als vollständigeres Kulturgut betrachtet werden können.
Diverse Autoren kritisieren ja auch, dass sie eben viel zu spät in die Produktion geholt werden, um eben eine Story auf ein Spielekonzept zu schustern, was natürlich niemals so gut sein kann, wie bei einem Spiel, bei dem von Anfang an beides Hand in Hand entsteht (Spielekonzept und Story).
@ThomasR: Die tatsächlichen
@ThomasR: Die tatsächlichen Kritikpunkte an, in dem Fall, Division sind ja eigentlich Nebensache - was Anlass für meinen Text war, ist eben die gebetsmühlenartige reflexhafte Verweigerungshaltung, solche Diskussionen überhaupt zuzulassen. Mit "ist doch nur ein Spiel" wird eben jede weitere Reflexion verweigert - ob die Kritik an Division berechtigt ist, kann dann ja nicht einmal mehr diskutiert werden, dabei wäre DAS ja eigentlich interessant. Sofort zu blockieren, weil "it's just a game", ist eben - siehe oben - eine Geringschätzung des Medioums, das man damit zu verteidigen glaubt.
Im Fall von Division könnte man der Kritik ja immer entgegnen: Na und? Dann bildet das Spiel eben das reaktionäre Weltbild von Clancy ab, bzw, vielleicht macht es dieses Weltbild durch seine bewusste Nicht-Thematisierung ja sogar fragwürdig (wäre ja möglich). Stattdessen bekommen jene, die Spaß dran haben, ein schlechtes Gewissen, weil sie meinen, sie würden jetzt gescholten - dabei richtet sich die Kritik an keiner Stelle gegen die Spieler, sondern nur gegen die Macher, die - so eine IMO berechtigte Kritik - hier eben gedankenlos ein krudes, kaum überlegtes Zerrbild von eigentlich politisch brisanten Themen und Motiven zusammenklopfen und sich dann drauf rausreden, sich gar nix dabei gedacht zu haben.
Entweder alle oder keins
Erstmal: danke für den Artikel. Ich finde, man kann da ruhig noch weiter gehen: die Antipolitik, die da gegen solche Kritiken aufgeführt wird, ist blind gegenüber ihrem eigenen politischen Aspekt. Denn Spiele, die explizit auf bestimmte Arten und Weisen politische Kommentare abliefern, werden ja von den selben Leuten gehasst und als "schlechte Spiele" bezeichnet. Diese Antipolitik ist in ihrem Kern konservativ, weil sie einen status quo erhalten will.
Zudem kann man da auch noch einen anderen Aspekt reinbringen, nämlich die Tatsache, dass Spiele viel öfter als Produkt oder Ware behandelt werden denn als Kulturobjekte. Es gab doch diese seltsame Werbung für GTA V, wo eine Stimme aus dem Off die Innovationen anpries. Chris Franklin hat das vor einer Weile mal in diesem Kontext verarbeitet.
Es gab von dem grossartigen Chris Franklin schon vor einer Weile mal ein sehr gutes Video dazu:
https://www.youtube.com/watch?list=UUm4JnxTxtvItQecKUc4zRhQ&v=7_tdztHiyiE
@ThomasR: So funktioniert das nicht, finde ich. Entweder wir können alle Spiele, alle Filme usw. politisch analysieren, oder keins. Nur weil die Entwickler sagen, sie wollten nicht politisch werden, und weil sie sich keine besondere Mühe bei der Story gegeben haben, heisst das nicht, dass (zumal wenn Tom Clancy draufsteht) so ein Spiel nicht eine zutiefst politische Message haben kann. Der Punkt an Kritik ist ja eben, dass sie sich unabhängig macht von Fragen wie "was wollte uns der Autor damit sagen", aber auch "was genau passiert jetzt im Gehirn eines Spielers, wenn er das spielt". Weil es geht ja überhaupt nicht darum, ein endgültiges Urteil "gut/schlecht" über ein Spiel zu fällen. Was vielleicht ein Aspekt an diesem grundsätzlichen Missverständnis sein mag, warum Spieler solche Kritiken so persönlich nehmen (und ja, die Tatsache, dass Kill Screen an Punktevergaben festhält, läuft da total kontra und ist komplett bescheuert).
Kritiken in diesem Sinne sollen eine Diskussion anstossen und ermöglichen, nicht eine Kaufentscheidung. Sie sollen eine neue Perspektive auf ein bekanntes Kulturprodukt geben, so dass ich Kritiken auch mit Gewinn lesen kann, wenn ich das Spiel gar nicht spiele oder schon durchgespielt habe. Das ist die klassische Aufgabe des Feuilletons - selbst eine eigene Unterhaltung zu sein, nicht bloss Produktinformationen verbreiten.
https://www.youtube.com/watch
https://www.youtube.com/watch?v=GxZuq57_bYM
Kritik immer möglich...
