Gamescom, Spielepresse und PR: Die Sache mit der Ethik
Der folgende Text wurde mir von einem/einer Autor/in zugesandt, der/die ungenannt bleiben möchte. Er/sie schreibt: "Ich weiß leider aus Erfahrung, dass Spielejournalisten Kritik sofort persönlich und als Nestbeschmutzung brandmarken und enge Kontakte in Sippenhaft nehmen."
Deshalb erscheint dieser Text, der ein wichtiges Problem im Verhältnis zwischen Branche, Presse und Spielern thematisiert, auf VGT anonym.
Um Missstände in Politik, Gesellschaft oder Industrie aufzudecken, braucht es gemeinhin Informanten oder Whistleblower, die dank Insider-Wissen ein Problem in den Blick der Öffentlichkeit rücken. Bei Games-Medien braucht es die nicht. Missstände lassen sich für jeden in geradezu erschreckendem Ausmaß frei zugänglich im Internet mitverfolgen.
Einen Tag vor Beginn der gamescom in Köln veranstaltete beispielsweise der Publisher Activision vor Ort die pompös inszenierte Vorstellung - neudeutsch "Reveal" genannt - des Mehrspielermodus seines Ego-Shooters Call of Duty: Advanced Warfare. Geladen waren Fachpresse, YouTube-Prominenz und Community-Mitglieder. Das ist grundsätzlich unproblematisch; nirgendwo weltweit dürfte die Anzahl von Medienvertretern mit Gamesbezug an einem Ort höher sein als während der der europäischen Leitmesse in Köln. Dass Activsion, dank Milliardenmarken wie Call of Duty, World of Warcraft und Skylanders mit prall gefüllter Kriegskasse, auch die Anreise der meisten Medienvertreter bezahlte, ist aus presseethischer Sicht sicherlich diskussionswürdig. Die Reisekostenübernahme durch Publisher scheint aber in der Branche ein Standard zu sein.
Das Gebaren der geladenen Medienvertreter lässt insbesondere in sozialen Netzwerken jegliche neutrale Distanz schmerzlich vermissen.
Sie hält in der Theorie keinen der Beteiligten grundsätzlich davon ab, seriös und neutral über ein Produkt zu berichten - in diesem Fall den Mehrspielermodus von Call of Duty: Advanced Warfare. Aber genau hier ist die Crux an besagtem Event: Das Gebaren der geladenen Medienvertreter lässt insbesondere in sozialen Netzwerken jegliche neutrale Distanz schmerzlich vermissen. Sie fluten Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram mit Fotos und/oder Selfies von der Örtlichkeit, den Begleitumständen oder den kleinen Handreichungen, die als Aufmerksamkeit gereicht werden. Diese Posts beinhalten allesamt wenig bis gar keine Informationen über das eigentliche Spiel. Im Regelfall werden sie sogar stets feinsäuberlich mit dem vom Organisator vorgegebenen Hashtag "#AdvancedWarfareMP" etikettiert. Ein echter Nutz- oder Informationswert für das Publikum lässt sich nicht attestieren. Auch durch den oft angeschlagen freudig-jubeligen Ton verbietet sich im Grunde die Interpretation einer neutralen journalistischen Dokumentation eines Branchenereignisses. Man mag vermerken, dass sich soziale Netzwerke selten als Medium der echten Informationsbeschaffung eignen und prinzipiell allein durch ihre Beschaffenheit eher der Selbstdarstellung dienen. Im Fall von Presse und YouTubern erwächst daraus aber eine fatale Botschaft.
Die Diskussion, ob YouTuber der Fachpresse zuzuzählen sind, soll an dieser Stelle übrigens bewusst ausgeklammert werden. Die verantwortlichen Inhalteersteller auf der Videoplattform flüchten sich bei Kritik stets in das Argument, sie würden lediglich Unterhaltung und keinen Journalismus machen (zuletzt bei der Debatte um bezahlte Let's-Play-Videos) und wären daher nicht an Presse-Standards gebunden.
Fakt ist: YouTuber verbreiten Informationen an ein großes Publikum, sie sind daher den Medien zugehörig. Sie aus einer moralischen Verantwortung gegenüber ihrem Publikum zu entlassen, wäre fahrlässig.
