Far Cry 3: Nicht weit genug
An Far Cry 3 kann man viel kritisieren. Das bizarre Überangebot an Ablenkungen und Nebensächlichkeiten etwa, oder die grundsätzliche Narrative des weißen Mannes, der den Dschungel kolonialisiert, gerade in Verbindung mit der hanebüchenen Mischung an Nationalitäten und Akzenten, die einem das Spiel als “exotisch” verkauft. Geht es aber nach Jeffrey Yohalem, dem Autor des Spiels, sind diese Elemente als bewusste Parodie zu verstehen. Far Cry 3 sei Satire, es kommentiert also durch seine unreflektierte Gewalt und problematische Darstellung von Minderheiten lediglich die entsprechenden Tendenzen der Branche.
Dass Yohalem das aber im Nachhinein erklären muss, zeigt, dass die Botschaft so wohl bei den wenigsten angekommen ist. Wie sollte sie auch? Far Cry 3 kopiert zwar viele der bizarren Blüten unseres Lieblingsmediums, aber es überspitzt sie nicht, übertreibt nicht, zieht sie nicht ins Lächerliche. Jedenfalls nicht nach Spielestandards: Wo platte Charaktere und überzogene Gewaltfantasien in der Regel nun mal leider ernst gemeint sind, müsste Satire einen Schritt weiter gehen und sich wie Saints Row jenseits von Gut und Böse begeben. Sich dem schiefen Maßstab für Normalität anzupassen, heißt nicht, ihn auch zu kritisieren, bloße Imitation macht noch keine Parodie und der angebliche Subtext von Far Cry 3 verwischt die Grenzen zwischen subtil und abwesend.
Dabei hat Far Cry 3 auch interessante Ansätze, nicht als Kommentar auf Gewalt in der Spielekultur, sondern als Betrachtung ihrer Faszination im Allgemeinen und ihrer Wahrnehmung im Zeitgeist im Speziellen. Kill Screen nennt es treffend “das erste Spiel über Millenials”, jene junge, luxusverwöhnte Generation, der Jason Brody und seine unerträglich reichen Freunde angehören, deren Existenz aus dem Spagat zwischen Sonnenbank, Smartphone und Strandurlaub einerseits und Arbeitslosigkeit, Weltschmerz, Finanz- und Sinnkrise andererseits besteht.
Jason Brodys Wandel zum übermenschlichen Jäger, zum König des Dschungels, ist dabei die brutale, aber logische Fortsetzung des ursprünglich geplanten Sündentrips. Ihm ging es schon zuvor um Grenzerfahrungen, darum, sich mal wieder richtig lebendig zu fühlen, indem man dem Tod auf vielfältige Weise metaphorisch oder physisch nahe kommt. Alle gesellschaftlich akzeptierten Varianten ist Brody durch: Alkohol, laute Musik, belangloser Sex, Drogen in den verschiedensten Formen und Farben, Extremsport, etc. Mit dem Absturz auf Rook Island findet er, so könnte man interpretieren, schlicht eine neue Möglichkeit, Grenzen auszureizen.
Warum? Weil diese zunehmend indirekte, gekünstelte, digitale Welt in einem den verzweifelten Wunsch nach echter Emotion aufkommen lässt. Völlig egal, was genau man empfindet, einfach irgendwas Reines, Authentisches, Unverfälschtes. Weil Gewalt genau diesen Reiz ausübt, weil sie einen aus dem unbequem komfortablen Alltag reißt und vor die wohl ursprünglichste menschliche Erfahrung überhaupt stellt: Du oder ich. Töten oder getötet werden. Gewalt bedeutet Macht, die Kontrolle über ein anderes Leben und dessen Ende, und das, wo so viele Dinge unserem Einfluss scheinbar völlig entglitten sind: Erfolg und Jobchancen hängen an einem maroden Wirtschaftssystem, das eigentlich niemand so richtig versteht. Liebesglück bedarf einer zufälligen Begegnung.
Gewalt ist falsch, ja, aber sie ist auch intim. Für jemanden wie Jason mag sie die bedeutsamste zwischenmenschliche Interaktion des bisherigen Lebens sein, sie füllt die sinnentleerte Existenz des ewig verwirrten, großen Kindes. Die Gefangennahme, die Flucht, die entführten Freunde - all das sind bloß Katalysatoren, die ihn zu der Erkenntnis führen, dass er nicht nur in der Lage ist, zu töten, wenn es sein muss, er ist sogar richtig gut darin. Und er genießt es.
