Best of Indie Juli 2015
Feist (Windows, Mac, Linux ab 13,79 Euro)
Sieben lange Jahre hat es gedauert, bis das atmosphärische Spiel der Schweizer Entwickler Bits & Beasts endlich das Licht der Welt erblickt hat, und in diesen Jahren hat “Feist” bereits eine Menge an Vorschusslorbeeren vor allem für seinen tollen Stil eingeheimst. Der hübsche Silhouettenlook und das niedlich-unheimliche Design erinnern ein wenig an den ewigen Indie-Klassiker “Limbo”, doch die Reise des kleinen wuscheligen Wesens durch den mit tödlichen Monstern und Fallen gespickten Wald spielt sich anders als sein dänischer Verwandter.
In “Feist” herrscht brutaler Überlebenskampf, und Spielerinnen und Spieler brauchen gute Reflexe, Nerven wie Drahtseile und auch ein gutes Stück weit Frustrationsresistenz, um in den haarigen Auseinandersetzungen mit der feindlichen Umwelt voranzukommen - Gelegenheitsspieler werden sich wohl öfter mal die Zähne ausbeißen. Der Lohn der Mühen ist eine faszinierende Expedition in eine liebevoll gestaltete, gruselig-fantastische Welt mit außergewöhnlichem Charme und einem tollen Soundtrack.
The Magic Circle (Windows, Mac 19,99 Euro)
Wenn sich Entwickler von Spielen wie “Dishonored” und “Bioshock” an einer beißenden Satire zum Thema Games-Industrie versuchen, darf man gespannt sein - umso mehr, wenn dies in Form eines Computerspiels passiert. “The Magic Circle” ist ein Unikat: Die Spielerinnen und Spieler finden sich in der halb fertigen Version einer Spielewelt wieder, die überambitioniert begonnen und schließlich niemals so richtig fertiggestellt wurde. Die Aufgabe ist es nun, diese digitale Ruine zu erforschen und das Endlosprojekt auf die eine oder andere Weise zum Abschluss zu bringen. Die Werkzeuge in diesem First-Person-Puzzler sind dabei ungewöhnlich. Sol lassen sich zum Beispiel durch einfache Programmierbefehle die im Spiel herumirrenden Monster und Gegenstände so verändern, dass sie den Weg frei machen, ungefährlich werden oder Rätsel lösen.
Bugs, schlampiges Leveldesign, halbfertige Spielruinen - alles, was normalerweise an der Branche ärgert und Spieler und Presse auf die Palme bringt, wird in “The Magic Circle” auf höchst kreative Weise auf die Schaufel genommen. Dass das Spiel dennoch keine platte Gagparade oder ein für Normalsterbliche unverständlicher Insiderwitz, sondern selbst ein wunderbar gelungenes Spiel mit überaus originellem Gameplay, tollen Ideen und beißendem Humor geworden ist, macht “The Magic Circle” zu etwas ganz Besonderem.
Rocket League (Windows, PS4 19,99 Euro) So einfach kann Spaß sein: ein überdimensionaler Ball, zwei Tore und eine Handvoll rasender raketengetriebener Vehikel, die sich physikbasiert ein heißes, naja, Fußballmatch liefern. Was absurd klingt, ist tatsächlich der Multiplayer-Partyspaß des Sommers, denn “Rocket League” macht alles richtig, von überraschend trickreichen Stunts bis hin zum unkomplizierten Rundherum. Selbst vor einem einzigen Monitor lassen sich dank Splitscreen Multiplayermatches mit bis zu vier Spielern austragen, online können auch 4-vs-4-Matches ausgefochten werden.
Die leichte Zugänglichkeit, die jederzeit motivierende Lernkurve und das pure, spaßige Chaos auf dem Spielfeld lassen leicht verschmerzen, dass “Rocket League” abseits davon relativ wenig zu bieten hat: Die Fahrzeuge unterscheiden sich ausschließlich optisch voneinander, alle freischaltbaren Upgrades sind rein kosmetischer Natur und es gibt auch keinen aufwendigen “Karrieremodus” für Einzelspieler - auch wenn die AI als Einzelspielergegner durchaus ihre Berechtigung hat. Angesichts der puren Perfektion der anderen Komponenten schmälert dies den Spaß absolut nicht: “Rocket League” ist auf seine Art ein perfektes Spiel.
