Die Darstellerin: Barbara Lippe

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Barbara Lippe, Teaserlogo

Im zweiten Teil der Klassik-Interviewserie "Das verspielte Dutzend" spricht Robert Glashüttner mit Barbara Lippe, visuelle Gestalterin, darstellende Künstlerin und Unternehmerin. Das Gespräch findet am 12. Oktober 2011 in den Räumlichkeiten des ehemaligen Entwicklerstudios Game Gestalt in Wien statt.

Es war einmal eine junge 22-jährige Frau aus Oberösterreich, die plötzlich im großen Tokio ihren Traum leben konnte. Das Auslandsjahr als Charakterdesignerin bei der Furi Furi Company war der Kickstart für die kreative Laufbahn von Barbara Lippe. Sie wurde vom fantasiebegabten, videospielenden Mädchen zur unkonventionellen Karrierefrau, die Grafikerin, Beraterin, Unternehmerin und Schauspielerin wurde. Zusätzlich dazu ist sie Akademikerin: "Game Boys for Play Girls!" heißt ihre im Sommer 2006 fertig gestellte Dissertation, die sich mit weiblichen Perspektiven in der weiterhin stark männlich geprägten Videospielkultur beschäftigt und dabei Unterschiede zwischen westlichen Ländern und Japan herausstreicht.

"Papermint" hat unter der visuellen Leitung von Barbara Lippe bereits früh einen expressiven, von der japanischen Popkultur inspirierten visuellen Stil in Games vorgeführt.

Barbara Lippe hat mit ihren bunten und fröhlichen Zeichnungen ihren Teil dazu beigetragen, dass japanisch geprägtes Character Design in Europa sichtbarer und populärer wurde. Einige Jahre, bevor Nerdkultur vom gesellschaftlichen Randphänomen zur Mainstream-Bewegung wurde und immens populäre Fernsehserien und Fanconventions hervorbrachte, hat die in Wien entwickelte Online-Welt "Papermint" bereits einen expressiven, von der japanischen Popkultur inspirierten visuellen Stil vorgeführt. "Papermint" wurde für Barbara Lippe von einem anfangs kleinen Grafikjob zu einem Fächer an beruflichen Möglichkeiten. Sie begann, sich in der Games-Industrie zu vernetzen, Konferenzprogramme mitzugestalten und eine schillernde Persönlichkeit der digitalen Spielkultur zu werden.

Das viele Reisen hat den Wechsel des Lebensstandorts von Wien nach London rund um den Jahrzehntewechsel nicht schwer gemacht. Ziemlich genau eine Dekade nach der ersten beruflichen Traumerfüllung folgte die nächste: eine abgeschlossene Schauspielausbildung. Zurück von einem weiteren Lernabenteuer folgt aktuell wieder der Brückenschlag zur Videospielkultur: mit der Firmengründung von entreZ, wo unter Barbara Lippes Leitung im kleinen Team Virtual-Reality-Dramen umgesetzt werden.

Du hast eine sehr fröhliche und expressive Ausdrucksweise. 2000 bis 2001 hast du - damals Anfang 20 - ein Jahr in Japan verbracht. Wie hat dich dieses Jahr verändert?

Ich glaube, ich war schon immer so, habe aber erst in Japan entdeckt, dass ich so bin, und habe es in Österreich immer unterdrückt - das habe ich später bemerkt. Ich bin in einem kleinen Dorf in Oberösterreich aufgewachsen. Ich war immer anders, kreativ, expressiv, offen, habe vor wenig Angst gehabt, war risikofreudig - ich war also immer Außenseiter. Zu Hause habe ich viel gezeichnet und am Computer gespielt. Mein Papa hat immer gesagt: "Du musst mit beiden Beinen am Erdboden stehen", und andere langweilige Sachen. Ich war währenddessen noch immer in meinen Gedanken im Film "Neverending Story" und hab' mir gedacht: Oh mein Gott, was wird, wenn ich die Sphinx, das südliche Orakel, treffe, was würde ich sagen? Solche Dinge hab' ich geliebt. „Die unendliche Geschichte“ war auch lange Zeit mein Lieblingsbuch, das habe ich ganz oft gelesen. Genau so etwas hat mir gefehlt: eine Welt aus Fantasie. Mir war alles viel zu real.