Man darf wohl davon ausgehen, dass keiner der geladener Medienvertreter von Activision im Vorfeld dazu verpflichtet wurde, in sozialen Netzwerken, noch dazu oftmals auf privat geführten Nutzerkonten, in der dargebotenen selbstdarstellerischen Form zu berichten. Trotzdem geschah es vielfach und ausgiebig. Ein Unrechtsbewusstsein oder zumindest Fingerspitzengefühl ist nicht vorhanden, eine Reflexion über die fatale Außenwirkung auf den Konsumenten findet nicht statt. Jegliche folgende Berichterstattung über ein Produkt ist vergiftet, wenn geladenen Event-Gäste wie im aktuellen Fall ihre sozialen Profile nur allzu bereitwillig als Werbefläche für selbiges Produkt bereitwillig anbieten. Die PR-Abteilungen der Industrie nehmen die Einladung natürlich nur allzu dankend an.
Narzissmus und stete Vergewisserung der eigenen Relevanz ist wichtiger als selbst der Anschein der Wahrung von Neutralität und Distanz.
Activsion ging sogar so weit, die Anreise einiger Medienvertreter in eigenes für diesen Termin lackierten Bussen zu organisieren, außen mit dem jeweiligen Namen der Journalisten geschmückt. Statt diese Tatsache etwas beschämt zu Kenntnis zu nehmen und sie schnell als das zu entlarven, was sie ist, nämlich der einfach zu durchschauende Versuch der Schmeichelung, werden Fotos davon über die bekannten Kanäle geteilt. Narzissmus und stete Vergewisserung der eigenen Relevanz ist wichtiger als selbst der Anschein der Wahrung von Neutralität und Distanz. Die Medienvertreter lassen sich bereitwillig zu willfährigen Handlangern der Industrie machen, ergießen sich gar stellenweise in beschämender Dankbarkeit für das vermeintliche Privileg und danken es mit kritikloser Hofberichterstattung. Anbiederung bei der Industrie wiegt offenbar wichtiger als eine saubere Weste gegenüber der eigenen Leser- und Zuseherschaft.
Das Dilemma eines jeden Produktjournalismus - die große Nähe und in gewissen Teilen sogar Abhängigkeit von der Industrie - wird sich nie gänzlich auflösen lassen. Aber die Videospielepresse vermeidet oftmals aktiv jede Möglichkeit einer Emanzipation und Distanzierung von der Branche. Bei aufkeimender Kritik durch zu große Nähe oder gar Korruptionsvorwürfen ist der sofortige, wahlweise Empörtheits-, Naserümpf- oder Beißreflex seit Jahrzehnten bestens eintrainiert und daher stets sofort abrufbereit. Man hat es sich in symbiotischer Zweitracht zwischen Presse und Industrie bequem gemacht - der Konsument bleibt außen vor. Bis der Gameskäufer nach der Kasse gemerkt hat, welche Schmierenkomödie ihm da aufgetischt wurde, ist der fröhliche Party-Tross aus Medien und PR schon längst einträchtig zum nächsten Event weitergezogen.
Dabei sind Korruptionsvorwürfe oder zu große Industrienähe keine mysteriöse Krankheit, für die ein Heilmittel erst noch gefunden werden müsste. Nein, Transparenz und angemessene Distanz sind wahre Wundermittel: Sie sind einfach zu bekommen und praktischerweise sogar kostenlos. Kein Journalist wird gezwungen, Fotos mit unkritischen Kommentare auf Promotions-Events über Facebook oder Twitter zu posten.
Ein kurzer Hinweis unter dem späteren Artikel oder Video, dass die Anreise zum Termin auf Einladung und Kosten des jeweiligen Publishers erfolgte, ist keinerlei Mehraufwand, aber schafft Transparenz und Glaubwürdigkeit bei den Lesern oder Zusehern. Und alleine denen sollte, nein darf, sich jeder Medienschaffenden verantwortlich fühlen. Auch wenn das bedeuten mag, dass sein Name beim nächste Mal vielleicht nicht mehr auf dem bereitgestellten Reisebus gedruckt wird.
Dieser Text stammt nicht von mir, sondern wurde VGT von einem/einer Autor/in zur Verfügung gestellt, der/die anonym bleiben möchte.