Angriff auf die Jungskultur

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Jetzt ist es also so weit: Anita Sarkeesian hat Teil 1 ihrer geplanten Video-Dokuserie "Tropes vs. Women in Video Games" zum Thema Sexismus in Spielen soeben veröffentlicht. Wir erinnern uns: Die "Causa Sarkeesian" war letztes Jahr eine jener Affären, die schmerzhaft eine traurige Tatsache unter Beweis gestellt haben: Sexismus ist nicht nur, wie Sarkeesian zeigen wollte, in den Spielen selbst selbstverständlicher und meist nicht einmal bemerkter, fixer Bestandteil der Gameskultur, sondern auch und besonders in großen Teilen der Spielerschaft mehr als salonfähig - ein Befund, der von den beispiellosen Angriffen, sexistischen Beschimpfungen, Gewaltandrohungen und von sexistischer Hetze gegen Sarkeesian selbst aufs Deprimierendste unter Beweis gestellt wurde.

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Ironie des Schicksals: Sarkeesians bloße Ankündigung, Spiele auf Sexismus zu untersuchen, hat durch diese verstörend massive Kampagne schon Monate vor Erscheinen dazu beigetragen, das Dilemma des Sexismus im Gaming zu beleuchten und wurde so zum Beweis dafür, dass das Problemfeld noch weitaus größer ist, als sie selbst eigentlich angenommen hatte.

Die fehlende Sensibilität für das Problem Sexismus zeigt sich regelmäßig auch von Industrieseite

So betrachtet ist es also tatsächlich völlig irrelevant, zu welchen Schlüssen die amerikanische Bloggerin erwartbarerweise in Bezug auf das Medium selbst kommt. Denn dass, wie Sarkeesian mit unzähligen Beispielen akribisch dokumentiert, Spiele mit sexistischen Motiven operieren, ist nur ein winziges Mosaiksteinchen eines schwer zu leugnenden Befundes: Nicht nur in den Spielen selbst, sondern auch in der dazugehörigen Industrie und in einem selbstbewusst-lauten Anteil der Spielerschaft ist ein problematischer, oft aggressiver Sexismus die Norm, die zudem in einem falschen Verständnis von "Spielkultur" im Reflex verbissen verteidigt wird.

Kein Wunder, dass die "Fans", als die sich die glühendsten Medienvertreter gebetsmühlenartig und distanzlos bezeichnen, wenig Unrechtsbewusstsein entwickeln und wehleidig aufjammern, dass von feministischen Inquisitionen ungerechterweise überall Sexismus hineininterpretiert würde, wo nur unschuldiger Spaß beabsichtigt sei. Denn die fehlende Sensibilität für das Problem zeigt sich regelmäßig auch von Industrieseite: Dass das soeben erschienene "Tomb Raider" schon letztes Jahr im Zentrum der Kritik stand, war vor allem den sehr blauäugigen Aussagen der Entwickler im Zusammenhang mit einer angeblichen Vergewaltigungsszene geschuldet.

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Die gleichzeitige Ledernonnengewaltfantasie des "Hitman"-Trailers geht in diesem Umfeld ebenso mit Unschuldsmiene als harmloser Spaß durch wie die PR-Aktion von Deep Silver vor wenigen Wochen, in der das Zombiespektakel "Dead Island: Riptide" mit dem verstümmelten Torso einer vollbusigen Bikini-Leiche beworben werden sollte - sowohl manche Fans wie auch der Publisher selbst sahen sich angesichts des medial immerhin doch einsetzenden Kritikfeuerwerks ungerecht behandelt. Schlussendlich entschuldigte sich Deep Silver dann für das angeblich missverstandene "conversation piece". Die Spielerschaft zuckte die Achseln. Eine halbnackte, verstümmelte Bikinimaus - what's not to like? Wo ist da Sexismus? Alles halb so wildRape culture? Aber geh!

(Apropos "Dead Island": Bevor in den Kommentaren die Diskussion ihren erwartbaren Verlauf nimmt, sei nochmal drauf hingewiesen, dass Techland schon im Vorgänger mit der charmanten "Feminist Whore"-Diskussion etwaigen Benefit of the Doubt stark beansprucht haben.)