War das der Ursprung deines starken emotionalen Bezugs zu Japan?

Ich habe als Kind schon geglaubt, alles ist belebt, also auch Dinge. Und das hat mit Japan, wo die Japaner ja sowieso daran glauben, sehr gut zusammengespielt. Als ich dann das erste Mal dort war, habe ich mich wie zu Hause gefühlt, ich bin ausgestiegen aus dem Flugzeug und habe mir gedacht: Ah, da bin ich jetzt! Ich habe aber nicht gewusst, dass die nicht Englisch sprechen, habe nicht Japanisch schreiben, lesen und sprechen können. Ich war dann nochmal wie ein Kind und habe mich neu selbst erfinden können - so, wie ich glaube, dass ich bin. Und Japan hat das angenommen.

Was war der Anlass, warum du nach Japan gegangen bist?

Jemand hat zu mir gesagt: "Deine Zeichnungen sehen sehr japanisch aus." Da habe ich mir gedacht: Warum sehen die japanisch aus, ich habe doch mit Japan überhaupt nichts am Hut. Japan habe ich anfangs nur vom Schispringen gekannt. Unterbewusst ist es mir dann aber klar geworden. Ich habe immer viel Nintendo-Games gespielt, und natürlich hat mich das stilistisch sehr geprägt. Ich habe als Kind auch im österreichischen Fernsehen "Heidi" und "Biene Maja" gesehen – das war für mich normal, ich habe nie über die Nationalität nachgedacht. Als ich dieses Feedback auf meine Zeichnungen bekommen habe, dachte ich mir: Das ist ja interessant, dann schaue ich einmal, was es in Japan gibt – vielleicht wollen die mich und ich kann etwas lernen. Ich habe mich stilistisch in Europa ohnehin sehr unwohl gefühlt. Damals hat es noch keine Characters gegeben, und "Hello Kitty" war noch sehr unbekannt. Es war alles nicht sehr bunt. Wir sind eben eine Schriftkultur, man hat zum Beispiel typografische Logos, aber selten Maskottchen. In Japan dann bin ich darauf gekommen, dass Characters aber ein großer Markt sein können, der auch Computerspiele inkludiert. So bin ich professionell in die Computerspielwelt gelangt, die ich vorher nur passiv als Spielerin erlebt habe.

Was haben Nintendo-Videospiele für dich bedeutet?

Ich habe zehn Jahre kaum Videospiele gespielt, circa von 16 bis 26. Aber als Erwachsene bin ich wieder zurück und auf die nächste Stufe der Fantasie gesprungen.

Diese Spiele haben mich besonders fasziniert. SEGA-Spiele haben mich hingegen grafisch nie so angesprochen. Obwohl sie auch japanisch sind, waren sie anders. PC-Spiele haben mich auch nicht interessiert. Dafür habe ich mit meinem Bruder neben Nintendo-Games auch "Masters of the Universe" gespielt. Ich hatte das Glück, einen vier Jahre jüngeren Bruder zu haben, was meine Kindlichkeit noch länger erhalten hat. Ich bin dann aber hängen geblieben und habe mit 12 noch "Masters of the Universe" gespielt, wo er dann schon gesagt hat: "Nein, ich glaube, ich bin zu alt dafür."

Die eigene Kindheit verlängern ist auch etwas, das in Japan kulturell verankert und gesellschaftlich akzeptiert ist. Gleichzeitig ist es im Westen ein gerne gebrachter Vorwurf, der an Videospiele herangetragen wird: Ab einem bestimmten Alter würde man damit ja nur seine Kindheit verlängern wollen. Wie war das bei dir?

