Best of Indie Oktober 2015
Warhammer: End Times - Vermintide (Windows, 27,99 Euro; PS4, Xbox One in Vorbereitung)
Der Name “Fat Shark” ist gut gewählt für das schwedische Indiestudio, denn es ist tatsächlich ein dicker Fisch in der Welt der unabhängigen Entwickler. Mit der global bekannten “Warhammer”-Lizenz haben die Schweden noch gut an Gewicht zugelegt. “Warhammer: End Times - Vermintide” ist ein Hochglanz-Indiespiel und verspricht Abwechslung am notorisch von Hypes und Enttäuschungen gebeutelten Koop-Multiplayermarkt (oder erinnert sich noch jemand an “Evolve”? Eben.).
Mit der Kurzformel “Fantasy-’Left4Dead’ mit Nahkampf und riesigen Ratten statt Zombies” umreißt man die Basics, tut dem Spiel aber ein wenig Unrecht: Wie in Valves Klassiker kämpft man sich zwar gemeinsam durch hunderte heranstürmende Gegner, aber “Vermintide” wartet durch verschiedene Spielerklassen, ein Item-Unlocksystem und eine erzählende Kampagne auch mit einigen frischen Ideen auf. Nebenbei ist es das bislang grafisch hübscheste Spiel aus dem populären “Warhammer”-Universum und besonders mit Freunden ein willkommener Koop-Spaß.
The Age of Decadence (Windows, 27,99 Euro)
Zehn Jahre war das Oldschool-RPG in Entwicklung, nun entführt es Spielerinnen und Spieler in seine düstere, vom Untergang des Römischen Imperiums inspirierte Fantasywelt. “Age of Decadence” unterscheidet sich von den ebenso auf Hardcore-Nostalgie zählenden isometrischen Rollenspielen “Pillars of Eternity” oder “Wasteland 2” aber doch grundlegend: Die Spielerfigur ist hier einmal nicht der übermächtige Superheld, der sich mit ganzen Armeen von Gegnern anlegen kann, sondern ein ziemlich fragiler Opportunist, der nur im absoluten Notfall sein Glück im - oft tödlichen - Kampf sucht.
Stattdessen sind Verhandeln, Tricksen und List gefragt, um zu überleben - tatsächlich kann man stets auch ganz ohne Gewalt an sein Ziel gelangen - dann spielt sich “Age of Decadence” fast wie ein cleveres Adventure. Ehrensache, dass aber auch Kämpfernaturen mit dem Kopf durch die Wand kommen, wenn sie die nötige Härte mitbringen. Highlight des Spiels sind die beeindruckend unterschiedlichen Spiel- und Handlungsmöglichkeiten der unterschiedlichen Charaktere; ein Wiederspielen ist also schon allein deshalb höchst unterhaltsam. Ein Geheimtipp für Freunde anspruchsvoller Rollenspiele, die auch vor Lesen nicht zurückschrecken.
Kingdom (Windows, Mac, Linux, 9,99 Euro)
Wer bei Pixelgrafik sofort entnervt die Augen verdreht, sollte diesen Absatz überspringen, alle anderen dürfen angesichts der höchst stylischen 8-bit-Ästhetik von “Kingdom” verzückt sein: So hübsch war kaum ein Pixelspiel zuvor. Doch nicht nur wegen der Ästhetik lockt der trügerisch simple Mix aus Aufbauspiel und Tower Defense für etliche Stunden an die Monitore. Trotz (oder vielleicht doch: wegen) ultrasimplem Gameplay - man reitet eigentlich nur wiederholt von links nach rechts und umgekehrt, um Münzen einzusammeln und sie strategisch günstig für Personal, Waffen und Befestigungsbauten auszugeben - stellt sich schon nach ersten unweigerlichen Misserfolgen eine gewisse hypnotische Sogwirkung ein.
Nur noch diese eine Nacht überleben, nur noch schnell diesen Wachturm befestigen, nur noch einmal neu versuchen: Dank liebevoller Details, anfangs mysteriöser Spielmechaniken und zufällig verteilter Ressourcen und Gefahren geht von “Kingdom”, das aus einem nach wie vor kostenlos spielbaren Prototypen entstand, eine beachtliche Faszination aus.
