10 Regeln

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2013 steckt der gesamte Printjournalismus in einer noch tieferen Krise als im Vorjahr - und wieder der Videospieljournalismus noch ein bisschen mehr. Im Gastkommentar beschäftigt sich Christoph LurzBlogger und ehemals selbst in der Gamesbranche beschäftigt, mit denjenigen, die für diese Branche schreiben. 

Der Herbst klopft an und in fast schon jährlicher Tradition ist es wieder Zeit, über den Status Quo im Bezug auf Videospiele und die darüber geschriebenen Worte nachzudenken. Das GEE Magazin versuchte zehn Jahre lang, vieles anders zu machen und feierte erst vor wenigen Tagen mit einer großen Sonderausgabe sein eigenes Sterben. Die Zahl der Spielveröffentlichungen steigen, die IVW-Zahlen der Videospielfachmagazine für das dritte Quartal sinken erneut, die "Mehr Geist"-Debatte von vor zwei Jahren hat nichts verändert und Waschmaschinenjournalismus steht noch immer an der Tagesordnung. Mit dem Ende des GEE Magazins  ist diesen Monat einer der seltenen Lichtblicke am deutschsprachigen Printmarkt verschwunden und auch die Selbstversteigerung des consol.Media Verlags mit einem Nennpreis von 1 Euro zeigt, dass weder Qualität noch Engagement für ein wirtschaftliches Überleben ausreichend sind. 

Mein letztjähriger Beitrag hat auch weiterhin seine Berechtigung und was folgt, ist der Versuch, die Probleme mit zehn Regeln für Personen, die über Videospiele schreiben, zusammenzufassen. "Personen" aus dem Grund, da es nicht mehr nur Journalisten im klassischen Sinn (be)trifft. Mit sinkender Relevanz von Printmagazinen wandern die dort üblichen Praktiken nämlich langsam in den Onlinebereich und werden dort von Bloggern, Schreibsklaven, Podcastern und "Let's Play"-Menschen leider zu gerne über- sowie angenommen. 

Deshalb hier: 10 Regeln für Personen, die über Videospiele schreiben.

 Regel 1 - Wenn es einem persönlich nicht gefällt, ist es nicht gleichzeitig schlecht. 

 Der persönliche Eindruck und die Qualität von etwas müssen nicht übereinstimmen. Im klassischen Journalismus unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Arten der Berichterstattung, die von neutral (z.B. Bericht) bis hin zu sehr subjektiv (z.B. Meinung oder Kommentar) gehen können. Die Grenze zwischen den Textgattungen verwischt schnell und bei Beiträgen über Videospiele entsteht oft eine Mischung aus Bericht, Review und Meinung. Solange man sich dessen bewusst ist und Formulierungen entsprechend wählt, ist dagegen nichts einzuwenden. Problematisch wird es jedoch, wenn man die eigene Meinung als Tatsache betrachtet und diese als Basis für eine Argumentation über die Qualität oder eine andere Meinung nutzt. 

 Regel 2 - Nur weil die Industrie dich pimpert, musst du die Industrie nicht zurück pimpern. 

 Laut Duden ist pimpern die vulgär österreichische Form von koitieren. Gleichzeitig dient das Wort auch als umgangssprachliches Synonym für das "Anfüttern" im Sinne der Vorteilszuwendung zur Beeinflussung. Journalismus steht für die professionelle Fremdbeobachtung von Themen und soll zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Zuwendungen jeglicher Art (Reisen, Testmuster, Einladungen zu Essen und Partyabende ...) sind im Videospieljournalismus an der Tagesordnung und nimmt man solche an, ist zum einen in geeigneter Form darauf hinzuweisen und auch darauf zu achten, dass die Zuwendung weder die Berichterstattung beeinflusst noch initiiert. Der Umfang der Zuwendung ist dabei irrelevant. 

 Regel 3 - Wenn es einen Markt für ein Spiel oder eine Idee gibt, dann sollte man darüber schreiben. 