Ich habe als Kind viel Computer gespielt, aber ich habe auch andere Dinge gemacht. Dann war die Pubertät, da hat das Interesse schlagartig abgenommen, weil ich plötzlich die Burschen für mich entdeckt habe - und die waren ein spannenderes Spiel als ein Computerkastl. Zu dieser Zeit fand auch der Sprung auf 3D statt, da sind dann Nintendo 64 und Konsorten gekommen. Das hat mich visuell nicht mehr so angesprochen, deshalb kann ich nicht genau sagen: War es nur wegen der Pubertät oder dem technologischen Sprung. Aber es ist beides zusammengekommen. Ich habe dann zehn Jahre kaum Videospiele gespielt, circa von 16 bis 26. Aber als Erwachsene, als ich meine Persönlichkeit gefunden habe und gefestigt war, bin ich wieder zurück und auf die nächste Stufe der Fantasie gesprungen. Ich hatte den Mut wieder. Und wenn mich wer auslacht, ist mir das egal – so, wie mir das als Kind egal war. In der Pubertät ist man viel angreifbarer: Du musst auf deine Rolle in der Gruppe achten, usw. Mit dem Computerspielen habe ich aber vor allem aus ästhetischen Gründen wieder angefangen. Es war keine Realitätsflucht mehr, ich hatte auch nicht mehr so viel Zeit. Ich wollte mir die Grafiken ansehen und die Characters. Ich finde Character Design in Spielen extrem interessant, oft anders oder besser als in Cartoons oder Comics. Darum eigentlich faszinieren mich Computerspiele, weil du mit einer fiktiven Figur interagieren kannst, was du im Film oder Cartoon nicht kannst. Gleichbedeutend ist für mich Spielzeug. Wäre ich also nicht in der Computerspielbranche gelandet, hätte ich wahrscheinlich Spielzeug designt.

Barbara Lippe

Das heißt, bei der Unterscheidung zwischen Game - Spielen mit Regeln - und Play - Spielen ohne Regeln - bist du eindeutig bei Play verhaftet.

Absolut, ohne Regeln. Bei den vier Gruppen von Roger Caillois bin ich eindeutig der Rauschmensch: Illinx. Ich will mich vom Berg runterkugeln wie bei "Katamari Damacy", ohne Regeln. Und so zeichne ich auch und mache Grafik. Das heißt, die Menschen, die von mir etwa ein User Interface wollen, verzweifeln, und ich verzweifle mit ihnen. Darum war "Papermint" eine super Erfahrung für mich, weil es so viel kreativ-spielerischen Freiraum geboten hat.

Aber ist es dann nicht so, dass dich zwei von drei Videospielen stören wegen des Regelwerks und dem Zwang, eine Leistung zu erbringen?

Wenn die Leistung logisch oder hirnmäßig erfolgt, dann finde ich diese Spiele langweilig. Aber wenn die Leistung ist: ich muss so schnell wie möglich Tasten drücken, so wie bei "Track & Field", dann gefällt mir das wieder. Körperlichkeit ist hier voll mit dabei. Und ich liebe Fighting Games, "Street Fighter" und Konsorten. Wo es diese ganzen Kombinationen gibt. Ich drücke wild drauf los und dann macht meine Figur tolle Bewegungen. So etwas gefällt mir, ich bin eher der hirnlose Spieler.

Aber wenn man Erfolg in einem Spiel mit Regeln haben möchte, bringt einen das bloße Herumspielen ja nicht weiter.

Der Score ist mir eigentlich wurscht, aber ich will den Gegner schon besiegen. Die Zahlen sind mir egal. Ich will dann zum Beispiel Chun-Li, die Coole sein. Was mir auch gefällt: regellos in Welten herumlaufen, die aber Rätsel haben. Also wirkliche Sandbox-Games. Die meisten davon sind eher in einem brutalen Universum angesiedelt, darum interessiert es mich vom Setting her meist nicht so, weil es auch sehr realistisch ist. Ein Auto zu stehlen ist realistisch, das hat für mich nichts mit Fantasie zu tun. Anders ist es zum Beispiel bei "Zelda", das zu meinen absoluten Lieblingsspielen gehört. Vorher habe ich nur Jump'n'Runs gespielt und mir gedacht: ein Spiel besteht eben daraus, dass du nicht in ein Loch fällst. Aber plötzlich kannst du auch wirklich Welten entdecken, besser werden, dich hocharbeiten. Das war für mich ein ganz prägender Moment, die Bedeutung eines Computerspiels zu verstehen. In der physischen Welt kannst du eben nicht mehr verlassene Schlösser erforschen. Ich mache bei Rollenspielen auch nie ein Quest nach dem anderen, also die vorgegebenen Hauptquests, sondern meine eigene Abfolge. Ich gehe überall anders hin, nur nicht zum Hauptquest. Weil ich will alles sehen und alles erforschen, nach meiner eigenen Geschwindigkeit. Andere, die mir bei "Zelda" zugesehen haben, haben den Raum verlassen, weil sie gesagt haben: "Das halte ich nicht aus, warum gehst du nicht endlich zum Endboss?" – "Nein, ich muss da noch eine Blume pflücken!"

