"Dem Betrachter neue Zugänge zum Spiel geben": Ein Interview mit Matthias A. K. Zimmermann

1367Die Raummaschine 6, 100 x 280 cm, Pigmentdruck auf Leinwand

Matthias A. K. Zimmermann wandert zwischen den Welten: Als akademisch ausgebildeter bildender Künstler und Maler studierte an der Berner Musikhochschule Komposition im Grundstudium sowie Kunst & Vermittlung, Game Design und Art Education in Luzern und Zürich. Sein Werk thematisiert die virtuellen Welten der Computerspiele - was allen seinen Gemälden gemein ist, ist das Thema vom "Weltenbau", das Zusammenstellen einer Landschaft im abstrakten Raum.

Der Schweizer Medienkünstler hat unter anderem Teile seiner Arbeit letztes Jahr im Berliner Computerspielmuseum präsentiert und ist aktuell für den PHÖNIX als bester Nachwuchskünstler nominiert.  Ich habe Matthias per Email einige Fragen gestellt.

In deinen großformatigen Bildern arbeitest du mit Versatzstücken, Elementen und Ideen aus dem Medium Computerspiel. Was ist dein persönlicher Zugang zu Spielen?

1981 geboren, habe ich von klein an wichtige Entwicklungsschritte der Rechenmaschine (PC, Commodore, NES-Konsole) und die damit verbundene Grafikentwicklung diverser Computerspiele quasi in Echtzeit miterlebt. Diese grafischen Entwicklungsschritte haben mich nachhaltig geprägt und für das Bild einer digitalen Fläche sensibilisiert.

Als klassischer bildender Künstler mit dem "jungen" Medium Computerspiel zu arbeiten - setzt dich das nicht vielen Vorurteilen gegenüber der klassisch spielfernen Kollegenschaft und Kritik aus?

Nein, tut es nicht, denn der Computer ist längst ein »Zweitgehirn« für viele Menschen geworden. Auch die klassisch spielferne Kollegenschaft kann sich diesem Medium kaum noch entziehen. Da digitale Medien unseren Alltag derart modifiziert haben, sind auch Computerspiele keine fremde Materie mehr, womit auch die Akzeptanz, Computerspiele als künstlerisches Material zu begreifen, gestiegen ist. Mir fällt jedoch auf, dass die Thematik vom digitalen Spiel bisher kaum Eingang in künstlerische Kontexte gefunden hat.

1368Die Raummaschine 8, 100 x 280 cm, Pigmentdruck auf Leinwand

Siehst du den Spielkontext deiner Bilder als selbstverständliche Voraussetzung beim Betrachter oder geht es dir um das Einfügen eines Fremdkörpers in deine Sujets? Anders herum: Geht es dir auch um Vermittlung?

Im visuellen Sinne geht es mir um Bildsprache. Motive, Elemente oder geometrische Strategien von Computerspielen zu adaptieren, neu zu gestalten und/oder zu verfremden erachte ich als wertvolle Erweiterung meines Repertoires. Thematisch gesehen ist jedes Bild von mir, das Bezug auf Computerspiele nimmt, explizit auf den virtuellen Raum digitaler Spiele ausgerichtet. Etwa meine achtteilige Bildserie "Die Raummaschine" zeigt dem Betrachter die "Räume" hinter dem digitalen Abbild einer Spiellandschaft (GameWorld) in Form von sechs Ebenen.

"Es geht mir darum, Motive, Elemente oder geometrische Strategien von Computerspielen zu adaptieren, neu zu gestalten und zu verfremden"

Die GameWorld selbst ist ein Konstrukt, zusammengeschachtelt aus typischen Elementen einer Videospiel-Landschaft. Dies brachte mich auf die Idee, die Computerspielgeschichte nach sogenannten "Archetypen" zu untersuchen, Objekte, die fast seit Anbeginn dieser Entwicklung von 1952 vorhanden waren und sich seither ständig weiter entwickelt haben. Dabei vielen mir Objekte auf wie: Mittelalterliche Burgen, Raumschiffe, Schrägdachhäuser, Industrie-Skylines, Kanalisationen. Ich entschied mich für die Mittelalterliche Burg, das Raumschiff und Schrägdachhaus.

