Schrödingers Hypemachine
Treffen sich 50.000 begeisterungfähige Konsumenten und die versammelte Marketingmacht der Spieleindustrie in einer Halle in Los Angeles - E3 nennt sich dieser Witz. Die Pointe? Drei Tage voller nichtssagender, explosionsgeladener Trailer, mehr oder weniger gut vorbereiteten Pressestatements und Ankündigungen zukünftiger Ankündigungen. Manchmal auch ein paar echte Peinlichkeiten. Dann noch dieser Unfug mit den Messebabes, aber zu dem Thema hat die wunderbare Nina ja eigentlich schon alles gesagt.
Im August bekommen dann auch wir Europäer unsere Portion Hype und Bombast vorgesetzt: Gamescom nennt sich das Ganze, findet in Köln statt und ich werde auch dort sein. Wegen der GDC Europe, wie ich betonen möchte, denn diese großen Konsumentenmessen finde ich eigentlich scheiße, auch ohne dem Horror der verschwitzten Menschenmassen schon begegnet zu sein. Hier die Erklärung.
Zur letzten E3 sagte Michael D. Gallagher, Präsident der ESA, übersetzt etwa Folgendes: Sie “zeigt das Beste, was unsere Industrie zu bieten hat und bringt die enorme Energie, den Schwung und die Begeisterung für Videospiele auf eine globale Bühne”. Und genau das sind E3 und Konsorten: Bühnen. Dort wird inszeniert, man verkauft der Öffentlichkeit Erfolgsgeschichten, an die sie nur zu gern glauben will, und Spiele, die in der beworbenen Form doch so unglaublich verlockend wären. Mit Information hat das wenig bis nichts zu tun, eher mit Halbwahrheiten, oder Fiktion, oder schlicht mit Lügen.
Dass Rendertrailer wenig aussagekräftig sind, hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, trotzdem soll es noch Seiten geben, die sich an der Analyse dieser Kurzfilme abarbeiten. Aber selbst Spielszenen müssen mit dem fertigen Produkt nichts zu tun haben, wie der Fehlschlag Aliens: Colonial Marines eindrucksvoll bewies. Und das, wohlgemerkt, vor gerademal fünf Monaten. Die dreiste Marketinglüge der gezeigten, “fertigen” Inhalte scheint schon im Abstand von weniger als einem halben Jahr aus dem kollektiven Bewusstsein der Konsumenten verschwunden zu sein.
Dabei sind solche Einblicke in Halbfertiges selbst im besten Fall mit Vorsicht zu genießen: Tom Bramwell stellte etwa vor Kurzem richtigerweise fest, dass die Spielerfahrung von The Last of Us weder in Trailern noch in 20-minütigen Demos zusammengefasst werden kann. Erst das fertige Produkt gibt Gewissheit, nur das existiert zum Zeitpunkt der Präsentation eben noch nicht. “So geil wird das bestimmt mal werden!” sagt uns die zuversichtliche Plakatierung, aber hinter den Kulissen wird an der beworbenen Vision eben noch gebaut.
Überspitzt gesagt haben Spiele während ihrer Entwicklung, in diesem Stadium irgendwo zwischen Idee und Realität, das Potenzial, sowohl großartig als auch furchtbar zu werden. Eine gelungene Umsetzung hängt vom kunstvollen Zusammenspiel unfassbar vieler kleiner Rädchen ab, solange an diesen noch gedreht wird lässt sich schwer sagen, wie das Resultat aussehen wird: Selbst langweiliges Genrestandardfutter kann durch ensprechendes Polieren packende Unterhaltung bieten, gleichzeitig können tolle und interessante Ideen an umständlicher Steureung, langweiliger Mechanik, überbordender Komplexität oder fehlender Balance zerbrechen. Auch nicht zu vergessen: Bugs, Abstürze und seit neuestem auch Serverausfälle und dergleichen.
Das rasante Format von ein paar wenigen, vollgepackten Tagen setzt sich kritischer Analyse bewusst mit einem Maximum an Schall und Rauch entgegen
Zu all dem und mehr lässt sich auf Messen noch nichts sagen, dafür bliebe auch gar keine Zeit. Das rasante Format von ein paar wenigen, vollgepackten Tagen setzt sich kritischer Analyse bewusst mit einem Maximum an Schall und Rauch entgegen, im vollgepackten Terminkalender bleibt kaum genug Zeit, die schiere Flut an Information zusammenzufassen, geschweige denn über das Wiederkäuen von Marketingmaterial hinauszugehen. Oft witzeln Journalisten, die E3 selbst sei der schlechteste Ort, um zu erfahren was auf der E3 passiert, so gedrängt und unübersichtlich ist sie als Informationsveranstaltung.
Aber um Information geht es hier eben nicht, sondern um den von Gallagher erwähnten Enthusiasmus. Um Zukunftsbegeisterung, um makellos glattpolierte Entertainmentperlen, um die Vision der schönen, neuen Welt und um die technologischen Wunderwerke, die den Zugang zu diesem Traum versprechen. Es ist eine Vorstellung, der sich Spielefans zu oft hingeben, hingeben möchten, und die die Presse zu oft unreflektiert weitergibt.
Die Rolle der Industrie sehe ich dabei vielleicht noch am wenigsten kritisch. Okay, ihre Marketingbemühungen nehmen gerne herzlich bekloppte Formen an, aber dass sie sich um Hype bemüht, dass ihr eine Werbeveranstaltung lieber ist als eine Informationsveranstaltung und Bombast lieber als kritische Analyse, ist auch irgendwie verständlich. Nur warum sich die Spielermassen von so etwas nicht gegängelt fühlen und warum Journalisten sich für den Wahnsinn hergeben, will mir nicht so recht in den Kopf.
Schon klar, es gibt für beides Gründe. Ich verstehe ja auch wie verlockend die gebotene Vorstellung sein kann. Unser Medium basiert ja zu einem gewissen Grad auf Eskapismus, gerade die Unterhaltungsprodukte der Industrie leben vom Aufhübschen und Vereinfachen der Wirklichkeit, oder gleich von deren Abschaffung. Wenn es darum geht den Alltag kurz zu vergessen sind diese Fantasiewelten unübertroffen. Problematisch wird es nur, wenn diese Realitätsflucht in die Realität selbst getragen wird, wie bei der Theatervorstellung E3.
Trailern, Demos und Ankündigungen zu glauben, scheint aber viel angenehmer, als sich mit den Schattenseiten und Risiken der Industrie auseinanderzusetzen. Wie ungern das Publikum mit dergleichen konfrontiert wird, bewiesen unlängst ja wieder die Reaktionen auf die Probleme bei Double Fines Kickstarter Adventure und der Vorschlag eines Panels über Spaßbremsen bei der australischen PAX.
Der Spielejournalismus andererseits steckt in der misslichen Lage seine eigene Beteiligung an dieser Aktion durch den selbst erzeugten Medienrummel vergangener Jahre scheinbar absolut notwendig gemacht zu haben. Ewig in Schockstarre über ihre vermeintliche Machtlosigkeit, arbeitet die Presse hier munter an ihrer eigenen Abschaffung - ein Zugang den ich als Österreicher “weiterwurschtln” nennen würde. Die aufwändige, aber flache Berichterstattung scheint eben dem Publikumsinteresse geschuldet, das sie gleichzeitig selbst generiert. Konsumenten und Kritiker spielen sich hier aber gegenseitig aus, und erhalten damit eine verwirrende Veranstaltung, die letztlich nur einem Interessenten dient: der Industrie.