Ich würde nochmal ergänzen wollen zu meinem vorherigen Beitrag.... ich denke schon, dass jedes Spiel gleichermaßen kritisiert werden kann, aber frag mich, wie sinnvoll die Kritik sein kann bzw. was man sich davon erhofft. Spiele wie Fangen oder Verstecken sind auch einfach nur Spiele, die kann man lang und breit analysieren, muss man aber nicht. Bei Spielen wie Cowboy und Indianer oder 'Familie spielen' gibt's aber im Gegensatz vielleicht wirklich was, was tiefgründiger ist und über das man sich unterhalten könnte. Ähnlich seh ich das auch bei Videospielen....
Einerseits für die Entwickler, das eine oder andere verändern zu müssen und besser machen zu müssen, wozu auch die klare Positionierung bei angesprochenen Themen gehören könnte. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass die sich eben gar nicht so klar positionieren wollen, um eben keine Leute anzugreifen und damit Kunden zu verlieren.
Andererseits geht es hier ja offenbar um die kritische Auseinandersetzungen mit den Spielern, die wahrscheinlich (muss man ja leider sagen) oft nicht die hellsten Sterne am Himmel sind und von der Seite her wenig Konstruktives zu erwarten ist, insbesondere im deutschsprachigen Web. Bei den üblichen Mainstream-Spielen dürfte das ganz besonders gelten. Bei Spielern von Titeln wie This war of Mine und ähnlichen dürfte es schon eher zu sinnvollen Auseinandersetzungen kommen, wenn man alleine schon auf entsprechende Kommentare in den 'News' zu dem Spiel achtet, dann ist da meistens mehr sinnvolles zu lesen als bei Shootern.
Dann gibt es sicherlich auch Spieler, die durchaus geistig in der Lage wären, in eine Diskussion sinnvoll einzusteigen, die aber spielen, um eben abzuschalten und nicht ihr Game ausdiskutieren wollen, weil im Endeffekt auch recht wenig für sie die dabei rauskommt, grad im Inet, wo meistens nur Trolle unterwegs sind.
@ThomasR: Ich widerspreche
@ThomasR: Ich widerspreche dir nicht darin, dass manche Spiele mehr hergeben in Sachen differenzierte Analyse als andere. Tetris auf spätkommunistische Ideologie zu untersuchen oder bei Flappy Bird nach Spuren des Vietnamtraumas zu graben sind Unternehmungen, die man mit ein bisschen mehr Recht als unnötige Gehirnakrobatik abtun kann.
ABer, zur Erinnerung: Anlass dieses Texts ist die Verweigerungshaltung, über ein Spiel wie The Division nachzudenken. Ein Spiel, das in einem 1:1 nachgebauten New York spielt, Szenen von Katrina und 911 motivlich aufnimmt, von einer Seuche erzählt, die durch Dollarnoten zum Hauptkampftag des Kapitalismus unters Volk kommt und dazu führt, dass Schläferagenten der US-Regierung auf eigene Faust gegen ein Potpourri aus realen "Unterschichten" und traditionell gewerkschaftlich organisierten öffentlich Bediensteten nachempfundenen Feinden zu Felde ziehen.
Wenn auf eine derartige Steilvorlage für Interpretation die naive Antwort vonseiten des Herstellers kommt, man sei "nicht politisch" und "nur ein Entertainmentprodukt", ist das schon mal der erste Lacher, der zweite bleibt einem dann aber angesichts der in weiten Teilen zum Abnicken dieser Chuzpe überbereiten Spielerschaft im Hals stecken. Es gibt wohl kaum ein politischeres Spielsetting aktuell - und bei diesem soll dann die treuherzige Kritikabwehr mit "Ist ja nur ein Spiel" auch gelten.
Anderes Beispiel: Als ich vor kurzem mal die Feststellung auf Twitter traf, dass es "etwas über das Verhältnis von Far Cry Primal zu seinem Thema aussagt", dass die Venus von Willendorf (im Original eine Handbreit hoch) darin als fünf Meter großes steinschleuderndes Monstrum vorkommt, wurde mir zum Teil mit genau diesem "Es ist ja nur ein Spiel" höchst emotional widersprochen - dabei war diese Aussage noch nicht einmal Kritik, sondern nur eine eigentlich banale Beobachtung: Klar sagt ein absichtlich nach historischer Vorlage in ein Spiel eingebautes Ding in diesem Kontext "etwas" aus - nämlich meiner Ansicht nach einen Hang zur effekthascherischen Dekoration. Aber da war die Diskussion schon wieder aus - nach Ansicht mancher Gamesverteidiger war das schon zu überkritisch an ein Produkt herangegangen, das ja nur der Unterhaltung zu dienen hat und durch diese Beobachtung ungerecht geschmälert würde.