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Eigentlich sollte man annehmen dürfen, dass es immer schwieriger wird, den Balken im eigenen Auge wegzuerklären, vor allem, wenn die Frauen in der Industrie selbst das Wort ergreifen. Unter dem Twitter-Hashtag "#1reasonwhy" versammelten Mitte November Frauen, die in der Games-Industrie arbeiten, ihre alltäglichen Erfahrungen mit Sexismus in der Branche, die, wie viele in der Technik, sehr männerdominiert ist. Zusammen mit den Alltagssexismen auf Spielerseite, wie sie Seiten wie Fat, Ugly or Slutty dokumentieren, ergibt sich ein trauriges Bild des Mediums: Sowohl auf professioneller wie auch auf Spielerseite sind Frauen im Gaming regelmäßig und systematisch Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt.

Da passt es auch selbstverständlich ins Bild, dass bei der Präsentation der neuen PlayStation 4 trotz hundertköpfiger Entwicklerteams keine einzige Frau auf der Bühne zu sehen war - und dass wütende Gamer die Autorin jenes (oben verlinkten) Kotaku-Artikels, die auf dieses Faktum hinwies, sofort in Hunderten Kommentaren dafür zu verreißen begannen, dass sie diese Abwesenheit überhaupt thematisiert hatte. "Congratulations, you are now a Kotaku Commenter" heißt denn auch ein minimalistisches Stück Interactive Fiction, das sich dieses Phänomens annimmt.

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Warum verteidigt ein Teil der Spielerschaft - man kann getrost die Eckdaten "männlich, unter 25, hetero" unterstellen - derart vehement nicht nur "sein" Medium, sondern auch den eklatant offenbaren Sexismus, der sich darin breitgemacht hat? Warum reagieren derart viele Spieler mit so großem Hass und instinktivem Abwehrreflex auch nur auf die Feststellung, dass hier Sexismus herrscht - und dass man daran möglicherweise etwas ändern sollte?

Warum verteidigt ein Teil der Spielerschaft nicht nur "sein" Medium, sondern auch den eklatant offenbaren Sexismus?

Es ist eine Jungskultur, die sich hier weigert, an allgemein gesellschaftlich gültigen Normen gemessen zu werden; der englische Begriff "Lad Culture", der eigentlich im Zusammenhang mit Britpop der 90er-Jahre geprägt wurde, kann durchaus auch hier Erhellendes beitragen. Die "Lad Culture", mit ihrer demonstrativen Betonung maskuliner Stereotype und der Wichtigkeit von Saufen, Fußball und Misogynie, ist eine eigentlich defensive Reaktion auf die Zweite Welle des Feminismus, ein Backlash gegen die als restriktiv empfundene "Political Correctness" feministischer und gleichberechtigender Zugänge, in denen sich junge Männer oft als Verlierer sehen.

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Lasst uns wenigstens unsere Computerspiele. Viele Männer stehen halt auf Action, Titten und Alkohol. So be it" - dieser weinerliche Kommentar eines Users zu einem Artikel zum Thema zeigt zugleich diesen Rückzug auf ein "klassisches" Männerbild als auch das Verständnis des Gamings als Fluchtort, als Boys' Club, als augenzwinkernden Eskapismus, an dem zumindest noch jene Jungsregeln gelten sollen dürfen, die man außerhalb mit dem Erwachsenwerden meist freiwillig, zumindest aber wegen ansonsten folgender gesellschaftlicher Ächtung ablegt, wo man treuherzig Herrenwitze reißt und "zum Spaß" ein bisserl frauenfeindlich sein darf.

Fürs Protokoll: Solche Rückzugsorte gibt es, es wird sie weiterhin geben und keine feministische Internationale plant ihre Abschaffung. Nur: Über die Größe dieses Reservats sollte nachgedacht werden. Ein ganzes Medium samt seiner Kultur ist zu groß, um als Boys' Club unter Naturschutz gestellt und vor ansonsten üblicher Kritik verschont zu werden.

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Denn eigentlich ist im Gaming auch Platz für Frauen und Männer, nicht nur für prä- und postpubertäre Jungs. "We are letting way too many boys get into adulthood without actually becoming men. We're seeing more and more adult males around who are not men. They're as old as men, but they have the mentality of nine-year-old boys. They're causing a lot of trouble, both in general and for the game industry specifically. We need to deal with this", rief Ernest Adams zum Thema alle "decent men" zu den Waffen.

"Let's stand shoulder-to-shoulder with the women we love, and work with, and game with, and say, 'We're with you. And we're going to win.'"Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dieser Text erschien zuerst für fm4.

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