SPIEL/FILM: Was man sagt über Männer mit kurzen Werken
Vier Anime-Kurzfilme spannen zusammen mit einem Computerspiel von Goichi "51" Suda auf einer einzigen Disc: Short Peace hat nur schon dank seines ungewöhnlichen Konzepts die Aufmerksamkeit verdient. Verdient es aber auch unsere Herzen? Wie passt das alles zusammen? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen? Nun...
Eier. Wer auch immer grünes Licht gegeben hat für die Finanzierung von Short Peace, hat Eier. Strausseneier. T-Rex-Eier. Vier experimentierfreudige Kurzfilme – bei Gott nicht eben das Gassenhauer-Format schlechthin – auf eine Playstation 3-Disc gepresst neben einem kurzen Spiel… wer soll das schon kaufen? Die richtige Antwort darauf lautet: Wen juckt‘s?! Tatsache ist: Short Peace existiert, entgegen aller Vernunft und kommerziellen Perspektive, und muss allein schon deshalb niemandem mehr etwas beweisen. Dass es dennoch den Beweis dafür antritt, dass der Kurzfilm als ästhetisches Labor produktiv ist wie eh und je, und immerhin noch andeutet, wie falsch vermeintliche Wahrheiten im Hinblick auf Computerspiel und Film sind, ist insofern lediglich ein Bonus. Einer freilich, den wir gerne mitnehmen.
Du vielleicht. Aber muss das mit den Animes wirklich sein? Können wir nicht gleich über Games sprechen? Der Name des Blogs lautet schliesslich nicht Videotourism, und Suda ist voll gut und so...
Könnten wir schon, sollten wir aber nicht. Denn, Spoilerwarnung, die Kurzfilme sind das beste an Short Peace. Sprechen wir also zuerst von ihnen.
Echt jetzt?
Echt.
Und wenn ich nunmal echt keinen Bock habe, über dieses antiquierte und nicht einmal interaktive Relikt aus uralten Zeiten zu lesen? Im Sinne von wirklich, wirklich nicht?
Dann gibt es hier halt in Gottes Namen die Abkürzung, zum Computerspiel und der Karriere-Retrospektive von Suda 51.
...Entschuldigung für diese kurze Unterbrechung. Wo waren wir? Korrekt, den Animes: Eine kurze Animation von Koji Morimoto stösst zum Auftakt von Short Peace faszinierend irisierend die Pforten auf zu psychedelischen Experimentierfeldern, auf die der Rest der Kurzfilme allerdings nur noch zögerlich nachfolgen wird.
Absolut sehenswert ist auch der Beitrag von Katsuhiro "Akira" Otomo, dem Anime-Altmeister, der sich passenderweise vom Alten inspirieren liess: Combustible blickt zu den Emakimono, einer auf Schriftrollen verwirklichten, traditionellen japanischen Form der illustrierten Erzählung, um wortwörtlich neue Blickwinkel zu eröffnen: Otomo leiht sich von den Schriftrollen eine distanzierte, isometrische Perspektive, um einfache Geschichte von einer hoffnungslosen Liebe und den Gefahren der Feuerbekämpfung im alten Edo zu zeichnen -- eine Perspektive, die so einnehmend wie ungewohnt im Medium des Films ist. Eher zufällig bietet Otomo damit auch eine Anschlussmöglichkeit an das Computerspiel, dem die Iso-Perspektive schiesslich alles andere als fremd ist.
Das gilt für Gambo, in dem ein göttlicher Gesandter in Form eines weissen Bären einen menschenverschlingenden Dämon zu einem rasenden Zweikampf stellt und dabei so viel Blut verströmen lässt, dass man meint, Andos Regiestuhl stand im Schlachthaus. Und es gilt ebenso für Hajime Katokis A Farewell to Weapons, wo sich ein Trupp high tech-bewehrter Soldaten in einem post-apokalytpischen Tokio einen Häuserkampf mit einem unbemannten Panzer liefert.