Blues & Bullets (Windows, angekündigt für Xbox One, Episode 1 um 4,99 Euro, komplett 19,99 Euro)
Eliot Ness, der legendäre US-Ganovenjäger, ist die Hauptfigur in diesem episodischen Noir-Thriller, und der erste Teil des düsteren Adventures macht schon einmal Lust auf mehr. Auf der Suche nach verschwundenen Kindern steuern Spielerinnen und Spieler den hervorragend vertonten Detektiv in der Manier der Telltale-Adventures (“The Walking Dead”, “A Game of Thrones”) durch eine großteils schwarzweiße Welt des Verbrechens, in der nach “Sin City”-Style nur einzelne Farbtupfer hervorstechen.
Neben dem Sammeln von Hinweisen, Gesprächen und so mancher folgenreicher Entscheidung lockern regelmäßige Actionsequenzen den Spielfluss auf, in denen per Quick-Time-Event Schlägereien gewonnen oder per Fadenkreuz böse Kriminelle in Schießereien bezwungen werden wollen - eine gelungene und willkommene Abwechslung zum Adventure-Hauptteil von “Blues & Bullets”. Man darf gespannt sein, wie der ambitionierte, atmosphärisch herausragend gelungene erste Teil des auf fünf Episoden angelegten Thrillers sich weiter entwickelt - der Einstieg ist schon mal gelungen.
TIME Frame (Windows, Mac, 7,99 Euro)
Zehn Sekunden vor dem Weltuntergang klingt nicht nach besonders viel Zeit, um sich umzusehen, doch dank in Zeitlupe ablaufender Spielwelt haben Spielerinnen und Spieler immerhin zehn Minuten Zeit, um die dem Untergang geweihte Welt von “TIMEframe” wieder und wieder zu erforschen. Erraten: In diesem aus einem Gratisprototypen entstandenen Experiment ist das reine Erwandern der Welt das Hauptziel. Verständnislose Zeitgenossen schmähen Spiele dieser Art bekanntlich gerne als “Walking Simulators” - als wäre das Wandern in Computerspielen nicht ein lohnender und faszinierender Zeitvertreib .
Die in traumgleicher Zeitlupe ihrem Ende entgegensteuernde Welt aus Ruinen, Monumenten und Wüsten ist dank schönem Soundtrack und melancholischer Low-Poly-Atmosphäre auch ein Kandidat für Lieblingsspaziergänge in virtuellen Welten - ein perfekter kleiner Happen, bis in wenigen Wochen mit “Everybody’s Gone To The Rapture” der “Dear Esther”-Schöpfer Dan Pinchbeck zu seiner Version des Weltuntergangsspaziergangs ruft.
Und sonst …?
Bei Release untergegangen, hier nachgereicht: Auch das wunderschöne [“Homesick”](http://homesick.luckypause.com/ (Windows, 14,99 Euro) schickt Spielerinnen und Spieler als Forscher in seine menschenleere Welt. Hier gibt es allerdings auch einfache Puzzles, die den Spaziergang bereichern - ein nachträglicher Sommertipp für Freunde des poetischen Erzählexperiments.
Wer übrigens Ende letzten Jahres das außergewöhnliche und philosophische Puzzle-Spiel “The Talos Principle” verschlungen hat, hat Grund zur Freude: Mit “The Road to Gehenna” (Windows, Mac, 14,99 Euro) erschien soeben ein umfangreiches Add-on, das wieder die grauen Zellen zum Rauchen bringen wird. Vorsicht: Das in einem parallelen Handlungsstrang spielende DLC startet gleich mit dem hirnverknotenden Schwierigkeitsgrad des späten Hauptspiels.
Zu viel Sommerfreizeit? Fantasy-Generäle seien auf “Sorcerer King” (Windows, 36,99 Euro) verwiesen, Roguelike-Fans können hingegen einen Blick in den Early Access des faszinierenden Science-Fantasy-Epos “Caves of Qud” (Windows, Mac, 9,99 Euro) werfen. Und mit “Guild of Dungeoneering” (Windows, Mac, ab 14,99 Euro) wartet ein besonders origineller Mischling aus Karten-, Brett- und Rollenspiel auf furchtlose Kerkermeister. Für Indie-Spielefutter ist auch in den heißen Monaten somit auf jeden Fall gesorgt.