Also eigentlich auch ein bisschen Meta-Gaming.

Ich habe sehr viele Games-artige Themen in meinem kindlichen Hirn verarbeitet.

Ich richte mir das Spiel so her, wie ich es haben will. So mache ich es auch bei Fighting Games und Rennspielen. Weil ich nicht unbedingt das Spiel gewinnen will, sondern es erfahren möchte. Das, was mir gefällt, mache ich. Zum Beispiel rückwärts fahren – ist ja egal, wenn ich Letzte werde. Ich will sehen, wie die Strecke von hinten aussieht.

Du hast auf "Grand Theft Auto" angespielt, das dir zu nahe an den negativen Seiten der physischen Welt angelehnt ist. Das finde ich grundsätzlich interessant bei dir, dass du sehr selektiv bist und eine ganz konkrete Vorstellung hast von dem, was du an Spielen schätzt. Wie gehst du damit um, dass Videospiele ein riesiges Feld sind, und das, was du schätzt, nur ein kleiner Ausschnitt davon ist? Wie ist dein alltäglicher Umgang mit digitaler Spielkultur an sich?

Ich nehme mir heraus, nur das zu promoten, was ich auch gut finde und was mich interessiert. Wenn du mich jetzt also fragen würdest: "Bitte sage mir die guten Dinge von 'GTA'" – ich könnte dir keine vernünftige Antwort geben.

Du möchtest aber auch nicht.

Ich könnte natürlich sagen: die Technik ist wohl super und das Business-Model und das Marketing. Mich interessiert die wirtschaftliche Seite bei all diesen Dingen auch sehr. Aber es inspiriert mich nicht. Spiele waren eine meiner Hauptinspirationsquellen in meiner Kindheit als ich überhaupt zu zeichnen begonnen habe. Ich habe sehr viele Games-artige Themen in meinem kindlichen Hirn verarbeitet und dann niedergezeichnet, Gedichte geschrieben und Lieder gesungen. Zum Bespiel sehe ich bei "Zelda" einen Berg und dann male ich den Berg mit Monstern, die mir einfallen, und ebenfalls zu dem Berg passen. Oder die Zeichenwettbewerbe, die damals der Nintendo-Club ausgeschrieben hat, das war immer eine super Motivation für mich!

Hast du gewonnen?

Ich habe, glaube ich, drei Mal gewonnen, es war total super. Ich habe noch die Hefte zu Hause. Das war eine tolle Inspirationsquelle, ebenso wie Toys, also die Action-Figuren. Da habe ich Zeichnen gelernt: Wo sind die Muskeln bei einem Menschen? – Da habe ich immer Skeletor aufgestellt und nachgesehen. Bei Spielen habe ich viel von den Animationen gelernt: Wie springen Menschen oder Figuren, und wie wenig reicht aus um einem Character einen Charakter zu geben? Oder sie oder ihn so bewegen zu lassen, dass man versteht, was gemeint ist? Menschen denken ohnehin abstrakt. Du brauchst nicht 25 Bilder, es genügen auch 2.

Diese Reduktion sticht in deiner Character Art auch immer hervor.

