Zum traurigen Zustand der Spielkritik
Also schnell durchspielen, damit man noch Zeit hat, das kurze Spiel umzutauschen. Kein Wunder, dass sich auf Twitter erste Proteste vor allem vonseiten von Indie-Games-Entwicklern zeigen. Die gerade für die Macher kurzer Spiele fatale Refund-Politik von Steam geht diesen nämlich an die Existenz. Dass im Rahmen einer “Best of”-Liste scheinbar dazu aufgerufen wird, das kurze Spiel mal eben durchzulaufen und dann zu retournieren, ist aber gar nicht Hintergrund dieses Satzes. Immerhin sind da ja die mysteriösen “legitimate reasons”.
Ein wenig Aufregung später wirft Dale diese Ergänzung nach:
To clarify the above statement regarding refunds, while I view this game as a work of fiction, and recommend people play it as such, many players view the narrative as an accurate work of non fiction.
If you fall into the camp that view this as non fiction, an aspect of the narrative implies that the content is stolen wholesale from another developer. While I paid for the game and believe doing so is a morally acceptable action, what I wish to make clear is that if players disagree with my reading of the narrative and feel I reccomended them an experience they didn't morally agree with, there is a financial way to back out of that purchase.
This is not an encouragement to back out of payment due to length, but simply me pointing out that if you finish the game and believe the narrative to be non fiction, and if you believe that you purchased stolen goods, there is a way to avoid your money remaining with that developer in this very specific case.
My initial vague comment was an attempt to avoid a major spoiler for the narrative, but has unfortunately left the reasons for my recommendations open to wider interpretation
Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Hat Dale TBG nicht verstanden? Die Fiktion des “Essay-Spiels” (c Benedikt Frank ), nämlich das Werk eines anderen zu zeigen, nicht zu durchschauen, ist ein Armutszeugnis für jemanden, der sich beruflich mit Popkultur und somit letztlich mit Fiktion auseinandersetzt. Doch selbst wenn wir gern annehmen, dass Dale selbst die Fiktion identifiziert hat - das schreibt sie ja in ihrer Klarstellung -, bleibt ihre verständnisvolle Parteinahme für jene, die TBG als “non fiction”, also als Realität, interpretieren wollen, mehr als peinlich.
Für all jene empörten Spieler, die nach Wredens kurzer Satire zum Schluss kämen, diese sei gar nicht fiktiv und er habe tatsächlich die Spiele seines Freundes Coda ohne dessen Wissen hier verkauft, müsse doch die Refund-Politik aus moralischen Gründen als Ausweg genannt werden, argumentiert Dale. Das sind die “legitimen Gründe”, warum eine Rückgabe sogar prominent im Artikel angesprochen wird: Der böse Davey Wreden des Off-Kommentars verdient den das SPiel so Interpretierenden zufolge das Geld nicht - und wenn erzürnte Konsumenten das fordern, sei die ausdrückliche (und sonst nirgends erfolgende) Nennung der Refund-Option ja irgendwie Service am Leser.
Klar, Menschen, die ein Werk nicht verstehen, auszulachen und ihnen vorzuhalten, sie würden “es” halt einfach nicht checken, ist fragwürdig. Aber das Gegenteil ist es umso mehr: Du hast das nicht verstanden und bist deswegen aufgewühlt? Hol dir zumindest das Geld zurück, damit der böse Mann wenigstens nichts daran verdient, dass du das Spiel ganz gespielt hast! Bei anderen Kulturprodukten - Büchern, Filmen, Platten - wäre so etwas absurd. Doch in einem Medium das sich von vorn bis hinten so sehr seinem Produktcharakter verpflichtet sieht, in dem die “Der Kunde ist König”-Mentalität so stark ist, in dem sich unironisch “Konsumentenrevolten” herausbilden, weil das Selbstverständnis eben eines des Konsums von Produkten, mehr: von “Intellectual Property” ist, stellen sich wie hier anscheinend sogar jene, die als “Kritiker” gelten, auf die Seite der Anspruchslosen. Ja, es ist die Schuld des Machers, wenn die Käufer am Ende etwas falsch verstehen - wieso ist das auch so kompliziert?
Noch einmal: The Beginner’s Guide nicht toll zu finden, ist kein Makel. Es nicht zu “verstehen” natürlich ebensowenig. Auch es “falsch” zu verstehen, ist okay und durchaus im Sinne des Erfinders. Aber wie peinlich, erbärmlich und deprimierend ist es, statt einer Diskussion dieses Themas einen Verweis auf die “Geld zurück”-Garantie zu geben?
