Games'n'Politics: Zombies und Gesellschaftskritik in Videospielen

Michael Schulze von Glaßers Videoreihe "Games'n'Politics" wirft einen pointierten Blick auf die Schnittstellen zwischen Spielen, Gesellschaft und Politik. Auf VGT ergänzt Michael seine Videoserie um erweiternde Texte zum Thema. 

7.483 Tote“ heißt es in der oberen linken Ecke des Bildschirms. Durch das Bild fährt eine feuerspeiende Dampfwalze – Blut spritzt, die Zahl steigt. Moralische Bedenken gegen das Gemetzel muss man als Spieler von Dead Rising 3 aber nicht haben. Denn die, deren Eingeweide sich vor einem verteilen, waren sowieso schon tot: Sie waren Zombies.

Seit dem Jahr 2008 ist die Zahl der Zombie-Spiele sprunghaft gestiegen. Neben Shootern, in denen die Untoten als einfaches Kanonenfutter gelten, sind vor allem ernsthafte Survival-Spiele wie das noch im Alpha-Stadium befindliche DayZ populär. Darin erwacht der Spieler orientierungslos in einer post-apokalyptischen Welt: doch die Versorgung mit Nahrung und überlebenswichtigem Equipment ist einfach. Und auch die wenigen Zombies in dem 2013 veröffentlichten Spiel stellen eine beherrschbare Gefahr da. Einzig die anderen Spieler, die einem in dem Online-Spiel begegnen, sind nicht einzuschätzen: Oft wird erst geschossen und dann gesprochen. Damit kann DayZ eher als soziales Experiment angesehen werden denn als Zombie-Spiel. Die größte Bedrohung ist der Mensch – so wie es schon in den legendären Filmen des US-Regisseurs George A. Romero der Fall war.

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Doch warum dieser Anstieg der Zombie-Spiele in den letzten Jahren? Ein Ansatz, die zunehmenden Auftritte von Untoten in den virtuellen Welten zu erklären, ist die Finanzkrise: Viele Menschen haben in der etwa 2007 beginnenden Krise alles verloren. Der Kapitalismus kann dabei als im Blutrausch befindlicher Zombie interpretiert werden. Die eigentlichen Verursacher, die für das Leid vieler Menschen verantwortlich sind, sind aber andere Menschen bzw. laut dieser Interpretation „Bänker“. Der gegebene Zustand – ob Zombie-Apokalypse oder Kapitalismus – stellt eine Gefahr dar, die Situation eskaliert aber erst durch Menschenhand.

Die „Metapher Zombie“ kann aber noch anders interpretiert werden. So macht der Zombie-Forscher Frank Neumann darauf aufmerksam, dass die Untoten in Filmen vor allem nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA einen „Boom“ erleben. Die unsichtbare Bedrohung durch Terroristen, die als „Schläfer“ in der Gesellschaft leben und darauf warten zuzuschlagen könnte in der Darstellung von Zombies in Filmen gesehen werden. Sowieso können Untote in Unterhaltungsmedien als eine fremde und schwer zu definierende und unheimliche Gefahr für den Menschen interpretiert werden.

Selbst Videospiele, in denen Zombies auf den ersten Blick als reine Wesen zum einfachen Abschuss vorkommen, wie etwa dem Zombie-Modus von Call of Duty – Black Ops von 2010, haben nach dieser Lesart eine politische Dimension, die in der Verteidigung der USA vor den Fremden besteht. Passenderweise gibt es in dem Spiel eine Mission, in der man das US-Verteidigungsministerium Pentagon vor dem Zombie-Einfall bewahren muss – von dem Ort geht in der Realität der US-„Krieg gegen den Terror“ aus. Auch Spiele in Comic-Optik, wie das kürzlich erschienene Plants vs. Zombies – Garden Warfare, können dementsprechend interpretiert werden: Der idyllische US-Vorgarten wird von marodierenden und todbringenden Wesen angegriffen.