 Der Landwirtschafts-Simulator ist Schwachsinn? Er belegte jedenfalls im September den 14. Platz der deutschen PlayStation 3-Charts auf Amazon und war damit vor Spielen wie Rayman Legends oder Beyond Two Souls. Tomb Raider ist erst seit dem 2013er-Reboot wieder relevant? Im Jahr 2000 wurde mit Tomb Raider Chronicles ein Level-Editor veröffentlicht, mit dem auch nach über 13 Jahren quasi wöchentlich neue, qualitativ gute Kurzabenteuer mit mehreren Stunden Spielzeit geschaffen werden, über die sich in Fanforen ausführlich ausgetauscht wird. Es gibt vieles, was außerhalb der eigenen Videospielblase passiert. Es gibt Geschichten, die die Industrie vorgeben möchte und es gibt Geschichten, über die man schreiben sollte. 

 Regel 4 - Du schreibst weder für dich, noch dein Ego, noch die Industrie. 

 Möchte man lieber für sich oder sein Ego schreiben, dann empfiehlt sich die Option eines persönlichen Tagebuchs in Erwägung zu ziehen. Keinesfalls schreibt man jedoch für, sondern nur über die Industrie und dies nicht für sich, sondern eigentlich für andere. 

Regel 5 - Klickzahlen stehen nicht zwangsläufig in Relation zur Qualität. 

 Klickzahlen sind wichtig und geben teilweise Feedback über die Reichweite und das Interesse an Inhalten. Dieses Interesse ist jedoch nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit der Qualität. Die Optimierung von Inhalten zur Steigerung des Interesse ist keineswegs verwerflich, aber nur solange nicht die Qualität darunter leidet oder grundlegende ethische Verfehlungen entstehen wie zum Beispiel Klickstrecken von Messehostessen oder schlechte Witze auf Kosten Dritter. 

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 Regel 6 - Waschmaschinen haben einen Nutzen, Journalismus einen Zweck & Waschmaschinenjournalismus nichts von beidem. 

 Waschmaschinenjournalismus war vor zehn Jahren nicht zeitgemäß, er war es vor fünf Jahren nicht, ist es heute nicht und er wird es auch nicht mehr. Videospiele sind ein Unterhaltungsmedium, welches immer mehr Leute erreicht und die Abarbeitung mittels standardisierter Checklisten ist und bleibt falsch. Es gilt über etwas zu schreiben und es nicht zu beschreiben. Es gilt Dinge in Frage zu stellen und nicht die Anzahl der gleichzeitig dargestellten Polygone zu beurteilen. Es soll der Leser angeregt werden, über etwas nachzudenken - und ihm nicht die Entscheidung durch den Autor abgenommen werden. 

 Regel 7 - Eine eigene Meinung darf und soll man nicht haben, sondern man muss sie haben. 

 Es gibt nichts Schlechteres, als keine Meinung zu haben oder die Meinung anderer als eigene auszugeben um nicht anzuecken oder selbst nachdenken zu müssen. Nur weil alle etwas gut finden, muss man es selbst nicht gut finden. Andere Meinungen sind gut und zu respektieren, erst recht wenn diese klar und verständlich begründet werden. 

 Regel 8 - Leg dir Ellbogen zu! Bloggen ist kein Tag am Ponyhof. 

 Über etwas zu schreiben ist leicht, intelligent über etwas zu schreiben nicht. Texte, die in Minuten gelesen werden, haben meist eine mehrstündige Entstehungsgeschichte hinter sich. Reputation hat man nicht, Reputation muss man sich verdienen. Neid bezeichnet das moralisch emotionale Empfinden, die Stellung anderer Personen oder Gruppen sei ungerechtfertigt. Neid ist per Definition nichts Schlechtes und kann durchaus motivieren. Jemanden aus Neid aber schlecht zu machen, geht zu weit, erst recht wenn man nicht das gesamte Bild sieht oder sehen kann. Das Internet kann ein böser und ungerechter Ort sein, muss es aber nicht. 