Jason Brody tötet zum Vergnügen. Eine unbequeme Feststellung, aber gerade das macht sie interessant und man muss sie ja auch nicht unbedingt so moralisierend vortragen wie etwa ein Spec Ops: The Line. Es würde reichen, sie einfach in den Raum zu stellen, denn auch wenn der rasche Verfall von Jasons zivilisierter Oberfläche, entgegen Yohalems Meinung, nicht etwa durch die übertragene Mordlust des ihn treibenden Shooterveteranen ausgelöst wird, so geht sie doch Hand in Hand mit unserem symbiotischen Vergnügen an der gebotenen Gewaltorgie.
War Far Cry 2 noch bemüht, das Grauen des Krieges abzubilden, indem es eben bewusst keinen Spaß macht, schlägt Far Cry 3 als Triumph des modernen Eskapismus genau in die andere Richtung. Sein breites Arsenal an Gleitgeltuben und vibrierenden Spielzeugen zeigt, zu welch absurder Meisterschaft wir es im Erzeugen von masturbatorischem Nervenkitzel gebracht haben, wie gekonnt hier zu unserer Belustigung fragwürdige Machtfantasien inszeniert werden.
Far Cry 3 macht Spaß, vor allem aber macht es mit wachsender Kompetenz immer mehr Spaß. Während Jason sich den neuen Gegebenheiten anpasst, selbst zum Aggressor wird, lernt man als Spieler vor allem, auf welch abwechslungsreiche Arten man die ortsansässigen Piraten um die Ecke bringen kann - und wie so oft bei derartigen Sandkästen sind die brutalsten Varianten auch die unterhaltsamsten.
Jason genießt es, zu töten - und wir genießen stellvertretend durch ihn gleich mit.
Eben noch der verwöhnte, verweichlichte Hasenfuß, jage ich jetzt meine Gegner auf kurze Distanz mit Pfeil und Bogen, fackle ihre Außenposten ab und verbrenne sie bei lebendigem Leib, durchbohre sie reihenweise mit der Machete, verfüttere sie an Tiger, Komodowarane, Haifische und jede andere Form bedrohter und bedrohlicher Fauna. Die überzogene Leichtigkeit, mit der der Oberschichtsnichtsnutz Jason sein Talent zum Massenmörder entdeckt, mag unglaubwürdig wirken, aber sie deutet auch gekonnt an, welche Seite selbst in lebensfrohen Kosmopoliten schlummern kann. Jason genießt es, zu töten - und wir genießen stellvertretend durch ihn gleich mit. Fast möchte man glauben, dass in Far Cry 3 doch ein reflektiver Kommentar auf unsere Lust zur Gewalt steckt, wäre das Spiel nicht so bemüht, Jasons unbequeme Mordlust wegzuerklären.
Jason Brody tötet, um seine Freunde zu retten, so die Idee. In Wirklichkeit hat man die Bande nichtssagender Knallköpfe in dem Moment vergessen, als der sympathische Soziopath Vaaz Montenegro nach etwa fünf Minuten das erste Mal auftritt. Die oberflächlichen Beziehungen und Probleme der platten Clique motivieren zu keiner Sekunde; stattdessen wünscht man sich aus der Geborgenheit ihres Höhlenverstecks zurück in das Chaos des Dschungels, zu mehr Feuergefechten, mehr Explosionen, mehr Tigern.
Etwa auf halbem Weg durch Far Cry 3 gibt es diese Szene: Jason kehrt gerade siegreich mit einem weiteren geretteten Saufkumpan in die Höhle zurück, als dieser ihm enthüllt, dass sein Bruder Riley tot ist. Er pausiert andächtig, das Spiel erwartet offenbar irgendeine Reaktion auf den Tod eines Bruders, den es mir nie wirklich vorgestellt hat. Ich aber habe Mühe, den Namen einem der Gesichter aus dem Intro zuzuordnen. Welcher war noch gleich Riley?
In Folge unterhält sich Jason mit einem anderen kiffenden Freund und fragt ihn, wohl um den Schmerz des Verlusts zu lindern, ob er nicht auch mal ziehen könne. Er lehnt ab: Jason müsse einen klaren Kopf bewahren, damit er sie von dieser Insel holen kann. Auch wenn Far Cry 3 sonst nicht als Satire durchgeht - DAS kann doch nur ein Witz sein. Ich soll einen klaren Kopf bewahren? Junge, ich bin auf dem Trip des Jahrhunderts, zugedröhnt bis unters Dach mit Blut und Adrenalin.
Dass Jason längst etwas Besseres gefunden hat als Gras, zeigt sich wenig später, als er die Drogenplantage der Piraten mit dem Flammenwerfer bearbeitet, eine Sequenz die nicht nur wegen der treibenden Dubstepklänge, sondern ihrer starken Thematik in Erinnerung bleibt. Vor dem Absturz, vor dem Wandel, hätte ihn die Entdeckung der Cannabisfelder wahrscheinlich in Extase versetzt, er hätte sich an den Strand gesetzt und sich tagelang das Hirn aus dem Schädel geblasen.