Neben so versierten wie originellen Kurzfilmen wie Possessions oder Combustible ist das immer noch wenig, aber es ist, für sich allein genommen, doch gut genug. Und wenn man ihn neben den letzten Teil von Short Peace, Sudas Computerspiel Ranko Tsukigime’s Longest Day, stellt, beginnt Farewell to Weapons tatsächlich zu schillern.
Da gibt es vorerst nichts zu bedauern. Wir alte Säcke mögen zwar monieren, dass wir live dabei waren, damals, als Suda im Fernsehen das Wort „Cunt“ sagte, und heute? Heute können wir jeden verdammten regelverspottenden Schachzug der einst so unberechenbar wirkenden Nr. 51 voraussehen. (Wieder mexikanische Wrestler, 8-Bit-Flashbacks und zu kurz geratene Schulmädchen-Röcke in Ranko Tsukigime’s Longest Day? Wirklich, Goichi?) Für ein Projekt wie Short Peace fallen wir freilich kaum ins Gewicht, kann und will es doch ein Publikum erreichen, das die visuellen Ticks und Fetische Sudas tatsächlich als elektrisierend neu erleben mag.
Die Wahl Sudas führt Short Peace also in ein Dilemma: entweder zurrt es seine potentielle Zuschauerschaft auf die doch verflucht exklusive Schnittmenge von Kurzfilmen-Aficionados und Liebhaber von bilderstürmenden Computerspielen zusammen. Oder Suda wird gezwungen, an seinen Stärken vorbeizuarbeiten. Wer Eier in der Grösse der Short Peace-Macher hat, sieht verständlicherweise einer skrotumzusammenschnürenden Einengung des Zielpublikums mit Horror entgegen.
Und damit ist nahegelegt, welche Antwort Suda finden muss auf eine Serie paradoxer Fragen. (Wie entwickelt man ein Spiel, das zugleich die Stärken des Mediums repräsentiert und sich nahtlos in ein Kurzfilmprojekt einreiht? Das visuell Neues probiert und dennoch auch für Neulinge lesbar bleibt? All das mit reduzierten finanziellen Mitteln?) Die Antwort lautet: zähneknirschende Vereinfachung.
Die ironische Ehrenrettung ist immerhin, dass Ranko, durchaus passend für den Short Peace-Kontext, ausgerechnet dort (und nur dort) interessant wird, wo es aufhört, Game zu sein: In den filmischen Zwischensequenzen. Nicht in deren Handlung, die so durchdringend WEIRD JAPAN bellt, dass Einzelheiten unmöglich zu vernehmen sind. (Auch wenn sie sich wenigstens heiser schreit im gut gemeinten Vorsatz, unbedingt zu unterhalten, weshalb man ihr den Übereifer unmöglich übel nehmen kann.) Aber doch im Stil, oder eher: in den Dutzend Stilen, die in einem Trommelfeuer von Parodien auf unterschiedliche Animetechniken die Verspieltheit des Short Peace-Projekts konsequent weiterführen.
Nicht, dass Short Peace jemandem dies beweisen müsste, oder irgendetwas sonst. Nicht, dass es alles richtig machen müsste, und schon gar nicht allen. Es ist, was es ist: ein Experiment, und Experimente bringen nun mal naturgemäss erfreuliche (hier sogar extrem) und eher unbrauchbare Resultate hervor. All in the game. Wie übrigens auch die Tatsache, dass Experimente wiederholbar sein müssen, um legitim zu sein. Bleibt zu hoffen, dass jemand Short Peace sieht und sich an diesen Umstand erinnern wird. Idealer Weise jemand mit Weitblick, Geld. Und Eiern.
Dieser Text erschien in leicht geänderter Form zuerst für nahaufnahmen.ch.
Tellerränder, Alter. Tellerränder. Blicke und so! Hatte ich erwähnt, dass der eine Anime sogar oscar-nominiert ist? Steht alles da oben! Immer noch nicht überzeugt? Fein, dann eben hier die versprochene Abkürzung zu Suda.