Früher war ich aber auch naturalistisch. Es ist bei Kindern normal, die wollen zuerst die Realität verstehen und dafür wird dann so echt wie möglich nachgezeichnet. Dass dann eine neue Eben an Abstraktion dazukommt, da musst du schon Gespür für einen bestimmten Stil haben, der dir gefällt. Das heißt, du musst viele Stile kennen um dann deinen eigenen entwickeln und wählen zu können und den auch wirklich zu erarbeiten. In Japan wurde mein Stil umgemodelt, weil ich musste etwas machen, was denen gefällt. Am Anfang war das noch ein ziemlicher Culture Clash, obwohl ich gedacht hatte, es ist eh nicht sehr europäisch, was ich mache. Aber trotzdem war es so. Danach habe ich in London gelebt, da ist der Style wieder ganz anders. Natürlich ist japanisches Design mittlerweile überall sehr beliebt. Trotzdem sieht englisches Character Design ganz anders aus, auch die Farben und Themen.

Barbara Lippe

Nochmal zurückkommend zu der Frage, wie du Spielkultur lebst. Wie wählst du aus, was du spielst?

Ich habe schon immer sehr gerne zugesehen bei Spielen. Ich muss nicht unbedingt der sein, der am Gamepad sitzt, weil mich vor allem das Visuelle sehr interessiert. 3D-Welten gefallen mir mittlerweile besser, weil die Stile teilweise comicartiger geworden sind. Es muss bei zeitgenössischen Games nicht mehr immer ultrarealistisch sein. Und so halbrealistische, aber sehr fantastische Sachen, wie "ICO" oder "Shadow of the Colossus", so etwas taugt mir natürlich auch sehr. Als "SingStar" herausgekommen ist, da war ich ebenfalls begeistert. Das war lange mein Lieblingsspiel, ich habe früher immer "SingStar"-Parties veranstaltet in Wien und viele Freunde rekrutiert. In Wien sind viele Leute schüchtern, aber da sind sie halt alle aus sich rausgegangen, und das hat mir gefallen, dass ein Spiel das schafft. MMO-Spielerin bin ich überhaupt nicht, weil mir das Erlebnis der jeweiligen Fantasiewelt ganz wichtig ist. Und wenn ich dann gerade bei einem Feen-Wasserfall bin und mich ein Mensch dabei stört und sowas sagt wie "Hey Oide, schleich ma uns?" - das geht überhaupt nicht. Das will ich wirklich ganz für mich alleine erfahren. Ich bin eben ein Singleplayer- und Local-Multiplayer-Typ.

Aber es gibt ja auch online die In-Character-Spieler?

Ja, aber immer, wenn dann Nicht-In-Game-Charakter kommen ... da ist dann sofort alles aus, da zerbricht die Illusion - das ist dann halt schade. Anderseits, ein Pen-and-Paper-Rollenspiel, wo alle wirklich voll In-Character sind, so etwas ist dann wieder was für mich. Ich bin eher so für die kleinen Multiplayer-Runden.

Videospiele sind weiterhin sehr marktorientiert. Anders als bei Filmen oder Musik ist etwa die kulturelle Fördersituation hier wesentlich weniger ausgeprägt. Ist das etwas, wo du auch versuchst, das in deinem Rahmen zu ändern?

Es passiert ohnehin immer mehr. Manche Indie Games sind darüber hinaus auch wirtschaftlich besonders erfolgreich. Das macht mir Mut, und ich glaube, Videospiele sind weiterhin ein jüngeres Medium. Es dauert eben seine Zeit, bis sich auch die Förderlandschaft eingerichtet hat. Das Indie-Game-Movement zeugt davon, dass es kein Zurück mehr gibt, dass es immer stärker werden wird. Heute ist es ja gar nichts Besonderes mehr, wenn du sagst, du machst Spiele. Es machen schon so viele Menschen Spiele. Dass du in deiner Freizeit mit Spielen herumbastelst, ist zwar noch nicht verbreitet wie: Ich spiele in einer Band. Aber das kommt noch.

Performance ist dir sehr wichtig. Du bist expressiv, sehr kommunikativ. Wie hat sich das bei dir entwickelt?

Wenn man in Österreich ist, einem Land der Schamkultur ... da traut man sich in der Freizeit so wenig.