Es gibt zu wenig Diskussion im Spielejournalismus, zu wenig Kritik, zu wenig Analyse und Interpretation. Die Produkte werden gehypt, jedes Infofetzelchen wird in “News” und “Preview”-Exclusives abgefeiert, als wäre die begleitende Presse ein bezahlter Zweig der Branchen-PR. Dazu gehören “Launch-Events”, “Pressereisen” und “Release-Day-Reviews”, in denen dann - meistens - das letzte Wort über die Spiele gesprochen wird. Das ist im Sinne der Macher: Die Welle des Hypes soll sich am Release-Tag brechen, um das Maximum zu verkaufen, wenn die Katze noch im Sack ist. Einen Monat später herrscht Grabesstille, es sei denn, es gibt DLC. Und zugleich wird gerade der nächste Hype aufgebaut. Über das Spiel selbst mag man in diesem Zirkus nicht sprechen, denn - huch! - beim geringsten Spoilerchen heulen all jene waidwund auf, die ansonsten für das Konzept der Trigger-Warnung nur Spott und Häme übrig haben. Die Beziehung zwischen dem Fan und dem Konsumprodukt seiner Leidenschaft ist heilig.
Natürlich gelten diese Mechanismen auch für andere Popmedien (hallo, Star Wars!), doch in Spielen verschärft sich dieses Versagen der Kritik. Es sei daran erinnert, dass das Verständnis kultureller Produktion als reines “Produkt” nicht jedem Medium von Geburt an derart eingeschrieben ist. Musik war jahrtausendelang eher eine Dienstleistung als ein Produkt, und ihre größten historischen Genies - die Größen der Klassik - haben bei Lebzeiten kein “Produkt” verkauft. Auch Literatur lässt sich abseits ihres Warencharakters beschreiben, und dank Bibliotheken und oft jahrzehntelang weitervererbten oder verschenkten Büchern ist das Werk viel weniger an den “Besitz” gebunden. Theater und sein Erbe, der Film, sind (oder waren es die längste Zeit) an ihre Orte gebunden, und wurden so auch als Gesprächsorte aufgefasst.
Die Diskussion all dieser Kultur war und ist selbstverständlicher Bestandteil ihrer Faszination; zu einem neuen Buch von Houellebecq gehört dessen Diskussion im Feuilleton selbstverständlich dazu, der neue Tarantino existiert nicht nur auf Zelluloid, sondern auch als Gesprächsthema und Anlass zur Stellungnahme, und von den Dylanologen, die jedes noch so verrotzte Tape ihres Gurus ehrfürchtig analysieren, muss man gar nicht anfangen - es reicht schon der Verweis darauf, dass große Platten gesellschaftliche Ereignisse sind, die über das Werk selbst hinausreichen.
Wenn ein Spiel solches versucht - und das tut The Beginner’s Guide -, ist der Verweis auf das Rückgaberecht bei Nichtverstehen eine so haarsträubende Kapitulation vor der Ewigkeit des Spielzeughaften des Mediums, dass ich kotzen möchte. Wer ist daran schuld? Wir alle: die Spielemacher, die sich großteils ohne Ambition mit dieser mickrigen Existenz zufriedengeben; die Konsumenten, die sich diese Diskussion aus Angst vor der Schmälerung ihres Konsumgenusses durch “Spoiler” nicht antun wollen und sich am liebsten mit einer fetten Zahl als Grundlage für eine Investition zufriedengeben; und auch die Kritiker, mich eingeschlossen, die sich zu wenig dafür ins Zeug legen, diese Diskussion über ihr Medium auch dann noch zu führen, wenn der Hypetrain schon beim nächsten Produkt angelangt ist. Oder wer traut sich, einen großen, hintergründigen Artikel zu einem Spiel durchzuboxen, das schon zwei Monate alt ist? Wir haben im fm4 Extraleben vor kurzem die Frage nach dem “Stigma Videospiele” gestellt, und eine Antwort ist auch die: Videospiele werden als Spielzeug abgetan, weil sie es sind. Ihre Macher bauen Spielzeug, das Spielzeugkunden konsumieren und das von Spielzeugtestern zuvor auf Funktionalität und zufriedenstellende Endorphinproduktion abgetestet wurde.
Der Verweis aufs “Geld zurück” und die Verteidigung dieser Frechheit durch das Recht des Kunden auf sein Unverständnis - das ist die Unterwerfung unter das Spielzeughafte, die dieses Medium noch lange, lange Jahre in den Kinderschuhen stecken lässt. Ich habe keine Ahnung, was zuerst kommen muss - die kritische Diskussion? die kritischen Konsumenten? Die Spiele, die Potenzial für diese kritische Diskussion haben, gibt es. Es ist lächerlich, sie einerseits als “best new IP” anzupreisen und im nächsten Atemzug als Leserservice darauf zu verweisen, wie man sie dafür bestraft.