Best of Indie April 2016
Dabei fällt zunehmend der Reichtum an Themen, Zugängen und Präsentationen ins Auge: Von klassischer Animation über Fotorealismus bis hin zu Verbeugungen vor der Retro-Pixelkunst der Spielevergangenheit, von dokumentarischem und gar autobiografischem Zugang zu frischer, origineller Fantasy und Science-Fiction abseits ausgetretener Pfade, vom Arcade-Shooter über Strategieschwergewichte bis hin zu düster-meditativen Abenteuern ist alleine in der Auswahl für diesen Monat eine beeindruckende Bandbreite an Spielen unabhängiger Entwickler am Start.
Die Serie “Best of Indie” begleitet diese kreative Explosion seit exakt vier Jahren Monat für Monat mit dem Anspruch, die bemerkenswertesten Spiele abseits des großen PR-Zirkusses der traditionellen Gamesbranche vor den Vorhang zu holen - ein kleiner Wegweiser im beständig wachsenden Indie-Dschungel. Und hier sind die bemerkenswertesten Indie-Perlen des vergangenen Monats.
The Banner Saga 2 (Windows, Mac, 19,99 Euro)
Auch wenn es ein Klischee ist - für kaum ein Spiel passt das Wort “episch” so sehr wie für das an nordische Wikingermythologie angelehnte Fantasy-Spektakel “The Banner Saga”. Nach zwei Jahren Entwicklungszeit entführt das hinreißend atmosphärische, inhaltlich düstere Drama um die verzweifelte Flucht vor einer stattfindenden Apokalypse in einen zweiten Akt, der nahtlos anschießt und die Stärken des ersten Teils ausbaut.
Wieder begeistern der einzigartige Zeichentrickstil und der außerordentliche Soundtrack von Austin Wintory ebenso wie die dramatische Story und taktische Rundenkämpfe; bei Letzteren gibt es erfreuliche Detailverbesserungen und mehr Abwechslung. Abseits der Schlachtfelder sorgen schwierige moralische Entscheidungen, die zum Teil gravierende Auswirkungen haben, für dramatische Momente. Veteranen des ersten Teils werden sich in der Welt sofort wieder zurechtfinden, Neueinsteigern wird mit in einer kurzen Zusammenfassung der Ereignisse des ersten Teils zumindest eine kleine Hilfestellung gegeben. Man darf auf Teil drei gespannt sein - wie Freunde der Original-”Star Wars”-Trilogie wissen, haben Mittelteile aber ihren ganz besonderen Reiz.
Hyper Light Drifter (Windows, Mac, Linux, 19,99 Euro)
So sieht es aus, wenn sich “Zelda: A Link to the Past” und “Diablo” als Inspiration mit psychedelisch-bunter Pixelkunst treffen. Ganz ohne Worte, dafür mit einer Extraportion Atmosphäre erzählt das Action-Rollenspiel seine Geschichte und fordert dabei auch geübte Joypad-Akrobaten mit knackigem Schwierigkeitsgrad heraus.
Im GameStandard habe ich das Ausnahme-Retrokunstwerk bereits ausführlich vorgestellt : "’Hyper Light Drifter’ ist durch seinen einzigartigen Stil, seine in jeder Minute spürbare Liebe zum Detail, sein hartes, aber stets faires Gameplay und seine einzigartige Atmosphäre ein herausragendes Indie-Abenteuer nicht nur für Freunde seiner klassischen Vorbilder geworden. Auch Pixel-Skeptiker sollten einen Blick riskieren: Hier ist einmal der Retro-Look mehr als nur billige Oberfläche, sondern stimmiges und rundum gelungenes Element eines Spiels, das mit zeitloser Qualität überzeugt. Und auch die Hardcore-Fraktion sollte sich vom vielen Rosa nicht abschrecken lassen: ‘Hyper Light Drifter’ mag zwar knallbunt sein – aber es ist auch ganz schön tödlich.”
1979 Revolution: Black Friday (Windows, Mac 11,99 Euro)
Zehn Jahre war Navid Khonsari alt, als sich Ende der 1970er-Jahre in seiner Heimat Iran die “Islamische Revolution” anbahnte. Im Adventure “Revolution 1979” verarbeitet der als Kind samt Familie nach Kanada geflüchtete Entwickler nun die dramatischen, im Westen kaum präsenten historischen Ereignisse zu einem Spiel, das Dokumentarisches mit persönlichen, intimen Erlebnissen vereint und dabei durchwegs hochspannend bleibt. Im Iran, der immer noch von den Erben dieser Revolution regiert wird, wurde das Spiel übrigens prompt verboten.
