Dark and Gritty, Dark and Gritty, Gark and Dritty
Dark and Gritty, dark and gritty, dark and gritty. Wenn man die Schlagworte oft genug wiederholt, bekommen sie in etwa dieselbe Bedeutungstiefe, die ihnen derzeit sowieso überall zukommt.
Dark and gritty, dark and gritty, gark and dritty. Dreieinhalb Millionen Suchergebnisse für die Phrase bei Google. Dark and gritty, wie meinen, überhaupt? Oder passender: Hä? "Dunkel und sandig-dreckig" - das perfekt passende schöne österreichische Wort "grindig" steht ja leider nicht allen Deutschsprechenden zur Verfügung -, mit diesem schönen Begriffspaar, das so perfekt als Schlagwort in jede PR-Aussendung passt, kann man in der Welt des Pop-Post-Zynismus so irgendwie alles beschreiben, was sich abgeklärt gegen den verächtlichen Feelgood-Popkonsum für Kinder positionieren will. Weil: Wir sind erwachsen! Doch, echt!
Dark and gritty ist in, weil - so raunt man - "realistisch" und in seiner Härte besonders unmittelbar. Das hat man heute so. (Wäre Nintendo nicht der stur japanische Monolith, der es ist, müsste man sich eventuell sogar vor einer düster-erwachsenen Super Mario-Iteration fürchten, in der Luigi als psychopathischer Pilz-Süchtiger mutierten Goombas per QTE den Schädel eintritt. ) Tatsächlich ist aber im derzeit überall hochschicken Dark-n-Gritty-Trallala eine so gewaltige Dosis Kitsch versteckt, dass man ob so viel vorgetäuschter Realität die Augen verdrehen muss. Hier wird das Leid mit der doppelten Kelle ausgeschenkt, Blut, Schweiß und Tränen mischen sich in immer gern gesehenen aparten Drecksfarbtönen zur Motivationspampe, aus der wir den Stoff, aus dem die Helden sind, wie aus gammeligem Plastillin herbeimodellieren können. Dark and gritty, dark and gritty - bei all der Härte ergibt sich die Motivation für die Gamescharaktere quasi von selbst!
Der Produzent von Tomb Raider, Ron Rosenberg, erklärte das, was man in der Gamesbranche wohl für subtile Charakterzeichnung hält, so:
The idea is to take a human character, this very vulnerable young girl, and put her through immense suffering in order for her to come out the other end of the experience as a hero. ... It was important to show her as an innocent, vulnerable character at the beginning of the game. “People really identify with that,” Rosenberg said.
Und Darrell Gallagher erklärt weiters treuherzig:
"A big part of that journey is seeing some of the hits she’s taken along the way and why she had to get that inner strength and the inner core to become the woman that we all know. There is that sense of seeing it and being explicit about that. It’s part of the narrative.”
Soso. Die narrative verlangt's, und als Gameskenner wissen wir: Wenn die Erzählung was erfordert, dann darf dem nichts im Wege stehen. Hier haben wir also eine Prequel-Lara, zart und unschuldig, noch weit entfernt vom - Jungs, geben wir's zu: bedrohlich selbstbewussten - Sexgöttinnen-Image einer knarrenschwingenden Angelina Jolie, und die, sagen wir's mal schnörkellos, kriegt jetzt so lange in die Fresse, bis sie durch dieses Stahlbad gegangen und auf der anderen Seite als jene Frau herausgekommen ist, die wir 1996 das erste Mal durch Pixelruinen geschickt haben.
Dark and gritty ist nicht gleich "realistisch" - es ist nur die Farbe, in der man diese Saison aktuell seine Polygone bemalt.
Liebe Gamesbranche, es gibt da ein Missverständnis: Nein, eine Story wird nicht dadurch "erwachsener" - was immer man sich darunter auch vorstellen mag -, wenn sie gewalttätiger, rauer oder in diesem schnöden Sinn "realistischer" verpackt ist. Dark and gritty ist nicht gleich "realistisch" - es ist nur die Farbe, in der man diese Saison aktuell seine Polygone bemalt. Seine Heldin, wie im neuen Tomb Raider, besonders demonstrativ leiden zu lassen, sie von einem schmerzhaften Schockmoment zum nächsten zu prügeln und so zur Leidensfrau zu machen, die sich, der Gameslogik1 zufolge, gerade durch diese Passion retroaktiv zu jener toughen Leitfigur der "Girl Power"-Konsumgemeinschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts mausert, ist jetzt nicht realistischer als oder auch nur nachvollziehbarer als die Motivation anderer Videospielhelden, sagen wir mal etwa jene des Frosches aus Frogger.
Aber klar, ein Popprodukt wie Lara Croft muss sich, wie ein James Bond, halt den Modeströmungen immer aufs Neue anpassen. Dark and gritty ist das neue Schwarz. Man müsste jedoch die grad aktuelle Mode nicht als narrativ notwendige Pseudopsychologie verkaufen. Denn dass diese doch leicht krude Variante der Charakterzeichnung wohl nicht unbedingt zu jener selbstbewussten Popcorn-Göttin, sondern realistischerweise zu einer vor lauter dark and gritty Erfahrungen leicht irritierbaren Traumatisierten führen würde, ist dann wohl schon etwas zu viel Realismus.
Denn logisch: Dark and gritty soll's sein, aber es muss ja immerhin Spaß machen. Moment mal: Könnte da aber nicht eventuell irgendwo ein Widerspruch in sich ...? Hinter dir, ein zweiköpfiger Affe!