Computerspiele, Kapitalismus und Psychoanalyse: Alfie Bowns "The Playstation Dreamworld"

Im März 2018 erschien im Guardian ein Opinion-Artikel mit dem Titel: „How video games are fuelling the rise of the far right“. Der Literaturwissenschaftler Alfie Bown argumentierte darin - wie ich übrigens auch - dass Spiele „ideological constructions“ seien, „which push a set of values on the user“ und weiter: „video games put the user to work on an instinctual level, making the gamer feel impulsive agreement with these ideologies.“ Der vorprogrammierte Sturm im Wasserglas des Kommentarbereichs (wozu gibt es einen solchen überhaupt noch?) sowie der sozialen Medien ließ nicht lange auf sich warten. Unter den KritikerInnen befand sich so manche B- und C-Prominenz aus der Spieleszene; inhaltliche Kritik suchte man aber trotzdem vergebens: „lol, this is so stupid“ war da schon der Höhepunkt der Argumentation.

Es war vielmehr die gewohnte instinktive Abwehrreaktion, „Mann“ fühlte sich wieder in der Gamer-Seele angegriffen, „Mann“ könne doch sehr wohl erkennen, wenn man wo mit ideologischen Inhalten konfrontiert würde! Und bei Plants vs. Zombies sei das ja wohl ganz sicher nicht der Fall!

Besonders ein Absatz wurde zum Stein des Anstoßes: „Although affected by context, video games have long focused on the expulsion of “aliens” (Space Invaders to XCOM), fear of impure infection (Half-Life to The Last of Us), border control (Missile Commander to Plants vs Zombies), territory acquisition (Command & Conquer to Splatoon), empire building (Civilization to Tropico), princess recovery (Mario to Zelda), and restoration of natural harmony (Sonic to FarmVille).“ Ohne eine ausführliche Kontextualisierung und vor allem Erklärung erschienen die Vorwürfe vielen vollkommen aus der Luft gegriffen. Der Autor entlarve sich quasi als Spinner. Das Problem ist aber vielmehr, dass wir es im Normalfall nicht gewohnt sind, ideologische Inhalte in unserer Pop-Kultur kritisch zu hinterfragen.

Greifen wir doch zu Alfie Bowns eben bei Polity erschienenen Buch „The Playstation Dreamworld“.

Bown warf gezielt einigen der beliebtesten Spiele eine rechte Ideologie vor, ohne aber seine Vorwürfe ausführlich zu argumentieren. Vielleicht wollte Alfie Bown einfach zu viel in einem zu kurzen Text sagen. Warum greifen wir also nicht nach seinem eben bei Polity erschienenen Buch „The Playstation Dreamworld“? Hier findet er auf knapp 130 Seiten etwas mehr Platz seinen Gedanken auszubauen. Eine wissenschaftliche Monographie sollte man aber trotz wiederholter Anrufungen von Jacques Lacan und Walter Benjamin auch hier nicht erwarten. Muss ja auch nicht sein. Es handelt sich vielmehr um ausformulierte Gedankengänge des Autors, die einen sehr spannenden und sehr politischen Essay zur politischen Wirkmacht von Spielen ergeben.

Nach einer kurzen Einführung geht er auch gleich ans Eingemachte: „The videogame world is a space that constructs and transforms our dreams and desires. Similarily, it is one dominated by conformist trends which tend toward conservatism, protectivism, a fear of „crisis“, and either support for the current capitalist climate or endorsement of a return to the values of the imaginary past (a yearning which serves nationalism and populism). This is especially concerning, given the degree to which the space could influence the consciousness of the next generation.“

Bown behauptet, dass der Großteil der produzierten digitalen Spiele konformistische und konservative Inhalte reproduziere und sich so potenziell an eine globale Bevölkerung richtete. Leider schließt Bown nicht gleich mit konkreten Beispielen an, sondern verrennt sich dann etwas in (wenn auch durchaus interessanten) Überlegungen zu Stadtplanung, Architektur und dem wachsenden Einfluss von Augmented Reality Spielen wie Pokemon GO.

Geduldige LeserInnen werden schließlich ab Seite 27 mit Ansätzen einer Erklärung belohnt, wenn es um „Gaming and Capitalism“ geht. Zuerst jedoch zeigt Bown allgemein die Verbindungen zwischen digitalen Spielen und kapitalistischen Gedankenmodellen. Er sieht Spiele gewissermaßen als Ergänzung der Arbeitswelt, die im Sinne einer viktorianischen rational recreation helfen, nach einem langen Tag im Büro Arbeitskraft und –willen wieder aufzubauen, um am nächsten Tag wieder eifrig zu schaffen. Spiele suggerieren den SpielerInnen ein Gefühl von Agency, dass uns im Arbeitsalltag abhanden gekommen ist. Im Gegensatz zu Jane McGonigal sieht er hier aber wahrlich keinen Grund zum Jubeln.