Auch wenn Vertreter der Videospielindustrie anderes behaupten sitzt man weder im gleichen Boot noch vertritt man dieselben Interessen 

Regel 9 - Nur weil man darüber schreibt, ist man nicht automatisch Teil der Branche. 

 Es gibt die Videospielbranche, Journalisten und Konsumenten. Auch wenn die Wechselquote vom Lager der Journalisten in Richtung Branche wohl nirgends so hoch ist wie in der Videospielindustrie, sind Journalisten nie Teil der Branche. Die Symbiose zwischen Industrie und den Leuten die darüber schreiben ist zwar vergleichsweise dicht und es entstehen auch Freundschaften, wodurch man aber nicht automatisch Teil dieser Branche wird. Auch wenn Vertreter der Videospielindustrie anderes behaupten, sitzt man weder im gleichen Boot, noch vertritt man dieselben Interessen. Will man wirklich in die Branche, ist es sinnvoller sich einen Job in der Branche zu suchen als nur darüber zu schreiben. 

 Regel 10 - Es hat nie jemand gesagt, dass es einfach wird und oder man fehlerfrei sein muss. 

 Wenn etwas nicht funktioniert, dann sollte man es bleiben lassen. Es bringt nichts, x-beliebige Inhalte zwecks kostenloser Spiele rauszukotzen ohne sich auch nur irgendwie von anderen zu unterscheiden. Es ist nicht einfach, anders zu sein und es ist unmöglich, fehlerfrei zu sein. Fehler passieren und falsche Entscheidungen werden getroffen. Wichtig ist, dass man diese erkennt, dazu steht und versucht diese künftig zu vermeiden. Niemand ist perfekt und genau das macht in Wirklichkeit die Sache erst interessant und spannend. 

Journalismus wird charakterisiert durch die professionelle Fremdbeobachtung und auch wenn Videospiele leider zu oft nur als einfacher Zeitvertreib betrachtetet werden, sollte man erst Recht versuchen die grundlegenden ethischen Grundsätze des Journalismus zu berücksichtigen. Gleiches gilt für Texte, Podcasts und Videos über Videospiele. Der Überlebenskampf der Printmagazine ist bereits verloren, lasst uns nicht noch einmal dieselben Fehler begehen. Die von mir hier aufgestellten Regeln werden die Probleme des Videospiel-Journalismus nicht lösen - aber ihn hoffentlich ein wenig verbessern. 

Autor: 

Kommentare

[...] folgende Text wurde als Gastbeitrag auf *videogametourism.at [...]

Spiele sind doof. Blogs sind doof. Kommentare sind doof.

Danke! Danke! Tausend Dank für dieses geschriebene Wort. Halleluja.

Guter Text, aber dem verkürzenden Listenformat geschuldet bleibt mir auch einiges ein bisschen zu oberflächlich, und mit der Zählung kann ich mich auch nicht ganz anfreunden. Ethik und Distanz kommen mit 2 und 9 gleich auf doppelte Erwähnung, und von Regel 4 bleibt ohne diese Wiederholung eigentlich auch nur ein Seitenhieb auf das alte confessional writing. Integrität, klar, guter Vorschlag, aber hier gäbe es auch interessantere Facetten zu beleuchten als die klassischen Bestechungsversuche.

Schön dass sich Regel 7 für Meinungen ausspricht, aber wie geht mit Regel 1 zusammen, die unabhängig von der persönlichen Wahrnehmung noch einen objektiven Qualitätsbegriff ansetzt? Begründet wird das dort mit neutralen Textsorten, in denen solche Wertung nichts verloren hat, aber das legt eher saubere Trennung nahe, denn ein generelle Zähmung der eigenen Subjektivität: "Problematisch wird es jedoch, wenn man die eigene Meinung als Tatsache betrachtet und diese als Basis für eine Argumentation über die Qualität oder eine andere Meinung nutzt."