Jetzt jubelt und lacht Brody beim verschwenderischen Niederbrennen der Pracht, erfreut sich an der Zerstörung und nicht am Rauch. Er hat etwas Besseres gefunden, seine neue Droge kommt in Gestalt der wütenden Wachen und Patrouillen auf ihn zu. Angesichts solcher Szenen fällt es natürlich schwer zu behaupten, Jason würde nur tun, was getan werden muss, um die Sicherheit seiner Freunde zu gewährleisten. Aber keine Sorge, Far Cry 3 hat noch eine andere Erklärung auf Lager.
Jason Brody tötet, weil er nicht anders kann: Auf dieser These scheint die zweite Hälfte von Far Cry 3 zu basieren, etwa wenn Jason laut Rache an Ersatzbösewicht Hoyt Volker schwört, sich mit gerechtem Zorn für den Krieg der Rakyat begeistert oder am Ende, je nach Spielerentscheidung, seine Mordlust gegen alle richtet, die ihm nahe stehen. Aber Jasons Faszination an Gewalt als Zwang zu sehen, ist zu einfach, es überspielt, wie erschreckend normal er eigentlich ist - und vor allem widerspricht es unserer Erfahrung als Teilhabender.
Wir als Spieler können schon anders, als in reiner Mordlust zu töten - wir wollen nur nicht.
Denn wir als Spieler können schon anders, wir wollen nur nicht. Weil wir alle irre sind? Wohl kaum. Wir sind ebensowenig am allumfassenden Gemetzel interessiert wie Jason Brody, beide wollen wir nur Dampf ablassen, und wo uns die Fiktion dienen muss, geht Jason eben einen Schritt weiter. Wie William Foster in Falling Down fängt er an, all die Dinge zu tun, die sich sensible Menschen aus gutem Grund verkneifen - nicht, weil er sich der Konsequenzen nicht bewusst wäre, sondern weil sie ihm egal sind. Was Jason so monströs macht, ist, dass er trotz allem noch völlig klar sieht: Er ist nicht wahnsinnig, er ist sich seines Handelns durchaus bewusst. Er muss nicht töten. Aber er kann. Jederzeit.
Leider ist Far Cry 3 nicht bereit, die Vorstellung eines zwanghaften Massenmörders bis zu ihrem logischen, bitteren Ende durchzuziehen. Stattdessen drängt einen das Spiel bei zunehmender Brutalität mehr und mehr in defensive Rollen. Man verteidigt sein Flugzeug, hält Positionen, schützt seinen Kameraden. Selbst der abschließende Helikopterflug, eine minutenlange Gewalt- und Zerstörungsorgie, in der man quasi im Alleingang eine ganze Insel verwüstet, ist streng genommen in Spielelogik Selbstverteidigung, denn wer sich der Geschützsequenz verweigert, wird tatsächlich schnell abgeschossen. Das als Rechtfertigung für den ungleich vernichtenderen Gegenschlag zu sehen, ist natürlich Blödsinn, aber das Spiel möchte einem wohl selbst hier noch die Möglichkeit geben, das eigene Handeln rational begründen zu können.
Letzten Endes scheint Far Cry 3 bei der Interpretation seiner eigenen Hauptfigur unschlüssig und inkonsequent, und es bleibt schwer zu sagen, welche Botschaft das Spiel damit genau erreicht. Far Cry 3 ist absurd. Es mag sich seiner eigenen Absurdität sogar bewusst sein, aber trotz der Selbstbeweihräucherung als Systemkritik ist es eher bemüht, die Illusion des All-inclusive-Abenteuerurlaubs aufrechtzuerhalten, denn sie zu erschüttern. Die Mauern und Grenzen des Luxusinselresorts hat man dabei zur eigenen Entspannung möglichst zu ignorieren. Der Spieler bleibt, Eigeninitiative ausgenommen, ebenso sehr Tourist wie Jason Brody selbst.
Als Metakommentar möchte ich Far Cry 3 entgegen Jeffrey Yohalem nicht verstehen: Zwar ist das Spiel überzogen brutal, aber die Vorstellung, dass die bloße Existenz von Gewalt in Computerspielen zwangsläufig auch deren Reflektion nach sich zieht, würde ja bedeuten, dass sich das Medium seit seiner Entstehung in einer ständigen Grundsatzdebatte selbst auffressen müsste. Aber ohne diese Ebene bleibt Far Cry 3 nur eine in Ansätzen selbstkritische Gewaltfantasie, die zu sehr zwischen Extremen schwankt und zu feige für offenen Tadel ist.