Anhand von Stardew Valley, eigentlich Liebkind der SpielekritikerInnen, argumentiert Bown anschließend, dass auch sogenannte Indie Spiele konservative Weltbilder bedienen: „This is not a subversive critique of corporate globalization, but a call for isolationist retreat.“ Das Spiel biete uns nicht Möglichkeiten einer Reform oder gar Revolution des Systems sondern bediene eine nostalgische Verklärung einer angeblich besseren Vergangenheit. Wir sind nach wie vor der kapitalistischen Produktivitätsethik verpflichtet, nur halt als EPU in bunteren Rahmen. Probleme lassen sich nur im Kleinen in der eigenen Gemeinde ändern, suggeriert das zuckersüße Spiel: in der eigenen Region, in der eigenen Nation. Es tut weh, aber das ist genau dasselbe Argument, das wir sonst von Viktor Orban, H.C. Strache, Donald Trump und Konsorten zu hören bekommen: „Make the Town great again!“

Ähnliche ideologische Inhalte finden sich laut Bown auch besonders häufig in unseren geliebten Jump 'n Runs. Am Beispiel von Ratchet & Clank zeigt er, wie ein Spiel mit einer vermeintlich positiven politischen Botschaft – ein Aufruf gegen Umweltverschmutzung – zugleich auch konservative Weltbilder verfestige: „The game begins with a naturally harmonious status quo in which a number of planets flourish independently of each other and with little connection between one planet and the next.“ Das klingt doch vom ersten Augenblick an nach einer echten Servus-TV Idylle. Jede Gemeinde kann hier ihre eigenen saftigen Wiesen, die eigene „Identität“ bewahren und gedeiht ungestört von den anderen. JedeR lebt so abgekapselt von den anderen in seiner eigenen Idylle. Internationale Kooperation ist erst gefragt, wenn es um den Abwehrkampf des umweltverschmutzenden „Fremden“ geht. Auch hier ist der Schritt zum Parteiprogramm der FPÖ gar nicht so weit. (Zugegeben: Die tagespolitischen Verbindungen stammen von mir und nicht von Alfie Bown).

Ideologische Inhalte finden sich laut Bown überall - besonders häufig sogar in Jump 'n Runs.

Beide Beispiele wissen zu überzeugen. Das dargebotene Narrativ wirkt auf den ersten Blick überzeugend: Abkehr vom Großkonzern, Abwehr der Umweltverschmutzer. Die angebotenen Lösungsansätze: Aufbau eines eigenen (kleinen) Agrarunternehmens und Verklärung kleiner abgeschotteter Gemeinschaften bedient aber eben konservative Traumbilder und nicht progressive Utopien. Hier gibt es keine internationale Solidarität, nicht einmal „In Vielfalt vereint“.

In seinem nächsten Kapitel „Dreamland“ versucht Bown dann seine Forschungsmethode nachvollziehbar zu machen, was ihm meiner Ansicht nach leider nicht immer einwandfrei gelingt. Um den Prozess von Ideologie-Transfers beim Spielen zu verstehen, greift er auf Erfahrungen aus der Psychoanalyse zurück. So definiert er Spielen als Traumzustand: „games can naturalize the enjoyment of the other, forcing the player to feel a kind of affinity between themselves and the role they play within the game when they fall into the dreamlike gamer state. This is often not as simple as direct identification with a playable character and is a more complex connection between the unconscious of the gamer and the unconscious of the game. In such moments the player increasingly feels their emotions programmed by the game’s algorithms. “

Spiele spiegeln nicht nur unsere unterbewussten Wünsche, sie steuern diese auch. Dass Spiele derzeit vor allem konservative bis reaktionäre Wunschbilder bedienten sei aber nicht der Natur von Computerspielen geschuldet, sondern Ergebnis eines aktuellen politischen Trends in diese Richtung, der eben auch in der Populärkultur nachvollzogen wird.

Alfie Bowns essayistischer Text ließt sich über weite Strecken wie ein Stream of Consciousness. Von Zelda springt er zur Matrixtrilogie und Slavoj Zizek, um schließlich bei Lacan zu landen. Diese Sprünge sind nicht immer klar nachvollziehbar und höhlen so im schlimmsten Fall die Aussage aus. Ich könnte zum Beispiel beim besten Willen nicht sagen, was die zentrale Aussage des dritten Kapitels namens „Retro Gaming“ wäre. Das ist schade, denn Alfie Bown wagt sonst einen mutigen neuen Blick auf Computerspiele und die Populärkultur.

Bowns Dekonstruktion konservativer Ideologien in Spielen darf nicht als Kritik am Medium missverstanden werden.

Die Dekonstruktion von Stardew Valley und Ratchet & Clank weiß zu überzeugen. Es ist auch für mich ein beklemmendes Gefühl, wenn Spiele mit einer vermeintlich positiven Botschaft sich als Vehikel konservativer und isolationistischer Weltbilder entpuppen. Man beginnt zu grübeln, wie ist das dann mit unseren Lieblingsfilmen und Netflix-Serien? Seine Dekonstruktion konservativer Ideologien in Spielen darf dabei nicht als Kritik am Medium missverstanden werden, der Autor plädiert im Gegenteil explizit für mehr subversive Spiele. Eine strengere nachvollziehbare Struktur und eine ausführlicher dargelegte Argumentation sowie mehr praktische Beispiele hätten dem Autor allerdings geholfen seine Argumente besser zu kommunizieren.

Und trotzdem zahlt sich die Lektüre extrem aus, denn Bown bietet uns eine unerwartete, wenn auch teilweise bedrückende Perspektive auf digitale Spiele. Es ist ein wichtiger Text, denn ein besseres Verständnis für diese bisher unbeachteten Mechanismen ist der erste Schritt auf einem Weg zu einer (dringend notwendigen) größeren Vielfalt und progressiveren Spielwelten.

Alfie Bown, The Playstation Dreamworld (Polity: Cambridge 2018) ISBN: 978-1509518036

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