Ich tanze voll gerne. Darum würde ich mich durch ein Tanzspiel nie einschränken lassen: durch Regeln wie etwa vier Pfeile, wo ich draufsteigen muss, wie bei "Dance Dance Revolution". Das ist für mich schon in meinem Hirn abgestellt als: da gibt es mehr Regeln als ich brauche. Mich fasziniert, jemandem zuzusehen, der es kann. Aber ich selber habe nicht das Bedürfnis, "Dance Dance Revolution" zu spielen. Bei "SingStar" ist es ein bisschen anders. Es muss aber nicht unbedingt "SingStar" sein, es kann auch Karaoke generell sein. In Japan habe ich viel Karaoke gesungen. Nicht, weil ich alleine auf einer Bühne stehen will und der Star bin und andere schauen mich an. Es ist eher: man macht gemeinsam etwas anderes als nur dasitzen, trinken und reden.

Welche Funktion übernimmt das Karaoke-Spiel dann überhaupt noch, wenn ohnehin alles so frei ist?

Das Spiel ist die Rechtfertigung dazu. Das taugt mir so an "SingStar". Wer in Österreich tanzt wirklich, vor allem von den Buben? Ich bin immer alleine auf der Tanzfläche gestanden, und die Mädchen auch. Am Land zumindest. Gesungen wird ja höchstens in der Jodelgruppe oder im Kinderchor, aber dann hört das einfach auf.

Die Landjugend hat dich komplett desillusioniert.

Wenn man in Österreich ist, einem Land der Schamkultur ... da traut man sich in der Freizeit so wenig. Aber ist doch egal, ob man gut ist oder nicht! Dieses Wurschtigkeitsgefühl ist nicht da. Und darum befreit es mich, nicht in Österreich zu leben obwohl ich glaube, dass es besser wird und ich auch gerne ein Herold bin des "Hey, habt doch auch Mut! Seid auch offen! Macht halt irgendetwas, ist doch egal!" Besser, man macht einen Schas als man macht nichts. Das ist schon mal mein Credo.

Barbara Lippe

Du kümmerst dich wenig um gängige professionelle Selbstpräsentation, etwa, wenn es um einen förmlichen Lebenslauf geht. Du präsentierst dich gerne in bunten Outfit, gehst offenherzig auf Menschen zu. Andererseits hast du einen Doktortitel, bist Grafikdesignerin, Unternehmerin, und so weiter. Ich stelle mir vor, dass du deshalb oft als lieb und quirlig wahrgenommen, aber dabei gleichzeitig unterschätzt wirst. Musst du dich beweisen?

Ich glaube, es hängt immer davon ab, in welcher Rolle man sich selbst gerade sieht - und das wechselt ja. Dass ich den Doktortitel gemacht habe, hat damit zu tun, dass ich auch ernstgenommen werden möchte. Weil ich bin zwar Babsi, aber Dr. Babsi hat dann noch diesen Kick: Sie ist eh lieb, aber eigentlich sollte ich sie schon auch ernst nehmen. Weil ich aber sehr offen bin, kann ich auch leicht verletzt werden. Es geht immer darum, sagen zu können: Ganz so ernst braucht ihr mich nicht nehmen - aber doch auch. Ich möchte die Ernstheit entkräften können.

Aber das ist eine schwierige Gratwanderung - warum tust du dir das an?

Das ist einfach so. Mit Alter hat es auch etwas zu tun. Jetzt fühle ich mich schon noch als Mädchen, aber natürlich auch als Frau. Wie löst man das? Was ich merke, ist der berufliche Unterschied: Früher war es mir ganz egal, ob mich jemand ernst genommen hat, da wollte ich noch lernen und war der Lehrling. Ich war mit Freude unterwürfig, habe die Hierarchien in Japan nie als unterdrückend empfunden. Ich war eben damals Anfängerin und die Jüngste und konnte die Sprache nicht.

Aber du bist oft auch die, die heraussticht.

