Nabelschau: Was mache ich hier

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Selbstreferenzielles navel-gazing ahead. Der folgende Text brütet bereits eine Zeitlang vor sich hin, ohne sich für mich zu einem Ende zu fügen. Deshalb einfach mal raus damit, als späte Einlösung meiner Ankündigung anlässlich der Superlevel'schen Spiegelkritikschelte, Fremd- und Selbstwahrnehmung zu überprüfen. Warnung: Worte. Zweite Warnung: keine Schlusspointe.

1.

Things I learned: Ich bin ein mieser Hipster.

Meine Hobbys sind Mainstream-scheiße-Finden und Indie-und-Retro-wegen-jeder-bizarren-Idee-in-den-Himmel-Loben, je obskurer, desto besser. Es  ist mein täglich Brot, alles mies zu machen, was die Charts bevölkert, das Größer-Schneller-Weiter des Mainstreams mit einem verächtlichen Schnauben abzutun und stattdessen aus Prinzip irgendwelche Augenkrebsgrafik vorzuziehen. Dwarf Fortress, weil ich einfach härter bin. Rogue-likes, weil ich schon immer ein asketischer Gameplay-Fanatiker war.  Deshalb: Call of Duty dissen, an GTA V statt riesiger Welt und hunderten Stunden Spaß das bisschen Folter und Frauenfeindlichkeit anprangern und an Assassin's Creed daran herumnörgeln, dass es so viel verschiedene Sachen zu tun gibt.

Irgendwann wird man ungeduldig und will nicht mehr einsehen, dass das so lange dauert. 

Ein Freund von mir hatte ein eindeutig fragwürdiges T-Shirt, auf dem stand: "Everything you like, I liked 5 years ago". Das ist einerseits eine fatale Selbstdeklaration als Hipster, die fast schon brachiale Gewalt entschuldigt, andererseits kommen wir damit aber möglicherweise der Sache näher. Ich finde den Mainstream nämlich zum Großteil nicht deshalb langweilig, weil er Mainstream ist, sondern weil ich schon länger dabei bin. Ich sehe nicht erst seit fünf Jahren zu, wie er sich nur quälend langsam, mit der Flexibilität lethargischer Gletscher verändert; ich lobe Indie und bizarre Ideen nicht, um dagegen zu sein, sondern weil ich mich nach Neuem verzehre. Denn das ist leider der Fluch der genauen und langen Beschäftigung mit einem Medium: Irgendwann wird man ungeduldig und will nicht mehr einsehen, dass das so lange dauert. 

Ja, es muss wirklich jede Kuh so lang gemolken werden, bis sie tot umfällt. Ja, es wird nur im äußersten Notfall an Erfolgsformeln etwas geändert, und wenn, dann nur unter Konsultation jener PR-Heinis, die dem Trugschluss aufsitzen, Massengeschmack sei prinzipiell das Apellieren an den niedersten gemeinsamen Instinkt. Das sind Aspekte, die dem typischen Games-Fan weder besonders auffallen noch ihn stören: Spiele sind Eskapismus, und hey, wenn etwas Spaß macht, macht es Spaß, stimmt's? STIMMT'S?!?!

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2.

Alec Meer von RPS hat es im Adventkalender perfekt beschrieben:

If I wasn’t a games critic, it’s extremely doubtful I’d have played as many games I have, and as a result I’d likely feel a little less fatigued by shooting and stabbing-based games than I sometimes do. I’d perhaps have looked at GTA as the cathartic cartoon power trip it is for many, as opposed to the often obnoxious, frequently incoherent testosterone explosion it seemed as just another brick in my wall of virtual death-dealing. Hell, I’d probably even have taken COD Ghosts or Battlefield 4 as a noisy, cheerful indulgence rather than a symptom of the games industry’s sickness.

I’m too immersed in all of this, in a slightly unnatural way – I know that just as much as I know that such games are indeed problematic in many ways. So I often need a holiday from what to anyone else would be a holiday; I need to play games that make different parts of my brain light up, that give me new experiences and new things to say. 

Daraus ergibt sich ein Dilemma, das mit dem Servicecharakter des Journalismus zu tun hat. Kritiker sind nicht mit dem Zielpublikum identisch; ist es nur ihre Aufgabe, sich in dieses hineinzuversetzen? Oder haben sie vielmehr die Funktion, als Experten für ihr Feld umfassender zu urteilen, auch wenn dies eine Abkehr von dem bedeutet, was der Leser für sich selbst erwartet?

Der wunderbare Tom Bissell hat das Dilemma in seinem Lob- und Abgesang auf The Last of Us perfekt umschrieben:

Here’s a dangerously calcified game-industry assumption: For a single-player narrative game to be purchased by all 6 million members of its console’s target audience — to become a “must-have” title — it needs to hit a Metacritic rating no lower than the low 90s. To achieve a Metacritic rating in the low 90s, you must make a game that impresses critics, who by their nature crave novelty, which is the very thing that scares away gamers who buy only three to six games a year, and who are, by far, the largest constituency in the game-buying audience.

To impress these critics, you often have to invest in the hardest, most difficult-to-engineer elements of game design and work your employees half to death. All of which means that game companies are spending hundreds of millions of dollars to impress people whose taste is unrepresentative of the wider game-playing audience and whose power to create an impression of “must-have” titles is still largely unproven.

If you’re wondering how any of this is sustainable either economically or creatively in the long run, so am I. So is everyone.

"Critics crave novelty" - allerdings. Hierin liegt die sich ständig weitende Kluft zwischen Kritikern und Fans, ein Graben, den zu überspringen nicht alle Freunde eines Mediums schaffen.