Die eigene Meinung ist die einzige Basis für Argumentation über die Qualität von etwas, das ist auch durch arrogante Präsentation oder Streitlustigkeit noch nicht aufgehoben. Tevis Thompsons Thesen werden in ihrer Reichweite gegen Ende etwas widersprüchlich, aber so weit gehe ich noch mit ihm einher: keine Objektivitäts- oder Vollständigkeitsansprüche mehr, kein Ausgleichen kritischer Bemerkungen mit Ergänzungen zu Soundtrack oder Grafik oder was auch immer, kein Orakeln darüber wie es bei anderen ankommen mag, kein "not my thing" als das sortierendes Label dafür, wer kritisieren darf und wer nicht. Es sind nicht nur Checklisten und Technikfetischismus, die den in 6 beschriebenen Waschmaschinenjournalismus ausmachen, die "objektive" Mentalität dahinter äußert sich auch in diesen übriggebliebenen Ansichten zur Vervollständigung oder Mäßigung der eigenen Meinung.

Mit dem deskriptiven Ansatz in Regel 3 kann ich mich ja fast anfreunden, weniger mit den beschriebenen Mechanismen zur Auswahl: Die eigene Verantwortung als Kurator lässt sich meiner Meinung nach ebensowenig an das Publikum übertragen wie an die Industrie. Was die Leute spielen ist kulturell hochgradig interessant, aber es ist ebensowenig der Weisheit letzter Schluss für die Themenwahl, wie die Artikel die sie gern anklicken. Marktlogik wird in diesem Feld vielleicht generell ein wenig zu unkritisch betrachtet.

Dieser Kommentar ist mMn interesanter als der Text.

Gute Einwände Joe und du hast auch durchaus Recht. Alleine die Ausführung als Liste ist eigentlich im Bezug auf den Inhalt merkwürdig und widerspricht indirekt der Regel 5. Wobei dann auch die Witze auf Kosten anderer teilweise in Regel 8 gebrochen werden und alleine diese Regel etwa 15 Euro für das stumpfe Phrasensparschwein bringen hätte müssen.

Mein Hintergedanke war nicht die zehn ultimativen Regeln für einen perfekten Videospieljournalismus aufzustellen. Solch ein Recht würde ich mir nicht herausnehmen und erst Recht bin ich gar nicht für so etwas geeignet. Es sind einfach zehn Regeln mit Dingen, die mich in den letzten zwölf Monaten gestört haben. Manches wiederholt sich indirekt und eigentlich ist auch nichts in der Liste "neu" ...

Das primäre Ziel war eigentlich den Gedankengang von Bloggern, Podcastern und Let's Playern anzuregen, denn genau die sind momenten der "heiße Shit". Die Motivation dieser neuen Berichterstatter ist nicht die eines klassischen Journalisten und viele davon würden die dritten Zähne der Oma einfach so für ein kostenloses Spiel eintauschen. Genau diese lassen sich zu leicht von der Industrie manipulieren und werfen mit 0815 Schleimsachen herum. Sowas hält sich natürlich nicht lange, aber es schadet im Prinzip allen die es versuchen besser oder anders zu machen.

Und warum genau dann der leicht polemische Inhalt und die kurzgehaltene oberflächliche Auflistung in Form von 10 "dummen" Regeln? Ein Essay wie zum Beispiel http://polyneux.de/2006/03/02/ist-unterhaltung-messbar/ wäre dem Inhalt sicherlicher gerechter geworden, aber so dumm es sich anhört: Regeln und Listen sind leichter zu lesen, regen schneller an und bleiben hoffentlich eher in Erinnerung.

Nabend. 

Ich finde spannend, dass in einem derart heterogenen Feld wie Gameskritik/-journalismus/Über-Spiele-Schreiben/-Reden etc schon in derart grundlegenden Bereichen die Konsense in alle Richtungen zersprageln.

Drum hätte ich noch eine Master-Regel anzubieten, die so vage und allumfassend ist, dass sich alle drauf einigen und daran gründlich zerstreiten können.

Regel 11: Du sollst nicht langweilen.

(Ach, wüsste ich doch spontan einen Peniswitz!) 

Ich wünsche uns allen, die über Games schreiben/reden, dass die Übung gelingen möge. Ich selbst arbeite dran. :-D

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