Es geht mir hauptsächlich um Vermittlung. Dem Betrachter sollen neue Zugänge zum Medium Computerspiel gegeben werden. Die Bilder sind reflexive Gestaltungsexperimente, eingefroren auf der Fläche einer Leinwand, die Strategien vom Game Design anwenden, aber auch Bezüge zur Videospielgeschichte darlegen.

1369Die Raummaschine 7, 100 x 280 cm, Pigmentdruck auf Leinwand

Art-Games-Pioniere wie Tale of Tales propagierten den Begriff des "not-games", um die Brücke zwischen Spiel und Kunst zu schlagen - ich sehe das eher skeptisch.  Sehe ich richtig, dass dein Zugang hier quasi genau umgekehrt ist? Statt Spiele zur Kunst zu erklären, dienen sie dir als Thema?

Richtig. Aus dem Kunstkontext heraus reflektiere ich das Medium Computerspiel, Videospielgeschichte, Game Design, Virtualität. Meine Arbeiten sind Gemälde auf Leinwand im klassischen Sinne, die man aufhängen kann. Die Interaktion erfolgt ausschließlich in der Fantasie des Betrachters, der sich gedanklich in die Bildflächen vertieft. Dadurch das meine Bilder interaktive digitale Spielwelten assoziieren, jedoch im klassischen Sinne auf Keilrahmen aufgezogene Leinwände sind, entsteht eine interessante Diskrepanz.

Du verwendest Games als Element in der Malerei - wie siehst du Spiele selbst als Kulturprodukte? Können Spiele, wie Roger Ebert das so prominent verneinte, deiner Meinung nach selbst jemals Kunst sein?

"Ob Computerspiele sich als Kunst definieren lassen, hängt in erster Linie davon ab, wie man 'Kunst' definiert." 

Das Thema »Kunst & Computerspiele« scheint tatsächlich ein umfassender Diskurs in diversen Fachgebieten zu sein. Ob Computerspiele sich als Kunst definieren lassen, hängt in erster Linie davon ab, wie man "Kunst" definiert. Unter dem handwerklichen Gesichtspunkt vom "Kunsthandwerk" (wie etwa in der Renaissance) muss meiner Meinung nach das Computerspiel als ein sehr anspruchsvolles "Gesamtkunstwerk" gewertet werden; denn in dieser Materie vereinen sich diverse komplexe Gebiete wie Storytelling, Storyboard, dann Umsetzungsstrategien zu denen das Erschaffen des digitalen Spielraumes mit darin enthaltenen Figuren gehört, das Gameplay/Spielmechanik, Sound-Design, allfällige Filmsequenzen und natürlich die Programmierung, die wohl der anspruchsvollste Teil überhaupt ist. Dann folgt am Schluss noch viel Feingefühl für Marketingstrategien zur Präsentation und Vermarktung.

Ich würde meinen, ein Spiel zu erschaffen braucht nicht nur sehr viel handwerkliches Geschick, sondern auch viel Fantasie. In Anbetracht dieser vielen Komponenten, die fehlerlos zusammenspielen müssen, kann man Computerspiele im Sinne eines "Gesamtkunstwerkes" und hinsichtlich von "Kunsthandwerk" als eine sehr hohe Kunst bezeichnen. Kunst lässt sich aber auch als "Spiegel ihrer Zeit" definieren. In diesem Fall wird Kunst als eine reflexive Materie verstanden, die diskursiv Geschehen hinterfragt und oft in mehrdeutigen Schlussfolgerungen mündet. Computerspiele unter diesem Aspekt betrachtet müssen in den allermeisten Fällen ausgeschlossen werden, da interaktiver Spielspaß im Zentrum steht und künstlerische Fragen sich wenig bis gar nicht ergeben.