Aber ich bin auch gerne die, die einen auf den Deckel bekommt, weil ich dadurch lerne. Zum Beispiel meine Erfahrung während der "Papermint"-Zeit: Am Anfang war ich einfach die Grafikerin, die Grafik macht für einen Freund - so nebenbei. Das ist dann immer ernster geworden, und immer größer und interessanter, und du hast bemerkt, wie du das alles mitgestalten kannst: eine Firma, eine Strategie, ein Team. Du kannst künstlerische Entscheidungen treffen, die einfach mächtig sein können. Da habe ich dann bemerkt: Ich bin jetzt nicht mehr nur die Praktikantin, sondern ich will Lead Artist sein, ich will Art Director sein, später Share Holder. Und dann: Ich will mein eigener Firmenboss sein.

Du beschäftigst dich ja auch mit Gender-Themen, auch schon vor deiner Dissertation.

Ja, das war mir immer sehr wichtig. Weil ich mich immer als Bub gefühlt habe. Ich bin als Bub aufgewachsen, ich hatte als Kind Bubeninteressen, hatte Bubenfreunde, fand „Mädchen“ langweilig. Das „Mädchengetue“ hat mich überhaupt nie interessiert.

Aber du machst ja in deiner Weise auch "Mädchengetue".

In der Pubertät habe ich dann bemerkt: Wenn du als Frau "Mädchengetue" machst, hast du viel Macht. Natürlich lernt man dann das "Mädchengetue" und es gefällt einem, weil du es ausspielen kannst und die Reaktionen merkst. Du bemerkst, wie viel plötzlich klappt, wenn du rollenkonform bist. Ich kann das manchmal bewusst machen - aber das tut auch weh. Jedenfalls war diese Phase irgendwann vorbei und du denkst dir: Wieviel Genderrolle ist jetzt in der Persönlichkeit drinnen, wie wichtig ist das in meinem Verhalten? Wenn ich jetzt zum Beispiel mit dir so rede, denke ich darüber nicht nach - wir reden von Mensch zu Mensch. Interessant ist: Mir gefallen Mädchensachen, aber nur ganz bestimmte, zum Beispiel "Hello Kitty" oder "My Little Pony". Mir gefällt es ästhetisch: die ganz simplen Formen, das ist wie eine moderne Venus von Willendorf. Es geht darum, das Kindliche zu bewahren. "Hello Kitty" wurde in Japan von einem Schulmädchen in den 70er Jahren erfunden, wurde dann von der Firma Sanrio aufgenommen und als Marke vermarktet.

Die Mädchen waren die, die kulturell ihren Widerstand in Passivität und Rückzug zum Kindsein ausgedrückt haben.

Aber da war gerade diese Bewegung, wo sich Mädchen zurückgezogen und einen passiven Widerstand geleistet haben der Gesellschaft gegenüber. In Europa hat es handfeste Jugendkulturen gegeben. Das war in Japan nie so. Die Mädchen waren dann die, die kulturell ihren Widerstand in Passivität und Rückzug zum Kindsein ausgedrückt haben, indem sie begonnen haben, ganz kindlich zu schreiben in runden Buchstaben, indem sie zu Hause nur stumm mit irgendeinem Kuscheltierchen im Zimmer gesessen sind und es geht nur um Kuchen und Schokolade und ganz liebe Dinge - so, wie man es eben von "Hello Kitty" kennt. Aber das ist nicht eine Marketingerfindung, sondern: Ich will mich nicht in diesen argen sozialen Wahnsinn eines Erwachsenen in Japan begeben. Und das mache ich, bis ich Mitte 30 bin. Und dann erst, vielleicht, wenn ich dann heiraten muss, höre ich damit auf - aber dann ist es eh vorbei. So etwas fasziniert mich, weil ich auch selbst nie so recht erwachsen werden wollte. Und erwachsen sein, da habe ich mir immer gedacht: Um Gottes Willen, da muss ich mich mit männlicher Sexualität auseinandersetzen. Davor hat mir gegraut. Da muss ich dann mich um einen Job bewerben und man muss Formulare ausfüllen, und Bürokratie, und Steuern. Das habe ich mit erwachsen sein verbunden. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Mir gefallen Mädchensachen schon, aber nur ein paar - die, die einen bestimmten Hintergrund haben. So etwas wie "Dirty Dancing" - eine Ikone der Mädchenkultur - oder "Sex and the City".

