2012 im Rückspiegel
Dieser Text erschien zuerst für fm4 und versammelt deshalb wichtige Artikel dortselbst als Links im Text.
Keine neue Konsolengeneration, dafür eine Vielzahl an Spielen mit Fortsetzungsnummern im Titel: Von fern betrachtet sieht das gerade zu Ende gehende Spielejahr nicht nach viel aus. Die Hardwarestarts des Jahres waren wenig relevant: Die PS Vita kränkelt bereits und NintendosWii U ist noch zu jung, um Eindruck hinterlassen zu haben. Doch der Schein trügt: Obwohl - oder vielleicht: weil - die nächste Generation der großen Konsolen noch auf sich warten lässt, hat sich einiges getan. Man könnte auch sagen: Es brodelt unter der Oberfläche.
Ich geb's zu: Auch ich bin schuld am Weiterverbreiten der bequemen Selbsttäuschung, Gaming sei "in der Mitte der Gesellschaft angekommen". Angesichts von Milliardenumsätzen und Werbung an öffentlichen Orten schleicht sich bei Games-Interessierte oft der Irrtum ein, das eigene Medium sei endlich "ganz normal" oder gar "erwachsen" geworden. Auch wenn dieser wünschenswerte Zustand noch nicht ganz erreicht ist, hat das Jahr 2012 einige überraschende Schritte auf dem Weg dorthin gebracht - teils unter Schmerzen.
Denn es war ein Jahr der Kontroversen: Ein Jahr, in dem im Wirbel um das Ende von "Mass Effect 3" und in "EVE Online" die Spielercommunity selbstbewusst ihre Rechte einforderte; ein Jahr, in dem sich diese Spielercommunity aber auch ihren eigenen dunklen Ecken stellen musste. Ausgehend von den lebhaften Streitgesprächen um Sexismus und Gewaltfixierung mancher Spiele, der ganzen Industrie und einiger lautstark pubertärer "Fans" erfolgte aber zumindest endlich eine breitere Thematisierung der Probleme, die schon längst fällig war. Unter demTwitter-Tag "#1reasonwhy" stellten dann auch Frauen, die in der Gamesbranche arbeiten, den ganz normalen Alltagssexismus des Männerclubs Spieleindustrie an den Pranger. Und als wäre all das nicht genug, stolperte im Herbst der ohnedies wirtschaftlich gebeutelte Games-Journalismus in eine veritable Glaubwürdigkeitskrise - Stichwort "Dorito-Gate".
Es ist kein Zufall, dass sich diese Bruchstellen just 2012 auftun: Dank Riesenbudgets, rasant wachsender Spielerzahlen und größerer Öffentlichkeit lassen sich derartige Problemfelder aus der Pickel-Ära des Gamings nicht mehr ganz einfach ignorieren. Denn 2012 ist auch das Jahr, in dem das New Yorker Museum of Modern Art Videospiele in seine Sammlung aufgenommen und das Smithsonian Institute dem Thema eine ganze Ausstellung gewidmet haben. Auch das deutsche Qualitätsfeuilleton im Print sah sich anlässlich solch höherer Weihen vor kurzem genötigt, die Sache mit dem Schmuddelmedium neu zu überdenken: Games, so die deutsche "ZEIT", "taugen zum Medium der Zukunft".
Das Medium der Zukunft, so könnte man ätzen, zeigte sich im Hochglanzmainstream allerdings recht konservativ: Mit "Halo 4", "Max Payne 3", "FIFA 13", "Mass Effect 3", "Far Cry 3", "Assassin's Creed 3","Diablo 3", "CoD: BLOPS 2", dem aktuellen "Hitman: Absolution" (traditionell ohne Nummerierung, aber dennoch Teil 5) und "Borderlands 2" war 2012 auch - wieder einmal - ein Jahr der Fortsetzungen im Triple-A-Bereich.
Das heißt im besten Fall solide Weiterentwicklungen renommierter Franchises, im schlimmsten Fall aber mutlose Stagnation bei Riesenbudgets. Den Fans hat's scheinbar auch heuer wieder gefallen und richtige Bauchlandungen gab's im Hochglanzsegment bei so viel Nummer-sicher-Mentalität auch keine. Kein Wunder, dass eines der wenigen neuen Gesichter im Triple-A-Segment - Arkanes gelungenes "Dishonored" -wegen Erfolgs auch gleich zur Serie ausgebaut wird.
Doch es gibt zum Glück auch noch eine Welt abseits der Hochglanzspiele mit Millionenbudgets: Dank Kickstarter war 2012 das Jahr der Games-Renaissancen, denn durchCrowdfunding ist die Reanimation hochverehrter Klassiker wie "Wasteland", "Shadowrun", "Great Gianna Sisters" oder diverser Point-and-Click-Legenden in vollem Gange. Doch nicht nur die Games-Götter vergangener Tage, darunter auch Chris Roberts und Peter Molyneux (!), lassen sich ihre Nostalgietrips von willigen Fans finanzieren: auch das eine oder andere Indie-Projekt wird so Realität - ein Glücksfall für Spielemacher und Spieler.
2012 war dafür ein fantastisches Jahr für Freunde des unabhängigen Games-Undergrounds. Denn während mit der Doku "Indie Game - The Movie" ein liebevolles Porträt einiger Köpfe der eigenwilligen Szene entstand, gab es 2012 mit der AMAZE in Berlin Europas erste Indie-Games-Konferenz (mit Ableger in Südafrika!), Game-Jams auch hierzulande und allgemein mehr großartige Independent-Titel denn je: "Journey", "Dear Esther","Spelunky", "Hotline Miami", "Botanicula", "Fez", "FTL" - "Indie" hat als Begriff zwar Federn gelassen, die Sammlung von Spielen und Experimenten unter diesem Banner ist aber beeindruckend. Dank Steam Greenlight sichert nun auch Valves riesiges Games-Portal den Indies eine zusätzliche lukrative Plattform.
Es bleibt aber auch 2013 interessant: Das Liebäugeln der Branche mit dem Free2Play-Konzept bringt vor allem Multiplayer-Fans auch im nächsten Jahr viele Neuigkeiten - ob das neue Konzept für Spieler positiv oder negativ zu beurteilen ist, wird sich weisen. Die Hauptattraktion des kommenden Jahres werden aber sicher die Nachfolger der PS3 und der XBox360 sein - bis zum Weihnachtsgeschäft wollen Sony und Microsoft ihre neuen Wohnzimmeraltare bereit haben.
Und vielleicht gibt's 2013 auch eine Überraschung aus ganz anderer Richtung: Neben dem Start der Open-Source-Konsole Ouya ist es Valve, dem Steam-Betreiber und "Half-Life 3"-Hinauszögerer, durchaus zuzutrauen, 2013 eine brandneue Konsole mit Steam-Anbindung und Linux-Basis unters Volk zu werfen. Und mit "Oculus Rift" steht uns womöglich sowieso ein ganz neues Erlebnis bevor.
Es war ein gutes Jahr - und irgendwann, vielleicht 2013, wird die Plattitüde mit der "Mitte der Gesellschaft" dann vielleicht doch noch Realität. Ich hoff's.