1370Die Raummaschine 3, 100 x 280 cm, Pigmentdruck auf Leinwand

Du arbeitest recht aufwendig auch mit technischen Mitteln wie 3D-Modellierung und Drucktechnik - was ist für dich der künstlerische Mehrwert des "Objekts" Gemälde? Wie stehst du zur eher mit dem Feld befassten, hybriden Welt der künstlerischen Installation?

Der Mehrwert meiner Bilder, die sich auf die Videospielthematik beziehen, sehe ich darin, dass der Schaffensprozess eine hybride Form aus der Bildkonstruktion auf Leinwand im herkömmlichen Sinne und der Umsetzung des Bildraums im digitalen Raum ist. Was heißt, dass Entwicklungsschritte vom Game Design mittels 2D- und 3D-Programmen "hinter" der Fläche der Leinwand quasi "gespeichert" sind.

Obschon ich noch nie installativ gearbeitet habe, bin ich ein großer Fan von Installationen. Betrachtet man sich meine Bilder, ist eigentlich schnell zu erkennen, dass auch diese oftmals installationsartig sind und die Anordnung der Dinge im Raum und Lichtgebung wichtige Komponenten sind. Computerspiele sind eng an den Kontext vom Raum gebunden: Sie zeigen auf einer digitalen Fläche eine Spielwelt, die im Auge des Users sich zu einem interaktiven, begehbaren Raum auffächert. Künstlerische Arbeiten, die sich mit interaktiven Installationen und virtueller Realität beschäftigen, verorten einen Teil ihrer Geometrie in den realen Raum, was meines Erachtens ein spannendes Experiment sein kann, aber auch ein interessanter Diskurs um den digitalen Raum als virtuelle Parallelwelt bedeutet. Ein Diskurs, den einige meiner Arbeiten ebenfalls aufnehmen. Etwa mein Bild "Der digitale Ruhepol einer Stadtkulisse", wo fotografische Impressionen mit Pixelbildästhetik kontrastiert sind.

1373Der digitale Ruhepol einer Stadtkulisse, 100 x 280 cm, Pigmentdruck auf Leinwand

Im MOMA werden seit kurzem auch Spiele gesammelt und ausgestellt - Eron Rauch hat hier die Problematik der Vermittlung im Museumskontext thematisiert. Fehlt es an Zugängen, im klassischen Kunstbetrieb das Medium zugänglich zu machen? Hättest du hier Ideen, wie man es besser machen könnte?

Zu beobachten ist, dass immer mehr Museen auf interaktive Installationen umstellen. Eine Strategie, die mir sehr klug erscheint und so auch einem jüngeren Publikum, das auf digitale Apparaturen ausgerichtet ist, neue Zugänge schafft. Das Medium Computerspiel im klassischen Kunstbetrieb zu präsentieren stößt womöglich deshalb auf eine gewisse Problematik, da Computerspiele und Kunst, ich fasse es jetzt unter dem Begriff "Game Art" zusammen (nach der Ausstellung "GameArt", 2003/2004, Völklinger Hütte), einen neuen Zweig in der Kunstgeschichte darstellen.

Besucht man Ausstellungsorte wie das Computerspielemuseum Berlin oder das ZKM Karlsruhe, wird deutlich, dass Computerspiele und deren Kontexte zur Medienkunst eine eigene Kunstgattung sind und diesbezüglich auch eigens ausgerichtete Vermittlungskonzepte verlangen.

1372Die Raummaschine 2, 100 x 280 cm, Pigmentdruck auf Leinwand

Künstler wie Caspar David Friedrich, die du in deiner Arbeit auch zitierst,  wurden wiederholt auch von den In-Game-Fotografen, die ich in meiner Reihe Screenshot deluxe vorgestellt habe, als Inspiration genannt. Würdest du sagen, dass im Eskapismus des Mediums immer etwas Romantik (auch im kunsthistorischen Sinne) mitschwingt? Wie gehst du damit um?