Diese Mentalität ist ermüdend. Drum: Ja, es gibt sicher Spiele, bei denen die große Analysekeule überflüssig ist. Aber es sind die allerwenigsten.
This War of Mine
WHAT? Das ist ja total gaga. (Wo wir grad bei zu weit gehenden Interpretationen sind: ich hege ja den leisen Verdacht, das ganze Steinzeitszenario diente dazu, dass die Macher mit superrassistischen Bildern wie aus einem italienische Splatterfilm operieren konnten, ohne sich wie bei den Vorgängern dem entsprechenden Vorwurf aussetzen zu müssen, weil sind ja Steinzeitmenschen. Man muss Parzingers "Kinder des Prometheus" nicht gelesen haben, um den schrägen Widerspruch zwischen "authentisch" rekonstruierter Sprache und Kannibalismus, Schamanentum usw. komisch zu finden)
Übrigens, ThomasR, finde ich es auch interessant, dass Du This War of Mine als ein Gegenbeispiel bringst. Du hast sicher recht, dass Spieler an so ein Spiel bewusster rangehen, aber gerade bei TWoM (und anderen Titeln wie z.B. Papers, Please) habe ich eine kritischere Auseinandersetzung vermisst. Ich hatte den Eindruck, einige Rezensenten hatten sich so sehr nach Spielen gesehnt, die eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Thema suchen, dass sie die dann unkritisch abgefeiert haben.
TWoM aber arbeitet auf einer zweifelhaften Quellengrundlage (eine der Hauptquellen für das Spiel war ein anonymer Text über die Belagerung von Sarajevo, der in verschiedenen Versionen im Netz rumgeistert) und mit bestimmten Klischees über das "Überleben im Krieg", wo bei der Spieler "harte" Entscheidungen treffen muss: beklaue ich das arme alte Ehepaar, das sich nicht wehren kann und dann verhungern wird, um meinem kranken Freund zu helfen? Tatsächlich zeigen aber andere Quellen und ethnologische Untersuchungen, dass in Sarajevo die Menschen zusammenrückten und sich halfen; dass versucht wurde, ein rudimentäres Kulturleben aufrechtzuerhalten, um eben nicht auf das nackte Überleben zurückgeworfen zu sein uvm. Ich habe vor einiger Zeit eine sehr gute Bachelorarbeit darüber gelesen, wie TWoM versucht "Authentizität" herzustellen (in den Berufungen auf die Quellen (v.a. literarisch verarbeitete Tagebücher), in den vielen grafischen und spieltechnischen Anspielungen auf Sarajevo (ein erwachsenen Spielern medial wohlvertrautes Ereignis) bei gleichzeitiger Behauptung einer überhistorischen Gültigkeit usw.; der Autor nannte das "Authentizitätsfiktion". In diesem Bereich könnte auch die Kritik stärker ran. Stattdessen kommentierte Kill Screen: "War as it really is".
mein Fazit
Mein Fazit aus der ganzen Diskussion ist, dass Games in jeder Hinsicht noch ein sehr junges Medium sind und erst seeeeehr langsam erwachsen werden. Das geht von Entwicklern, die sich erst langsam trauen müssen, tiefgründigere Themen zu behandeln, über Kritiker, die anfangen müssen mehr als nur die technische Seite und die oberflächliche Story zu kritisieren, bis zu den Spielern, die auch anfangen sollten, sich ernsthafter mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aller Anfang ist schwer....
mehr als ein videospieleigenes Symptom
Ich mag nun klar zu kulturpessimistisch eingestellt sein, aber für mich spiegelt sich hier lediglich wieder was uns täglich in allen Medien verfolgt - es gibt kaum noch interesse an ernsthafter Reflexion, daran sich mit Stoffen nicht nur oberflächlich auseinanderzusetzen und vor allem auch sein eigenes Schaffen stetig zu hinterfragen...wir scheinen schlicht in einer Welt zu Leben in der es wichtiger scheint zu "funktionieren" denn zu "leben", in der man sich von drängenden Fragen lieber ablenkt oder mit einfachen Antworten begnügt, anstatt sich um eine zumindest kontingente Antwort zu bemühen. Der Aufstieg rechter Parteien (und rechter Rhetorik in etablierten Pateien) in allen Teilen Europas zeichnet hier doch ein sehr deutliches (und düsteres) Bild fürchte ich...und wird leider von den meisten Medienschaffenden mit noch mehr Spektakel (weiß denn zB. heute auch nur irgendjemand annähernd was in jener Nacht in Köln tatsächlich passiert ist?) beantwortet.
Insofern sind Spiele inzwischen sicherlich ein "stinknormales Kulturgut", leider ist es differenzierte Kritik nicht mehr.
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