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3.

Andere Medien, andere Medienbeschreibungsmedien: Es gibt die Cahiers du cinema ganz selbstverständlich als eigene, wenn auch dem Mainstreampublikum sowas von egale Welt neben all den Sommerblockbustern, es gibt ganz selbstverständlich literarische Zirkel, in denen mit für Außenstehende grotesker Akribie über Feinheiten und Bedeutungsvarianten pynchonesker Epigonen gefachsimpelt wird, und von den Dylanologen fang ich lieber gar nicht erst an.

Klar: Diese Medien - Film, Literatur, Musik - sind älter und haben einen Respektabilitätsvorsprung. Manche meinen, Spiele hätten auch noch zu wenig zu bieten, um für respektablen Diskurs zu taugen. Das stimmt meiner Meinung nach spätestens seit der Explosion der Independentszene nicht mehr, war aber auch zuvor schon eher Ausdruck mangelnder Fantasie (und Sachkenntnis) der derart Urteilenden.

Der Forderung John Osbornes nach Les Cahiers du Ludica ist abgesehen vom wirklich behämmerten Namen zum Großteil zuzustimmen:

What Les Cahiers did was not wait for popular culture to accept film as art, they proudly and boldly stated that it was.  They then went and dissected film as artistic works regardless of whether a film is personal or made for commercial interest.  

Games and gamers need to do the same.  Games being Art is not a matter of avoiding criticism - as has been done far too often.  No, Games being Art invites more criticism - whether it be Academic, Sontagian, Marxist, Feminist, Aesthetic, Ludological, Narratological, Populist, etc, etc, etc.  True art is carved and formed by critique.  It looks at itself as if it has meaning, and allows others to dissect it.

Grundsätzlich ein nobles Ziel - doch andererseits: Weshalb zur Hölle muss um diese Anerkennung als "true art" überhaupt gerungen werden? Ist ein Spiel wie NaissanceE "intellektueller" als Portal? Ist The Binding of Isaac weniger oder mehr "true art" als Year Walk? Als Call of Duty? Als Flappy Bird?

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4.

Für mich persönlich tut sich mit diesem Ansatz der Graben noch weiter auf. Es ist der Weg, den das neu gegründete Journal of Games Criticism gehen will:

The Journal of Games Criticism (JGC) is a non-profit, peer-reviewed, open-access journal which aims to respond to these cultural artifacts by extending the range of authors to include both traditional academics and popular bloggers. The journal strives to be a producer of feed-forward approaches to video games criticism with a focus on influencing gamer culture, the design and writing of video games, and the social understanding of video games and video games criticism.

Mir bleibt angesichts dieser Selbstbeschreibung, aber auch der ersten Texte, die dieses Projekt bislang zieren, als stumme Gegengeste nur ein weiteres Zitat von Tom Bissell:

The academicization of video games is already well under way, of course. While some good stuff is happening there — Ian Bogost is a national treasure, Jesper Juul’s recent The Art of Failure is a wonderful meditation on the dreary core of the game-playing experience — much of it amounts to the same joyless dissection that has necrotized the formal study of most other creative arts.

Ich weiß, aus eigener Erfahrung: Es ist verdammt hart, nicht der drögen Verführungskunst des Trocken-Akademischen zu verfallen. Es hört sich alles so viel wichtiger an, wenn es mit Fußnoten1, Zitaten, Verweisen auf die Großen Ungelesenen(TM) gespickt wird und die Konzentrationsleistung eines Formel1-Piloten erfordert, um die Abstracts aus ihrer Rubik's-Cube'schen Verrätselung zu lösen. Dass Satire und Extremposition ununterscheidbar sind, ist ein Faktum, das immer wieder Heiterkeit auslöst, aber eigentlich bitterer Ernst ist. 

Respektabilität erlangen, indem quasi auch hier der lange Marsch durch die Institutionen gegangen wird? Das sieht für mich eher aus wie der Rückzug in die Institute. Ohne mit dieser Spitze jetzt die Arbeit zu dissen, die akademisch auf dem Feld der Game Studies geleistet wird - die Dissertationen, auch die besten, werden verstauben.

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5.

Titelfrage: Was mache ich hier? Für mich persönlich, und für den Weg, den ich hier und woanders, mit oder ohne Bezahlung, weitergehen will, bleibts dabei: Ich schreibe hier für mich selbst zuallererst, so, wie ich es gerne woanders lesen würde, und wie ich es vor allem im alles dominierenden englischen Sprachraum, aber auch im deutschen zunehmend tun kann. You know who you are.

Ich werde weiterhin versuchen, Texte zu schreiben, wie sie meinen bescheidenen Mitteln und meiner starrköpfigen Anschauung nach eigentlich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dem Pop- und Kulturprodukt Games angemessen sind. Ein unbescheidenes Ziel, an dem sich auch zu scheitern lohnen sollte. Und eigentlich hat das gar nicht so viel mit der Schmidt'schen Forderung nach mehr Geist zu tun, denn als "Games-Tester" habe ich mich nie betrachtet.

Dass ich, wie eingangs erwähnt, mich für diesen meinen Spleen hin und wieder, ob zu Recht oder Unrecht, in die Hipster-Ecke stellen lasse, nehme ich mal achselzuckend so hin. Privat versuche ich diesen Vorwurf, so hoffe ich, durch unglaublich geschmacklose leiwande Totenkopf-T-Shirts und das ungefragte Vorzeigen von Babyfotos regelmäßig zu entkräften.

Continue? 987654321 ... logo. 

Die Bilder stammen übrigens vom famosen Blog GTA5selfies.

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