Mushroom 11 (Windows, Mac, Linux 14,99 Euro)
Es gibt sie noch, die ganz originellen Spielkonzepte: In “Mushroom 11” sind Spielerinnen und Spieler dafür zuständig, einen sich im Sekundentakt regenerierenden, wild wuchernden Pilz durch trickreiche Levels zu lotsen. Durch “Radieren” mit der Maus wird das Wachstum des bunten Blobs in die gewünschte Richtung angeregt, und dank zahlreicher Hindernisse und Gefahren werden die physikbasierten Rätsel sowohl zur Denk- als auch Geschicklichkeitsprüfung.
Der spielerisch völlig unterschiedliche große Indie-Klassiker “World of Goo” kann als Referenz genannt werden, denn hier wie dort sorgen Improvisation, originelle Puzzles und rundum stylische Präsentation für spannende Stunden. “Mushroom 11” lebt von seinem originellen, unverbrauchten Konzept, das mit viel Kreativität und Witz für Aha-Effekte und Überraschungen sorgt. Wer frischen Puzzle-Ideen etwas abgewinnen kann, ist mit dem mobilen Pilz bestens unterhalten.
Chaos Reborn (Windows, Mac, Linux, 19,99 Euro)
Julian Gollop ist eine Gamedesigner-Legende: Der Brite ist der Schöpfer der originalen “X-COM”-Reihe und seit über dreißig Jahren als Spielemacher im Geschäft. Mit “Chaos Reborn” belebt er via erfolgreicher Kickstarter-Kampagne einen Klassiker: Wie in “Chaos” aus dem Jahr 1985 treten auch in der Neufassung mächtige Magier in Duellen mit magischen Mitstreitern zum Kampf an.
Die soeben erschienene finale Version bietet auch eine Single-Player-Kampagne, doch “Chaos Reborn” ist eigentlich ein forderndes taktisches Multiplayerspiel, das Elemente von Trading-Card-Spielen, Schach und einem heftigen Schuss Pokerpsychologie in eleganten Spielmechaniken verbindet. Bluffen ist nämlich für den Sieg entscheidend, und die Finten und Illusionen seiner menschlichen Kontrahenten zu durchschauen entscheidet ebenso über Sieg oder Niederlage wie taktische Positionierung und vorausschauendes Ressourcenmanagement. Für Freunde komplexer taktischer Rundenstrategie ist Julian Gollops Zauberduell ein Pflichtkauf.
Und sonst…?
Noch heute bekommen manche angesichts der Erinnerung an den Uralt-Klassiker “Descent” feuchte Hände, mit Sublevel Zero (Windows, 13,99 Euro) kommt endlich wieder einmal ein würdiger Nachfolger im Geiste, der das “Six Degrees of Freedom”-Konzept so richtig hochhält. Das heißt: schwerelose Bewegung in alle sechs Himmelsrichtungen, also auch nach oben und unten. Manche sind angesichts dieser radikalen Bewegungsfreiheit erfahrungsgemäß desorientiert und seekrank, wer’s aber aushält, wird mit immer wieder neuen, zufallsgenerierten Levels, einem Craftingsystem und einer knackigen Herausforderung belohnt: Richtig, auch “Sublevel Zero” bedient sich am “Roguelike”-Konzept.
Auch das wunderschöne Action-Abenteuer Jotun (Windows, Mac, Linux, 14,99 Euro) hat einen absoluten Ehrenplatz verdient: Als mächtige Wikingerkriegerin kämpft man in einer umwerfend atmosphärischen skandinavischen Zeichentricksagenwelt Monster, Riesen und Götter - seit “The Banner Saga” war kein Spiel in diesem Stil schöner anzusehen.
Das kleine, mysteriöseRefunct (Windows, 2,99 Euro) hat auch viel Style zu bieten, konzentriert sich aber auf völlig anderes: In einer abstrakten, friedlichen Architektur gilt es in entspannter Atmosphäre Bodenplatten einzufärben, Knöpfe zu drücken und im eigenen Tempo die Seele baumeln zu lassen - ein möglichst zugängliches Spielerlebnis für jedermann war das Ziel des Entwicklers.
Wer sich nicht vor den Gefahren des Early Access fürchtet, sei außerdem auf das komplexe Gremlins Inc (Windows, Mac, Linux 9,99 Euro) verwiesen, das vor allem gegen menschliche Gegner abwechslungsreiche Brettspielstrategie im schicken Look bietet.
Und noch ein Geschenk zum Schluss: Vor kurzem ist mit "Afterbirth" auch eine weitere heiß erwartete Erweiterung zum Kult-Roguelike The Binding of Isaac erschienen. Happy Halloween!