In der Gestalt des jungen Fotografen Reza werden Spielerinnen und Spieler in bester Telltale-Manier (“The Walking Dead”) in den chaotischen Revolutionstagen zu schweren moralischen Entscheidungen gezwungen, die in einem dramatischen Finale münden. Dass sich Gameplay-Elemente wie die obligatorischen, aber zum Glück recht selten auftretenden Quick-Time-Events nicht so ganz harmonisch ins Gameplay einfügen, mag man “Revolution 1979” nicht übelnehmen, denn die Mischung aus historischem Material, Familiengeschichte und Drama lässt die gut zwei Stunden Spielzeit trotzdem zu einem außergewöhnlichen Erlebnis werden. Auf fm4 gibts meine Rezension.
Town of Light (Windows, Oculus Rift; 18,99 Euro)
Auf realen Begebenheiten und historischen Fakten beruht auch der “psychological horror thriller” “Town of Light”, der Spieler und Spielerinnen in ein besonders düsteres Kapitel des 20. Jahrhunderts zurückversetzt. Die psychiatrische Anstalt im toskanischen Städtchen Volterra war - wie die meisten Einrichtungen ihrer Zeit - jahrzehntelang ein Ort des Schreckens für ihre Insassen, die oft aus nichtigen Gründen lebenslang hinter den Mauern dieser “Irrenanstalt” verschwanden. Grafisch und atmosphärisch beeindruckend ersteht die desolate Ruine dieses Gebäudes in diesem First-Person-Abenteuer wieder auf.
Auf der Suche nach Spuren einer früheren Insassin durchstreifen Spielerinnen und Spieler die verlassene Anstalt, suchen Akten und Hinweise, lösen relativ einfache Rätsel und entdecken Stück für Stück das in Animationen und Flashbacks erzählte Schicksal einer jungen Frau, die Jahre in dieser Anstalt verbrachte. Der Schrecken, den “Town of Light” nachhaltig vermittelt, hat nichts mit den sonst allgegenwärtigen Spukgestalten, “wahnsinnigen” Mördern oder Jumpscares zu tun, sondern speist sich aus teils drastischen, aber spürbar realistischen Szenen, die durch albtraumhafte Sequenzen und eine unzuverlässige Erzählerin abwechslungsreich gestaltet werden. Ein düsterer, auch beklemmender Trip in den ganz realen Horror am Rande der Gesellschaft.
Enter The Gungeon Windows, Mac, Linux, PS4, 14,99 Euro)
Nach so viel schwerer Kost kann etwas knalliger Eskapismus nicht schaden: In “Enter the Gungeon” stürzen sich unterschiedlich begabte Revolverhelden in ein transdimensionales Labyrinth, das von bösartigen Schusswaffen und herumrandalierender Munition bevölkert ist. Die originelle Mischung aus Rogue-like, Bullet-Hell und Twin-Stick-Shooter lockt wie die Geistesverwandten “The Binding of Isaac” und “Nuclear Throne” dank Zufallsgenerierung, zahlreicher Waffen und Fähigkeiten und präzises, aber auch forderndes Gameplay immer und immer wieder in seine cartoonpixelige Welt.
Wer jemals dem Sog dieser Art von Spiel verfallen ist, wird auch “Enter the Gungeon” abgöttisch lieben, denn vom Gameplay bis zu motivierenden Unlocks und abwechslungsreichen Charakteren bietet der Ausflug ins Waffenlabyrinth tage-, nein monatelange Beschäftigung. Dank Local-Coop dürfen sich auch zwei Abenteurer gemeinsam auf den Weg machen.
Und sonst?
Seltsamkeit voraus: In “We Are The Dwarves” (Windows, Mac, 14,99 Euro) liegt das Schicksal dreier Weltraumzwerge in den Händen der Spielerinnen und Spieler - die allerdings im Bestfall eine große Portion Hartnäckigkeit und Echtzeitstrategie-Erfahrung mit im Gepäck haben. Originalitätsbonus und knallharte spielerische Herausforderung machen das Spiel eines russischen Indie-Teams zum Tipp für RTS-Profis mit Lust auf Neues.
Das ungemein atmosphärische “Everybody’s Gone To The Rapture” (PS4, Windows, 19,99 Euro) ist seit kurzem auch für Windows verfügbar - im GameStandard habe ich bereits letzten Sommer beim PS4-Release rezensiert . Auch die “Visual Novel” “N.E.R.O.: Nothing Ever Remains Obscure” (Windows, PS4, Xbox One) wandert von Xbox One auf den PC - das First-Person-Abenteuer ist für Freunde von erzählenden Walking-Simulatoren einen Blick wert.
Und noch ein außergewöhnliches Spiel wechselt die Plattform: Das bezaubernd seltsame “Fallen London” , seit Jahren im Web spielbar und sozusagen Urvater des erfolgreichen Ablegers “Sunless Sea”, lässt sich seit kurzem auch auf iOS-Geräten bequem per App genießen.