Barbara Lippe

Bei diesen Eskapismen, die so geschlechtsspezifisch sind - da gibt es dann ja eine riesige Wand zwischen den Geschlechtern.

Genau. Aber ich finde das okay und voll akzeptabel, weil es so eine Fantasiewelt ist und gut gemacht. Und andere Frauen aber sagen, vor allem in alternativen Szenen: "Um Gottes Willen, 'Dirty Dancing'? Das kannst du doch nicht ernst nehmen." Die denken da sehr engstirnig politisch. Doch „Dirty Dancing“ ist nicht unpolitisch - es ist Ausdruck einer bestimmten Ära. Ich sehe das auch alles aus einem ästhetischen Blickwinkel. Ich vertrete einen gewissen ästhetischen Machiavellismus, weil für mich müssen Dinge schön sein, das ist das Wichtigste, wie bei Entertainment und Kunst. Aber prinzipiell interessiere ich mich viel mehr für sogenannte „Bubenthemen“. Und deswegen habe ich so wenige Frauenfreunde.

Was ist ein "Bubenthema"?

Science Fiction zum Beispiel. Ein „Bubenthema“ ist Astrophysik und Schrödingers Katze. Ich höre mir in meiner Freizeit Vorlesungen von Erwin Schrödinger an. Und mit wem rede ich da drüber? Meistens nicht mit Frauen. Wenn ich aber auf Frauen treffe, die so sind, ist sofort voll das "Klick"-Verhältnis da.

Und gegenüber Frauen Überzeugungsarbeit leisten, in Bezug auf bestimmte Themen?

Das versuche ich manchmal, meistens werde ich aber abgeschmettert. Das ist ganz schwierig. Das merkst du nicht, wenn du als Mann in einer Frauengruppe bist. Du wirst als Mann ja nie wissen, wie Frauen untereinander sind. Und ich kann dir sagen, es ist oft ganz arg. Und ich fühle mich oft als Fremdkörper. Das müssen schon die richtigen Frauen sein, dass es für mich lustig ist. Ich bin nicht die typische „Frau-Frau“. Weil ich bin schon ein Tomboy, aber froh, eine Frau zu sein. Jetzt - als Kind nicht, da hatte ich Angst vorm Frau sein, weil ich geglaubt habe, das ist alles eingeschränkt und ich muss so große Brüste herumtragen und habe Angst gehabt vor der Körperveränderung und vor Männern. Ich habe Männer immer als Aggressoren empfunden. Männer waren komisch, vor allem mit Bart. Obwohl mir nie etwas passiert ist, zum Glück - aber irgendwie ... das war gruselig. Da hat man halt erst einmal erwachsen sein müssen und verstehen: Hey, du hast eh alles in der Hand als Frau - passt schon.

Barbara Lippe

Der klassische "Business-Frauen-Typ" zielt ja stark darauf ab, dass man mit strengem Kostüm und formal korrekt diese seriöse, stringente Linie nie verlässt, um eben keiner Gefahr ausgesetzt zu sein, nicht ernstgenommen zu werden. Du bist so selbstsicher, dass du quasi das Gegenteil machst, aber das selbe erreichen willst.

Ich habe immer Narrenfreiheit, das taugt mir im Team. Zum Beispiel bei "Papermint". Wenn ich wirklich ein Businesstyp wäre, der wirkliche Business-Pläne machen muss, wo es um jeden Beistrich geht - das ginge einfach nicht, wenn der sich so verhält. Den würde ich nicht ernst nehmen, dem würde ich nicht trauen. Der muss die Excel-Geschichten wirklich verstehen, und ich hingegen - das ist ja auch meine Rolle als Art Director - muss sozusagen verrückte Fantasien haben.

Aber der Buchhalter und Techniker darf kein Kasperl sein.

Er kann ein Visionär sein - aber ein Kasperl, der sich vertut bei jedem Schas ... schlampig oder so darf er nicht sein.

Also wenn John Carmack mit dir "SingStar" spielt, stimmt mit ihm möglicherweise etwas nicht.

Ach, im Privaten ist das schon okay.