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Eine eindeutige Lesart der Untoten in Videospielen gibt es aber nicht – die Wissenschaft ist sich uneins. In der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Kulturwissenschaften“ gibt die Gesellschaftswissenschaftlerin Jeanette Ehrmann zumindest einen umfassenden Vorschlag für die Lesart des Zombies als Kapitalismuskritik:

„Der Zombie steht […] für die aktuellen Erscheinungen des Kapitalismus in Form neoliberaler Gouvernementalität und Subjektivierung, aus der aufgrund des eigenen Verstricktseins kein einfaches Entkommen möglich ist. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Kapitalismus nicht erst seit der Finanzkrise Untote produziert. Die Gewalt des Kapitalismus nahm ihren Beginn in der Versklavung und wurde im Experimentierfeld der Kolonien erprobt. Der Zombie als Metapher ist damit auch das Produkt einer kolonialrassistischen Moderne, die noch heute in einer geschlechtsspezifischen und rassistischen internationalen Arbeitsverteilung, in der Verschuldung des globalen Südens und gegenwärtigen Formen der Neoversklavung fortwirkt.“

Ob als Folge von Terroranschlägen und der westlichen Angst vor etwas Fremdem oder als Kritik am wirtschaftlichen System: Zombies in haben in Unterhaltungsmedien wie Videospielen durchaus eine gesellschaftspolitische Dimension. Welche das ist, liegt in der Interpretation des Spielers. Manchmal wird diese Interpretation aber auch nicht tiefsinnig sein müssen: etwa im Fall von Dead Rising 3.

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Kommentare

Soweit ich weiß, sind ZOMBIES als Antagonisten, Elemente der Populärkultur, dank der sog. MIDNIGHTMOVIES und dem dadurch öffentlich gemachten Werk NIGHT OF THE LIVING DEAD des Großzombiesators GEORGE A. ROMERO, auch als eine Antwort des Künstlers auf das Desinteresse oder sogar späterenTeilnahme der damaligen Amerikaner auf den beginnenden Vietnamkrieg zu deuten.

Die Doku heißt sogar "Midnight Movies", aber es gibt auch eine neue von 2013,"Birth of the Living Dead ". Vietnam ist absolut ein Faktor, Tom Savini, der die Effekte bei" Night" und vielen Splatterfilmen gemacht hat und sonst eine kleine celebrity ist, war zB Sanitäter in Vietnam und verarbeitete so auch seine Erlebnisse im Krieg.

Meine persönliche Theorie : Da gerade in Zeiten der gnadenlosen Selbstoptimierung alle am besten fit, schlank, bestens gepflegt, jung und schick sein wollen - bzw diesem ideal folgen müssen -, ist der stinkend, verwesende, alte, ekelhafte Zombie der ästhetische Albtraum des optimierten Individuums. Zombies sind deshalb auch irgendwie "Prolos", treten als deformierte Horde auf - die absolute Antithese zum Wunschbild. The Horror, the Horror...

Ich glaube ja, dass es viel einfacher ist. Der Zombie steht nicht für den Kapitalismus, oder für den Vietnam-Krieg, oder sonst was, sondern ist ein Ventil für das subjektive Gefühl der nicht direkt zuordenbaren Bedrohung in der Bevölkerung. 2001 die Terroristen, seit 2008 die Angst vor Verarmung, und den damit verbundenen Konsequenzen. Nicht genau festmachbar, daher Ersatz-Symbol "Zombie".

Das ist eben das Schöne am Zombie, und deshalb ist das Motiv auch so erfolgreich: Er ist auf mehreren Ebenen deutbar und relevant. Als Metapher auf die stumpfsinnig konsumierende Masse. Als Schreckensbild des körperlichen Verfalls. Als Menetekel des drohenden sozialen (und biologischen, hehe) Abstiegs. Als Rest barbarischer Kriege, der plötzlich in unseren Vorstadtsiedlungen auftaucht. Als Beweis dafür, dass der Lack der Zivilisation dünn ist.

Im Gegensatz zum  aristokratischen Monster - dem Vampir - und dem tierischen Monster - dem Werwolf - ist der Zombie in seinem massenhaften Auftreten auch die Entsprechung zum industrialisierten Menschen der "Massengesellschaft" - und als solcher auch seiner Individualität beraubt. 

OMG, wenn ich mir überlege, wie viele Stunden ich schon genau über dieses Thema philosophiert habe.

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