Literatur als Game: Joyce, Burroughs ... wie wärs mit Kafka?

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175Joyce, Burroughs, Kafka

Launiger Artikel auf Telepolis: Durch das Auslaufen der Verwertungsrechte werden 2012 die Werke von James Joyce gemeinfrei. Das ist insofern eine Erleichterung, als Joyces Erben üble Parasiten am Werk ihres Vorfahren sind, die schon mal öffentliche Lesungen aus Copyright-Gründen absagten. Unter dem Titel "Finnegans Quake" schreibt Peter Mühlbauer von den Plänen des Literaturprofessors Sean Latham, der vorhat, gemeinsam mit seinen Studenten "Ulysses" als Computerspiel herauszugeben - vor allem, um die Joyce-Erben so richtig zu ärgern.

"Die Überlegungen zu einem Joyce-Spiel bewegen sich zwar noch auf einer rein theoretischen Ebene, aber nach dem Erscheinen des Jane-Austen-Videospiels Matches & Matrimony hofft Latham, dass sich auch ein Hersteller findet, der sich für den Klassiker der Moderne interessiert. Seiner Ansicht nach könnte ein mit Joyce-Material gestalteter Streifzug durch das edwardianische Dublin eine Art Grand Theft Auto ohne Autodiebstahl werden. Außerdem, so der Literaturwissenschaftler, sollte man so ein Spiel fast alleine schon deshalb programmieren, um zu sehen, wie Stephen Joyce darauf reagiert."

Das ist natürlich einerseits schade, weil damit das interessante Projekt auf die Ebene eines schlechten Witzes herabgestuft wird: Joyce ins Medium Games zu übersetzen - ob möglich oder nicht, sei mal ignoriert -, würde also vor allem den bislang so strengen (und geldgeilen) Erben eines reinwürgen. Im Interview mit dem New Yorker (Link oben) kommt das Gespräch über Games auch bezeichnerweise erst dann auf, als es um die Frage nach der drohenden geringeren Qualität der Joyce-Bearbeitung im Public Domain geht. Andererseits ist es erfrischend, dass auch die strengste Riege der Literaturgrößen inzwischen - wenn auch nur halb im Scherz - das neue Medium in seiner Existenz bemerkt.

179GTA 4

Dass ausgerechnet Grand Theft Auto als Beispiel herhalten muss, ist sicher einerseits der großen Popularität des Titels als auch andererseits seinem Genre geschuldet: Als Open-World-Game bietet sich die offene Welt à la GTA besonders gut für Romane an, die weniger durch lineare Handlung als durch Atmosphäre und episodenhaftes Erzählen bestechen. Da ist es nur logisch, dass auch Jim Rossignol vor einiger Zeit laut über ein Spiel zu William S. Burroughs nachgedacht hat, einen anderen großen experimentellen Autor des 20. Jahrhunderts. Auch Rossignol sieht eine offene Welt wie in GTA als Leinwand:

“No narrative, all side quests,” says Greg J Smith. That suits the Burroughsian idea, of course. And yet you can see how a Burroughs quest structure might work: a fragmentary mass of clues leading towards one inevitability. “The Old Writer would write himself out of death.” The endgame would be immortality, access to The Western Lands, and you’d find your way in the city. There might not be a story - perfect for the random sandbox play of the city in which a player is wandering, exploring, struggling - but that doesn’t mean there wouldn’t be an ending."

Ein interessanter Twist: Zwei experimentelle Autoren, die in ihrem Werk das lineare Erzählen revolutionierten oder zerstörten (Burroughs hat in seinen Cut-ups den Text ja tatsächlich physisch fragmentiert und neu zusammengesetzt), bieten sich als Formgeber für ein anderes digitales Erzählen an, das den Spieler und seine Handlungsfreiheit als Arrangeur einer Handlung versteht. Als spielerische Elemente bietet Rossignol auch gleich zwei Spielmechanismen für sein Gedankenprojekt: 

"The first is morphia: addiction. ... The longer you go without a hit, the harsher visuals and audio becomes, the more complex interactions are. ... Too long and you begin to lose control: the avatar wanders on his own, ravenous for junk. ... a tricky kind of videogame resource management: take too much and you’re fade out, overdosing, resetting to zero. Wake up in a bed in a dark room, sunlight through a single dirty pane."

Die zweite Spielmechanik wäre "Cut-up", die Verteilung von "fucked-up ideas" in der Stadt, um die Agenten der Kontrolle zu verwirren. Dass Burroughs ein berüchtiger Waffen-Freak war und das Haus nie ohne Revolver verließ, sollte im neuen Medium auch nicht schaden.

177The Dark Eye (1995)

Interessant ist, dass Burroughs selbst bei einem Videospielprojekt beteiligt war: 1995 sprach er in seiner unverwechselbaren Art Texte für das Adventure "The Dark Eye" ein, das als eines der ersten Spiele mit direktem Bezug zur (Hoch-)Literatur gelten kann:

"Structurally, the game was a point-and-click adventure fueled by the macabre stories of Edgar Allan Poe. The player could experience three of the stories ("The Cask of Amontillado", "The Tell-Tale Heart", and "Berenice" from the perspectives of both murderer and victim. The poem "Annabel Lee" can be read while playing the victim in "Berenice"." (wiki)

Neben Joyce und Burroughs bietet sich auch ein anderer literarischer Autor an: Franz Kafka. Es wäre eine fantastische Herausforderung, Kafkas Miniaturen, Figuren und fragmentierte Skizzen zu einem Ganzen zusammenzufügen, das der Spieler selbst erforschen kann. Wie bei Burroughs und Joyce lebt Kafkas Unverkennbarkeit von der Atmosphäre der Bedrückung, der starken Kontrolle und von der alles durchdringenden Traumhaftigkeit, die oft ins Surreale abgleitet.

178Bad Mojo (1996)

Viele Elemente aus Kafkas Werk ließen sich auch im Medium Games umsetzen; vor allem Kafkas wiederkehrendes Motiv vom Eindringen in labyrinthische bürokratische Strukturen, wie etwa in Das Schloss oder Der Prozess, würden sich für eine Umsetzung in Spielwelten anbieten. Auch der Wechsel vom Traum- ins "wirkliche" Leben ließe sich mit den Mitteln des Computerspiels auf interessante Weise abbilden. Zum Offensichtlichsten - Kafkas Die Verwandlung - gibt es bereits ein Spiel:  Bad Mojo (1996) basiert lose auf Kafkas wohl berühmtestem Werk und lässt den Spieler in Form einer Kakerlake über und durch alltägliche Gegenstände navigieren.  

Dass Games inzwischen auch durchaus imstande sind, mit wenig "Action" oder genretypischen Zutaten ästhetisch und inhaltlich herausfordernde Welten umzusetzen - und das wären jene der Literatur wohl am augenscheinlichsten -, beweisen Spiele wie der Independent-Bestseller Amnesia (2010) oder aber die höchst empfehlenswerten Mods von Daniel Pinchbeck. Mit Dear Esther und Korsakovia hat er im Auftrag der Universität Portsmouth, die sein Projekt zum experimentellen Storytelling in Games unterstützte, zwei höchst interessante Beiträge zu einem "anderen" Spielen greifbar gemacht. Dear Esther wird gerade als Standalone-Titel neu produziert und könnte als Blaupause für eine neue Art des Spielens funktionieren - nicht als Ersatz für die als "unreif" behauptete gegenwärtige Form, sondern als Erweiterung um ein ästhetisches und inhaltliches Element, das bislang fehlt.

Eine erweiterte Fassung dieses Artikels erschien auf Telepolis unter dem Titel Play the Literature.

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