"Wirklichkeitsflucht hat für mein Verständnis immer etwas Romantisches an sich"

Künstler wie Caspar David Friedrich (1774-1840), aber auch Philipp Otto Runge (1777-1810) mit seiner Farbtheorie, haben uns gezeigt, die Realität durch Modifizierung der Atmosphäre in anderem Licht wahrzunehmen. Ein Prinzip, auf dem viele Computerspiele beruhen. Ich denke, dass Videospiele größtenteils Eskapismus sind. Der User ist fasziniert durch die Immersion einer solchen Spielwelt. Er begibt sich in eine andere, vielleicht magische Alternativrealität, in der er sich freier bewegen kann als in seinen Alltagssituationen.

Wirklichkeitsflucht hat für mein Verständnis immer etwas Romantisches an sich, denn sie hat mit Loslassen und Entdecken zu tun. Ein Wunsch, den wohl immer mehr Menschen verspüren werden, in einer Gesellschaft, die dem Einzelnen oftmals maximale Leistung abverlangt, zunehmend beschleunigt und das Individuum anonymisiert. Im Kontext vom Eskapismus verstehe ich meine Bilder als Analyse der digitalen Immersion. Meine Raummaschinen-Bilder blicken hinter die Kulisse des digitalen Raum-Bildes und dekonstruieren diese Scheinwelt, die in mehrere Ebenen zergliedern wird und somit Konstruktion und Künstlichkeit verdeutlichen.

Spiele rücken, wie es so schön heißt, "in die Mitte der Gesellschaft", wie auch der positive "Spiegel"-Aufmacher beweist. Auch deine Arbeit ist kürzlich für den PHÖNIX-Kunstpreis nominiert worden. Ist deiner Meinung nach die Zeit gekommen, da Spiele gesellschaftlich akzeptiert werden? Siehst du deine Arbeit hier als Vorreiter?

1371Ausstellungsplakat Computerspielemuseum Berlin

Ironisch betrachtet würde ich meinen, unsere Gesellschaft seit längerem schon zu einem genrelosen Computerspiel verkommen ist. Es gibt Berufe oder im Alltag werden einem Verhaltensweisen abverlangt, die der Mechanik vom Spielen recht ähnlich sind: Etwa Börsenspekulanten, deren Tätigkeiten einem Wirtschafssimulator ähnelt. Tätigkeiten im Onlinebereich wie Bezahlung, Bewerbungen, Lebensmitteleinkäufe. Die ständige Orientierung im realen Raum mittels Smartphones oder GPS, quasi eine Erweiterte Realität (Augmented Reality), usw.

Vielleicht kann man dieses Phänomen teils auch unter dem Begriff der "Virtuellen Verwahrlosung" verbuchen. Dieses ständige Agieren mit dem virtuellen Raum zieht folglich auch die Akzeptanz von digitalen Spielen nach sich. Computerspiele erachte ich immer auch als eine Art von Zeitkapseln, die Aufschluss geben über das Denken der Zeit in der sie entstanden sind, sowie deren technischer Stand. Für mich macht dies Computerspiele zu einem wertvollen Kulturgut und im künstlerischen Kontext zu einer hoch spannenden Materie.

Früheste künstlerische Experimente mit Computerspielen sind ab 1995 zu verzeichnen. 2003 präsentierte die Völklinger Hütte mit der Ausstellung "GameArt" div. Kunstwerke rund um das Medium Computerspiel. Mich als Vorreiter zu bezeichnen wäre demnach nicht richtig. Vielmehr ist es so, dass ich im Kunst-Kontext eine neue bisher noch nicht entdeckte Türe gefunden habe, weswegen das Computerspielemuseum Berlin mein Schaffen 2013 mit einer Einzelausstellung gewürdigt hatte.

Links:

Homepage Matthias A. K. Zimmermann

Wikimedia Commons 

Essentielle Anlaufstelle zum Thema Games & Art ist übrigens nach wie vor das wunderbare Gamescenes.

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